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Normale Version: Russland vs. Ukraine
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(09.02.2024, 12:06)Schlingel schrieb: [ -> ]....
Nochmal zurück zu der Debatte darüber, ob "Halten um (fast) jeden Preis" oder "Zuruckweichen um den Russen größtmöglichen Schaden bei geringe(re)n Verlusten eigener Kräfte zuzufügen" sinnvoller war bzw. gewesen wäre: Diese verfolge ich seitdem Sie hier das erste Mal aufkam.
Ich merke, dass es viele gibt, die von der zweiten Variante überzeugt sind.
Ich selber kann mich nicht dazu durchringen, mich eindeutig festzulegen. Ich empfinde aber etwaige Nachteile des Zuruckweichens in der Diskussion unterrepräsentiert....
ich bin mir auch unsicher - kann mich aber an eine Debatte im Zusammenhang mit Bachmut erinnern.
Dort ist auf den Vorwurf, eine völlig unwichtige Stadt so verbissen zu verteidigen entgegnet worden, wenn man sich zurück ziehen würde wären die gleichen massiven Kämpfe nur ein paar Kilometer weiter westlich.

Mit anderen Worten und etwas stark vereinfachend:
man muss sich entweder an möglichst gut zu verteidigender Position stellen -
oder man zieht sich bis über die westliche Grenze des Landes zurück.
@Quintus
Zitat:Das Gegenteil ist der Fall. Startet man sogleich einen "Großangriff" und hat dabei aus welchen Gründen auch immer "die falsche Stelle" erwischt, sind die Verluste viel höher. Noch darüber hinaus kann man so gegenüber der feindlichen Aufklärung etwaig verschleiern wo man tatsächlich kommt - Stichwort: Ablenkungsangriffe - Täuschen etc.

Man greift also an vielen Stellen an und der Feind weiß nicht, wo der "Hauptvorstoß" erfolgt. Gerade eben weil jeder dieser Angriffe der Beginn desselben sein könnte.
Das sehe ich anders. Wenn ich über die gesamte Frontbreite abklopfe, dann kann ich keinen Schwerpunkt bilden bzw. diesen, wenn ich den schwachen Punkt gefunden habe, nur unzureichend bilden, da der Gegner ihn eben dann auch kennt und mit entsprechender Feuerkonzentration in diesem Bereich zu rechnen ist. Es muss also zuerst rein über die Aufklärung die Schwachstelle analysiert sein, dann, wenn festgestellt, die Bereitstellung vor dieser erfolgen.

D. h. bevor der erste Schuss fällt, einmal theatralisch gesagt, ist bereits klar, wo a) der Hauptangriff stattfindet und b) wo die Ablenkungsangriffe stattfinden sollen.

@Kongo Erich
Zitat:ich bin mir auch unsicher - kann mich aber an eine Debatte im Zusammenhang mit Bachmut erinnern.
Dort ist auf den Vorwurf, eine völlig unwichtige Stadt so verbissen zu verteidigen entgegnet worden, wenn man sich zurück ziehen würde wären die gleichen massiven Kämpfe nur ein paar Kilometer weiter westlich.
Es hängt davon ab, wie viel Raum ich preisgeben kann, ohne dass mir nennenswerte Nachteile entstehen. Die Deutschen im Zweiten Weltkrieg hätten ohne Probleme Raum auf einer Tiefe zwischen 150 und 250 km preisgeben können, ohne dass signifikante Nachteile entstanden wären. Die Ukrainer können nur schlecht 150 oder 250 km zurückweichen, ohne dass ihnen keine großen Nachteile entstünden.

Schneemann
Danke Quintus für die weitere Erläuterung. Dass zu viele politische Beweggründe auf dem Schlachtfeld nachteilig sind sehe ich ganz genauso. Den "Stalingrad-Effekt" (wenn auch nur im Kleinformat) gilt es natürlich zu vermeiden.

Was bezüglich der Entlassung Saluschnyjs außerdem noch ungünstig ist:
Meiner Meinung nach beginnt man hier, eine "konforme Militärführung" aufzubauen. Was aber passiert, wenn alle dem Präsidenten nur noch nach dem Mund reden, lässt sich anhand der Russen eindrucksvoll beobachten. Im Endeffekt beruht der ganze Ukraine Krieg ja unter anderem auf katastrophalen Fehleinschätzungen russischerseits, weshalb auch von Beginn an kaum etwas so geklappt hat wie es geplant war.
Mit Saluschnyj geht nun auf ukrainischer Seite einer, welcher andere Ansichten vertreten und eingebracht hat. Dies dürfte sich nachteilig auswirken. Denn, dass eine getroffene Entscheidung ohne Diskussion konsequent umgesetzt werden muss, ist völlig klar. Lässt man auf dem Weg zur Entscheidungsfindung jedoch andere Ansichten, Meinungen und Ideen nicht zu / außer Acht, verengt es den eigenen Blick und ist somit nie von Vorteil.
Kongo Erich:

Zitat:Dort ist auf den Vorwurf, eine völlig unwichtige Stadt so verbissen zu verteidigen entgegnet worden, wenn man sich zurück ziehen würde wären die gleichen massiven Kämpfe nur ein paar Kilometer weiter westlich.

Selbstverständlich wären die Kämpfe dann weiter westlich weiter gegangen, dass hat ja nie jemand bestritten. Aber Stellung ist eben nicht gleich Stellung - Frontverlauf nicht gleich Frontverlauf. Es ist eben nicht egal wo genau man steht.

Spezifisch in Bezug auf Bakhmut stand die russische Artillerie welche dort und in der Umgebung der Stadt wirkte vergleichsweise disloziert, konnte aber im Kampfraum ihr Feuer zusammen fassen. Umgekehrt musste die ukrainische Artillerie aufgrund der geographischen Ausformung konzentrierter stehen -war damit also ein leichteres Ziel, während umgekehrt ihr Feuer breiter gestreut auf eine größere Fläche wirken musste. Dies ist extrem nachteilig. Ein koordiniertes und diszpliniertes zurückgehen auf die damals von mir beschriebene Linie hätte diesen Effekt umgedreht. Und damit wäre das ukrainische Konterartilleriefeuer noch wesentlich effektiver gewesen.

Das die ukrainische Artillerie hier dennoch überhaupt überlebt hat, verdankt sie allein der höheren effektiven Reichweite im Querschnitt sowie Präzisionsmunition. Letztgenannte aber wird zunehmend knapp und die Rohre sind auch zunehmend ausgenudelt, auch die Ukrainer müssen mit ihrer Ari immer näher an die Front heran.

Zitat:man muss sich entweder an möglichst gut zu verteidigender Position stellen -
oder man zieht sich bis über die westliche Grenze des Landes zurück.

Absolut richtig. Aber diese möglichst gut zu verteidigende Position war eben nicht in Bakhmut, sondern westlich davon. Denn es macht, grob vereinfacht, genau so wenig Sinn eine schlechtere Position weiter östlich zu halten, nur weil man sie halt halten will - wenn dahinter eine bessere Position ist die man leichter verteidigen kann.

Die Ukraine steht strategisch in einem Abnutzungskrieg. Den kann sie nur und absolut nur dann gewinnen, wenn die Abtauschraten extrem zu ihren Gunsten sind. Es genügt dabei nicht einmal, wenn die Abtauschrate nur zu Gunsten der Ukrainer ist. Dass Verhältnis bei den Verlusten muss stattdessen durchgehend sehr einseitig zugunsten der Ukraine sein. Und dafür benötigt man eine Positionierung welche sich vor allem anderen daran ausrichtet, dass man den maximalen Schaden beim Gegner anrichtet und selbst so wenig Schaden wie möglich nimmt.

