Forum-Sicherheitspolitik

Normale Version: Russland vs. Ukraine
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https://www.report-k.de/kasachstan-wende...ssland-ab/

"Kasachstan, über Jahrzehnte enger Verbündeter Russlands in Zentralasien, rückt als Folge des Krieges in der Ukraine vom Kreml ab. „Wenn es einen neuen Eisernen Vorhang gibt, wollen wir nicht dahinter sein“, sagte Vize-Außenminister Roman Vassilenko der „Welt“. Er rief westliche Investoren auf, das Geschäft in sein Land zu verlagern."
https://edition.cnn.com/europe/live-news...index.html
Ukraine reports fresh counterattacks against Russian forces in the south

"Today, several more settlements in the Kherson region have been liberated. The invaders are at a distance from Kryvyi Rih of at least 40 kilometers (25 miles), in some directions as much as 60 kilometers (37 miles)."
Hallo,

evtl. etwas "off topic" - zeitlich überholt

Bzgl der zuvor genannten "total zerfezten" Panzer
Ein statement vom Lesiter des Panzermusuems - auch bzgl Einsatz der Panzer jeweils der gemäss der "sowjetischen Dioktrin"
https://www.youtube.com/watch?v=Wkb3Tb3ayk0


Bzgl Korruption in der russ. Armee, brutaler Umgang der "Opas" mit "Rekruten" / Geister""/ jungen Soldaten ein paar Buchempfehlungen, fehlende Ausbildung etc. ,

"Zinkjungen - Afghanistan und die Folgen" von Swetlana Alexijewitsch4


"Tschetschenien - die Wahrheit über den Krieg" von Anna Politkoswkaja

oder ein Roman
"Die Farbe des Krieges" - Arkadi Babtschenko
https://ria.ru/20220329/deystviya-1780680625.html

"Die russische Armee hat beschlossen, die Feindseligkeiten in Richtung Kiew und Tschernigow drastisch zu reduzieren, sagte der stellvertretende Verteidigungsminister Alexander Fomin, der die Abteilung in Verhandlungen mit der ukrainischen Delegation vertritt.
"Aufgrund der Tatsache, dass Verhandlungen über die Vorbereitung eines Abkommens über die Neutralität und den nichtnuklearen Status der Ukraine sowie über die Bereitstellung von Sicherheitsgarantien für die Ukraine in die Praxis aufgenommen werden, <...> vom Ministerium für Verteidigung Um das gegenseitige Vertrauen zu stärken und die notwendigen Bedingungen für weitere Verhandlungen zu schaffen und das endgültige Ziel zu erreichen, sich auf die Unterzeichnung des oben genannten Abkommens zu einigen, wurde beschlossen, die militärischen Aktivitäten in Richtung Kiew und Tschernihiw zeitweise radikal zu reduzieren. "
US Offizielle bestätigen, das russische Verbände im Raum Kiew den Rückzug angetreten haben:
https://twitter.com/jimsciutto/status/15...1021227012

Nach den erfolgreichen ukrainischen Gegenangriffe in den letzten Tagen durchaus nachvollziehbar.
Ich suche derzeit noch nach dem Gesamtumfang der Waffenlieferungen. Quintus hat dazu auf der letzten Seite eine Liste je Land angefertigt, aber beim Herumsuchen fand ich u. a. diese Meldung vom 07. März:
Zitat:Ukraine given nearly 20k anti-tank and anti-aircraft missiles so far

The United States and other NATO members have so far sent Ukraine 17,000 antitank missiles and 2,000 stinger anti-aircraft missiles, a senior US official told CNN.
https://edition.cnn.com/europe/live-news...e17d6f21be

Das war, wohlgemerkt, vor rund drei Wochen. Und da waren es schon alleine 17.000 Panzerabwehrraketen aller Couleur. Die Dunkelziffer dürfte derzeit, irgendwie verstecken sich aktuell viele Länder nur hinter Dollar-Angaben (?), deutlich höher liegen. Grob, so schätze ich, sind wir bei min. 26.000 Panzerabwehrsystemen und rund 6.000 MANPADS. Das übertrifft alles bisher dagewesene an Waffenlieferungen an einen kriegführenden Staat in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg - zumal es in nur etwa vier bis acht Wochen geschah (ein Teil wurde ja schon vor Kriegsausbruch geliefert).

