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Normale Version: Russland vs. Ukraine
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@PKr
Zitat:Vielfach wird die aktuelle Situation mit dem russisch-japanischen Krieg von 1905 verglichen und die militärische Kompetenz von Putin teils mit Hitler, teils mit Zar Nikolaus II. gleich gesetzt.
Da baut sich Druck auf.
Ein guter Hinweis. Zwar kann man natürlich geschichtliche Ereignisse nie eins zu eins vergleichen, aber die Entwicklungen sind durchaus ähnlich, wenngleich die Beweggründe wiederum sich anders Bahn zu brechen drohen.

Zwar hat das Zarenreich nicht so arg gelogen wie jetzt die Kamarilla um Putin, aber die massive Überheblichkeit war damals ähnlich. 1904 ging man von einem "kurzen Krieg gegen den japanischen Zwerg" aus und in Petersburg haben Offiziere geprahlt, man könne Tokio mit nur 10.000 Soldaten niederkämpfen. Man hat dann ziemlich böse eine Klatsche eingefangen und im Kontext dieser Niederlage wurde auch ersichtlich, wie desolat die Lage des eigenen Heeres und die Versorgung und Planung innerhalb der Flotte waren. (Wobei man fairerweise anmerken muss, dass die damals schon von ihren eigenen Vorgesetzten brutal und überheblich behandelten russischen Soldaten in Fernost vor Port Arthur und Mukden durchaus wenigstens noch gekämpft und den Japanern auch einige empfindliche Verluste bereitet haben, während die jetzige russische Armee [derzeit] nur noch ein Gespinst und kein wirkliches Gespenst mehr ist.) Und nachfolgend gab es dann auch die ersten Meutereien (die Potemkin-Meuterei etwa); zwar war dies noch nicht der Todesstoß für das Zarenreich, aber die Weichen waren gestellt und rund zehn Jahre später (1917) brach alles zusammen.

Und ähnlich überheblich ging man auch jetzt vor, quasi eine "Polizeiaktion" mit unzureichenden, unterversorgten Kräften, die von einer arroganten und kleptokratischen Herrscherschicht gegen den "Zwerg Ukraine", wo ja nur ein paar "Nazis" regieren, ins Gefecht geschickt wurden. Und wieder hat man eine Klatsche kassiert, und wieder gärt es massiv in den Reihen der eigenen Streitkräfte, die verheizt und angelogen und unterversorgt losgeschickt wurden.

Der Unterschied ist allerdings, dass damals (1904/05) die Kräfte, die den Aufstand gegen den Zaren trugen, eher noch anarchistisch-sozialrevolutionär, teils sogar sozialdemokratisch eingestellt waren, der Bolschewismus dominierte hier übrigens noch nicht (es gab ihn zwar schon, aber die zaristische Geheimpolizei hatte ihn [noch] recht gut im Griff). Aktuell jedoch scheint dieses Gären in den Reihen des Militärs gegen das Regime Putin allerdings eher getragen zu werden - was Quintus auch schon ansprach - von Nationalismus, teils Rassismus und neobolschewistischen Attitüden. Und das ist neu. D. h. ja, es gärt. Aber es gärt anders. Insofern: Man kann die Parallelen durchaus ziehen, aber die Hinter- und Beweggründe, die den jetzigen Unmut befeuern, sind anders aufgestellt und ausgerichtet und politisch gesehen gefährlicher, instabiler und sogar irrationaler als damals.

Schneemann
Die Kräfte die sich jetzt zunehmend gegen den "Zaren" richten, sind ganz klar, offen und eindeutig Faschistisch. Im klassischen Sinne dieses Begriffes. Und Rassismus ist nicht teilweise die Attitüde, sondern absolut vorherrschend. Die Fragestellung ist da nur noch, inwieweit diese Kräfte eher klassisch faschistisch sind, und in wie weit man sie de facto als National-Bolschewisten (als russische Form des Nationalsozialismus) einstufen müsste. Aktuell breitet sich sogar mal wieder das Narrativ aus, hinter dem ganzen Krieg würden die Juden stecken um die slawischen Völker zu verderben etc etc

