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Normale Version: Russland vs. Ukraine
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Und sie greifen weiter an und sie greifen noch mehr an als vorher. Unbegreiflich und Absurd. Als eine Art Zusammenfassung, denn es wäre müssig über all die vielen ständig scheiternden Sturmversuche im Detail zu schreiben:

https://defence-blog.com/russia-steps-up...n-ukraine/

Zitat:Russia has significantly increased its offensive activities across various fronts

Analysts from the DeepState community report a challenging period for Ukrainian military forces in the latter half of January, as Russian forces intensified their efforts on multiple fronts.

Over the past four weeks, Russian troops have amassed considerable forces, aiming to transform this buildup into territorial gains. According to DeepState analysts, the current success of Russian operations is attributed more to repeated mistakes on the Ukrainian side rather than brilliant strategic decisions by the Russian forces.

Data from the Ukrainian General Staff reveals a 27% increase in Russian shelling along the front lines. This rise in intensity is further supported by data from the last five days.

Wobei ich selbst rein persönlich weniger von ukrainischen Fehlern sprechen würde, sondern von einer zunehmenden totalen Erschöpfung der Ukrainer. Man muss sich das halt mal auch wirklich richtig visualisieren: du kannst nicht schlafen weil 24 Stunden am Tag die Artillerie rein hagelt, eine Welle nach der andern stürmt gegen deine Stellungen und gleichgültig was für Erfolge du hast und wieviele brennende russische Panzerwracks sich vor deinem Graben stapeln, die Angriffe werden ständig noch heftiger und noch massiver und erfolgen in immer noch kürzeren Abständen.

Das hält niemand aus mit der Zeit. Man bricht dann einfach aus Überforderunge und Überanstrengung zusammen.

Zitat:The situation is particularly critical in the southern sector near Avdiivka, where the most intense battles are currently taking place.

Ein Musterbeispiel dafür: Gegen einen Feind der bereit ist derart bizarre Verluste hinzunehmen nur um einen Schlackenhügel und ein paar zertrümmerte Häuser einzunehmen, kann man diese natürlich nicht auf Dauer halten. Und es macht auch gar keinen Sinn dies weiter zu tun.

Zitat:“These data indicate a consistent escalation in the intensity of Russian offensive actions across the entire front over the past two weeks. The freezing of the ground is a key factor contributing to Russia’s activity, allowing better mobility for armored vehicles,” stated the report.

Notably, Ukrainian forces currently face a shortage of ammunition of various calibers, despite earlier promises of support from international partners. Neither the United States nor Europe has fully delivered on the pledged ammunition supplies to Ukraine. In contrast, Russia has secured millions of projectiles from North Korea and Iran, further exacerbating the challenges for Ukrainian forces.

Hab auf einer tschechischen Seite ein Interview eines hochrangigen tschechischen Offiziers gelesen, der in der Ukraine mit Soldaten von der Front frei reden konnte. Sein Fazit war, dass sich die einfachen Ukrainer welche an der Front stehen vom Westen zunehmend regelrecht verraten fühlen. Dass sie es sich vorher nicht vorstellen konnten, dass die Russen - die man doch zu kennen glaubte - derart agieren können. Dass der Feind teilweise so agiert als hätte er den Verstand verloren. Und dass man sich zunehmend mit diesem Feind völlig überfordert fühlt und nicht nachvollziehen kann, wie die Russen überhaupt weiter kämpfen können.

Und auch aus der Ferne kann ich nur das gleiche sagen: es ist unverständlich wie die russische Armee jetzt ihre Offensivbemühungen sogar noch steigert, während ihre Verluste jenseits von Gut und Böse sind. Allein dass die Soldaten nicht rebellieren ist inzwischen nicht mehr verständlich und dies selbst wenn man annimmt dass die Mehrzahl der Russen einfach völlig abgestumpfte lebensmüde Vollalkoholiker sind.