Nach Schätzungen trifft ca. 1 von 3 abgefeuerten Waffen, was aber nicht am System liegt, sondern meistens am unerfahrenen oder auch ängstlichen Anwender oder am "Abtauchen" des Gegners. Auch wenn man natürlich von ausgehen kann, dass bislang nur ein recht geringer Teil (unter 20%?) der gelieferten Waffen verfeuert wurde, so wären dies immer noch eine Vernichtungskraft die beispiellos wäre (also rund 1.500 bis 1.800 "Wirkungstreffer"). Addiert man hierzu noch den Umstand einer vergleichsweise schlecht ausgestatteten und unmotivierten Panzertruppe, so macht man besser die Lukendeckel zu und lässt den Panzer stehen...

Zu den bisherigen Kriegsschäden:
Zitat:515.800.000.000 Euro

Ukraine beziffert bisherige Kriegsschäden

Kiews Vize-Regierungschefin versucht, die materiellen Schäden durch Russlands Krieg im Land einzuschätzen. Dem Staat fehlen beinahe 90 Prozent seiner Einnahmen. Das BIP sackt um mehr als die Hälfte ein. Tausende Kilometer Straße sind zerstört, ebenso Millionen Quadratmeter Wohnraum.

Durch den Angriffskrieg Russlands hat die Ukraine nach eigenen Angaben bereits mehr als eine halbe Billion Euro an wirtschaftlichen Verlusten erlitten. Die Kosten der "direkten Auswirkungen der Zerstörungen" seit Kriegsbeginn am 24. Februar belaufen sich auf umgerechnet 515,8 Milliarden Euro, wie Wirtschaftsministerin und Vize-Regierungschefin Julia Swyrydenko auf Facebook mitteilte. [...]

Die Ukraine werde daher "eine finanzielle Entschädigung vom Aggressor verlangen", fügte sie hinzu. Dies könne durch juristische Entscheidungen erfolgen "oder durch einen direkten Transfer (aktuell) in der Ukraine eingefrorener russischer Guthaben an den Staat".
https://www.n-tv.de/politik/Ukraine-bezi...30430.html

Eingefroren dürfte genug sein...

Schneemann
https://de.wikipedia.org/wiki/BMPT_(Panzer)

Hat man den eigentlich mal im Einsatz gesehen? Oder faktisch auch nur Papiertiger?
Ich hab bisher viele Bilder von eingesetztem Material gesehen, aber BMPT noch nicht. Möglicherweise sind die Stückzahlen zu gering, um das Muster in der Ukraine zu verschleissen.
Zum Thema Panzerverluste und dem Fehlen moderner Systeme...
Zitat:Destroyed tanks blow hole in Russian military myth

The destruction of an elite Russian tank detachment in Ukraine is further evidence that the Kremlin lacks the military might it was thought to have before the war, defence experts have said. Ukrainian forces claimed a decisive victory over the 4th Guard tank division in a small town near the Russian border this week.

The armoured unit, famed for fighting in Stalingrad and liberating Poland from the Nazis in the Second World War, was deployed at the start of the invasion of Ukraine. Its tanks rolled into Trostyanets, in the eastern Sumy oblast, after a week-long battle with resistance fighters and occupied the area for 25 days. But in a significant blow to Russia, Ukrainian soldiers announced on Sunday that they had retaken the territory...
https://www.thetimes.co.uk/article/destr...-2d55l3xv9

Und zum generell eher suboptimalen Zustand der russischen Streitkräfte - ein eher erschütterndes Essay eines ehem. russischen Offiziers (Schischkin war Militärübersetzer an der pädagogischen Hochschule in Moskau, Offizier der Sowjetarmee, Leutnant der Reserve):
Zitat:Hungern, leiden, fliehen: Putins Armee ist eine Sklavenschule

Die Ukrainer wissen, wofür sie kämpfen. Wissen es die russischen Soldaten? In meiner Zeit als Sowjetoffizier habe ich gelernt: Der gute Rekrut gibt zuerst seine Menschenwürde ab.

Ein Essay von Michail Schischkin

Der Kriegsplan des russischen Generalstabs sah voraus, dass sich die Nato mit ihren Streitkräften nicht in die sogenannte Befreiung der Ukraine einmischen werde. Warum auch sollte die Welt wegen irgendeines Mariupol im nuklearen Inferno enden? Diese Rechnung ging auf. Es würde auch keine Flugverbotszone geben am ukrainischen Himmel.