Das Gelände muss also danach ausgesucht werden, ob es optimal für die Abnutzung des Gegners ist. Es ist also kein Selbstzweck, kein Ziel für sich selbst, sondern es dient einem anderen Zwecke. Jede Art von Geländegewinn und Geländeverlust muss daher unter diesem Aspekt vor allem anderen erwogen werden.

Und exakt das hat man in Bakhmut eben nicht getan, sondern die Stadt krampfhaft gehalten obwohl sie eben nicht die optimalst mögliche Position war.

Schneemann:

Zitat:Das sehe ich anders. Wenn ich über die gesamte Frontbreite abklopfe, dann kann ich keinen Schwerpunkt bilden

Es wurde aber nicht über die ganze Front abgeklopft. Und keinesweges bedeuten solche Vorstöße, dass dadurch kein Schwerpunkt mehr möglich ist. Denn das Täuschen und entsprechende Scheinangriffe um den eigentlichen Hauptangriff zu verschleiern finden ja nicht an der gesamte Front statt. Sondern in einem viel engeren Bereich. Und selbst dort wo die Hauptstreitmacht zusammen gestellt wird, kann man immer noch davor abtasten und zugleich täuschen. Praktisches Beispiel: man hat eine Streitmacht positioniert. Von derer Stellung aus gibt es zwei mögliche Routen. Nun werden beide durch Vorstöße angegangen. Der Feind weiß nun nicht, ob das nur erste Vorgefecht sind, ob es die Vorhut ist und er weiß vor allem nicht auf welcher der beiden Routen die Hauptstreitmacht kommt und wohlgemerkt: beide fangen ja dort an wo sie steht, und es macht daher keinen Unterschied von der Distanz her ob sie die eine nimmt oder die andere. Die Entscheidung welche ergibt sich also dann beispielsweise aus den feindlichen Reaktionen oder eigenen Erkenntnissen. Man kann auch nur an einen Scheinangriff führen weil man schon weiß, dass die andere Stelle die richtige ist usw usw.

Wie man es aber dreht und wendet: man muss seine Einheiten im Kampf immer erstmal entfalten. Und selbst wenn es gleich der Hauptangriff sein sollte, auch dann gibt es eine Vorhut, erste Zusammenstöße, Plänkler usw. Der Angriff entfaltet sich also selbst dann zunächst durch ein Abtasten, alles andere wäre fast immer wiedersinnig. Und wenn der erste Zusammenstoß der Vorhut beim Hauptangriff bereits aufzeigt, dass der Hauptangriff scheitern wird, kann man diesen abbrechen, statt sofort alles reinzuschicken. Das Abbrechen von Angriffen ist wesentlich, und auch viel häufiger in der Ukraine als meist so wahrgenommen.

Zitat: bzw. diesen, wenn ich den schwachen Punkt gefunden habe, nur unzureichend bilden, da der Gegner ihn eben dann auch kennt und mit entsprechender Feuerkonzentration in diesem Bereich zu rechnen ist.

Nicht wenn ich schnell genug bin um die gefundene Schwachstelle schnell explorieren zu können. Also kommt es vor allem darauf an, dass man von der Position wo der Gros der Truppen für den eigentlichen Hauptangriff b ereit steht mehrere mögliche Optionen hat sich nach vorne zu bewegen, also mehrere verschiedene Stellen angreifen kann. Was den Ukrainern hier meist fehlt ist die notwendige Geschwindigkeit im Explorieren erkannter Schwachstellen. Aus vielerlei Gründen.

Zitat:Es muss also zuerst rein über die Aufklärung die Schwachstelle analysiert sein, dann, wenn festgestellt, die Bereitstellung vor dieser erfolgen.

Diese ganzen Vorstöße dienen aber ganz genau so auch der Aufklärung, oder sie sind ohnehin von vornherein vor allem gewaltsame Aufklärung. Und wenn ich das Finden von Möglichkeiten und dann die Bereitstellung von Kräften um diese zu Nutzen in der von dir beschriebenen Weise entkoppele, entsteht genau das Problem, dass der Feind dann sein Feuer dorthin verlegen und dort konzentrieren kann. Mein Eindruck ist, dass dies sogar eines der Probleme der Ukrainer ist. Man sucht mit Drohnen usw eine Möglichkeit. Dann fängt man an seine Truppen dort zu sammeln. Dies kriegen die Russen aber fast immer mit und schon hat man die Möglichkeit ganz genau so verschenkt.

Es ist daher viel besser - vor allem weil es viel schneller ist - eine möglichst große Ambiguität zu erzeugen. Zum einen indem man vom Bereitstellungsraum her sehr viele verschiedene Optionen hat, zum anderen indem man durch Vorstöße / Plänkler verschleiert was nun tatsächlich folgen wird und schließlich auch indem man bis zuletzt mit Fingerspitzengefühl die Front abtastet um dann direkt und unmittelbar aus diesem heraus eine Möglichkeit zu ergreifen und dort dann seinen Schwerpunkt zu setzen. Und die Voraussetzung dafür ist eine ständige Ambiguität an der Stelle wo die Truppen bereit stehen.

Zitat:bevor der erste Schuss fällt, einmal theatralisch gesagt, ist bereits klar, wo a) der Hauptangriff stattfindet und b) wo die Ablenkungsangriffe stattfinden sollen.

Das wäre vor allem dann der Fall, wenn man durch bloße Aufklärung eine Schwachstelle findet - und dem folgend dann vor dieser die Kräfte sammelt / bereit stellt, wie du es explizit geschrieben hast. Denn dann klärt der Feind diese Bereitstellung auf und zieht Feuerkraft zusammen und bildet einen Gegenschwerpunkt.

Zitat:Es hängt davon ab, wie viel Raum ich preisgeben kann, ohne dass mir nennenswerte Nachteile entstehen. Die Deutschen im Zweiten Weltkrieg hätten ohne Probleme Raum auf einer Tiefe zwischen 150 und 250 km preisgeben können, ohne dass signifikante Nachteile entstanden wären. Die Ukrainer können nur schlecht 150 oder 250 km zurückweichen,

Wir sprechen hier doch von sehr viel geringeren Distanzen. Bei Bakhmut wäre es ein Rückzug von 25 km bis 35 km gewesen (je nach Richtung). Und dann hätte man seine Front von Dserschynsk über Druzhkivka und Kramatorsk nach Slowanjsk ziehen können. Die Russen wären dann in das Halbrund westlich von Bakhmut hinein gezogen worden und dann an diesen Städten hängen geblieben. Und dann hätte man die ukrainische Artillerie stärker dislozieren können, während die Russen konzentrierter gestanden wären usw.

Wir sprechen hier also von gerade mal 30 Kilometern. Was da dagegen sprach sind eher die Argumente welche Schlingel hier gebracht hat, dass sind sachliche militärisch-handwerkliche Gründe.

