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Normale Version: Russland vs. Ukraine
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Seite 199 - Beitrag: 2976

Da habe ich ein paar Informationen zu diesem Offizier zusammen getragen.
Armenische Freiwillige gründen das Bataillon "Arbat" um auf russischer Seite in der Ukraine aktiv zu werden. Eher symbolische Geste oder Truppe um echte Kampferfahrung zu sammeln für einen zukünftigen Krieg gegen Aserbaidschan?
Aktuelle Entwicklungen:
Zitat:Ukraine Situation Report: Kyiv’s Forces Push Deeper South Near Robotyne

The small but potentially significant push deeper south in Zaporizhzhia Oblast puts Ukrainian troops a step closer to Crimea. [...]

Ukrainian Deputy Defense Minister Hanna Maliar said on her Telegram channel Monday that Kyiv’s forces gained about 10.2 square kilometers in the southern vectors over the last week and nearly 170 square kilometers since the counteroffensive began early last month.

She didn’t offer specifics about where, but the Russian Two Majors Telegram channel claimed Monday that a platoon of Ukrainian troops from the specially trained 47th Mechanized Brigade, backed by Bradley Infantry Fighting Vehicles, penetrated about 400 meters near the town of Robotyne. [...] It’s a small, but significant thrust after weeks of fighting. The town is about six miles south of Mala Tokmachka, which was the scene of a disastrous attempt by Ukraine to advance early on in its campaign that became iconic as the result of damaged and destroyed Bradleys, a Leopard 2 tank and some anti-mining armored vehicles. [...]

On the eastern portion of the frontlines, Ukraine gained about 24 square kilometers in a week, Maliar said. “In Bakhmut, our defenders have been keeping the entrances, exits and movement of the enemy through the city under fire control for several days,” she said. “This became possible due to the fact that in the process of advancing, our troops took control of the main commanding heights around Bakhmut.” The Russians are "trapped," in Bakhmut, Col. Gen. Oleksandr Syrskiy, commander of the Ukrainain Ground Forces, said on his Telegram page Monday.
https://www.thedrive.com/the-war-zone/uk...r-robotyne

Trotz allem Herumgestochere und einem sehr mühsamen Vorwühlen, versuche ich derzeit, so etwas wie eine Stoßrichtung auszumachen. So richtig will mir das aber nicht gelingen, auch wenn hochtrabende Ziele genannt werden.

@lime

Kleine Bitte: Kannst du bitte noch einen Link oder eine Quelle einfügen für deine Angaben? Danke.

Schneemann
https://www.pravda.com.ua/eng/news/2023/07/4/7409812/

Zitat:In Moscow, the Armenian ARBAT battalion was "blessed" for the war against Ukraine, and the ceremony was attended by the person involved in the murder of Ukrainian journalist and Euromaidan participant Viacheslav Veremii.

A blessing ceremony was held in the Armenian Apostolic Church in Moscow for the fighters of newly-created Armenian battalion ARBAT on their way to Donbas.

Russian Telegram channels posted photos and videos of the ceremony. The pictures were reposted on Facebook by Azerbaijani military expert Agil Rustamzade.

Since 24 February 2022, Sarkisian has been looting and extorting money from companies on the territory temporarily occupied by Russians. His main task was to create a new private military company, which was to be sponsored by the Russian-Armenian businessman Samvel Karapetyan, who was also at the ceremony.

The commander of the Arbat battalion, Hayk Gasparyan (Abrek), admitted that he gained combat experience in the Wagner Group.

Gerüchten zufolge war die Aufstellung nur deshalb möglich, weil armenische Wagnerkämpfer in diesem Bataillon neu zusammen gefasst wurden. Desweiteren könnte man ARBAT als eine Art armenische PMC betrachten, dass würde diese Einheit am besten charakterisieren.

Zusammen mit ARBAT kämpfen damit dann schon bereits 38 namentlich bekannte PMC auf russischer Seite in der Ukraine.

Schneemann:

Zitat:Trotz allem Herumgestochere und einem sehr mühsamen Vorwühlen, versuche ich derzeit, so etwas wie eine Stoßrichtung auszumachen.