Die US-Geheimdienste wiederum wussten genau, wie viele Panzer, Kampfflugzeuge und Raketen Russland besitzt. Sie gingen davon aus, dass die Ukraine nach einigen Tagen besiegt sein würde. In dieser Hinsicht haben sich die Amerikaner verrechnet. Den Krieg entscheiden keine Panzer, sondern Soldaten.

Die russische Armee hat versagt. Die Ukrainer wissen, wofür sie kämpfen. Wissen es die russischen Soldaten? [...] Die Offensive steckt fest, die Soldaten sind demotiviert, es fehlt an Treibstoff, an Nahrung. Ein krasses Beispiel für den desolaten Zustand der russischen Armee ist die Verpflegung. [...] Die ganze Welt staunte, als man Bilder zu sehen bekam von 2015 abgelaufenen Feldrationen, die getötete und gefangen genommene Soldaten auf sich trugen. Putins Armee muss marodieren, um nicht zu verhungern. [...]

Jede Armee spiegelt die Quintessenz der Gesellschaftsordnung wider. Die russische Armee spielt eine wichtige soziale Rolle im Land, sie ist eine Anlaufstelle für die Éducation sentimentale. Und die russische Armee war und bleibt eine Schule der Sklaven. [...] Willst du als Rekrut überleben, musst du zuerst zum Sklaven werden, deine Menschenwürde fahren lassen. Später wirst du von einem Sklaven zu einem Herrn, nun bist du an der Reihe, die Neuen zu prügeln, ihnen in die Stiefel zu pissen, sie eine mit Schuhwichse beschmierte Brotscheibe essen zu lassen, ihnen die von zu Hause zugeschickten Lebensmittel wegzunehmen. [...]

Wegen des Diebstahls von Waffen, Technik, Ausrüstung und finanziellen Mitteln erhielten mehr als tausend Soldaten und Offiziere Freiheitsstrafen. 40 Prozent aller Straftaten waren auf physische Gewalt zurückzuführen. Monatlich starben (in der Friedenszeit!) durchschnittlich 88 Soldaten und Offiziere, das macht jährlich 1064 Soldaten, 276 von ihnen durch Selbstmord und 16 durch physische Misshandlungen der Vorgesetzten und anderer Soldaten.

Das waren die Zahlen aus offenen Quellen. Später begann die Putin’sche Armeereform. In den letzten Jahren wurden solche Daten, gemäß der oppositionellen „Nowaja Gaseta“, geheim gehalten. Der Verteidigungsminister schwor mehrmals, dass die Dedowschtschina in der Armee ausgerottet sei. Dass es nicht so ist, bezeugen regelmäßige Medienberichte über Soldaten, die ihre sogenannten Waffenbrüder erschießen und flüchten. [...]

Die undurchsichtigen Praktiken der Geldvergabe brachten sämtliche Reformversuche zum Scheitern. Auch die horrenden Militärausgaben konnten den kritischen Zustand nicht ändern. Berühmt wurde die Blamage der Rüstungsindustrie, als im Mai 2015 ein Panzer der neuen Generation, Armata T-14, während der Militärparade auf dem Roten Platz liegen blieb und abgeschleppt werden musste. Die Produktion dieser Neuentwicklung geriet ins Stocken. Viele Ausrüstungen sind überdies veraltet und stammen noch aus der Sowjetzeit. [...]

Putin lehnte das Angebot des IKRK ab, die Leichen russischer Soldaten aus der Ukraine nach Russland zu überführen. Das ist alles, was man über die Beziehungen zwischen der Macht und dem Fußvolk in meinem Land wissen muss.
https://plus.tagesspiegel.de/gesellschaf...39669.html

Allerdings sollten wir so fair sein und zugeben, dass sich die meisten von uns (ich auch) und auch die meisten westlichen Geheimdienste haben täuschen lassen vom realen Zustand der russischen Streitkräfte. Waren die Vorhersagen der Dienste (auch gerade der US-Dienste), dass es einen Angriff geben wird, meistens durchaus korrekt, so lagen beinahe alle bei der Einschätzung der "Performance" der russischen Armee daneben. Durch die Bank fast alle Quellen sind von einem tendenziell eher schnellen russischen Erfolg ausgegangen, von einem Blitzsieg sozusagen, allenfalls punktuell gestand man den Ukrainern gewisse Abwehrerfolge zu. Das sorgt nun auch für Diskussionen...
Zitat:Top US general in Europe says there 'could be' an intelligence gap in US that caused US to overestimate Russia's capabilities

(CNN) - The top US general in Europe said Tuesday there "could be" a gap in US intelligence gathering that caused the US to overestimate Russia's capability and underestimate Ukraine's defensive abilities before Russia attacked Ukraine. When Russia launched its invasion of Ukraine last month, US intelligence assessed that the country-wide assault could lead to Kyiv falling into Russian hands within days. [...]

