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Normale Version: Türkei
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Zitat:Und Frau Merkel klingt mit ihrer peinlich dünnen Kenntnisse sehr überzeugend, nicht wahr?
Vielleicht. Aber ich bin auch nicht immer einer Meinung mit Frau Merkel. Mir ginge es eher um Erdogan.
Zitat:Der Ton mag vom Premier Erdogan wirklich unkonventionell klingen, trotz allem steckt bei seinen Äußerungen die bittere Wahrheit.
Ersteres ja, zweiteres manchmal SICHER nein.
Zitat:Währendessen äußert sich Frau Merkel mit einer gespaltenen Zunge, die ihrer Charakterlosigkeit in der Außenpolitik nur gerecht sein kann.
Na, wir sind ja nicht bei den Schlangen oder Indianern. Und charakterlos war, bis auf sehr wenige Ausnahmen, fast jeder Politiker...
Zitat:Aber eines würde mich fragen. Woher aufeinmal die Interesse an Zypern? Und hinterher der Rüffel an die Türkei?

Tolle deutsche Interessen, aus welcher Gesichtspunkt das auch sein mag, die sie vertritt.
Lange Rede, kurzer Sinn: Die deutsche Politik gegenüber der Türkei ist beileibe nicht immer ehrlich gewesen. Das weiß ich selber. Aber die derzeitige türkische Regierung ist mit Sicherheit diesbezüglich und in Bezug auf andere Themen noch heuchlerischer...

Schneemann.
einmal ein Blick auf die ethisch-kulturelle Entwicklung in der Türkei - Freizügigkeit oder Moralisierung?
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.tagesschau.de/ausland/freizuegigersultan100.html">http://www.tagesschau.de/ausland/freizu ... an100.html</a><!-- m -->
Zitat:Proteste gegen Fernsehserie
Freizügiger TV-Sultan erhitzt türkische Gemüter

Die Einschaltquoten steigen von Folge zu Folge. Die Fernsehserie "Das prächtige Jahrhundert" über einen Sultan aus dem Osmanischen Reich ist in türkischen Wohnzimmern ein Erfolg. Auf den Straßen aber fordern aufgebrachte Türken die Absetzung. Ihnen ist die Serie zu freizügig.


Von Steffen Wurzel, ARD-Hörfunkstudio Istanbul

Eine Demo an einer viel befahrenen Straße in Istanbul. 40 hauptsächlich junge Männer skandieren Sprüche wie: "Hände, die das Osmanische Reich beschmutzen wollen, sollen zerbrechen!" Ihr Protest richtet sich gegen "Muhteşem Yüzyıl" - auf Deutsch: "Das prächtige Jahrhundert".
...

Stand: 16.01.2011 11:07 Uhr
Zur "Pressefreiheit" in der Türkei, eines der Probleme, die man schon lange unter der AKP-Herrschaft bemerken konnte...
Zitat:Videoblog "Orient-Express"

Journalismus als "Minenfeld"

Wenn sie bestimmte innenpolitische Themen aufgreifen, riskieren türkische Journalisten strafrechtliche Verfolgung. Gegen etwa 4000 Pressevertreter laufen zurzeit Ermittlungen, 60 sind in Haft. Das trieb vor kurzem Journalisten auf die Straße: Sie wollen endlich frei berichten dürfen.
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.tagesschau.de/videoblog/orient_express/journalisten106.html">http://www.tagesschau.de/videoblog/orie ... en106.html</a><!-- m -->

Schneemann.
Zitat:Zur "Pressefreiheit" in der Türkei, eines der Probleme, die man schon lange unter der AKP-Herrschaft bemerken konnte...

Die Aussage ist ziemlich blöd. Die Pressefreiheit und Menschenrechtssituation war vor der AKP keinesfalls besser, sondern schlechter. Dem wird niemand ernsthaft widersprechen.
Insofern hat sich die Situation unter der AKP "Herrschaft" (nur zur Info: in der Türkei gibt es freie Wahlen) also verbessert. Das ist ja gerade die Ironie an der Sache, die Du offenbar noch garnicht bemerkt hat. Ob das mit einer anderen Partei ähnlich positiv oder gar noch deutlicher in Richtung Demokratisierung des Landes verlaufen wäre, ob es auch gelungen wäre den korrupten Militärapparat nach EU Vorgaben aus der Politik zu verbannen, steht in den Sternen.
Dem möchte ich entschieden widersprechen.