Aber stattdessen versucht man krampfhaft Terrain zu halten um des Terrainhaltens wegen.
@Quintus
Zitat:Es wurde aber nicht über die ganze Front abgeklopft. Und keinesweges bedeuten solche Vorstöße, dass dadurch kein Schwerpunkt mehr möglich ist.
Vielleicht schreiben wir aneinander vorbei. Lasse es mich so ausdrücken: Die verfügbaren Kräfte der Ukrainer waren nicht ausreichend, um parallel zum "Abklopfen" noch die notwendigen Schwerpunkte bilden bzw. die so rasch wie notwendig bilden zu können.
Zitat:Wie man es aber dreht und wendet: man muss seine Einheiten im Kampf immer erstmal entfalten.
Das ja, aber die Bereitstellung, die feste Dislozierung einzelner Verbände muss vor dem Angriff erfolgen. Während der laufenden Offensive kann man notfalls immer noch verschieben, das wird auch meistens unumgänglich sein, aber im Kern haben die Truppen ihre Hauptrichtungen vorgegeben bzw. müssen sie vorgegeben haben.
Zitat:Was den Ukrainern hier meist fehlt ist die notwendige Geschwindigkeit im Explorieren erkannter Schwachstellen. Aus vielerlei Gründen.
Genau, das sehe ich auch so. Zudem kommen eben noch die begrenzten Mittel hinzu.
Zitat:Das Abbrechen von Angriffen ist wesentlich, und auch viel häufiger in der Ukraine als meist so wahrgenommen.
Rein und spezifisch auf den Kriegsschauplatz Ukraine bezogen, ist dies absolut zutreffend. Eine generelle Taktik würde ich hiervon aber nicht ableiten wollen. Denn das Risiko - falls man es immer in Erwägung zieht, dass irgendwo die Notwendigkeit dazu besteht -, kann dann sein, dass man eine Operation abbricht und dann einen Sieg aus der Hand gibt, obwohl man auf der "Siegerstraße" sich befand. Und bis man sich dann wieder umentscheidet, hat der Gegner sich ggf. gefangen und seine Verteidigung wieder errichtet, was einen entsprechend höheren Blutverlust bei einem neuerlichen Angriff bedeutet. Es ist also zweischneidig.
Zitat:Das wäre vor allem dann der Fall, wenn man durch bloße Aufklärung eine Schwachstelle findet - und dem folgend dann vor dieser die Kräfte sammelt / bereit stellt, wie du es explizit geschrieben hast...
In der Ukraine ist die Aufklärung durchaus sehr gut. Angefangen von Satelliten- bis hin zu Luft- und Drohnenbildern. Die russischen Defensivräume waren recht gut bekannt bzw. hätten es sein können/müssen. Und die Aufklärungsdaten der Ukrainer, wobei hier sicherlich "zufälligerweise" mancher westliche Dienst gerne mithalf, waren besser als die der Russen.

Schneemann
Es gibt ja durchaus die Gewaltsame Aufklärung, gerade die Sowjets kannten nichts anderes - beruht natürlich auf der Grundüberlegung der eigenen materiellen Überlegenheit.
Wieso so ein Unsinn natürlich gemacht wird wenn man sowieso kaum eigene Kräfte und Material hat, dürfte dann unbeantwortet bleiben.
Auch wenn in diesem Board die deutschen Generäle verpönt sind liegen sie doch in allen Grundüberlegungen richtig, wäre kein gekränkter Stolz im letzten Sommer involviert, hätte man hier erfolgreiche Schlüsse ziehen können.
Schneemann:

Zitat:In der Ukraine ist die Aufklärung durchaus sehr gut. Angefangen von Satelliten- bis hin zu Luft- und Drohnenbildern.

Die Russen haben ganz genau so Drohnen, Satellilten, Spione, Beobachter in der Zivilbevölkerung, Verräter auf ukrainischer Seite usw. Im übrigen überschätzt du meiner Ansicht die technische Aufklärung in diesem Kontext und unterschätzt die Bedeutung der Zivilbevölkerung und von Agenten unter derselben welche für die Ukraine spionieren. Was jetzt nicht heißen soll, dass die technische Aufklärung gering wäre, ganz im Gegenteil. Aber sie ist auch nicht derart allumfassend wie es oft angenommen wird, und insgesamt ist die Aufklärung viel komplexer als nur Drohnen / Satelliten / westliche Geheimdienste.

Zitat:Die russischen Defensivräume waren recht gut bekannt bzw. hätten es sein können/müssen. Und die Aufklärungsdaten der Ukrainer, wobei hier sicherlich "zufälligerweise" mancher westliche Dienst gerne mithalf, waren besser als die der Russen.

Das ist lediglich eine These. Und meine These ist, dass sich hier beide Seiten nichts nehmen und praktisch gesehen gleich gut sind. Im übrigen aber ist es vollkommen egal wie gut die Aufklärung ist, wenn ihre Ergebnisse einfach ignoriert werden. Und das ist heute das viel größere Problem als die Information zu erlangen: sie richtig auszuwerten und sie richtig zu nützen. War in Israel das gleiche: die Information dass der Angriff kommen wird war bekannt, aber sie wurde nicht verwendet / ignoriert. Und es war das gleiche vor dem Angriff auf die Ukraine insgesamt: die Information lag vor, aber trotzdem handelte man nicht ihr entsprechend. Es ist das gleiche mit den Russen: die haben meist alle Informationen vorliegen und handeln trotzdem so, als wäre dem nicht so.

Das ganze Bild des gläsernen Schlachtfeldes ist zudem falsch: dass ist kein gläsernes Schlachtfeld, dass ist ein sich rasend drehendes Kaleidoskop bei dem jedes neue Bild genau so richtig und wahr ist wie die vorherigen. Die schiere Informationsmenge erzeugt schon in sich selbst eine völlig neue Art von Nebel des Krieges. Und zunehmend wird das zuviel an Information zu einem Problem und geht die Kunst verloren die entscheidende Information zu erkennen und diese richtig anzuwenden. Das ist der Genius des Krieges, die eine wesentliche Information zu sehen und anhand ihrer richtig und schnell zu entscheiden. Diese Kunst beherrschen beide Seiten in diesem Krieg offenkundig nicht.

Zitat:Eine generelle Taktik würde ich hiervon aber nicht ableiten wollen. Denn das Risiko - falls man es immer in Erwägung zieht, dass irgendwo die Notwendigkeit dazu besteht -, kann dann sein, dass man eine Operation abbricht und dann einen Sieg aus der Hand gibt, obwohl man auf der "Siegerstraße" sich befand.

Die "Siegerstraße" ist aber dann lediglich ein operativer Erfolg (wenn überhaupt). Und man kann ganz leicht einen kompletten Krieg verlieren, obwohl man ständig siegt, auf der "Siegerstraße" von einem operativen Erfolg zum anderen geeilt ist. Solche Erfolge sind ja kein Selbstzweck und die Ergebnisse und Effekte auf der militärisch-strategischen Ebene sind viel relevanter. Und umgekehrt kann man einen kompletten Krieg gewinnen ohne je einen "Sieg" in einer Schlacht erzielt zu haben.

Wenn man zu sehr operative Erfolge erzwingen will, führt dies nur zu deutlich größeren Risiken auf der strategischen Ebene und schließlich zu untragbaren Risiken für den gesamten Kriegsverlauf. Wie die Russen es ja seit Kriegsbeginn so schön demonstrieren. Dies gilt heute umso mehr, als die Technologie und die Umstände in der Ukraine ein ganz klar erkennbares Primat der Defensive dort erzeugen. Man befindet sich also keineswegs auf der Siegerstraße wenn man Offensiv irgendwo voran kommt, sondern man erhöht nur das Risiko auf der strategischen Ebene extrem und das für oft fragwürdige Ergebnisse oder für Ergebnisse welche an der Gesamtlage in Wahrheit nichts ändern.

Stattdessen muss man einfach radikal opportunistisch sein und immer versuchen mit möglichst geringem Widerstand zu agieren. Und das heißt in der Ukraine angesichts der Umstände dort primär in der Defensive zu agieren. Offensive Siege sind kein Selbstzweck und in der Ukraine noch sehr viel weniger.

Und das ist auch exakt das was ich meine wenn ich schreibe, dass viel zu viel um Terrain gekämpft wird. Nehmen wir einmal an, eine brilliante Offensive der Ukrainer würde die Russen vollständig aus dem Staatsgebiet der Ukraine vertreiben. Dann wäre der Krieg nicht vorbei !!! Das ist der wesentliche entscheidende Punkt. Die Front würde dann halt entlang der Grenze verlaufen, das Gemetzel weitergehen, die Abnutzung weiter laufen. Und was dann?!