Hab wieder Bilder und Filme von toten Russen gesehen, die in Sommeruniformen herum springen. Wie im letzten Winter auch schon. Und die Sommeruniformen anscheinend mit Gras und Plastiktüten ausstopfen als Isolation gegen die Kälte. Eine russische Armee also, die nicht einmal richtig auf den Winterkrieg vorbereitet ist, aber im Winter jetzt weiter überall angreift, obwohl die russischen Verluste immer noch weiter ansteigen.

Wenn das so weiter geht, und wir den Ukrainern endlich zumindest die zugesagten Mengen liefern würden, kann ich mir nicht vorstellen, dass die Russen dies länger als noch ein Jahr durchhalten können, ohne Umstellung auf eine totale Kriegswirtschaft und die vollständige Mobilisierung und beides halte ich aus innenpolitischen Gründen nicht für machbar.

Die Frage bleibt, ob die Ukrainer mit der dermaßen mangelhaften Unterstützung dies weiter so durchbeißen können. Denn die ukrainischen Soldaten verzweifeln zunehmend angesichts ihrer Verbündeten wie auch dieses Feindes.
(21.01.2024, 22:36)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Und sie greifen weiter an und sie greifen noch mehr an als vorher. Unbegreiflich und Absurd. Als eine Art Zusammenfassung, denn es wäre müssig über all die vielen ständig scheiternden Sturmversuche im Detail zu schreiben:

https://defence-blog.com/russia-steps-up...n-ukraine/


Wobei ich selbst rein persönlich weniger von ukrainischen Fehlern sprechen würde, sondern von einer zunehmenden totalen Erschöpfung der Ukrainer. Man muss sich das halt mal auch wirklich richtig visualisieren: du kannst nicht schlafen weil 24 Stunden am Tag die Artillerie rein hagelt, eine Welle nach der andern stürmt gegen deine Stellungen und gleichgültig was für Erfolge du hast und wieviele brennende russische Panzerwracks sich vor deinem Graben stapeln, die Angriffe werden ständig noch heftiger und noch massiver und erfolgen in immer noch kürzeren Abständen.

Das hält niemand aus mit der Zeit. Man bricht dann einfach aus Überforderunge und Überanstrengung zusammen.


Ein Musterbeispiel dafür: Gegen einen Feind der bereit ist derart bizarre Verluste hinzunehmen nur um einen Schlackenhügel und ein paar zertrümmerte Häuser einzunehmen, kann man diese natürlich nicht auf Dauer halten. Und es macht auch gar keinen Sinn dies weiter zu tun.


Hab auf einer tschechischen Seite ein Interview eines hochrangigen tschechischen Offiziers gelesen, der in der Ukraine mit Soldaten von der Front frei reden konnte. Sein Fazit war, dass sich die einfachen Ukrainer welche an der Front stehen vom Westen zunehmend regelrecht verraten fühlen. Dass sie es sich vorher nicht vorstellen konnten, dass die Russen - die man doch zu kennen glaubte - derart agieren können. Dass der Feind teilweise so agiert als hätte er den Verstand verloren. Und dass man sich zunehmend mit diesem Feind völlig überfordert fühlt und nicht nachvollziehen kann, wie die Russen überhaupt weiter kämpfen können.

Und auch aus der Ferne kann ich nur das gleiche sagen: es ist unverständlich wie die russische Armee jetzt ihre Offensivbemühungen sogar noch steigert, während ihre Verluste jenseits von Gut und Böse sind. Allein dass die Soldaten nicht rebellieren ist inzwischen nicht mehr verständlich und dies selbst wenn man annimmt dass die Mehrzahl der Russen einfach völlig abgestumpfte lebensmüde Vollalkoholiker sind.