In Europa wurde immer das Verbot zur "Beleidigung des Türkentums" kritisiert, letztendlich hat JEDER Staat ein ähnliches Gesetz, die Frage ist nur, wie man ein solches Gesetz auslegt und evtl politisch missbraucht.

Was die AKP macht, ist ein ganz anderes Kaliber. Hier werden Gesetze nicht einfach gebogen, sondern gebrochen. Die AKP hat mittels der "Ergenekon-Verschwörung" es geschafft, die intellektuelle Elite und mit ihr die führenden Journalisten in den Knast zu werfen und unschädlich zu machen.

Warum ich das behaupte? Keiner der Verhafteten wurde erfolgreich angeklagt und verklagt, sie sitzen alle noch in U-Haft, jedoch werden Fristen nicht eingehalten und Prozesse nicht fortgeführt. Das ist ein klarer Rechtsbruch, möglich wurde dies nur, weil die Regierung direkt darauf Einfluss nehmen kann, welche Richter die Prozesse führen können. Selbst die Verfassungsrichter wurden von der AKP komplett ausgetauscht.

In der Türkei besteht zur Zeit keine Rechtsstaatlichkeit, geschweige denn eine Pressefreiheit.

Der grösste Medienkonzern (Dogan-Holding) wurde letztes Jahr mit einer "Steuernachzahlung" überrascht, konte die AKP-kritische Berichterstattung in TV und Printmedien nicht mehr fortführen und wird nun an Investoren aus dem Ausland verkauft.


Nach den für Erdogan erfolgreichen Wahlen strebt er eine wichtige Verfassungsänderung an: Er will das Amt des Staatspräsidenten mit dem des Premier vereinen.

Erdogan verfolgt ein Ziel und lernt aus der Geschichte, dabei nimmt er zu seiner Machtergreifung keinen Geringern zum Vorbild, als




Adolf Hitler.
Zitat:Nach den für Erdogan erfolgreichen Wahlen strebt er eine wichtige Verfassungsänderung an: Er will das Amt des Staatspräsidenten mit dem des Premier vereinen.
Jetzt im Ernst? Das habe ich gar nicht mitbekommen. Wäre ja noch ein Schritt weiter in Richtung der Festigung der Macht - und zur Diktatur...

PS: Beim Rest stimme ich völlig zu.

Schneemann.
Und ich sehe das, unter Rückgriff auf geschulte Augen, deutlich anders. Siehe dazu etwa den Kommentar auf der Webpräsenz des Göttinger Instituts für Demokratieforschung, unter Bezug auf die aktuellen Geschehnisse in Arabien:

Zitat:...
Die Türkei bzw. ihre politische Führung – Ministerpräsident Erdogan, Staatspräsident Gül und Außenminister Davutoglu – sind in Maghreb und Maschrek gern gesehene und respektierte Gäste. Eine repräsentative Umfrage, welche vor den Freiheitsrevolten von der renommierten türkischen Stiftung für wirtschaftliche und soziale Studien TESEV in sechs arabischen Ländern (Ägypten, Saudi-Arabien, Libanon, Syrien, Irak, Jordanien und Iran) erhoben wurde, untermauert diesen Zuspruch. Mehr als 65 Prozent der Befragten sehen die funktionierende Symbiose von Islam und Demokratie als potentielles Muster für ihren Staat. Die türkische Regierungspartei AKP ist sozusagen ein Prototyp einer regierungsfähigen islamisch-demokratischen Partei – sie stellt ein Produkt jahrzehntelanger politischer und besonders ideologischer Emanzipation dar.