Wenn die Kurroptokratie welche aktuell an der Macht ist die Lage nicht bald in den Griff bekommt, wird es noch so richtig interessant werden! Und es ist eigentlich auch nicht in unserem Interesse, dass die Korruptokratie fällt, den nichts schadet Russland mehr als das System Putin, nichts hält Russland so schwach und ist daher zu unserem Nutzen. Eine radikalst rechtsextremistische Alternative zum System Putin kann definitiv nicht in unserem Interesse sein.
(30.09.2022, 10:31)Schneemann schrieb: [ -> ]Dass Herr Erdogan zur Mäßigung aufruft, ist die eine Sache (er ist ja auch nicht unbedingt jemand, der im Verdacht steht, sich zu mäßigen), aber man sollte auch anmerken, dass selbst Staaten, die Russland eher noch wohlgesonnenen gegenüberstehen, die Vorgehensweise auch ablehnen bzw. angekündigt haben, die Annexionen nicht anzuerkennen - darunter auch China, Kasachstan und sogar das traditionell russlandfreundliche Serbien.

Schneemann

Annexionen eines Gebietes machen jeden Staat erst einmal misstrauisch gegenüber den Annektor.

Erdogan mag zwar die Männerfreundschaft zu Russland spielen, politisch sind die Türkei und Russland aber auf vielen Gebieten komplett über Kreuz.

1. Syrien: Assad für Putin, kein Assad für Erdogan. Erdogan war mit einer der enthusiastischsten Vertreter der "Assad muss weg" Bewegung. Russland unterstützt Assad massiv, beide Seiten haben Soldaten verloren als sie sich gegenseitig beschossen haben. In Idlib hält ein Frieden, mehr oder weniger. Von der Türkei unterstützte Islamistische Milizen halten da noch aus. Assad ist nicht stark genug diese zu besiegen, die Türkei will dort keine Kämpfe da sie eine erneute Massenflucht fürchtet.

2. Libyen: Auch hier unterstützen beide Seiten die Gegenseite.

3. Kaukasus: Aserbaidschan für die Türkei, Armenien für Russland.

4. Zentralasien: Die Türkei hat in den letzten Jahren oftmals die Turkvölker in Zentralasien umworben (gemeinsame Herkunft und Religion), Völker die Russland traditionell unterworfen hatte und Länder wo Russland als regionale Ordnungsmacht auftrat. Die meisten dieser Gebiete gehörten ja zur Sowjetunion und zum russischen Reich. Putin findet das ganz und gar nicht schön. Aber die Chinesen laufen beiden den Rang ab.

Noch dazu will die Türkei kein von Russland dominiertes schwarzes Meer. Mit dem Status Quo war man zufrieden. Abgesehen davon kann die Türkei es sich politisch, militärisch und vor allem ökonomisch nicht leisten, so auf Distanz zum Westen zu gehen. Und natürlich ist die Kurdenproblematik noch da - wenn jetzt Separatismus in der Ukraine unterstützt wird würde es den Kurden im Südosten vielleicht auch einfallen.


Und die Zentralasiatischen Staaten haben Angst - dort gibt es russische Minderheiten...
@I_Need_A_Medic
Zitat:Noch dazu will die Türkei kein von Russland dominiertes schwarzes Meer. Mit dem Status Quo war man zufrieden.
Naja, die russische Flotte ist zwar im Schwarzen Meer noch vorhanden, aber ich mache mal ein Fragezeichen hinsichtlich der Einsatzbereitschaft dahinter, zudem hat man sich aus nicht unerheblichen Teilen des Meeres quasi zurückgezogen und es den Ukrainern fast überlassen. Hier sehe ich eigentlich insofern keine richtige Gefahr mehr für den türkischen Standpunkt.
Zitat:Und natürlich ist die Kurdenproblematik noch da - wenn jetzt Separatismus in der Ukraine unterstützt wird würde es den Kurden im Südosten vielleicht auch einfallen.
Das ist ein durchaus nicht zu unterschätzender Punkt. Ich hatte mir auch schon überlegt, ob die jüngsten Attacken des Iran auf die Kurden nun nur ein Ablenkungsmanöver waren (um vom innenpolitischen Theater in Iran abzulenken) oder aber ob man so indirekt den Russen Schützenhilfe leisten wollte - um etwaige separatistische Kräfte einzuschüchtern -, zumal man sie aktuell schon erheblich mit Drohnen etc. unterstützt. Naja, ist aber spekulativ meinerseits...