Testifying at a Senate Armed Services Committee hearing Tuesday, US European Command chief Gen. Tod Wolters was asked by Sen. Roger Wicker, a Mississippi Republican, if there was an intelligence gap that caused the US to overestimate Russia's strength and underestimate the Ukrainian defenses. [...] While US intelligence was spot on in predicting Russia was planning to invade Ukraine - which the Biden administration aggressively released to turn global sentiment against the Kremlin - the intelligence community did not assess the poor performance of the Russian military. [...]

Lt. Gen. Scott Berrier, the head of the Defense Intelligence Agency, said that US intelligence assessments before the invasion were based on a number of factors, including that the Ukrainians were "not as ready as I thought they should be." [...] "Therefore, I questioned their will to fight. That was a bad assessment on my part, because they have fought bravely and honorably and are doing the right thing," he said.
https://edition.cnn.com/2022/03/29/polit...index.html

Schneemann
(30.03.2022, 13:51)Schneemann schrieb: [ -> ]Waren die Vorhersagen der Dienste (auch gerade der US-Dienste), dass es einen Angriff geben wird, meistens durchaus korrekt, so lagen beinahe alle bei der Einschätzung der "Performance" der russischen Armee daneben.

Mir scheint, dass es auf beiden Seiten Narrative gibt, die einfach so übernommen werden als wären es ewige "Lebensweisheiten" und der Geheimdienst dem dann scheinbar auch nicht weiter nachgeht.

Narrativ auf unserer Seite war:
"Russland ist zwar wirtschaftlich angeschlagen, aber hat eine modernisierte schlagkräftige Armee"

Narrativ auf russicher Seite war:
"Die Ukrainer sind keine richtige Nation, sie würden im Zweifelsfall nicht für ihr Land kämpfen und würden wohl auch nichts groß dagegen haben, zu Russland zu gehören"

Da beide Narrative an der Realität meilenweit vorbeigingen, möchte ich mal die (nur leicht ironische) Behauptung aufstellen, dass beide Geheimdienste, hätten sie Agenten als Touristen getarnt, Leute auf der Straße befragen lassen, sie vermutlich ein korrekteres Bild gehabt gehabt hätten, als es jetzt der Fall war.
Ja und Nein. Es war sogar ausnahmsweise einmal so, dass gerade die US-Dienste, die sich gerne, teils auch notgedrungen, nur auf SIGINT verlassen haben, gerade in der aktuellen Ukraine sogar eine recht gute HUMINT verzeichnen konnten. Das war aber auf die Lage in der Ukraine bezogen und weniger auf die Lage in Russland bzw. in der russischen Armee (dort dürfte die HUMINT tatsächlich eher gering ausgeprägt gewesen sein). Und umgekehrt haben die Russen, die traditionell eine eher gute HUMINT haben, dieses Mal ziemlich versagt, was die Lageeinschätzung in der Ukraine angeht.

Allerdings kann es auch sein, dass die eher negativen Erkenntnisse - d. h. dass die Ukrainer eben nicht die russischen Panzer mit Blumen begrüßen würden - durchaus von einigen Stellen in den russischen Diensten erfasst und gesehen wurden, aber dass sie "lieber" nicht an den Kreml weitergegeben wurden, da man befürchtet hat, dort dann bei der oberen Riege in Ungnade zu fallen. Quasi nach dem Motto: Lieber schöne ich den Bericht, damit mir nichts passiert, und sonderlich schlimm wird das eh nicht sein, da unsere Truppen sowieso einen Blitzsieg hinlegen werden...

Tja, das kann auch in die Hosen gehen, wie wir aktuell sehen.

Hierzu:
Zitat:Präsident schlecht informiert

US-Regierung: Berater haben Angst vor Putin

Schon im Vorfeld scheint Russlands Präsident die Risiken eines Einmarsch in die Ukraine falsch eingeschätzt zu haben. Und auch jetzt scheine ihn sein Umfeld mit ehrlichen Lageeinschätzungen zu verschonen, glaubt das Weiße Haus. Für die US-Regierung ist das ein Grund zur Beunruhigung. [...]