Die primäre Stoßrichtung ist aktuell bei Bakhmut die Stadt nördlich wie südlich flankierend. Dort setzen die Ukrainer anscheinend auch am meisten Artillerie ein und ihre besten Systeme / Einheiten und ist das Konterartilleriefeuer am effektivsten. Inzwischen sind die Ukrainer da so weit voran gekommen, dass sie die russischen Verbindungswege nach Osten unter Artilleriefeuer nehmen können und damit die russische Versorgung zu den Truppen in der Stadt erheblich eingschränkt ist. Auch wenn Bakhmut noch nicht eingeschlossen ist, so ist die Stadt damit bereits jetzt langfristig gesehen für Russland nicht haltbar.

Das ist aber nur der aktuelle Hauptvorstoß. Wie Nightwatch es ja schon detailliert angeführt hat, sind viele Einheiten der Ukrainer immer noch im rückwärtigen Raum und bisher nicht in Erscheinung getreten. Ob und wo also noch ein Großangriff erfolgt ist höchst unklar, aber hier und heute konzentrieren sich die Ukrainer auf Bakhmut. Bei einer Fortführung des Status Quo (vorausgesetzt es ergeben sich keine Änderungen) wird Bakhmut zeitnah (wenige Wochen) an die Ukrainer zurück fallen. Natürlich könnte es dazu kommen, dass die Russen deswegen Reserven dorthin bewegen und dann zieht sich auch das wieder in die Länge. Schlussendlich aber wird Bakhmut meiner Einschätzung nach noch diesen Sommer an die Ukraine fallen.

Was aber abgesehen von der politisch-psychologischen Bedeutung militärisch keinen Sinn ergibt.

Insgesamt ist es mein rein persönlicher Eindruck, dass ich mit meinen Aussagen in diesem Frühjahr, dass die Ukrainer in diesem Jahr besser noch keine Offensive starten sollten und dass sie dafür noch nicht so weit sind und dass sie erst mal weiter Kräfte sammeln sollten richtig gelegen habe. Die Gründe für den Versuch einer Offensive waren und sind meiner Meinung nach rein zivilen / politischen Überlegungen entsprungen. Rein militärisch wäre es sinnvoller gewesen dieses Jahr noch komplett in der Defensive zu bleiben, wie ich es ja schon im Februar und März postuliert habe und die begrenzten Kräfte eben nicht in einer Offensive abzunutzen. Dann hätte man 2024 wesentlich günstigere Voraussetzungen für einen schnellen und vollständigen militärischen Sieg gehabt (rein militärisch gesehen). Was da natürlich hinter den Kulissen an politischen Zwängen existiert entzieht sich natürlich meiner Kenntnis.
(11.07.2023, 08:58)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Insgesamt ist es mein rein persönlicher Eindruck, dass ich mit meinen Aussagen in diesem Frühjahr, dass die Ukrainer in diesem Jahr besser noch keine Offensive starten sollten und dass sie dafür noch nicht so weit sind und dass sie erst mal weiter Kräfte sammeln sollten richtig gelegen habe.
Die Russen regenerieren sich allerdings genauso und nächstes Jahr wäre die Situation dann in meinen Augen nicht viel anders - außer das dann die Stellungen um Bakhmut auch festungsartig ausgebaut wären.

Das Problem ist weniger das man angegriffen hat, hinter dem wie steht mittlerweile halt ein größeres Fragezeichen.
Selbst wenn man ihnen unterstellt, dass es in der aktuellen Phase schon immer darum ging, die russischen Reserven im Gefecht zu binden und zunehmend aufzureiben anstatt operativ relevante Durchbrüche zu erzielen - die noch laufenden Angriffsbemühungen im Süden verkommen stellenweise zu einem regelrecht selbstmörderischen Schlachten.
Vor Robotyne steht jetzt primär die 47. Brigade seit Wochen im Kampf.
Die Verluste an Menschen und Material sind mindestens erheblich und es ist offensichtlich, dass die Angriffsbemühungen festgefahren, mithin kulminiert sind. Und doch geht es weiter, Tag für Tag, mit einzelnen Kampfgruppen in bestenfalls Kompaniestärke nimmt man einzelne Äcker, bevor man zusammengeschossen wird.