Die Ukraine hat nicht auf magische Weise gewonnen und Russland gibt auf, nur weil man Terrain einnimmt / zurück erobert. Nun kommt das Argument, dass die Ukraine ja ach so unbedingt so viel Staatsgebiet wie möglich zurück erobern muss weil.......weil halt. Weil das ihr Staatsgebiet ist usw. Das ist aber heute nur noch eine völlig zerstörte und verminte Trümmerwüste. Gebiet wieder besetzen zu wollen nur als Selbstzweck, aus Ego, aus rein politischen Gründen, aus ideologischen Gründen usw. ist rein militärisch ein extremer Fehler.

Die Ukraine wird eben nicht dadurch siegen, dass sie ihr Staatsgebiet zurück erobert und erneut besetzt, denn damit endet der Krieg nicht. Sondern sie kann ihr Staatsgebiet zurück erhalten, wenn sie gesiegt hat. Es ist also genau anders herum. Und um zu siegen muss sie sich um das kümmern was das Problem darstellt: die russischen Streitkräfte. Das Terrain ist daher nur relevant im Kontext der Frage, wie man die russischen Streitkräfte niedermachen kann um sie soweit zu dezimieren, dass dann die Frage wer welches Gebiet hält sich von selbst erledigt. Und das wäre machbar, wenn man aufhören würde sinnfrei und als Selbstzweck um Terrain zu kämpfen.

Zitat:bis man sich dann wieder umentscheidet, hat der Gegner sich ggf. gefangen und seine Verteidigung wieder errichtet, was einen entsprechend höheren Blutverlust bei einem neuerlichen Angriff bedeutet. Es ist also zweischneidig.

Nein ist es nicht. Denn warum sollte man überhaupt erneut angreifen ?! Wenn der Gegner sich fängt und an einer Stelle die Verteidigung wieder errichtete, dann greift man gerade eben dort nicht erneut an. Es besteht dafür auch überhaupt keine Notwendigkeit. Wie schon geschrieben muss man stattdessen radikal opportunistisch sein. Und das heißt auch, dass man nicht versuchen sollte Offensive Siege zu erzwingen (was beispielsweise seit Kriegsbeginn auch ein Primärfehler der Russen war und ist).

Zitat:die Bereitstellung, die feste Dislozierung einzelner Verbände muss vor dem Angriff erfolgen

Bedingt ja, aber deshalb verwendete ich ja explizit den Begriff der Ambiguität und dass man mehrere Angriffsoptionen parallel erzeugen können muss. Man muss also von einer Stelle aus mit den gleichen Truppen aus deren gleicher Aufstellung heraus verschiedene Optionen ausführen können. Das ist ja gerade eben der wesentliche Punkt.

Wenn ich meine Truppen so aufstelle, dass ich davon nur einen Angriff führen kann, und auch nur einen Hauptangriff plane, dann ist das bereits der Fehler. Man muss stattdessen immer mehrere Möglichkeiten planen. Man macht einen Scheinangriff und parallel dazu einen Hauptangriff. Wenn aber der Scheinangriff überproportinal erfolgreich ist, macht man einfach diesen zum Hauptangriff und setzt dann dort seine Reserve an und bricht den Hauptangriff ab usw usf. Ambiguität, radikalster Opportunismus, Flexibilität. Das sind die drei wesentlichen Kenngrößen. Jede Operation muss daher so geplant werden, dass sie in diesen drei Bereichen möglichst optimal aufgestellt ist.

Man muss auch mitten im Geschehen umschalten können. Das ist der entscheidende, wesentliche Punkt. Das gilt für jeden Kampf und für jede Ebene des Kampfes. Von einem Nahkampf Mann gegen Mann bis hin auf die strategische Ebene. Je schneller man umschalten kann und seine Pläne ändern kann, desto besser.

Zitat:Während der laufenden Offensive kann man notfalls immer noch verschieben, das wird auch meistens unumgänglich sein, aber im Kern haben die Truppen ihre Hauptrichtungen vorgegeben bzw. müssen sie vorgegeben haben.

Bedingt ja, aber diese Hauptrichtungen selbst müssen auch während die Offensive läuft änderbar sein. Und es muss mehrere mögliche Hauptrichtungen geben (Ambiguität). Die dafür notwendige Fähigkeit ist eine möglichst hohe Geschwindigkeit. Diese ist aber immer relativ zum Gegner. Ist dieser langsam, muss man weniger schnell sein als wenn dieser selbst schneller ist. Wie man es aber dreht und wendet, man muss selbst mitten in der Offensive einfach die Hauptrichtung ändern können, und das heißt auch abbrechen können - dass der wesentlichste Punkt.

Es macht keinen Sinn eine sich abzeichnende Niederlage zu explorieren und zu versuchen den Sieg doch noch irgendwie zu erzwingen. Zumal der "Sieg" dann lediglich in der Besetzung von Terrain besteht, was eben kein Sieg ist ! Es ist in Wahrheit eben kein Sieg im vorliegenden Fall Terrain zu besetzen.

Zitat:Die verfügbaren Kräfte der Ukrainer waren nicht ausreichend, um parallel zum "Abklopfen" noch die notwendigen Schwerpunkte bilden bzw. die so rasch wie notwendig bilden zu können.

Ich würde es anders formulieren: meiner Meinung nach waren sie quantiativ ausreichend, aber sie waren im Verhältnis zum Feind nicht schnell genug. Das Problem der Ukrainer war und ist hier meiner Meinung nach nicht die Quantität, sondern die Geschwindigkeit.

Und man kann diesen Umstand noch weiter führen und weitere Schlussfolgerungen daraus ziehen: Wenn die Ukrainer quantiativ für das beschrieben abtasten der Front nicht stark genug sind, dann dürfen sie keine Offensive durchführen. Wenn ihre Quantität also unzureichend ist, dann dürfen sie keine Offensive führen ! Dann war die ganze Offensive von Beginn an falsch.

Wenn sie quantiativ nicht ausreichend stark sind, können sie nicht in die Offensive gehen. Das gleiche gilt für die Geschwindigkeit: wenn diese insgesamt im Verhältnis zum Gegner zu gering ist, darf man nicht offensiv vorgehen. So einfach ist das.