Ihre Wurzeln hat die AKP in den islamistischen Parteien des Vaters des türkischen politischen Islams, Necmettin Erbakans. Erdogan und Gül emanzipierten sich Ende der neunziger Jahre von Erbakan und schworen, zumindest öffentlich, dem politischen Islam ab. Die Gründer der AKP erkannten, dass sie im Rahmen der Demokratie ihre politischen Visionen auf eine breitere Legitimationsbasis stellen konnten und somit auch erfolgversprechendere Machtoptionen hatten. Ein theokratischer Staat im Sinne Erbakans findet jedoch in der türkischen Gesellschaft nur sehr wenig Rückhalt. Nur durch ihre demokratische Emanzipation erlangte die AKP Akzeptanz und Legitimation in der eigenen Bevölkerung sowie der europäischen Politik. Wie selbstbewusst die Regierungspartei war, stellte sie 2003 unter Beweis. Sie verweigerte unter Verweis auf einen demokratisch gefällten Parlamentsbeschluss den USA bei der Irakinvasion die Gefolgschaft. Die türkische Demokratie düpierte die Amerikaner und bescherte den Türken eine nie dagewesene arabische Achtung. Aufgrund der Verbindung von islamischer Lebensweise und demokratischen Strukturen sowie der selbstbewussten und beachteten Außenpolitik betrachten viele Araber die Türkei auf staatlicher und politischer Ebene als ein erstrebenswertes Vorbild.
...
Weiterhin kann die türkische Republik im wirtschaftlichen Bereich punkten. Die AKP-Regierung übernahm die wirtschaftlichen Altlasten der Vorgängerregierungen, welchen Misswirtschaft, Korruption und einer extremen Wirtschaftskrise des Jahreswechsels 2000/2001 geschuldet waren. Unisono mit dem Wahlsieg der AKP 2002 prosperierte auch die Wirtschaft. Das türkische Pro-Kopf-Einkommen stieg innerhalb von neun Jahren von 2160 Dollar auf mehr als 10000 Dollar. Im Vergleich dazu liegt Ägypten heute auf dem Niveau, auf dem die Türkei vor neun Jahren stand. Diese Entwicklung fußt unter anderem auf einem überproportionalen Anstieg türkischer Importe in die arabischen Länder. Die Wirtschaftskontakte zogen zudem eine partielle Aufhebung der Visapflicht nach sich. Diese türkische wirtschaftliche Erfolgsgeschichte und der gesellschaftliche Mehrwert lassen sich auch auf die Demokratisierung von Staat und Gesellschaft zurückführen – ein entscheidendes Detail, welches den arabischen Ländern und ihren Herrschern nicht verborgen bleibt. Somit beeinflusst die Türkei unterschwellig ihre Wirtschaftspartner, ganz nach dem Sprichwort: Wandel durch Handel.
...
Könnte die türkische Demokratie demnach ein Wegweiser für die Menschen im Maghreb und dem Nahen Osten sein? Die Akzeptanz einer solchen Gesellschaftsform, wie sie die Türkei aufweist, ist laut der TESEV-Umfrage gegeben. Anscheinend findet in einigen islamisch arabischen Gesellschaften ein Umdenken statt. Lange standen sich die säkular-europäischen und islamisch-arabischen Gesellschaftsordnungen unvereinbar gegenüber. Die Türkei schaffte es jedoch, unter ihrer islamisch geprägten Regierung einen Mittelweg zu beschreiten. Ein demokratischer Rahmen, in dem der Islam sehr wohl seinen legitimen Platz einnimmt. Natürlich gibt es in der türkischen Demokratie noch Defizite, aber sie befindet sich auf dem prosperierenden Weg. Die Türkei und ihre Regierungspartei könnten daher als eine Art Schablone, zumindest aber als Inspiration, für die demokratisch gesinnten Menschen in den arabischen Ländern dienen.
...
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.demokratie-goettingen.de/blog/turkei-als-wegweiser/">http://www.demokratie-goettingen.de/blo ... wegweiser/</a><!-- m -->
Der Text ist sehr schön, da er alle oberflächlichen Informationen die AKP betreffend formuliert. Genau diese Argumente werden immer und immer wieder im Ausland, vor allem in Europa wiederholt.

Doch bohrt man tiefer, findet sich eine andere Realität. Allein schon die Aussage, dass die Türkei einen "Mittelweg zwischen Demokratie und Islam" gefunden hat, beschreibt nichts weiteres als ein Abrücken von der streng demokratischen und laizistischen Linie nach rechts, Richtung "Konservativismus".