Das ist eine Kriegsführung die sich die Ukraine so nicht leisten sollte. Es war ein großes Wagnis eine bestens ausgestattete Brigade alleine vor dem stärksten Punkt der Verteidigung antreten zu lassen, es ist Wahnsinn diese Brigade weiter zu verschleißen nachdem sich der Angriff (früh aber völlig erwartbar) festgefressen hat. Ich verstehe nicht, wieso der Angriff auf dieser Achse von lediglich von der 47. und 65 Brigade getragen werden muss wenn in den Räumen dahinter ein ganzes Korps zu liegen scheint, ich verstehe es nicht warum diese Angriffe ohne jede operative Anpassung stumpf weitergeführt werden.
Fast könnte man meinen, dass das irgendwer ein spezielles Problem mit der ja doch eher speziellen 47. Brigade hat und die in voller Absicht durch den Fleischwolf dreht...

Aber es ist ja nicht nur Robotyne, dem Angriff der 128. Brigade über Lobkowe mangelte es genauso an Unterstützung und weitere Kräfte wurde nicht nachgeführt nachdem man über Pjatchatky nicht hinauskam. Nicht das ich dort einen tieferen Angriff befürworten würde, aber was hat der Angriff der 128. denn erreicht, oder erreichen sollen?
Wenn es um die Idee geht möglichst russische Reserven zu binden greife ich doch möglichst breit an anstatt mit aller Brutalität an ein, zwei neuralgischen Punkten immer draufzuhauen. Die Verluste bei Robotyne sind nicht zuletzt deshalb so erheblich, weil der Gegner hier mittlerweile seine (begrenzten) Reserven konzentriert hat.

Warum fächert man das nicht auf? Wenn man schon unbedingt vor Tokmak mein operieren zu müssen, dann baue ich auch auf Myrne, Nesterianka, und Kopani Druck auf in der Erwartung, dass der Gegner nicht überall halten kann und etwas Bewegung reinkommt.
Apropos Bewegung, warum wurden der Erfolg am Mokri Yali nicht ausgenutzt? Auch hier wurde offensichtlich darauf verzichtet weitere Reserven heranzuführen nachdem sich der Angriff verhältnismäßig infanteristisch geprägter Brigaden vor Staromajorske totlief. Und das obwohl dort zumindest augenscheinlich die Befestigungen längst nicht so ausgeprägt sind. Stattdessen treten 12 recht schwere Brigaden bei Bakhmut an, eine halbe schwedische Panzerarmee übt sich in einer zunehmend bizarren Photoop am anderen Ende der Front und wenigstens weitere 12 Brigaden stehen irgendwo einsatzfähig im Hinterland.

Man sollte meinen, so als unbedarfter Beobachter, dass man sich halt die schwächste paarunddreisig Kilometer der Südfront ausguckt und dann auf mindestens drei Vektoren angreift. Und dann müssen halt auch nach den ersten fünf Brigaden die nächsten fünf nachgeschoben werden usw. - maximal binnen Tagen, nicht irgendwie mal eine Rotation nach mehreren Wochen. Ziel muss es sein den Gegner aus dem Gleichgewicht zu bekommen und Dynamiken zu erzeugen. Dieses Rumgestochere irgendwo an der Front mit einzelnen Brigaden ist gut und schön, jedoch nur dann zielführend wenn dann auch mal ein Schlag gesetzt wird.

Und was macht man stattdessen? Greift bei Bakhmut an. Für Glanz und Gloria. Mit wenigstens auf dem Papier mindestens so vielen Verbänden wie an der Südfront ins Gefecht geworfen wurden. Ich möchte echt wissen was man sich bei der Planung von der Verzettelung der Kräfte versprochen hat.
Werter Nightwatch,

ich teile deine Ansichten und Ausführungen hier vollauf, aber gerade eben deshalb schrieb ich:

Zitat:dass sie dafür noch nicht so weit sind

Denn damit meine ich nicht die materielle Seite des ganzen allein, sondern vor allem auch die Befähigung, also das rein handwerkliche Können eine solche Offensive zu führen und richtig durchzuführen.