Die Kommunikationsdirektorin des Weißen Hauses, Kate Bedingfield, sagte unter Berufung auf Geheimdienstinformationen: "Wir glauben, dass er von seinen Beratern nicht richtig darüber informiert wird, wie schlecht das russische Militär agiert und wie die russische Wirtschaft durch die Sanktionen gelähmt wird." Putins hochrangige Berater hätten "zu viel Angst, ihm die Wahrheit zu sagen". [...]

Der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby, sagte, es sei Anlass zur Sorge, wenn Putin falsch oder nicht informiert sei über die Vorgänge in der Ukraine. "Es ist sein Militär. Es ist sein Krieg. Er hat ihn gewählt." Die Tatsache, dass der russische Präsident vielleicht nicht alle Zusammenhänge kenne und vielleicht nicht ganz verstehe, in welchem Ausmaß seine Streitkräfte in der Ukraine versagten, sei beunruhigend. Auch der Chef des britischen Geheim- und Sicherheitsdienstes Government Communications Headquarters (GCHQ), Jeremy Fleming, sieht Putin falsch beraten. Russische Soldaten hätten in der Ukraine Befehle verweigert, ihre eigene Ausrüstung sabotiert und versehentlich eines ihrer eigenen Flugzeuge abgeschossen.
https://www.n-tv.de/politik/US-Regierung...36193.html

Schneemann
(30.03.2022, 15:26)Facilier schrieb: [ -> ]Narrativ auf unserer Seite war:
"Russland ist zwar wirtschaftlich angeschlagen, aber hat eine modernisierte schlagkräftige Armee"

Das würde ich aber schon hinterfragen. Denn "populärwissenschaftlich" wurde die russische Armee immer gern so dargestellt, gerade wenn einschlägige Blätter über die neuesten Wunderwaffen berichteten, und sicherlich gab es hinsichtlich der Geheimdienste/Militärs ähnliche Äußerungen (die aber vor allem im eigenen Interesse lagen und nicht unbedingt der tatsächlichen Denkweise entsprachen), um diese Darstellungen noch anzuheizen. Aber in der Summe war bekannt (zumindest in den Bereichen, mit denen ich mich beschäftigt habe), dass diese Darstellungen übertrieben waren, es große Probleme innerhalb der russischen Armee gab, sowohl Technik wie auch Ausbildungsstand zu wünschen übrig ließ, Produktionsanlagen und -techniken veraltet waren, das Geld fehlte, die Leistungsfähigkeit unter verschiedensten kriminellen Aktivitäten zu leiden hatte, usw.. Man muss sich nur mal die früheren Einschätzungen hier im Forum dazu durchlesen.
Aktueller Stand der Operationen in der Ukraine 31. März 2022

la voix de l'epée (französisch)
Allgemeine Lage

Russland zieht einen Teil seiner GTIAs und Luftlandetruppen aus der Region Kiew nach Weißrussland zurück, um sie nach ihrer Neuformierung wahrscheinlich wieder im Donbass einzusetzen. Dennoch geben die russischen Streitkräfte kein erobertes Gebiet, wo auch immer, freiwillig auf.
[Bild: 31%20mars.png]
Die ukrainischen Streitkräfte führen kleine Angriffe in Gebieten durch, in denen sich die russischen Streitkräfte in einer defensiven Haltung befinden, und die Russen tun dasselbe im Donbass, ohne dass beide Seiten nennenswerte Erfolge erzielen. Es entsteht ein Gleichgewicht, das nur durch eine radikale Änderung des Kräfteverhältnisses in einer Region verändert werden kann.

Besondere Situationen


Gebiet Kiew und Nordosten

Seit fünf Tagen Verlegung verbrauchter russischer Einheiten aus dem Gebiet Kiew West in Richtung Weißrussland. Es ist unwahrscheinlich, dass sie kurzfristig wieder eingesetzt werden können, aber sie werden es tun.

Die ukrainischen Angriffe auf das Gebiet West-Kiew gehen weiter, aber nur mit Mühe. Makariv scheint unter Kontrolle zu sein, ebenso wie Teile von Borodyanka. Die Hauptkämpfe finden in Irpin und Gostomel statt, jedoch ohne Geländegewinne. Den Ukrainern fehlt es an Artillerie, um die russischen Streitkräfte zu neutralisieren.