Wenn deine Aussage hier also stimmt, dann war die Offensive in jedem Fall falsch.
@Quintus
Zitat:Die Russen haben ganz genau so Drohnen, Satellilten, Spione, Beobachter in der Zivilbevölkerung, Verräter auf ukrainischer Seite usw. Im übrigen überschätzt du meiner Ansicht die technische Aufklärung in diesem Kontext und unterschätzt die Bedeutung der Zivilbevölkerung und von Agenten unter derselben welche für die Ukraine spionieren. [/quote}
Die russische Seite sucht derzeit recht verzweifelt nach weiteren Aufklärungsoptionen, das zeigen auch die Gedankenspiele um den alten Höhenaufklärer M-55. Rein auf den taktischen Bereich heruntergebrochen mag es eine Parität geben, strategisch haben die Ukrainer durch die westliche Unterstützung einen gewissen Vorteil, allerdings sind sie der kleinere "Spieler" und können die Informationen nicht immer direkt nutzen.
[quote]Das ist lediglich eine These.
Nein, es ist keine These. Die Ukrainer erhalten Aufklärungsdaten aus dem Westen, alleine der BND liefert z. B. Satellitenbilder, die die Ausstattung der russischen Militärstandorte und Depots zeigen. Von der US-SIGINT rede ich noch nicht einmal.
Zitat:Das ganze Bild des gläsernen Schlachtfeldes ist zudem falsch: dass ist kein gläsernes Schlachtfeld, dass ist ein sich rasend drehendes Kaleidoskop bei dem jedes neue Bild genau so richtig und wahr ist wie die vorherigen.
Das sehe ich anders. Man weiß sehr genau, wo sich welche Einheiten befinden oder wohin Gerät verschoben wird etc. Die Frage ist eher, warum man diese Informationen nicht immer nutzen kann? Und da sind wir dann wieder bei Themen wie der Ausstattung, bei Munitionsfragen, bei Verschleiß- und Wartungsfragen etc.
Zitat:Die "Siegerstraße" ist aber dann lediglich ein operativer Erfolg (wenn überhaupt).
Wieso denn? Wie schnell sowas gehen kann, sahen wir doch im Herbst 2022: Den Ukrainer gelang ein Durchbruch und die russische Front im Nordosten fiel quasi auseinander. Erst dann, als die Ukrainer anhalten mussten, auch weil ihnen der Nachschub ausging, haben sich die Russen gefangen und sich eingegraben. Der Fehler - wobei es vielleicht hier etwas unfair ist, von "Fehler" zu sprechen - der Ukrainer war es denn, dass sie abwarteten mit dem weiteren Vordringen, bis die westlichen Systeme 2023 zuliefen. Bis dahin hatten sich die Russen aber hinter Minensperren eingeigelt. Das Ergebnis kennen wir.
Zitat:Wenn man zu sehr operative Erfolge erzwingen will, führt dies nur zu deutlich größeren Risiken auf der strategischen Ebene und schließlich zu untragbaren Risiken für den gesamten Kriegsverlauf.
Ich sehe es eigentlich eher umgekehrt. Dadurch, dass man vor zu großen Risiken zurückschreckt und ggf. von operativen Durchbrüchen Abstand nehmen will, riskiert man den Verlust der Initiative auf strategischer Ebene. Und man verzettelt sich dann mit hohen Verlusten in Stellungskämpfen und im Kleinklein, und zwar so lange, bis der Gegner, der durchaus auch rüstungswirtschaftliches Potenzial besitzt, sogar einen Vorteil und damit die Initiative (wieder-)erlangen könnte.
Zitat:Nehmen wir einmal an, eine brilliante Offensive der Ukrainer würde die Russen vollständig aus dem Staatsgebiet der Ukraine vertreiben. Dann wäre der Krieg nicht vorbei !!!
Das ist deine These. Wenn wir dieses Gedankenspiel weiterspielen, dann könnte ich mir sogar vorstellen, dass der Krieg tatsächlich endet. Denn eine solche Niederlage, ggf. inkl. der Einnahme von Luhansk, Donezk und der Krim, würde innenpolitisch in Russland zu einem Umsturz führen, zumindest würde die jetzige Führung es nicht überleben. D. h. die Russen wären erst einmal mit sich selbst beschäftigt (und die Ukraine stünden vor der Herkulesaufgabe, ein vom Krieg verwüstetes Gebiet wieder urbar zu machen).
Zitat:Nein ist es nicht. Denn warum sollte man überhaupt erneut angreifen ?! Wenn der Gegner sich fängt und an einer Stelle die Verteidigung wieder errichtete, dann greift man gerade eben dort nicht erneut an.
Es gibt genügend Bsp. in der Historie, wo man eine Streitkraft, die im Grunde auf der "Siegerstraße" war, aus welchen Gründen auch immer, zurückgepfiffen hat. Und die Folge davon war fast immer, dass man danach mit schwerwiegenderen Folgen zu kämpfen hatte.
Zitat:Man macht einen Scheinangriff und parallel dazu einen Hauptangriff. Wenn aber der Scheinangriff überproportinal erfolgreich ist, macht man einfach diesen zum Hauptangriff und setzt dann dort seine Reserve an und bricht den Hauptangriff ab usw usf. Ambiguität, radikalster Opportunismus, Flexibilität. Das sind die drei wesentlichen Kenngrößen.
Da kann ich konform mit gehen. Aber du redest hier von zwei Stoßrichtungen, zwischen denen man notfalls hin- und herspringen müsste, je nachdem wie sich das Szenario entwickelt. Aber es sind eben deren zwei, und nicht fünf oder sechs Richtungen, wie sie die Ukrainer versucht haben mit überschaubaren Kräften gegenüber einem zumindest tendenziell vorbereiteten Gegner abzubilden.

Schneemann
Die Russen nutzen ebenfalls starlink seit einiger Zeit. Angeblich ist man über Dubai an einige Terminals gekommen .

Laut Washington Post brauch die Ukraine 500000 neue Rekruten. Die Einheiten sind teilweise nur noch bei 40% .
Allerdings weis man nicht wie man diese Einheiten bezahlen soll. Die ukrainische Infanterie kann teilweise als zerschlagen angesehen werden an einigen frontabschnitten. Von Ruhephasen ist überhaupt keine Rede mehr
https://www.washingtonpost.com/world/202...ry-russia/
Der neue Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte betonte übrigens in ersten Gesprächen mit den Medien, dass man ab jetzt stärker auf die Defensive setzen werde und sich auf Befestigungen und verstärkte Frontabschnitte abstützen wird. Es sei jetzt wesentlich, von möglichst guten Stellungen aus das Abnutzungsverhältnis zugunsten der Ukrainer zu verbessern Cool Gibt selbst im ZDF ein Gespräch mit einer Journalistin mit diesen Inhalten Arrow

Schneemann:

Zitat:Die Ukrainer erhalten Aufklärungsdaten aus dem Westen, alleine der BND liefert z. B. Satellitenbilder

Da möchte ich doch mal die These aufstellen, dass die RF mehr Satelliten mit wesentlich mehr Möglichkeiten hat als der BND. Also mal ernsthaft: du willst also allen Ernstes behaupten, die russischen Kapazitäten im Weltraum wären selbst dem BND unterlegen ?!

Zitat:Von der US-SIGINT rede ich noch nicht einmal.

Die Russen haben ganz genau so SIGINT, und noch darüber hinaus ist ein Problem in Bezug auf die Russen in diesem Kontext, dass sie teilweise verblüffend altertümliche Kommunikationsmethoden verwenden, und westliches SIGINT diesen gegenüber versagt. Du kannst keine russische Kommunikation abhören wenn diese per selbstverlegten Kabel verläuft.

Zitat: strategisch haben die Ukrainer durch die westliche Unterstützung einen gewissen Vorteil, allerdings sind sie der kleinere "Spieler" und können die Informationen nicht immer direkt nutzen

Ich finde es faszinierend, wie sehr man im Westen von Hybris befallen meint, jedwede Leistung der Ukrainer käme primär von uns. Beispielsweise ist die Aufklärung durch ukrainische Agenten / Zivilisten in der Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten meiner Einschätzung nach genau so wesentlich wie die westliche Aufklärung, aber davon schreibt niemand.

Zitat:Man weiß sehr genau, wo sich welche Einheiten befinden oder wohin Gerät verschoben wird etc.

Was vermutlich der Grund dafür ist, dass beide Seiten immer wieder davon überrascht werden wo wer genau agiert.Rolleyes Aber noch darüber hinaus schreibst du hier an mir vorbei: ich schrieb nicht, dass man nicht wüsste wo welche Einheiten sind, sondern dass das Übermaß an Information ein Kaleidoskop erzeugt - und genau dies beantwortet in einem Anteil auch gleich die nächste Sache:

Zitat:Die Frage ist eher, warum man diese Informationen nicht immer nutzen kann? Und da sind wir dann wieder bei Themen wie der Ausstattung, bei Munitionsfragen, bei Verschleiß- und Wartungsfragen etc.