Und es ist recht egal, ob dann nächstes Jahr Bakhmut eine ausgebaute Festung wäre, dass spielt ja militärisch gar keine Rolle. Man hätte das Jahr nutzen können um die Ukrainer und insbesondere die ukrainische Führung intensiv zu trainieren und intensiv auszubilden, damit sie überhaupt dazu befähigt wird eine solche Operation in dieser Größenordnung erfolgreich zu planen und diesen Plan dann auch umsetzen zu können.

Zudem könnte man ein komplettes Jahr während man die Offensive gründlicher und sinnvoller vorbereitet die russische Artillerie systematisch im Artillerieduell abnutzen, und umgekehrt würde diese sich auch noch weiter verbrauchen und den Russen geht da langsam die Luft aus. Die russische Decke ist bereits zu klein, und sie ist ohne Kriegswirtschaft und vollständige Mobilisierung für Russland nicht nach belieben erweiterbar. Hingegen würden die weiteren westlichen Waffenlieferungen und die weitere Ausbildung der Ukrainer die Qualität der ukrainischen Streitkräfte weiter steigen lassen.

Das Scheitern der aktuellen Offensive ist meiner Meinung nach vor allem einem Mangel an Qualität geschuldet, aber damit meine ich nicht primär die Systeme, die verwendete Technik, die verwendeten Waffen, sondern die Qualität der Streitkräfte insgesamt, insbesondere was die Führung angeht, dass Können der Offiziere und Soldaten, dass Kriegshandwerk dieser Streitmacht an sich.

Die Ukraine hat hier nicht zuletzt auch aufgrund der sehr hohen eigenen Verluste erhebliche Probleme. Sehr viele vom Westen ausgebildete oder anderweitig bessere Truppenführer sind gefallen, es gab einen erheblichen Quallitätsverlust in der Führung durch diese Verluste. Der Krieg wurde zunehmend zu einem Krieg der Reserveoffiziere und es schlichen sich wieder sowjetische Methoden ein, schlicht und einfach weil das notwendige Wissen sich reduziert hat, statt zu steigen.

Es ist leichter eine Defensive zu führen als eine Offensive. Und gerade eine Offensive mit mechanisierten Truppen die einen strategischen Effekt erzielen soll ist in Wahrheit extrem schwierig, dass ist militärisch das höchste und anspruchsvollste.