Generell aber öffnet die russische Vorgehensweise Tür und Tor für jedweden Separatismus und auch nationale Alleingänge. Und sie ist hochriskant, gerade auch für Russland selbst, was den eigenen "grünen Unterleib" bis hin nach Zentralasien angeht, wo es genügend Separatisten gibt. Und zudem stößt auch den Chinesen, ja selbst den Indern, die russische Aktion mit der Annexion durchaus sauer auf, haben sie doch selbst ihre eigenen Gebietsansprüche gegeneinander und auch separatistische Kräfte innerhalb der eigenen Grenzen. Kurzum: Wenn die Operation des Kreml Schule machen sollte, werden wir noch einige separatistische Kriege und nationale Konflikte zwischen Istanbul, dem Kaukasus und bis hin nach Ostasien sehen. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass man dies in Moskau gar nicht wahrnimmt...

Schneemann
(01.10.2022, 16:35)Schneemann schrieb: [ -> ]@I_Need_A_Medic
Naja, die russische Flotte ist zwar im Schwarzen Meer noch vorhanden, aber ich mache mal ein Fragezeichen hinsichtlich der Einsatzbereitschaft dahinter, zudem hat man sich aus nicht unerheblichen Teilen des Meeres quasi zurückgezogen und es den Ukrainern fast überlassen. Hier sehe ich eigentlich insofern keine richtige Gefahr mehr für den türkischen Standpunkt.
Das ist ein durchaus nicht zu unterschätzender Punkt. Ich hatte mir auch schon überlegt, ob die jüngsten Attacken des Iran auf die Kurden nun nur ein Ablenkungsmanöver waren (um vom innenpolitischen Theater in Iran abzulenken) oder aber ob man so indirekt den Russen Schützenhilfe leisten wollte - um etwaige separatistische Kräfte einzuschüchtern -, zumal man sie aktuell schon erheblich mit Drohnen etc. unterstützt. Naja, ist aber spekulativ meinerseits...

Generell aber öffnet die russische Vorgehensweise Tür und Tor für jedweden Separatismus und auch nationale Alleingänge. Und sie ist hochriskant, gerade auch für Russland selbst, was den eigenen "grünen Unterleib" bis hin nach Zentralasien angeht, wo es genügend Separatisten gibt. Und zudem stößt auch den Chinesen, ja selbst den Indern, die russische Aktion mit der Annexion durchaus sauer auf, haben sie doch selbst ihre eigenen Gebietsansprüche gegeneinander und auch separatistische Kräfte innerhalb der eigenen Grenzen. Kurzum: Wenn die Operation des Kreml Schule machen sollte, werden wir noch einige separatistische Kriege und nationale Konflikte zwischen Istanbul, dem Kaukasus und bis hin nach Ostasien sehen. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass man dies in Moskau gar nicht wahrnimmt...

Schneemann

Die russische Schwarzmeerflotte dürfte ziemlich marode sein. Die meisten Einheiten stammen noch aus den großen Aufbauprogramm der 60er und 70er Jahre und dürften wenig modernisiert sein. Einzig die drei Schiffe der Admiral Grigorowitsch Klasse und die 7 U-Boote der Kilo II Klasse dürften eine Herausforderung sein aber nichts womit die Türken nicht fertig würden. Das könnte sich ändern wenn die ukrainische Küste in russische Hand fällt.

Der Iran macht zurzeit nichts aus Rücksicht gegenüber Russland, die sind momentan nur damit beschäftigt ihren Machtapparat an der Macht zu halten. Die Kurden im Nordiran an der Grenze zu Aserbaidschan haben genauso wie die Türkischen Kurden teilweise Unabhängigkeitsbestrebungen. Sie sind überwiegend sunnitisch und nicht Persisch und da sie an der Peripherie der Machthaber liegen entfallen nur wenige Ressourcen auf sie. Es gibt im Irak mehrere Rückzugsgebiete für bewaffnete Kurdenmilizen die durchaus die kurdischen Städte im Norden Irans bewaffnen können. Die Proteste im Iran sind dort auch mit am stärksten, Mahsa Amini war Kurdin aus der Ecke. Teilweise sollten Teile der Städte nicht mehr unter Regierungskontrolle gestanden haben. Die Luftangriffe sollten Lager und Führungspersonen ausschalten damit der Aufstand nicht unterstützt werden kann.