Ich verstehe absolut nicht wie man sich darüber wundern kann. All das war doch abzusehen und entspricht auch völlig der dort vorherrschenden Mentalität. Und wenn sie auf komplette Kriegswirtschaft umschalten müssten werden sie es im Endeffekt auch tun. Die russ. Regierung und auch die große Mehrheit der Russen hat den Sieg dort schon eingepreist und wird zur Not auch Jahre dafür investieren oder eher opfern. Und wenn der Westen nicht bald genug Material und vor allem Munition herstellt, dann werden sie wohl damit auch erfolgreich sein.
Ich kenne die Mentalität in Russland, und insbesondere in ländlichen und sehr weit östlich gelegenen Gegenden, weil diese der Träger dieser Verbissenheit im Kampf sind - und es liegen Welten zwischen den urbanen Russen in Peter und in Moskau und allem was hinter dem Ural liegt (wortwörtlich wie übertragen).

Mentalität hin oder her - das trägt nicht nach Belieben. Und die russische Regierung kann auch nicht nach Belieben militärische Leistung aus den einfachen ländlichen Russen heraus pressen, denn das was sie jetzt schon einfordert und erhält hat völlig den Boden der Normalität verlassen. Das sieht man sowohl an den vielen Selbstmorden von verwundeten Russsen mitten auf dem Schlachtfeld als auch den vielen Kamikaze Angriffen. Das ist bereits das absolute Maximum des herausholbaren und man muss es mal offen sagen: keine westliche Armee wäre unter solchen Bedingungen auch nur kampffähig, geschweige denn könnte sie immer noch weiter kämpfen.

Auch wenn die Russen anscheinend noch sehr viel mehr aushalten, als man ihnen vorher schon zugetraut hat was die Leidensfähigkeit angeht, so gibt es auch für sie Grenzen. Und meiner rein privaten Meinung nach werden die so richtig extrem und gefährlich, wenn man diese Grenzen überschreitet. Die kauern einfach stumpf fatalistisch vor sich hin, und nehmen scheinbar alles hin - aber überschreitet man die Grenze, dann explodiert alles auf der Stelle. Das Gewaltpotential dass da schlummert, zuzüglich des Umstandes dass die einfachen armen Russen im Prinzip überhaupt rein gar nichts zu verlieren haben (vor allem materiell) und der lebensverachtende Nihilismus und die extremste Gewaltbereitschaft könnten sich auch ganz leicht gegen die eigene Regierung richten, sollte diese aus russischer Sicht "versagen". Und darunter verstehen die was anderes als wir, dass ist klar, aber dennoch gibt es diese Grenze und hinter dieser wird es erst so richtig radikal.

Deinem letzten Satz kann ich jedoch zustimmen: wenn der Westen nicht endlich anfängt die Ukraine richtig zu unterstützen, könnte dieser Krieg sogar noch mit einem russischen Sieg enden.
Erstaunlicher ist vor allem das ein großer Teil sich freiwillig gemeldet hat von den Verpflichtungen im letzten Jahr
Und selbst wenn dieser Anteil an Freiwilligen viel niederiger sein sollte als offiziell angegeben, wären es immer noch verblüffend viele Freiwillige. Spezifisch in Bezug auf Ostsibirien kann ich aus direkten Kontakten dorthin sagen, dass für diejenigen welche ich persönlich kenne primär das Geld der Grund dafür ist. Und dabei insbesondere auch die Geldzahlungen und sonstigen Vorteile welche Hinterbliebene erhalten. Die gehen durchaus davon aus, dass sie dabei sterben werden, aber anscheinend ist ihr normales Leben im Dreck, Dauersuff und Elend so untragbar, dass der Tod in den Gräben ihnen gleichgültig ist.
(22.01.2024, 08:46)lime schrieb: [ -> ]Ich verstehe absolut nicht wie man sich darüber wundern kann. All das war doch abzusehen und entspricht auch völlig der dort vorherrschenden Mentalität. Und wenn sie auf komplette Kriegswirtschaft umschalten müssten werden sie es im Endeffekt auch tun. Die russ. Regierung und auch die große Mehrheit der Russen hat den Sieg dort schon eingepreist und wird zur Not auch Jahre dafür investieren oder eher opfern. Und wenn der Westen nicht bald genug Material und vor allem Munition herstellt, dann werden sie wohl damit auch erfolgreich sein.