Mein Eindruck im Frühjahr war, dass diese Befähigung (noch?) fehlt. Die aktuellen Ereignisse machen auf mich nun den Eindruck, dass diese Einschätzung von mir anscheinend stimmte.
Ich weiß nicht, in wie weit sich das auf das Heer übertragen lässt, aber gerade im Bereich der Luftwaffe ist durch die erste russische Offensive und die erlittenen Verluste ein deutlicher Wissensverlust hinsichtlich moderner Einsatztaktiken erfolgt, der zuvor mühsam insbesondere auch durch westliche Militärhilfe aufgebaut wurde. Mit der Reaktivierung von Ehemaligen kehrten so auch "überwundene" Einsatzverfahren aus sowjetischer Prägung (oder dem, wohin sich das in den neunziger Jahren entwickelt hat) in die Streitkräfte zurück. Das sieht man, und ich vermute, die Aktionen am Boden werden davon auch geprägt sein. Zumindest macht das auf mich den Eindruck.
Das ist mir zu einfach. Ja, Operationsführung ist komplex aber es ist doch keine Raketenwissenschaft mehr als vielleicht mal eine Kampfgruppe in Kompaniestärke im Schwerpunkt aufzubieten. Genausowenig muss ich doch eine Generalstabsausbildung durchlaufen haben und zu erkennen, dass sich eineinhalb Brigaden ohne absolute Feuerdominanz nicht durch Befestigungen für mehrere Divisionen wühlen können.
Ich meine, wenn sie es versuchen würden und es nicht klappt weil die Abstimmung nicht passt wäre das das eine. Ich seh das aber nicht, sondern meine Wahrnehmung ist, dass schlicht mit unzureichenden Kräften agiert wird. Und das ist dann nicht der Fehler der Führung ganz vorne, die natürlich mit ihren Kräften aushalten muss wenn neben und hinter ihnen niemand steht… die Verantwortlichen sind da IMO viel weiter oben zu verorten und die eigentliche Frage ist, was da planerisch schiefgelaufen ist. Wollte man zuviel? Hat man den Gegner unterschätzt, die eigene Kampfkraft überschätzt? Hat man sich im wahrsten Sinne des Wortes verplant? Wie kommt man auf den Trichter die eigenen Offensivkräfte zu teilen und im Süden und vor Bakhmut Offensiven zu starten? Oder liegt alles irgendwie im Rahmen des Erwartbaren und hat sich letztlich schon vor Beginn der Offensive damit abgefunden nicht sonderlich weit zu kommen? War das eigentliche Problem die Kommunikation nach außen, das Schüren von zu großen Erwartungen die gar nie den eigenen Plänen entsprochen haben? Andererseits, warum sieht man jetzt sehr passiv dabei zu, wie sich die festgebissenen Brigaden durch den Fleischwolf drehen? Ein eiskaltes Dahinwarten bis der Dnepr trocken genug für den Luftsturm ist?
Das sind die eigentlichen Fragen, wie gut oder schlecht sich Bataillonskommandeur X vor Robotyne anstellt tritt da völlig in den Hintergrund. Da könnte dann auch die Reinkarnation von Rommel und Wittmann in einem agieren und es würde genau nichts ändern.
Ich wage kein Urteil über die Ukrainer zu treffen, es wäre aus meinen Augen beinahe unanständig und auch irgendwie etwas überheblich unsererseits. Fakt ist sicher, dass ihr CAS katastrophal ist und sie ihn wenig haben oder kaum anfordern können. Hierüber aber zu fabulieren, ja sie deswegen für die Zähigkeit ihres Vorstoßes oder die Erfolglosigkeit mancher Angriffe niederzuschreiben, ist unsinnig bis schlicht unfair. Sie haben diesen Support eben nicht. Und dies ist ein klarer und extremer Nachteil, selbst mit modernstem Gerät und gegen einen angeschlagenen Gegner.

Darüber hinaus versuchen sie es aber wenigstens. Schleppend, zäh, vielleicht unsinnig, unausgereift. Nicht ausgegoren, zumindest in den Augen von uns "Sesselfurzern". Mag sein.

Um aber nun einmal den Stab für die Ukrainer zu brechen und um ehrlich zu sein: Wohl kaum jemand hat seinerzeit jemals angenommen, dass wir bzgl. dieses Konfliktes nach 16 Monaten noch über strategische oder taktische Aspekte oder politische Befangenheiten diskutieren würden (und nicht wenige von uns hatten sogar vor eineinhalb Jahren angenommen - oder gar gehofft? -, dass die Ukraine in einigen wenigen Wochen vergehen würde angesichts der "massiven" neoimperialen Macht Moskaus).

Frei nach Lincoln: Als Grant bei Shiloh 1862 beinahe an der Pittsburg Landing in den Fluss getrieben wurde (und Buell ihn rettete - vermutlich hatte Grant sogar zu viel Whiskey am Vorabend genossen), haben alle Zeitungen des Nordens Grant danach mit bösester Häme überzogen. Lincoln hat seine eingeforderte Kommando-Enthebung nicht umgesetzt, wohl mit den Worten: "I can't spare this man; he fights." ("Ich kann ihn nicht entheben, er kämpft.")

Und genauso sehe ich es auch mit den Ukrainern: Sie kämpfen nicht perfekt, aber sie kämpfen. Auch für uns. Sie kämpfen mit zu wenig Gerät, ohne nennenswerten CAS. Aber sie kämpfen.

Wir sollten dies honorieren und bescheidener sein mit Urteilen...