Absolut, deswegen wundert es mich ja dass Russland diesen Separatismus Vorschub leisten wollte mit der Kriegsbegründung. Und warum Indien nicht entschiedener auf die Russen reagiert hat. Waffen werden sie genug aus dem Westen kriegen.
Offenkundig ziehen sich die Russen aus Lyman zurück - was mich etwas überrascht, da ich annahm, dass der Ring um diese Stadt eigentlich schon geschlossen ist. Gut möglich aber auch, dass diese russischen Verlautbarungen (lt. russischer Quelle gemäß CNN) eher nur rein psychologischer Natur sind. D. h.: Die Truppen sind noch eingekesselt, aber man sagt einfach, dass sie sich geordnet zurückziehen würden.

Und interessant auch, dass man hier offenbar und offiziell so sehr die westlichen Artilleriesysteme und Geheimdienste ins Spiel bringt. Mal nun einmal egal, ob das stimmt oder nicht: So lässt es sich leichter innenpolitisch-propagandistisch verkaufen, dass man ja "gegen den Westen kämpft" und nicht (nur) gegen die Ukrainer...
Zitat:Russian forces retreat from strategic Donetsk city a day after Moscow’s annexation of the region

CNN — Russian forces retreated from Lyman, a strategic city for its operations in the east, the Russian defense ministry said Saturday, just a day after Moscow’s annexation of the region that’s been declared illegal by the West. “In connection with the creation of a threat of encirclement, allied troops were withdrawn from the settlement of Krasny Liman to more advantageous lines,” the ministry said on Telegram, using the Russian name for the town of Lyman.

Russian state media Russia-24 reported that the reason for Russia’s withdrawal was because “the enemy used both Western-made artillery and intelligence from North Atlantic alliance countries.” [...] Ukrainian forces said earlier Saturday that they had entered Stavky, a village neighboring Lyman, according to Serhii Cherevatyi, the military spokesperson for the eastern grouping of Ukrainian forces.

“The Russian group in the area of Lyman is surrounded. The settlements of Yampil, Novoselivka, Shandryholove, Drobysheve, and Stavky are liberated. Stabilization measures are ongoing there,” Cherevatyi said in a televised press conference on Saturday morning.
https://edition.cnn.com/2022/10/01/europ...index.html

Schneemann
(01.10.2022, 21:24)Schneemann schrieb: [ -> ]Die Truppen sind noch eingekesselt, aber man sagt einfach, dass sie sich geordnet zurückziehen würden.

Die Truppen ziehen sich zurück in vorbereitete ... ukrainische Gefangenenlager. Cool
Die extreme Überlegenheit der westlichen Aufklärung auf Seiten der Ukraine ist schon ein sehr wesentlicher Faktor. Meiner rein privaten Einschätzung nach ist die russische Darstellung daher in diesem Punkt gar nicht mal so falsch. Und ohne die westlichen Waffenlieferungen, insbesondere auch was Munition angeht, sähe die Lage ebenfalls ganz anders aus. Den Ukrainern wäre ohne beides bereits seit einiger Zeit die Luft ausgegangen.