Mich stört, dass man immer die "Demokratie" als das oberste Ziel ansieht. Das trifft nur auf eine Gesellschaft zu, die weitestgehend aufgeklärt ist. Ein Staat kann immer noch "demokratisch" sein, wenn die Mehrheit des Volkes eine verfassungsfeindliche, sogar faschistische Partei wählt, die dann eine nicht zu vernachlässigende Minderheit im Volk massiv unterdrückt. Dann ist der Staat zwar demokratisch, aber immer noch kein Rechtsstaat.

In jedem Staat gibt es Instrumente, die die Rechtsstaatlichkeit sichern, diese sind in der Verfassung festgehalten. Darin werden nicht nur Artikel angegeben, die nicht veränderbar und nicht streichbar sind, genauso werden Rede- und Meinungsfreiheiten eingeschränkt. Die Verfassung definiert eine unumstößliche Staatsordnung, die vom Volk auch nicht mit demokratischen Mitteln verändert werden kann.

Eine solche Verfassung hat nicht nur die Türkei, sondern auch Deutschland. Wenn man dennoch eine Veränderung herbeiführen will, so muss man die Verfassung gänzlich aufheben und den kompletten Staat abschaffen.


In der türkischen Verfassung ist unumstößlich verankert, dass die türkische Republik eine laizitische Republik ist. Es gibt keine Staatsreligion. Jeder Bürger hat das Recht auf Wahl seiner Religion, diese darf er nur im privaten Rahmen ausüben. Eine Verflechtung von Staat und Religion ist ausfrücklich verboten.

Und es handelt sich hier nicht um Paragraph Nr. 25535 oder sonstwas, sondern um einen der ersten Sieben Paragraphen. Dieser Artikel ist so bedeutend wie die Freiheit und Würde des Menschen. Der Laizismus steht in der türkischen Verfassung über dem demokratischen Prinzip.

Und dies haben auch die religiösen Hardliner erkannt. Deswegen mehren sich die Stimmen, die meinen, dass die Türkische Republik ja nun schon fast 100 Jahre existiert - so lang wie kein anderer bisheriger türkischer Staat - und langsam abgeschafft gehört. Es gibt zahlreiche Politiker unter der AKP, die dieser Meinung sind. Nicht umsonst wurden zahlreiche dieser Politiker mit Haftstrafen abgestraft, als das noch möglich war. In Deutschland würde man auch nicht anders verfahren. Wenn eine Partei, die die BRD abschaffen will, zahlenmäßig eine Bedeutung erlangen würde, käme der Verfassungsschutz und würde die Party beenden.

Und genau das ruft die Kemalisten auf den Plan. Natürlich sind das auch Demokraten, aber sie sind sich sicher, dass sie eher bereit sind, die Demokratie aufzugeben, als die Republik aufzugeben.

Zitat:Nur durch ihre demokratische Emanzipation erlangte die AKP Akzeptanz und Legitimation in der eigenen Bevölkerung sowie der europäischen Politik.

Die AKP hatte bei ihrer Machtergreifung 2002 34% der Stimmen, bei einer Wahlbeteiligung von 79%. Demnach hatten ca. 26% der Bevölkerung für die AKP gestimmt. 26% der Bevölkerung haben einer Partei zur absoluten Mehrheit im Parlament verholfen, die nach Belieben an Gesetzeswerken rumfummeln konnte, was dazu führte, dass der kemalistische Staatspräsident jedes Gesetz regelmäßig einkassierte, bis er von der AKP ausgetauscht wurde.

Sowas ist zum Glück in Deutschland nicht möglich.

Zitat:Wie selbstbewusst die Regierungspartei war, stellte sie 2003 unter Beweis. Sie verweigerte unter Verweis auf einen demokratisch gefällten Parlamentsbeschluss den USA bei der Irakinvasion die Gefolgschaft. Die türkische Demokratie düpierte die Amerikaner und bescherte den Türken eine nie dagewesene arabische Achtung.