Schneemann
Nehmen wir mal an es gäbe die nächsten 12 Monate keine Frontverschiebung, was wäre danach trotzdem anders? Ich denke die Kriegsmüdigkeit in der Ukraine und im unterstützenden Westen würde zunehmen. Die Stimmen die Friedensverhandlungen wollen würden mehr und auch lauter. Deshalb braucht die Ukraine zeitnah einen Offensiverfolg, um die Moral ihrer Bevölkerung hoch und um ihre Unterstützer bei der Stange zu halten. Ich denke dass man insgeheim darauf gehofft hat an die letzte Offensive anknüpfen zu können und dass die russ. Einheiten wieder die Beine in die Hand nehmen. Da dies so nicht der Fall war und diverse weitere Geplänkel im Süden keine Schwächen in der russ. Verteidigung offenlegten versucht man es jetzt wieder bei Bakhmut, wo die russ. Kräfte vermutlich aktuell am Spärlichsten sind.
Zitat:Nehmen wir mal an es gäbe die nächsten 12 Monate keine Frontverschiebung, was wäre danach trotzdem anders?

Aktuell nutzen die Ukrainer die russische Artillerie ungefähr 1 zu 4 ab. Für jedes Artilleresystem dass die Ukraine verliert, verlieren die Russen 4. Und die Russen können diese Verlustrate so nicht durchhalten, ohne auf totale Kriegswirtschaft umzustellen, und entsprechend würde die gesamte russische Artillerie in einem Jahr entweder vollständig einknicken oder die Russen müssten die entsprechenden innenpolitischen Folgen einer totale Mobilisierung für den Krieg tragen.

Darüber hinaus hat man mehr Zeit die militärische Führung der Ukraine zu verbessern. Und damit meine ich nicht nur irgendwelche Kampfgruppen- oder Bataillonskommandeure, sondern schon auch die Führung darüber. Wobei man nicht unterschätzen sollte, wie sehr sich die mangelnder Qualität auch auf Bataillons-Ebene auswirkt.

Eine ausreichend befähigte militärische Führung auf höheren Ebenen kann man nicht einfach so aus dem Boden stampfen. Das benötigt Zeit. Und dass die Verluste nicht so übermässig sind.

Und auch die russische Bevölkerung ist kriegsmüde dahingehend, dass sie den aktuellen Zustand als katastrophal bewertet und zutiefst enttäuscht ist von ihrer Regierung, weil das wesentlichste Versprechen, nämlich die eigene militärische Stärke sich als Illusion erwiesen hat. Entsprechend würde auch in Russland der Druck immens zunehmen irgendwie zu einem Abschluss zu kommen.

Die Aussage, dass die Ukraine zeitnah einen Offensiverfolg benötigt um die Unterstützer bei der Stange zu halten liest man zwar oft, aber ich will sie hiermit in Frage stellen. Denn wenn die Ukraine eindeutig am Siegen ist, wird die Unterstützung stattdessen reduziert werden, weil sie ja scheinbar gewinnen, benötigen sie keine weitere Hilfe mehr, so wird die Logik sein.

Zu den von Nightwatch aufgeworfenen Fragen über die strategische Ebene möchte ich anmerken, dass eine erhebliche Zusammenballung von Kräften in einem Bereich angesichts der Umstände dort auch immer ein Problem darstellt, zum einen wegen der Logistik, zum anderen wegen der schlechten Infrastruktur (es nützt ja nichts, wenn sich die Einheiten da stauen ohne zu wirken), als nächstes weil es die Fronten an anderer Stelle entblößt und die Reserven bindet (denn auch die Ukraine hat noch nicht die Reserven welche sie meiner Meinung nach benötigen würde), und schließlich sind solche Truppenzusammenballungen ein gutes Ziel für die Russen, und ganz schlussendlich muss man immer befürchten, dass die Russen doch die Nerven verlieren und taktische Nuklearwaffen gegen einen solchen Bereitstellungsraum mit einem klar erkennbaren Truppenschwerpunkt einsetzen.