Die materiellen Faktoren spielen dabei natürlich auch eine Rolle, aber noch vor diesen ist es eben dieses Kaleidoskop in welchem alle Informationen für sich selbst durchaus wahr sind, man diese aber nicht richtig zusammen setzen kann und deren Zusammensetzung ständig ein anderes Gesamtbild ergibt, welches hier das primäre Problem darstellt.

Wenn dem nicht so wäre, würde sich auch nicht erklären wie man auf die schwachsinnige Idee kommen konnte, gerade bei Tokmak den Durchbruch zu versuchen. Im übrigen hört man von ukranischer Seite diesbezüglich zunehmend, dass der westliche (!) Einfluss auf die ukrainische Kriegsführung in Bezug auf die zur Verfügung gestellten Informationen und "Ratschläge" durchaus auch negative Folgen hatte. Nur weil wir in unserer Hybris meinen den Ukrainern weit überlegen zu sein, heißt das nicht, dass unsere teilweise überkommenen Vorstellungen von Kriegsführung dann auch tatsächlich in der Realität noch funktionieren.

Wie schnell sowas gehen kann, sahen wir doch im Herbst 2022: Den Ukrainer gelang ein Durchbruch und die russische Front im Nordosten fiel quasi auseinander.

Falsch. Es war genau anders herum. Die russische Front im Norden fiel bei eigentlich völlig unzureichenden ukrainischen Angriffen einfach auseinander, und dadurch - dem folgend - konnten die Ukrainer vorrücken. Und der Grund war hierfür die alte Maxime Napoleons, dass die Moral sich zum Material in einem Verhältnis von 3 zu 1 befindet.

Zitat:Erst dann, als die Ukrainer anhalten mussten, auch weil ihnen der Nachschub ausging, haben sich die Russen gefangen und sich eingegraben.

Die Russen haben dort hektisch neue Verbände auf geeignete Auffanglinien verlegt. Und es waren primär diese neuen russischen Einheiten welche die Ukrainer dort dann stoppten, nicht ein Nachschubmangel bei den Ukrainern. Die vordringenden ukrainischen Einheiten waren zudem querschnittlich sehr leicht. Zu leicht für einen Durchbruch - sowohl in Bezug auf die ursprünglichen russischen Stellungen als auch in Bezug auf die Auffanglinien. Andererseits war es diese Leichtigkeit und extrem hohe Mobilität welche es ihnen ermöglichte den Kollaps der russischen Linien sofort und so weitgreifend auszunützen.

Zitat:Der Fehler - wobei es vielleicht hier etwas unfair ist, von "Fehler" zu sprechen - der Ukrainer war es denn, dass sie abwarteten mit dem weiteren Vordringen, bis die westlichen Systeme 2023 zuliefen. Bis dahin hatten sich die Russen aber hinter Minensperren eingeigelt. Das Ergebnis kennen wir.

Das Ergebnis hätte auch ein komplett anderes sein können, wenn man die Offensive an einer anderen Stelle angesetzt hätte. Auch dass hatte ich hier im Forum ja schon sowohl vor Beginn der Offensive als auch während sie noch lief geschrieben. Ganz am Anfang hoffte ich sogar noch darauf, dass der Angriff in Richtung Tokmak nur ein Scheinangriff ist und der tatsächliche Hauptangriff dann noch an anderer Stelle folgt. Aber nein.

Und jede größere Offensive benötigt bestimmte Voraussetzungen und Umstände und die waren im Spätherbst 2022 / Winter 2022 / Frühling 2023 so nicht gegeben. Die Offensive hätte gar nicht früher kommen können.

Man hätte aber in dieser Zeit bereits mit einer flexibleren Verteidigung an mehreren Stellen durchaus aus der Nachhand schlagen können, Verzögerung betreiben können usw. aber stattdessen hat man - primär aus politischen Gründen - es mit sinnlosen Haltebefehlen versucht. Obwohl man genügend Raum gehabt hätte und damit auch das Schlachtfeld für die Offensive im Sommer 2023 viel besser hätte gestalten können, indem man durch gezieltes Zurückgehen die Russen in Bewegung gehalten hätte.

Zitat:Dadurch, dass man vor zu großen Risiken zurückschreckt und ggf. von operativen Durchbrüchen Abstand nehmen will, riskiert man den Verlust der Initiative auf strategischer Ebene. Und man verzettelt sich dann mit hohen Verlusten in Stellungskämpfen und im Kleinklein, und zwar so lange, bis der Gegner, der durchaus auch rüstungswirtschaftliches Potenzial besitzt, sogar einen Vorteil und damit die Initiative (wieder-)erlangen könnte.

Dir sollte aber aufgefallen sein, dass aufgrund der Gesamtumstände in der Ukraine die Defensive ein erhebliches Primat besitzt ?! Und was für eine Initiative auf strategischer Ebene soll das sein von der du hier schreibst?

Im übrigen kann man auch in der Verteidigung die Initiative haben. Initiative bedeutet eben nicht Angriff - sie kann eben nicht nur in der Offensive erreicht werden, ganz im Gegenteil. Die Initiative beschränkt auf den Angriff und die Offensive zu betrachten ist einer der meiner Meinung nach wesentlichsten Fehler der aktuellen westlichen Streitkräfte.

Die Zielsetzung der Ukraine hätte daher sein müssen, auf der strategischen Ebene die Initiative in der Defensive zu erlangen.

Und zwar um das Abnutzungsverhältnis so weitgehend wie möglich zu den eigenen Gunsten zu drehen. Und nur dadurch wäre dann mit der Zeit eine eigene Offensive denkbar geworden. Aber erst mit der Zeit. Stattdessen hat man die eigenen Kräfte an vielen Stellen unnötig verschlissen um die aktuellen westlichen Vorstellungen von Initiative umzusetzen.

Wenn wir dieses Gedankenspiel weiterspielen, dann könnte ich mir sogar vorstellen, dass der Krieg tatsächlich endet. Denn eine solche Niederlage, ggf. inkl. der Einnahme von Luhansk, Donezk und der Krim, würde innenpolitisch in Russland zu einem Umsturz führen, zumindest würde die jetzige Führung es nicht überleben. D. h. die Russen wären erst einmal mit sich selbst beschäftigt (und die Ukraine stünden vor der Herkulesaufgabe, ein vom Krieg verwüstetes Gebiet wieder urbar zu machen).

Annahme: die Ukrainer nehmen zeitnah sowohl die Krim als auch die anderen besetzten Gebiete ein und halten an der Grenze zu Russland an. Es gibt hier nun genau drei Möglichkeiten: 1. die aktuelle Regierung Russlands kann sich halten, dann geht der Krieg weiter. Die Russen werden eben nicht aufhören, nur weil die Ukrainer jetzt an der Grenze stehen und ihre Truppen nicht mehr in der Ukraine selbst. 2. eine andere Regierung kommt an die Macht. Und hier kommt nun der Gedankenfehler im Westen, dass diese andere Regierung dann den Krieg in jedem Fall beenden würde. Das ist aber gar nicht so wahrscheinlich und es ist wahrscheinlicher, dass radikalere Elemente an die Macht kommen, welche den Krieg eskalieren. 3. eine neue Regierung ist erstmal mit internen Problemen beschäftigt und der Krieg muss daraufhin eingestellt werden - 3.1. in der Fortführung klärt die neue Regierung die internen Probleme und führt dann den Krieg weiter 3.2. der Krieg endet dauerhaft.

Wie man sieht enden 3 von 4 Varianten mit einer Fortführung des Krieges. Demzufolge liegt deine Chance auf Frieden gerade mal bei 25% - und dass ist aber in der praktischen Realität meiner Einschätzung nach nicht einmal der Fall. Die Chance auf Frieden ist bei einem solchen Vorgehen sogar noch geringer, weil das russische Volk die Erniedrigung / nationale Demütigung eines Sieges der Ukrainer nicht erträgt. Ein Folgekrieg wäre zwingend die Folge.