Bezüglich Lyman: laut sonst recht gut informierten russischen Telegram Quellen sind durchaus russische Truppen in der Stadt hängen geblieben, aber keine regulären Einheiten, sondern Milizen aus Luhansk und andere solche Hilfskräfte, die man für die Deckung des eigenen Rückzugs geopfert hat. Auch wenn der Kessel schon vollständig geschlossen war, kann es auch sein, dass die ukrainischen Sicherungen einfach noch nicht ausreichend waren, und man daher durch den bereits geschlossenen Kessel dennoch entkommen konnte. Und es haben sich höchstwahrscheinlich auch etliche bei Lyman ergeben, ganz allgemein machen die Ukrainer ja recht viele Gefangene.
(01.10.2022, 21:24)Schneemann schrieb: [ -> ]Offenkundig ziehen sich die Russen aus Lyman zurück - was mich etwas überrascht, da ich annahm, dass der Ring um diese Stadt eigentlich schon geschlossen ist. Gut möglich aber auch, dass diese russischen Verlautbarungen (lt. russischer Quelle gemäß CNN) eher nur rein psychologischer Natur sind. D. h.: Die Truppen sind noch eingekesselt, aber man sagt einfach, dass sie sich geordnet zurückziehen würden.
Die Situation ist halt unübersichtlich und die Russen auch nicht zu blöd wenn es darum geht sich abzusetzen. Das sehen wir seit Beginn des Krieges, im Zweifelsfall findet sich immer jemand in der Befehlskette, der noch zum geordneten Rückzug blasen kann.
Ich würde vermuten wollen, dass die Absetzbewegungen schon vor Tagen begonnen hatten, als die Situation zu brenzlig wurde. Einen Haltebefehl aus dem Kreml gab es hier ganz offensichtlich nicht.
Dazu haben eben auch vor allem russische Quellen Informationen über den ukrainischen Vormarsch geliefert, aus Ukrainischen Quellen kam da sehr wenig. Gut möglich, dass die Situation hier pessimistischer dargestellt wurde als sie es tatsächlich gewesen ist.
Der schlecht rasierte Gewaltmensch scheint anscheinend Fracksausen zu bekommen, dass ihm sein Protegé abhanden kommen könnte...
Zitat:Reaktion auf russischen Rückzug

Kadyrow plädiert für taktischen Atomschlag

Erneut nimmt die Ukraine im Kampf gegen Russland eine strategisch wichtige Stadt im Donbass ein. Der tschetschenische Machthaber Kadyrow spricht sich anschließend für "drastischere Maßnahmen" aus, um die ukrainische Offensive zu stoppen. Die russischen Kommandeure kritisiert er für den Rückzugsbefehl.

Der Machthaber der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, ruft dazu auf, den Einsatz von Atomwaffen in der Ukraine zu prüfen. Anlass ist der russische Rückzug aus der strategisch wichtigen Stadt Lyman im Donbass. Auf Telegram kritisiert Kadyrow die russischen Kommandeure für den Abzug und fordert: "Meiner persönlichen Meinung nach sollten drastischere Maßnahmen ergriffen werden, bis hin zur Verhängung des Kriegsrechts in den Grenzregionen und dem Einsatz von Atomwaffen mit geringer Sprengkraft."
https://www.n-tv.de/politik/Kadyrow-plae...24860.html

Schneemann
Ich verstehe sowieso nicht, was mit den russischen Artillerie- und Raketenkräften los ist. Die müssten doch eigentlich in der Lage sein mit konventionellen Mitteln jede größere Stadt in Reichweite kontaktlos in Schutt und Asche zu legen. Wurde diese Fähigkeit abgerüstet? Wie kann es sein, dass die ukrainische Flugabwehr nach 6 Monaten noch quasi voll funktionsfähig ist? Genauso wenig ist erklärbar, dass man sich derart überlegen gefühlt hat, dass man da ohne entsprechende "Vorarbeit" in Unterzahl rein ist? Das ist doch insgesamt eher eine Art militärischer Suizid als sinnvolle Planung. Einen begrenzten Atomschlag oder Zerstörung von aktiven Reaktoren halte ich inzwischen für nicht so unwahrscheinlich, denn wer entsprechende suizidale Tendenzen zeigt, aber nicht verlieren darf, dem verbleiben nicht so viele Optionen, um aus der Nummer nicht als alleiniger Verlierer herauszukommen.
(02.10.2022, 02:39)KheibarShekan schrieb: [ -> ]Ich verstehe sowieso nicht, was mit den russischen Artillerie- und Raketenkräften los ist. Die müssten doch eigentlich in der Lage sein mit konventionellen Mitteln jede größere Stadt in Reichweite kontaktlos in Schutt und Asche zu legen. Wurde diese Fähigkeit abgerüstet? Wie kann es sein, dass die ukrainische Flugabwehr nach 6 Monaten noch quasi voll funktionsfähig ist? Genauso wenig ist erklärbar, dass man sich derart überlegen gefühlt hat, dass man da ohne entsprechende "Vorarbeit" in Unterzahl rein ist? Das ist doch insgesamt eher eine Art militärischer Suizid als sinnvolle Planung. Einen begrenzten Atomschlag oder Zerstörung von aktiven Reaktoren halte ich inzwischen für nicht so unwahrscheinlich, denn wer entsprechende suizidale Tendenzen zeigt, aber nicht verlieren darf, dem verbleiben nicht so viele Optionen, um aus der Nummer nicht als alleiniger Verlierer herauszukommen.