Und Krieg auf diesem Niveau ist keine Raketenwissenschaft, zweifelsohne, aber im Krieg ist selbst das einfachste in der realen Praxis immens schwierig. Das sieht alles einfach aus, ist aber real praktisch kaum umsetzbar, auch wenn man das meist gar nicht glauben kann, an was für einfachen Aufgaben man da scheitert. Selbst offenkundige, absolut offensichtliche und einfachste Dinge funktionieren dann praktisch nicht.

Das reicht von ganz oben bis nach ganz unten und dieses ganze Scheitern auf allen Ebenen kulminiert sich schlussendlich zu dem was wir da beobachten.
Zitat:Ukraine loses first Polish PT-91 main battle tank against Russia

On July 9, 2023, in the Zaporizhzhia Oblast, the Russian army destroyed Ukrainian T-72EA and PT-91 Twardy tanks, as well as an M113 Armored Personnel Carrier (APC). This incident marks the first confirmed loss of the PT-91 tanks donated by Poland. These images can be seen in a tweet from Ukraine Weapons Tracker. [...]

For the record, Poland had sent 60 of its tanks to the Ukrainian Armed Forces, for delivery from April 2023.
https://www.armyrecognition.com/defense_...ussia.html

Die Meldung finde ich in gewisser Weise interessant. Einerseits bin ich im Grunde immer von ausgegangen - und das wurde auch immer gerne mal angeführt, wenn man die seinerzeit lahmen deutschen Reaktionen kritisieren wollte -, dass die Polen letztes Jahr schon 200 von diesen PT-91 geliefert haben (hier werden 60 angeführt). Andererseits: Wenn von diesem Typ jetzt (erst) der erste verloren gegangen ist, dann frage ich mich, ob man diesen Panzer bislang überhaupt großartig eingesetzt hat? Weil angesichts der Intensität der Gefechte der letzten zehn Monate - wenn man dies mal als Zeitrahmen für den Liefereingang (bezogen also grob auf/ab September 2022) setzt - hätten, wenn der Panzer wirklich eingesetzt worden wäre, schon früher Verluste eintreten müssen.

Schneemann
Es sind auch andere westliche Waffensysteme bisher kaum in Erscheinung getreten. Gerade deshalb sind die Verluste bei den westlichen Systemen so asymetrisch.
Das schon, aber ich höre ja fast immer, dass die Ukrainer zu wenig Material haben. Manches NATO-Gerät erfordert sicher längere Umschulungen, das ist verständlich und soll kein Kritikpunkt sein, aber der PT-91 basiert auf dem T-72M, es sollte also kein größerer Aufwand bzgl. der Schulungen sein, da man diese Panzer kennt; hier schnell ukrainisches Personal darauf zu schulen und diesen Panzer dann einzusetzen sollte also problemlos möglich sein - gerade wenn es massive Gefechte gibt und die Materiallage angespannt ist.

Aber offenkundig geschah dies nicht. Und da bleibt die Frage, wieso dies so ist? Haben die Polen eben weniger Modelle vom PT-91 (also 60 statt der kolportierten 200) geliefert? Haben sie sie deutlich später geliefert als im Frühjahr 2022 groß verkündet? Waren vielleicht viele gar nicht voll einsatzbereit (immerhin sollen auch manche Leopard 2A4, die seitens Polen geliefert wurden, nicht einsatzbereit gewesen sein)?

Schneemann
Mein Stand war, dass PT-91 auch nicht früher geliefert wurden als westliche Kampfpanzer.

Wenn der Panzer tatsächlich im Süden zerstört wurde könnte das darauf hindeuten, dass tatsächlich die von Rybar bei Kamianske gemeldete 117. Brigade in die Kämpfe eingegriffen hat. Die 117. wurde laut den Discord Leaks mit PT-91 ausgestattet, anonsten sollen sie noch in der 22. zu finden sein, die stehen jedoch vor Bakhmut.

Ansonsten wie Quintus richtig angemerkt hat, prominent folgende Systeme wurden noch nicht im Kampf dokumentiert:

- Challenger
- Stridsvagn
- Marder
- Bandvagn
- Stryker
- M-55S