Deshalb ist die Rückeroberung aller Gebiete nicht die Chance auf Frieden. Sondern: die einzige Chance der Ukraine überhaupt ist es, die Russen in einem Ausmaß auszubluten und ihr Kriegsmaterial abzunutzen, dass der Krieg schlussendlich aus völliger Erschöpfung einschläft und dann auch länger nicht mehr aufgenommen werden kann. Dafür ist die Frage wer welchen Anteil der Ukraine hält irrelevant ! Es wäre sogar strategisch gesehen besser wenn die zerstören und verheerten Gebiete im Osten der Ukraine unter russischer Kontrolle bleiben, und die Aufbaukosten und ein dort inszenierter Guerillakrieg die Russen auch nach Kriegsende noch weiter schädigen.

Und dieses Ziel ist erreichbar wenn: Wenn man die Abnutzungsraten in einem bestimmten Verhältnis hält. Also muss alle Kriegsführung sich um dieses Verhältnis drehen und um nichts anderes. Und vor allem anderen nicht um die Frage wer gerade welches Dorf oder welche bedeutungslose Kleinstadt hält.

Zitat:die Ukraine stünden vor der Herkulesaufgabe, ein vom Krieg verwüstetes Gebiet wieder urbar zu machen

Was sie aufgrund der Kosten davon abhalten würde so massiv wie möglich aufzurüsten - weshalb Russland eine Chance in einem Folgekrieg sehen würde, weshalb es zu einem Folgekrieg käme und zwar schon in dem Moment in welchem Beitrittsverhandlungen geführt würden usw. Eine Wiedereroberung der besetzten Gebiet wäre daher für die Ukraine ironischerweise insgesamt und langfristig gesehen sogar nachteilig.

Zitat:Es gibt genügend Bsp. in der Historie, wo man eine Streitkraft, die im Grunde auf der "Siegerstraße" war, aus welchen Gründen auch immer, zurückgepfiffen hat. Und die Folge davon war fast immer, dass man danach mit schwerwiegenderen Folgen zu kämpfen hatte.

Was soll das den sein, die "Siegerstraße" ?! Das ist zunächst mal einfach nur ein Wort welches hier sinnfrei im Raum steht, für sich allein. Der Sieg ist das Erreichen eines bestimmten politisch-strategischen Zieles. Dieses kann auf ganz unterschiedliche Weisen erreicht werden.

In deinen Ausführungen hier zeigt sich stattdessen meiner Meinung nach klar und eindeutig die aktuelle westliche Auffassung von Sieg als einer Offensive, eines Angriffs, welcher die Besetzung von Terrain zur Folge hat. Wie ich es aber schon ausgeführt habe, würde dies in der Ukraine mit der höheren Wahrscheinlichkeit nicht zum Sieg führen. Denn der Sieg für die Ukraine wäre es, wenn der Krieg endet und Russland so weit dadurch geschwächt ist, dass die Russen im weiteren für viele Jahre mit internen Problemen beschäftigt sind und nicht in der Lage sind den Krieg fortzusetzen oder zeitnah einen Folgekrieg zu führen. Denn der Besitz irgendwelcher verheerter Provinzen nützt rein gar nichts, wenn der Krieg nicht endet oder ein Folgekrieg die Folge ist.

Du schreibst von Zurückpfeifen - und das zeigt klar das Bild einer vordringenden Armee welche dann anhalten muss. Und genau dass ist der Gedankenfehler in Bezug auf die Ukrainer. Im übrigen gibt es auch genügend Beispiele in der Geschichte wo sich Armeen im Angriff auf der "Siegerstraße" fühlten und dann primär dadurch schwerwiegende Folgen entstanden. Denn keineswegs bedeutet eine scheinbar erfolgreiche Offensive zwingend den Sieg.

Aber du redest hier von zwei Stoßrichtungen, zwischen denen man notfalls hin- und herspringen müsste, je nachdem wie sich das Szenario entwickelt. Aber es sind eben deren zwei, und nicht fünf oder sechs Richtungen, wie sie die Ukrainer versucht haben mit überschaubaren Kräften gegenüber einem zumindest tendenziell vorbereiteten Gegner abzubilden.

Man kann auch mehr als zwei Stoßrichtungen angehen, hängt von den Umständen, der exakten geographischen Lage, den möglichen strategischen Linien usw ab. Das Problem der Ukrainer war, dass sie im Süden gegen Tokmak vorgingen, um die südlichen Steitkräfte der Russen zu zerschneiden und um die Krim zurück zu erobern. Es wird ja immer etwas vergessen in diesem Kontext, dass man sowohl im Westen als auch in der Ukraine kurz vor Beginn der Offensive davon faselte, dass man jetzt mit der Offensive zeitnah die Krim einnehmen wird !

Der Fehler war also nicht, dass man an mehreren Stellen die Front abgetastet hat - sondern dass man sehr klar und eindeutig primär in Richtung Tokmak - Melitopol angegriffen hat und dies dann eben nicht sofort abgebrochen, sondern immer weiter versucht hat. Und immer weiter, selbst als jedem klar war, dass es falsch ist und nirgendwo hin führt.

So viel übrigens zu der ach so überlegenen westlichen Aufklärung und ach so überlegenen westlichen Strategie der Offensive.......Saluschnyj wusste es damals schon besser. Und andere auch. Man könnte übrigens in diesem Kontext rein theoretisch dem Westen dann auch unterstellen, dass er gar nicht wollte und gar nicht will, dass die Ukrainer eine erfolgreiche Offensive durchführen. Weil man keine Eskalation des Krieges will sondern die ursprüngliche Strategie die Ukrainer lediglich dafür zu benutzen die Russen so weit wie möglich auszubluten umsetzt. Aber ob wir überhaupt Fähig genug für eine solche Hinterlist sind bezweifle ich.

Schlussendlich wird man die Ukraine wie einen Haufen Müll wegwerfen, sobald sie ihre Schuldigkeit getan und Russland ausreichend geschwächt hat, gleich was dann der Stand in der Ukraine selbst ist. Und den Rest wird man dann hinter dem üblichen westlichen heuchlerischsten Geheuchel verbergen und die Schuld für ihr Versagen den Ukrainern anlasten, und zusätzlich die Russen überhöhen damit die Rüstungsindustrie schicke neue Aufträge kassieren kann.
Zitat: Der Fehler war also nicht, dass man an mehreren Stellen die Front abgetastet hat - sondern dass man sehr klar und eindeutig primär in Richtung Tokmak - Melitopol angegriffen hat und dies dann eben nicht sofort abgebrochen, sondern immer weiter versucht hat. Und immer weiter, selbst als jedem klar war, dass es falsch ist und nirgendwo hin führt.
Der Fehler war das man überhaupt angegriffen hat. Aus allen Ländern die ausgebildet haben kam die Warnung .
Die politische Führung der. Ukraine hat die Offensive. Durchgesetzt auch gegen die Warnung der eigenen militärischen Führung .
Der größte Teil der eingesetzten Soldaten hatte keine Erfahrungen und war mit der Ausrüstung nicht hinreichend vertraut . Die Offensive wäre auch an einer anderen Stelle gescheitert.
(11.02.2024, 08:17)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Schlussendlich wird man die Ukraine wie einen Haufen Müll wegwerfen, sobald sie ihre Schuldigkeit getan und Russland ausreichend geschwächt hat, gleich was dann der Stand in der Ukraine selbst ist. Und den Rest wird man dann hinter dem üblichen westlichen heuchlerischsten Geheuchel verbergen und die Schuld für ihr Versagen den Ukrainern anlasten, und zusätzlich die Russen überhöhen damit die Rüstungsindustrie schicke neue Aufträge kassieren kann.