Städte sind riesig. Ohne Atomwaffen braucht man tausende Tonnen Sprengstoff um eine Stadt planmäßig in Schutt und Asche zu legen. Hamburg 1943 - es waren tagelange Bombardements mit 34,000 Toten insgesamt. Aber die Stadt funktionierte weiter, Rüstung konnte weiter produziert werden etc... Städte sind so enorm widerstandsfähig. Und Russland hat nicht die Möglichkeiten wie die USAF um eine Stadt komplett konventionell in Schutt und Asche zu legen, ohne Artillerie. Artillerie ist außerdem enorm ressourcenintensiv - man braucht das Geschützt und jede Menge Sprengstoff um eine Granate um ca. 40 Kilometer, bei den Russen eher 30 Km weit zu schießen. Und die müssen alle an die Front transportiert werden, und dann will man eher denjenigen abschießen der zurückschießen kann.

Die Flugabwehr der Ukraine ist noch funktionsfähig aus mMn drei Gründen:
1. Die auf Überlebensfähigkeit ausgelegte Konstruktion. Hochbeweglich, vernetzt etc...
2. Ungenügende Aufklärungsmöglichkeiten. Russland hat wiederholt bewiesen wie mangelhaft seine Gefechtsfeldaufklärung ist. Wenn man das S300 und die BUK nicht spotten kann, dann kann man die auch nicht bekämpfen. Es fehlt an einsatzfähigen Satelliten, es fehlt an Drohnen, es fehlt an SEAD Flugzeugen, es fehlt an Gefechtsfeldüberwachung. Schau dir mal das Inventar der USAF für diese Aufgaben an; die haben an die 100 Flugzeuge alleine nur für AWACS, AEW, AGS, ISTAR, ELINT, SIGINT etc... Dazu noch aus dem National Reconaissance Office sicherlich mehr als 30 Satelliten, und dann noch mehr als 30 Global Hawk Drohnen und 50 M9 Reaper. Und weitere Geheimprojekte. Dagegen weist die russische Luftwaffe nur 15 AWACS / AEWs aus, und nur 6!, ja sechs, Tu-214 in einer Aufklärerversion aus. Und 30 Drohnen.
Ihre Raumfahrtkapazitäten sind auch nicht auf einer Stufe, quantitativ und vor allem qualitativ, nicht mit den Amis.
3. Effektoren. Mit was soll man denn schießen? KH-28, veraltet, wahrscheinlich auch nicht einsatzfähig. KH-31, wird verwendet zurzeit. Aber da fehlt natürlich wieder Punkt 1 und 2 in der Gleichung.


Die Operation wurde ja wahrscheinlich nicht von der Armee geplant sondern vom Geheimdienst. Der Geheimdienst ist es worauf Putin sich stützt. Darauf und sein Netzwerk aus loyalen und gekauften Gefolgsleuten die die wichtigsten Posten innerhalb der Sicherheitsarchitektur innehaben. Silowiki, genannt.
Putin vertraut nicht der Armee, sondern nur einer kleinen Gruppe von Leuten deren Gefolgschaft er sich sicher ist. Nur sind das keine ausgebildeten Generäle. Shoigu ist Bauingenieur vom Beruf, seinen Rang als Armeegeneral hat er sich nicht durch seine operativen Fähigkeiten erworben...
Die Invasion wurde in kleinstem Kreis geplant, gestützt auf Fehlannahmen und Fehlkalkulationen; namentlich dass die Ukraine keinen Widerstand leisten wird und die Truppe ein nahezu unverteidigtes Kiew einnehmen werden kann. 150,000 Mann als Drohkulisse und wenn das nicht zieht, ein schneller Vormarsch. Wahrscheinlich hat da jemand einfach eine Karte genommen und einen Pfeil über die Landstraßen gelegt. Der Armee wurde gesagt sie solle sich zum Manöver bereithalten und das war es. Planung wird in Russland sowieso übergeordneten Stellen überlassen. Und dann gibt es halt schief.