Damit hat die AKP offenbar jeden Uninformierten übers Ohr gehauen. Denn die AKP hat ganz gewiss nicht den Einsatz so mutig abgelehnt, ganz im Gegenteil kam es mit den USA zu "Verhandlungen", wie hoch die "Aufwandsentschädigungen" für die Türkei sein würden, bzw. wieviele Milliarden Dollar man von den USA erhalten würde. Nach dieser peinlichen Bettelnummer hatte man sich sogar geeinigt, bis das türkische Militär daziwschen schoss. Die türkischen Generäle wollten eine Invasion vom Norden eigenständig durchführen, schließlich ging es um ein Nachbarland und um die Wahrung der eigenen Sicherheitsinteressen. Die Amerikaner wollten jedoch die türkischen Streitkräfte unter ihr Kommando stellen und sie keinesfalls im Nordirak bei den Kurden einsetzen. Deswegen trat die Türkei dem Irak-Krieg nicht bei, nicht wegen dem antiamerikansichen Heldenmut oder gar aus Liebe zu den Arabern ...

Zitat:Die türkische Demokratie düpierte die Amerikaner und bescherte den Türken eine nie dagewesene arabische Achtung. Aufgrund der Verbindung von islamischer Lebensweise und demokratischen Strukturen sowie der selbstbewussten und beachteten Außenpolitik betrachten viele Araber die Türkei auf staatlicher und politischer Ebene als ein erstrebenswertes Vorbild.

Erdogan ist bei Arabern ein Held. Aber jede Medallie hat ihre Kehrseite. Denn noch nie war das Verhältnis mit Israel so schlecht. Dabei ist Israel neben den USA der wichtigste militärische Verbündete und war bisher im Nahen Osten auch der einzige demokratische Staat. Mit Erdogan als Selbsternannten Chef im Nahen Osten war der Frieden in Palästina noch nie so weit entfernt, wie heute.

Zitat:Weiterhin kann die türkische Republik im wirtschaftlichen Bereich punkten. Die AKP-Regierung übernahm die wirtschaftlichen Altlasten der Vorgängerregierungen, welchen Misswirtschaft, Korruption und einer extremen Wirtschaftskrise des Jahreswechsels 2000/2001 geschuldet waren. Unisono mit dem Wahlsieg der AKP 2002 prosperierte auch die Wirtschaft. Das türkische Pro-Kopf-Einkommen stieg innerhalb von neun Jahren von 2160 Dollar auf mehr als 10000 Dollar.

Die Umfassendsten Wirtschaftsreformen wurden von Erdogans Vorgängeregierung unter der Federführung des Finanzministers Kemal Dervis vollzogen. Kemal Dervis ist im Gegensatz zum Grundschulabsolventen Erdogan Professor der Wirtschaftswissenschaften, war Vizepräsident der Weltbank und Direktior des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen.
Erdogan hatte 2 "Errungenschaften": Er hat die Reformen Dervis`s wirken lassen und er hat mit der Privatisierung (d.h. dem Ausverkauf) sämtlicher Staatsunternehmen kurzfristig Geld in die Kassen gespült, und zwar so viel, dass er momentan jedem Türken sogar eine Krankenversicherung zu gute kommen lässt. Doch leider ist das alles eben nur auf Pump, und irgendwann ist die Party vorbei. Erdogan hat auch die Schranken für ausländische Unternehmen fallen lassen, so dass sie in der Türkei "investieren" konnten: Mittlerweile ist jede türkische Privatbank in ausländischem Besitz. Und die schöne Pro-Kopf-Einkommensstatistik lässt sich eben auch entkräften: 90% der Wirtschaftskraft und Kaufkraft der Türkei beschränken sich auf den Großraum Istanbul. Die Zahl der Superreichen war noch nie so hoch wie heute. Ein türkischer Lehrer (Universitätsabsolvent) verdient monatlich 200 Euro. Ein Rentner erhält ca. 100-120 Euro. Die Bevölkerung beschwert sich zur Zeit, dass Fleischprodukte so teuer sind (teilweise das 5-fache der griechischen Preise), das liegt unter anderem daran, dass Erdogan die staatlich subventionierte Fleischindustrie fallen lies, genauso wie die Stilllegung des größten türkischen Raki-Produzenten Tekel (hat ja nichts mit Islamismus zu tun...). Eine Arbeiterfamilie kann sich pro Woche nur 500 Gramm Hackfleisch leisten. Mehr ist nicht drin. Gleichzeitig stapeln sich vor den teueren Diskotheken Istanbuls die Ferraris der 18-Jährigen, die Trotz einer Luxussteuer von 80% immer noch reissenden Absatz finden.