Russische Defensivhaltung überall, Verschanzungen und Brückensperrungen durch russische Ingenieure, was auf den Verzicht auf zukünftige Offensivbewegungen hindeutet. Obwohl einige Aufklärungsmissionen fortbestehen, wird der Artillerie die Hauptrolle zugewiesen, was den größten komparativen taktischen Vorteil der russischen Streitkräfte gegenüber den Ukrainern darstellt.

Die größten russischen Schwierigkeiten liegen wohl auf der H07-Achse von Soumy nach Kiew, wo mehrere kleine russische Einheiten angesichts der ukrainischen Belästigungen und Angriffe bis 60 km östlich von Kiew in einer schwierigen Position sind. Es wäre für die russischen Streitkräfte logisch, die Frontlinie zu begradigen und die in der Region fixierten Einheiten ohne großen Nutzen zurückzuholen.

Wenn die russischen Streitkräfte weiterhin nordöstlich von Kiew (Region Nordbrowary) präsent bleiben wollen, müssen sie zumindest die Kontrolle über die E95-Achse von der Nordgrenze aus aufrechterhalten, was jedoch die Einnahme der ukrainischen Hochburg Tschernihiw voraussetzt. Andernfalls müssen sie die Achse E101 von der nordöstlichen Grenze und dann die Achse E95 ab Kipti halten.

In jedem Fall ist die nordöstliche Region der Ukraine bewaldet und eignet sich daher im Frühling gut für das Verstecken leichter ukrainischer Kräfte. Die russischen Streitkräfte in diesem Gebiet könnten auf ihren Verbindungswegen einer intensiven und kostspieligen Belästigung (Minen, IEDs, Hinterhalte) ausgesetzt sein.

Ostzone und Donbass


Die 1. ABG und 6. A scheinen die Eroberung von Sumy und Charkiw vorerst aufgegeben zu haben und beschränken sich auf Feuerdruck. Einige verfügbare Kräfte scheinen der 20. A zugeteilt worden zu sein, um in der Region Yzium im Norden des Donbass-Gebiets zu kämpfen.

Die begrenzten Kämpfe entlang der DNP/LPR-Grenze und in Mariupol, das zu 60% von den Russen erobert wurde, dauern an. Abgesehen von der bevorstehenden russischen Eroberung von Mariupol scheint keiner der beiden Kontrahenten über die nötige Manövriermasse zu verfügen, um entscheidende Erfolge zu erzielen.

Südwestliche Zone


Auch hier befinden sich die russischen Streitkräfte in einer abwartenden Haltung und beschränken sich darauf, den ukrainischen Angriffen standzuhalten, die ihrerseits durch den Mangel an Streitkräften begrenzt sind.

Anmerkungen

Bestätigung russischer Cyberangriffe am 29. März auf das Ukrtelecom-Netzwerk mit begrenzten und vorübergehenden Auswirkungen auf das Internet.

Die Einberufung des neuen Kontingents russischer Wehrpflichtiger erfolgt am 1. April. Sie können sich normalerweise erst in drei Monaten freiwillig zum Dienst in der Ukraine melden.

Der Militärverkehr auf den russischen Eisenbahnstrecken wird reduziert, was darauf hindeutet, dass die meisten der in Russland noch verfügbaren Einheiten bereits eingezogen wurden.

Nach Angaben des ukrainischen Generalstabs wurden drei GTIA (2000 h), die aus Soldaten aus Ossetien und Abchasien gebildet wurden, in den Donbass verlegt, ebenso wie 1000 Soldaten der Firma Wagner-Liga (britisches Verteidigungsministerium).

Ein Großteil der Ausrüstung, die aus den Beständen zur Auffüllung der russischen Einheiten geborgen wurde, hat sich als unbrauchbar erwiesen, aus Überalterung, aber vor allem, weil vieles (z. B. Elektronik) auf dem Schwarzmarkt verkauft wurde, was auf eine lang andauernde systemische Korruption hindeutet. Dasselbe Phänomen gibt es auf der ukrainischen Seite, die in den letzten Jahren etwas besser bekämpft worden zu sein scheint.