Ich muss sagen, ich finde es schon sehr erstaunlich, vor allem aus zweierlei Gründen:
Erstens war ein wesentlicher Vorteil von autoritären Staaten in der Geschichte zumeist, dass sie die Informationen, die an die Bevölkerung weitergegeben werden, steuern konnten. Das kann Russland heutzutage zwar -was Presse und TV betrifft- immernoch, aber heutzutage kann sich jeder Russe, welcher ein Smartphone mit Internetzugang besitzt und sich ein wenig mit dem Thema befasst jederzeit vor Augen führen, was ihn in der Ukraine erwartet.
Natürlich gibt es auch eine Zensur im Internet, aber genauso wie wir uns pro-russische Propaganda, Videos und Bilder von der misslungenen Gegenoffensive anschauen konnten, genauso können sich die Russen anschauen was momentan in Avdiivka, und Krynky los ist, wenn sie sich etwas mit dem Thema befassen.
Früher sind die Soldaten ja oft voller Übermut und Abenteuerlust in den Krieg gezogen und sind dann erst mit der harten Realität konfrontiert worden, wenn sie zum ersten Mal das Schlachtfeld betreten haben. Berichte über das Grauen des Krieges konnte man getrost nach dem Motto "so schlimm wird es nicht sein" außer acht lassen.
Bilder und Videos von FPV Drohnen, die deinen Körper jederzeit in Stücke reißen können; Soldaten, die sich mit Handgranaten umbringen bevor die Drohne ihre tödliche Last abwirft; Sperrtruppen, die dich bei Befehlsverweigerung direkt hinrichten; SPZ die in dritter Reihe auf den gleichen Minengürtel fahren wie die 2 vorherigen Wellen, aus welchen dann die brennenden Soldaten "aussteigen" oder MBTs, die in absoluter Panik ihre eigenen Kameraden überfahren sollten doch aber eigentlich schwer zu ignorieren sein und eine abschreckende Wirkung besitzen. Dazu noch die Verwundeten, die einfach sich selbst überlassen und ohne jeden Evakuierungsversuch zurückgelassen werden (Allesamt Uploads der letzten paar Monate, muss man sich aber nicht unbedingt anschauen).
Aber wie Quintus angeführt hat, scheint Sie das tatsächlich nicht zu interessieren.
Das es für die ukrainischen Soldaten an der Front nicht viel rosiger aussieht, ist mir durchaus bewusst. Aber während diese sich jederzeit vor Augen führen können, Heimat / Familie / Freunde zu verteidigen und vor russischen Übergriffen zu schützen...Und damit kommen wir zum zweiten Punkt:

Zweitens ist es m.M.n. umso erstaunlicher, wenn man sich den Antrieb / die Moral der Truppe vor Augen führt. Diese war ja von Anfang an nicht besonders hoch anzusiedeln, und genügend interviewte russische Soldaten gaben an, dass Sie zu Beginn einfach nur hoffen, dass es bald vorbei ist und sie schnellstmöglich wieder heimkehren. Wenn man sich verschiedene übersetzte Telefonmitschnitte zu Beginn des Krieges durchliest, bekommt man schnell einen Eindruck davon, dass eigentlich kaum ein Soldat wirklich wusste was sie in der Ukraine wollten. Noch dazu beim "Brudervolk", mit welchem viele grenzübergreifende Verwandtschaftsverhältnisse bestehen.
Klar, wäre die ganze Aktion abgelaufen wie bei der Krim 2014, und die Russen wären als strahlende Helden ohne große Verluste nach kurzer Zeit heimgekehrt, hätte sich wohl keiner beschwert. Aber dieser mangelnde Antrieb zu Beginn des Krieges kann sich doch eigentlich unmöglich im Laufe der Zeit bei diesen immensen Verlusten verbessern - hat er sich aber scheinbar bis zu einem gewissen Grad.
Gut, im laufe des Krieges bilden sich dann gute Argumente, um weiterzumachen. Sei es, weil der beste Freund und Kamerad getötet wurde, der eigene Stolz einen gehörigen Knacks erlitten hat (weil der "kleine Bruder" einfach nicht einknicken möchte) oder eine persönliche Verwundung gerächt werden will. Oder auch Angriffe auf russisches Gebiet in verdrehter Weise als Rechtfertigung für die eigenen Angriffsbemühungen herangezogen werden.