Das ist für mich kein wirtschaftlicher Wohlstand.

Zitat:Könnte die türkische Demokratie demnach ein Wegweiser für die Menschen im Maghreb und dem Nahen Osten sein?

Noch ja, die Frage ist aber, wie lange noch. Wird Erdogan wiedergewählt, führt er die zwei Spitzenämter zusammen, gibt es keine funktionstüchtige Opposition und schaut das Militär wieder einmal einfach nur zu, dann ist es leider Vorbei mit der Demokratie. Dann befürchte ich eine Katastrophe.

Nach der Volksabstimmung zur Verfassungsänderung 2010 ergab sich in der Türkei folgendes Bild:
[Bild: Turkish_constitutional_referendum_2010.svg]

Man erkennt, wie zerstritten das Volk ist.

In den roten Gebieten, v.a. den Küsten, Großstädten (und besseren Orten Istanbuls, was man auf der Karte nicht erkennt) sitzen die europäischen, aufgeklärten Türken. Sie würden es genauso wenig akzeptieren, dass ein Regime ihnen ihre Freiheiten raubt, wie wir in Deutschland. Das sind ca. 30-40% der Bevölkerung.

In den grünen Regionen leben Hardliner (ca. 15% der Bevölkerung) sowie der Mob 45-55% , der denjenigen wählt, der die besten Sprüche kloppt ... und das ist Erdogan ...



Sollte sich die Lage zuspitzen ist ein großer Konflikt innerhalb der eigenen Grenzen wahrscheinlich.
Zitat:Polizei nimmt Dutzende mutmaßliche Qaida-Anhänger fest

Schlag gegen Extremisten: In Istanbul hat die Polizei bei Razzien mehr als 40 mutmaßliche Islamisten festgenommen - darunter auch einen Mann, der Anführer des Terrornetzwerks al-Qaida in der Türkei sein soll.

http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,...63,00.html
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/?artikelID=20110412">http://www.eurasischesmagazin.de/artike ... D=20110412</a><!-- m -->
Zitat:Europas Schlusslicht oder Eurasische Führungsmacht?
Ne mutlu Türküm diyene“ - welch ein Glück, Türke zu sein. Dieser Satz wird Mustafa Kemal Atatürk zugeschrieben. Einer seiner politischen Enkel, Recep Tayyip Erdogan wird ihn sicher gutheißen und es nicht anders sehen. Er macht ihn sogar in gewisser Hinsicht zum politischen Programm, wenn er seine Landsleute in Deutschland auffordert, Türken zu bleiben, sich nicht zu assimilieren, Türkisch zu sprechen und dann erst Deutsch. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt erblickt darin Aufwiegelung. Auch andere deutsche Politiker geben sich verärgert. Doch der Türkenpremier kontert: Er mache nur „Privatbesuche“ in Deutschland und spreche dabei zu seinen Landsleuten. Das ließ er z.B. bei seinem Auftritt im Februar 2011in Düsseldorf verlauten.
Von Wolf Oschlies
EM 04-11 · 03.04.2011
...
Zitat:Doch der Türkenpremier kontert: Er mache nur „Privatbesuche“ in Deutschland und spreche dabei zu seinen Landsleuten.
Damit genießt er ja keine Immunität mehr, oder? Könnte man ihn ja wegen Korruption oder Volksverhetzungen zumindest mal in U-Haft nehmen. Aber vermutlich meint er das nicht ernst... :lol:

Schneemann.
och, lies mal die letzten Absätze des Berichts ... so dolle is es nu ooch nich
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.tagesschau.de/ausland/tuerkei390.html">http://www.tagesschau.de/ausland/tuerkei390.html</a><!-- m -->
Zitat:Parlamentswahlen in der Türkei
Ausschreitungen nach Ausschluss kurdischer Politiker

Die Wahlbehörde in der Türkei hat prominente kurdische Politiker von der Kandidatur bei der Parlamentswahl im Juni ausgeschlossen und damit landesweit Empörung ausgelöst. In mehreren Städten kam es zu Ausschreitungen, die Polizei setzte Tränengas und Wasserwerfer ein.
...