Aufkommen eines Narrativs, das das russische Scheitern, Kiew einzunehmen, mit der Idee eines Manövers erklärt, das vom eigentlichen Ziel, dem Donbass, ablenken sollte. Dies wird natürlich durch die Fakten völlig widerlegt. Man lenkt nicht mit der Mehrheit seiner Streitkräfte ab, während man das ursprüngliche Ziel nicht angreift.

Oder man tut es mit der Gewissheit, dass man seine Streitkräfte viel schneller als der Gegner zum Hauptziel bewegen kann, nachdem man den Feind zum Köder gelockt hat. In diesem Fall waren es jedoch fünf russische Armeen und ein Großteil der Luftlandetruppen, die im gesamten Norden des Landes stationiert waren, während sich die ukrainischen Streitkräfte kaum aus dem Donbass herausbewegten. Letztendlich waren es, als die Angriffe im Donbass begannen, die russischen Streitkräfte, die außerhalb der Region Mariupol unzureichend waren.

Man kann die Verbreitung dieses Diskurses mit der Notwendigkeit erklären, eine kognitive Dissonanz aufzulösen. Wenn man davon überzeugt ist, dass die Russen sehr stark sind und/oder man sich wünscht, dass sie stark sind, muss man eine befriedigende Erklärung für das finden, was ein riesiger Misserfolg ist. Selbst die Niederlage von Dien Bien Phu wurde von manchen als großer Erfolg dargestellt, weil man viele Vietminh-Kräfte festgesetzt und verschlissen hatte.
Facilier:

Hab ganz zu Beginn des Krieges mal einen Film auf Twitter gesehen wo ein BMPT gezeigt wurde. Find ich aber jetzt nicht wieder und das muss auch rein gar nichts heißen, da ja schon etliche Videos welche angeblich in der Ukraine aufgenommen worden sein sollen in Wahrheit ganz woanders aufgenommen wurden. Von daher gehe ich davon aus, dass dieses System (aus welchen Gründen auch immer) keine Anwendung findet. Den es ist ja auch optisch ziemlich auffällig, recht bekannt und würde meiner Meinung nach allein deshalb im Verhältnis öfter gefilmt werden, weil es so ins Auge sticht.

Helios:

Zitat:Man muss sich nur mal die früheren Einschätzungen hier im Forum dazu durchlesen.

Beispielsweise habe ich die Russen über Jahre hinweg offenkundig überschätzt. Aber meiner Meinung nach macht man jetzt den Fehler sie zu unterschätzen und ich halte es für weniger problematisch den Gegner als stärker einzustufen als umgekehrt. Gerade das sollte die Kernlehre des Ukraine-Krieges sein, den exakt das haben die Russen in Bezug auf die Ukrainer ja auch getan. Man tut die russische Armee jetzt einfach ab, tatsächlich aber könnte der Krieg (rein theoretisch) auch zu einer Kehrtwende führen und gerade eben erst die russischen Streitkräfte innerhalb weniger Jahre wirklich leistungsfähig und gefährlich machen (die Möglichkeit dazu besteht immerhin), den die ganze Rüstungstechnologie welche da zumindest theoretisch durchaus vorhanden ist, könnte ohne die ganze Korruption und Kriminalität ja durchaus zeitnah in reale Bewaffnung umgesetzt werden. Und ich halte da sehr vieles immer noch für herausragend bzw. konzeptionell genau richtig.

Ebenso würde die russische Armee ganz anders kämpfen, wenn es ein anderer Krieg wäre, und wenn ihre Stellung in der Gesellschaft eine andere wäre (worauf Facilier ja schon mit seinen Vernetzungen hingewiesen hat). Und auch dies könnte in Folge des Krieges geschehen, beispielsweise durch einen Militärputsch und ein Ende des Systems Putin und dem folgend einer rechtsextremistischen Militärdiktatur etc
Es darf aber halt nicht ignoriert werden dass wir Länder halt immer voreingenommen betrachten. So wird Russland halt auch immer ganz gerne als Unaufhaltsam gezeichnet, während man, gerade die Amerikaner, gerne das Gegenteil mit China macht - wo China halt immer 20-30 Jahre dem Westen nachhängen soll.

Aber die mangelhafte russische Logistik sollte keine Überraschung sein, nicht nur fehlen LKWs sondern auch so grundlegende Dinge wie Nutzung von Holzpaletten oder ISO Container, man leert einen LKW halt per Hand anstatt die Paletten mit einem Gabelstapler zu entnehmen.