Also die russ. Armee war vor dem Krieg scheinbar komplett dysfunktional. Die russ. Wirtschaft zumindest teilweise vom Westen abhängig. Hat man Rußland also wirklich geschwächt sollte es den Krieg jetzt gewinnen weil der Westen die Ukraine fallen lässt?
Man muss halt immer festhalten dass gerade die Armee bis zum Ende halt sowjetisch geprägt war, daher borderline dysfunctional, trotz Schnellbesohlung kurz vor und während der Invasion. Wer in der Ukraine kann halt eine großangelegte Großoffensive planen wenn man sich bisher selbst nur mit dem Abwehrkampf beschäftigt hat - und Meinungen der NATO als Besserwissertum aus dem Elfenbeinturm abgetan hat - und hier natürlich sofort auch gleich auf Zustimmung gestoßen ist.
alphall31:

Zitat:Der Fehler war das man überhaupt angegriffen hat

Das sehe ich nicht so. Hätte man an einer anderen Stelle angegriffen - und mit einer anderen Zielsetzung, hätte man durchaus erhebliche Erfolge erzielen können. Vor allem auch die Zielsetzung war ein Fehler dahingehend, dass man auf die Rückeroberung von besetztem Gebiet hinaus wollte. Das Ziel der Offensive war den Süden und die Krim zurück zu erobern. Stattdessen müsste jede ukrainische Offensive das Ziel haben russische Einheiten nachhaltig auszuschalten oder zumindest so weitgehend wie möglich zu schädigen. Das Terrain zu besitzen und besetzt zu halten ist demgegenüber irrelevant, ad extremum könnte man es sogar wieder räumen und russische Gegenangriffe in der Verzögerung abnutzen / aus der Nachhand zu schlagen. Man hat diese falsche Zielsetzung selbst beim sehr erfolgreichen Vorgehen im Norden bei Charkiw gesehen wo man trotz der Auflösung der russischen Einheiten dort vor allem darauf geachtet hat Gelände zu besetzen statt feindliche Einheiten einzukesseln, Kriegsgefangene zu machen und russische Verbände nachhaltig dadurch auszuschalten. Stattdessen jubelte man darüber jede Menge Gelände eingenommen zu haben (als Selbstzweck / als Ziel für sich allein). Die Russen ließen jede Menge Material zurück, aber viel zu viele russische Soldaten konnten sich absetzen weil ihre Ausschaltung nicht im Fokus der Ukrainer war.

Offensiven ja, aber nicht um Gelände zu kontrollieren. Sondern um das Abnutzungsverhältnis zugunsten der Ukraine zu gestalten. Und weil der Besitz des Terrain nur in Bezug auf diese Zielsetzung relevant ist, Terrain zu besetzen also nur dann Sinn macht wenn der Besitz militärisch günstiger ist weil er das Abnutzungsverhältnis verbessert, dann muss man anders vorgehen.

Nun wurde mir diesbezüglich schon oft erwiedert, die Offensive im Süden hätte ja auch dieses Ziel gehabt - den Süden in zwei Teile zu zerschneiden, damit die Russen auf der Krim einzukesseln und die russischen Teile welche westlich des Durchbruches stehen abzuschneiden usw. Entsprach daher die Offensive im Süden nicht genau der von mir beschriebenen Zielsetzung ?! Bedingt ja, aber das war nur ein Sekundäres Ziel. Primär wollte man Gelände zurück erobern und vor allem anderen die Krim. UND: jede Offensive muss sich natürlich an den realen Möglichkeiten orientieren. Wenn der Feind bei Tokmak viel zu stark ist, genau dort seine Stärke ist, dann nützt es rein gar nichts, dass man mit einem Durchbruch dort theoretisch russische Einheiten hätte abschneiden können denn das ist dann reine Theorie. Man setzt also seine Stärke gegen die feindliche Stärke und exakt darin liegt das primäre Problem hier.

Beschließend und noch darüber hinaus sollte die Offensive im Süden der ganz große Wurf werden. Und gerade deutsche Soldaten, die Bundeswehr und ihrer Vorgänger waren und sind immer anfällig für "die Entscheidungsschlacht". Demgegenüber vernachlässig man aber das Kleinvieh, das in großer Anzahl kulminiert jede Menge Mist produziert. Wenn der große Wurf nicht möglich ist - und vor allem auch nicht zwingend notwendig ist, sollte man meist besser nach dem Ikea Prinzip verfahren und jede noch so kleine Kleinigkeit abschöpfen statt auf den einen großen Meisterstreich zu setzen.


lime:

Zitat:Hat man Rußland also wirklich geschwächt sollte es den Krieg jetzt gewinnen weil der Westen die Ukraine fallen lässt?

Ja, massiv. Russland wird etliche Jahre brauchen um auch nur vom Material her ansatzweise auf Vorkriegsverhältnisse zu kommen und das selbst einer erheblichen nationalen Anstrengung. Und die Verluste an Offizieren, Soldaten usw. sind so immens, dass sie für längere Zeiträume kaum kompensierbar sind. Im weiteren meinte ich nicht, dass Russland den Krieg gewinnt. Die Zielsetzung des Westens ist im Endeffekt eine Art Unentschieden, und die Aufrechterhaltung des Problems Ukraine für die Russen. Der angestrebte Idealzustand daher ein Einschlafen des Krieges weil beide Seiten völlig ausgeblutet sind was das Material und die Leute angeht. Damit sitzt Russland dann auch nach "Kriegsende" weiter in der Ukraine fest. Das ist die Idee hierbei. Und je länger diese Strategie andauert, desto mehr ist Russland dadurch geschwächt.

Und selbst wenn Russland noch weite Teile der Ukraine einnehmen sollte, hat es dann eine feindliche Zivilbevölkerung, einen Guerillakrieg, eine völlige zerstörte Landschaft und immense Wideraufbaukosten zu tragen. Eine Eroberung der Ukraine wäre für Russland auf lange Zeiträume hinaus eine einzige blutende Wunde und keine Stärkung Russlands und würde es zudem erforderlich machen die militärischen Kapazitäten dort mehrere Dekaden lang zur Unterdrückung der Bevölkerung einzusetzen. Und weil dies so überaus nützlich für den Westen wäre, genau deshalb wird der Westen die Ukraine am Ende fallen lassen und verraten. Natürlich mit aller gebotenen geheuchelten Empörung und heuchlerischster Scheinsolidarität mit den Ukrainern usw.
(12.02.2024, 10:19)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Man hat diese falsche Zielsetzung selbst beim sehr erfolgreichen Vorgehen im Norden bei Charkiw gesehen wo man trotz der Auflösung der russischen Einheiten dort vor allem darauf geachtet hat Gelände zu besetzen statt feindliche Einheiten einzukesseln, Kriegsgefangene zu machen und russische Verbände nachhaltig dadurch auszuschalten. Stattdessen jubelte man darüber jede Menge Gelände eingenommen zu haben (als Selbstzweck / als Ziel für sich allein). Die Russen ließen jede Menge Material zurück, aber viel zu viele russische Soldaten konnten sich absetzen weil ihre Ausschaltung nicht im Fokus der Ukrainer war.

Es war eben ein Fehler zu glauben man kann eine Offensive dieser Art nochmal so führen kann. Am Ende war eine große Portion Glück dabei dass die Sicherungsverbände die Rußland dort eingesetzt hat weder Moral noch Kampfkraft hatten. Durch ihre ungeordnete Flucht wurde ein Dominoeffekt ausgelöst. Erst nach dieser Offensive hat man in der russischen Armee mental auf Krieg umgeschaltet. Vorher war man einfach nicht davon ausgegangen dass die Ukraine eine Gegenoffensive starten würde.