Stand: 20.04.2011 00:30 Uhr
das Verhalten de Wahlbehörde scheint mir nicht auf eine Eintrittskarte in die EU abzuzielen ...
Ich war ja früher eher der Meinung, dass sich Erdogan als pragmatischer Realpolitiker erweisen wird. Aber es zeichnet sich anscheinend ab, dass unter seiner Regierung so einiges gegen Demokratie, Menschenrechte und Aussöhnungsversuche unternommen wird.
Es läuft einen extremen Nationalismus(Rassismus?) gepaart mit einem Abrutschen Richtung Islamismus raus; quasi das schlechteste aus beiden Welten - Kemalismus und Islamismus.

Das hätte auch von jedem Kemalisten sein können.
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.faz.net/s/RubDDBDABB9457A437BAA85A49C26FB23A0/Doc~EDADA468F6A8940068E8E8813B9A129E4~ATpl~Ecommon~Scontent.html">http://www.faz.net/s/RubDDBDABB9457A437 ... ntent.html</a><!-- m -->
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.ftd.de/politik/international/:einkaeufer-aus-dem-reich-der-mitte-chinas-milliarden-shoppingtour-durch-europa/60041774.html">http://www.ftd.de/politik/international ... 41774.html</a><!-- m -->
Zitat:21.04.2011, 15:00
Einkäufer aus dem Reich der Mitte
Chinas Milliarden-Shoppingtour durch Europa

Die Volksrepublik kommt mit üppigen Krediten und spektakulären Bauprojekten, sie versprechen neuen Wohlstand und Entwicklungshilfe: China kauft sich in Not leidende europäische Randstaaten ein. Doch dahinter steckt eiskaltes Kalkül. Das heimliche Ziel heißt nämlich Kerneuropa.

...
... weiter auf S. 4 mit ...
Zitat:...
Mit fast 30 Mrd. Dollar finanzieren sie ein 4000 Kilometer langes Hochgeschwindigkeits-eisenbahnnetz in der Türkei. Die Hälfte der Strecke wollen sie selbst bauen. Mit Tempo 350 sollen Züge made in China durch Anatoliens Berge brettern und die Städte Edirne an der Westgrenze zu Griechenland und Kars an der Ostgrenze zu Armenien in zwölf statt 41 Stunden verbinden.
Seit Jahren träumt die türkische Regierung von diesem Prestigeprojekt - als Start für eine neue Route quer durch Asien bis nach China. "Es ist höchste Zeit, aus der Seidenstraße eine Seiden-Eisenbahnstrecke zu machen", jubelt Verkehrsminister Binali Yildirim.
Premier Recep Tayyip Erdogan hat die Regierung in Peking zum "strategischen Partner" erhoben - und behandelt sie auch so. So durften kürzlich chinesische Sukhoi-Kampfjets gemeinsame Manöver mit türkischen F-16 über Zentralanatolien fliegen, zur Verblüffung der Nato-Bündnispartner. ...
aktuell ergänzend <!-- m --><a class="postlink" href="http://eng.chinamil.com.cn/news-channels/2011-04/20/content_4423688.htm">http://eng.chinamil.com.cn/news-channel ... 423688.htm</a><!-- m -->
Zitat:Chinese military delegation to attend dialogue meeting in Turkey

(Source: PLA Daily) 2011-04-20
...
- das ist aus türkischer Sicht eigentlich logisch; nachdem die Türkei in Europa nicht wie erwünscht ankommt, suchen die Türken eine neue Orientierung. Da ist dann zum Einen die osmanische Tradition - zum anderen aber auch die Besinnung auf weiter gehende historische und ethnische Wurzeln. China und die Türkei liegen jeweils am Ende der historischen Seidenstraße, und die daran (dazwischen) liegenden zentralasiatischen (turk-sprachigen) "Turan-Staaten" sind nicht nur ein sprachlich-religiöser Anknüpfungspunkt, sondern vor allem auch aufgrund der reichen Bodenschätze von zunehmendem wirtschaftlichen Interesse.
Logisch also, dass die Türkei zunehmend nach Osten blickt - eben bis nach China.