Das ist die Frage ob er einen Atomschlag will oder nicht. Egal of 5 KT oder 500 KT, ein Atomschlag gegen eine Kriegspartei wäre eine absolute Nachkriegszäsur. Wahrscheinlich das eines der destabilisierenden Ereignisse der modernen Geschichte. Ein Atomschlag würde alles ändern. Zunächst müssten Staaten wie Indien, China und auch Westafrika deutlich Farbe bekennen. Ein Atomschlag kann so nicht hingenommen und ignoriert werden. Alleine der Druck aus China könnte schon zu viel werden. Natürlich wird die westliche Reaktion nicht ausbleiben. Wahrscheinlich ein totales Handelsembargo auf fast alles, Ziel der Politik wird es dann sein in Russland einen Regimewechsel zu ermöglichen. Die Ukraine würde jeden militärischen Wunsch erfüllt bekommen und evtl. wird die NATO einen Luftschlag gegen russische Truppen in der Ukraine verüben, als Warnung. Und ich denke dass dann einige Menschen kalte Füße bekommen würden in Moskau.

Russland könnte aus der Nummer rauskommen. Rückzug aus den Gebieten die es seit dem 24.02.22 erobert hat, im Gegenzug für die Krim. Das Ziel der Ukraine den Status Quo 2014 herzustellen ist illusorisch und nicht realisierbar. Man muss gucken dass man die möglichst wichtigsten Ziele erreicht. Distanz nach Kiew, Kontrolle des Donbass, kein Brückenkopf am Dniepr auf den Weg nach Odessa.
Ob Putin darauskommt ist eine andere Frage. Russland wird auch ohne ihn weiterexistieren. Schlussendlich wird er gesichstswahrend wohl kaum darauskommen.
Zitat:Russland könnte aus der Nummer rauskommen. Rückzug aus den Gebieten die es seit dem 24.02.22 erobert hat, im Gegenzug für die Krim. Das Ziel der Ukraine den Status Quo 2014 herzustellen ist illusorisch und nicht realisierbar.

Die Ukraine will aber in jedem Fall die Krim zurück erobern, und alle Gebiete in der Ostukraine ohnehin. Und gewisse Kreise im ukrainischen Militär denken schon weiter, dass man sich beispielsweise Rostow und Umgebung holen könnte usw.

Die Ukrainische Regierung geht auch davon aus, dass man Russland komplett schlagen kann, wenn der Westen immer weiter Waffen liefert. Gerade deshalb wird so extrem darauf gedrängt, gerade deshalb zögert der Westen bei bestimmten Offensiv-Systemen.

Ob das illusorisch ist, bzw. nicht realisierbar spielt dafür keine Rolle. Die Ukraine bezieht da eine extreme / totale Position. Und umgekehrt hat auch Russland sich viel zu weit aus dem Fenster gelehnt und vertritt ganz genau so viel zu radikale und absolute Zielsetzungen. Es ist gerade dieser Umstand, der den Krieg ständig eskalieren lassen wird und der einen Verhandlungsfrieden verunmöglicht.

Beide Seiten haben absolute Zielsetzungen. Solche können nur durch eine totale Niederlage, also eine bedingungslose Kapitulation der einen oder der anderen Seite erreicht werden. Solange dem so ist, wird der Krieg seiner ihm inne wohnenden eigentlichen Natur immer weiter außer Kontrolle geraten.

KheibarShekan:

Die russische Artillerie benötigt immense Mengen an Munition. Aufgrund der westlichen Aufklärung und der Raketenartillerie können die Russen diese nicht mehr so konzentriert heran schaffen, sie müssen die ganzen Wege und Depots für die Artilleriegranaten viel stärker dislozieren. Dadurch hat der Granaten-Hagel in den letzten Wochen drastisch abgenommen. Es hagelt zwar immer noch durchgehend, aber eben nicht mehr in dieser Dichte, und mit dem Wegefallen der Dichte reicht die Feuerkraft eben nicht mehr um dadurch die mangelnde Masse oder die mangelnde Bewegung gegen den Feind auszugleichen. Dazu kommt noch, dass wichtige russische Versorgungslinien in Reichweite der Ukrainer gekommen sind und dadurch effektiv für die russische Logistik weitgehend ausgefallen sind. Das reicht von besseren Straßen bis hin zu den absolut wesentlichen Eisenbahnlinien. Die Ukrainer können diese inzwischen immer besser mit weitreichendem Feuer sperren und daher versiegt der Nachschub an Granaten für die Artillerie zunehmend. Nur so war auch die Offensive der Ukrainer möglich, den ansonsten wäre sie im Artilleriefeuer liegen geblieben.

Um aber immer heraus zu kriegen wo genau die russischen Depots und Munitionslieferungen stehen, fehlen den Ukrainern selbst die Fähigkeiten. Teilweise können sie natürlich durch Stay-Behind Einheiten, durch Infiltration (auch gezielt durch EInheiten welche komplett in Ziviler Kleidung und mit zivilen Fahrzeugen agieren!), durch Fernspäher und teilweise auch durch Drohnen aufklären, aber das ist alles unzureichend. Durch die westliche Aufklärung der NATO haben die Ukrainer hier den entscheidenden Vorteil. Sie kriegen im Endeffekt die Ziele für die vom Westen gelieferte Raketenartillerie auf dem Präsentierteller. Und damit zerbröseln die ohnehin schon überlasteten russischen rückwärtigen Dienste immer weitergehend.

Beschließend kommt dann da noch dazu, was I-need-a-Medic geschrieben hat, dass man für die Zerstörung einer Stadt wirklich große Menge an Wirkmitteln benötigt. Die Russen benötigen diese aber um damit ukrainische Militäreinheiten zu bekämpfen, zumal die Ukrainer aktuell noch zahlenmässig haushoch überlegen sind. Die Offensive bei Kharkiv wurde anscheinend in einem Verhältnis von 8 : 1 zugunsten der Ukrainer geführt.
Man muss hier natürlich auch beachten dass es traditional keine Doktrin und Konzepte für den taktischen, strategischen oder operativen Fall der Verteidigung gibt, was natürlich absurd klingt wenn man sich die Geschichte des Landes anschaut. Aber seitdem der Russische Angriff kollabiert ist, fehlt es den Russen an Kreativität, Soldaten und Waffen aus dieser Spirale rauszukommen.
Zwei Punkte als Ergänzung:

1.) Auch wenn eine Stadt zerstört wird, heißt es nicht, dass sie als wirtschaftlicher Standort ebenso weithin ausfällt. Es kommt darauf an, wie die Verbindungen ins Um- und Hinterland sind - und wenn eine Stadt außerhalb der direkten Reichweite eigener Truppen zerstört (bspw. durch Luftangriffe) wird, sie sich also im kontrollierten Gebiet des Gegners befindet, so zeigt die Vergangenheit, dass sich diese Städte dann recht schnell wieder erholen. (Damit meine ich nicht die zerbombten Wohnviertel, aber eben die Verbindungen, Logistik, Verkehrswege und die Wirtschaftsproduktion.) Selbst das hier genannte Hamburg-Bsp. zeigt dies: Trotz Feuersturm und massiver Zerstörungen erreichte die Stadt nach wenigen Wochen wieder 80% der "Vorbombardement-Produktivität", auch der Hafen und die Werften arbeitete/n nur mit vergleichsweise geringen Einschränkungen einfach weiter. Auch andere, stark bombardierte Städte zeigten dieses Phänomen, bspw. Liverpool, Yokohama, Nagoya oder auch Leningrad.

2.) Es ist für einen Angreifer nicht zwingend ein Vorteil, eine Stadt zu zerstören. Man mag so Terror unter den Zivilisten stiften können - wenn man rein humanistische und rechtliche Fragen ignoriert -, aber auch hier zeigt die Vergangenheit, dass zerstörte urbane Zentren einen Verteidiger eher begünstigen als eine intakte Stadt. Es gibt genügend Beispiele, die aufzeigen, wie zerstörte Orte den Angreifern unnötige schwere Verluste abnötigten, die ansonsten eher vermeidbar gewesen wären (bspw. Stalingrad, Berlin, Manila - aber auch Huế oder Grosny in neuerer Zeit). Kurz zusammengefasst sagt man ja auch, dass Trümmer leichter zu verteidigen sind als intakte Gebäude.

Schneemann