Aber trotzdem, und trotz der hohen Leidensfähigkeit, die man der russischen Bevölkerung ja generell schon zuschreibt:
Freiwillig in dieses Massaker einzusteigen, ist aus meiner Perspektive Wahnsinn.

Das erklärt ja gewissermaßen auch auf die Fehleinschätzung ab, die Saluschnyj zuletzt "zugegeben" hatte:
Zitat:Der ukrainische Armeechef Walerij Saluschnyj bemerkte zuletzt bitter: Jedes andere Land hätte nach den Verlusten dieses Sommers den Krieg beendet. Nicht Russland.
https://www.tagesspiegel.de/internationa...52669.html

Grundsätzlich stimme ich aber mit der hier vorherrschenden Meinung überein: Wenn nicht bald etwas passiert die militärische Unterstützung der Ukraine betreffend, dann wird das richtig kritisch. Allein durch die personelle Übermacht Russland könnte sich "Stumpf ist Trumpf" im Endeffekt für Putin noch auszahlen, mit fatalen Folgen für die Ukraine. Denn der angestaute Hass dürfte mittlerweile auf beiden Seiten ins Unermessliche gehen.

Abschließend noch ein erst kürzlich erschienener Artikel zu dem Thema, wobei man eigentlich wohl ein "Vorsicht - kann (und wird) ukrainische Propaganda enthalten" beifügen sollte. Denn wenn solche Geschichten durch ukrainische Offizielle verbreitet werden, ist das wohl weitab der Objektivität. Dennoch - vielleicht ist ein Funke Wahrheit enthalten (Vorstellbar wäre es, ich hätte als gut ausgebildeter Soldat auch keine Lust, sinnlos abgeschlachtet zu werden):
Zitat:Russian marines and paratroopers are refusing to launch certain types of assaults due to concerns over the huge losses other troops are suffering, a Ukrainian official said, the Kyiv Post reported.
(...)
Nataliya Humenyuk, a press secretary for the Armed Forces of Ukraine's Joint Command South, said that the soldiers considered "themselves 'elite troops'" and did not "want to go into frontal assaults" that former felons and reservists typically carry out, the outlet reported.
https://www.businessinsider.com/russia-e...cks-2024-1
Zitat:der angestaute Hass dürfte mittlerweile auf beiden Seiten ins Unermessliche gehen

Das ist der nächste Punkt der erstaunlich ist: auf ukrainischer Seite ja, da geht der angestaute Hass inzwischen ins Unermessliche. Und der Hass auf die Russen und was diese getan haben und immer noch tun ist der primäre Grund warum die Ukrainer das überhaupt noch aushalten. Man kämpft auf ukrainischer Seite also primär aus Hass auf die Russen.

Umgekehrt aber ist auf russischer Seite trotz aller Propaganda von Ukronazis usw. kaum Hass dabei. Und dass ist das meiner Meinung nach am meisten von jeder normalen Armee abweichende. Die hassen auch jetzt nach all den vielen Verlusten die Ukrainer mehrheitlich nicht. Warum die also überhaupt kämpfen ist aus unserer Logik nicht so wirklich zu verstehen. Ein vorherrschendes Motiv ist extremer Fatalismus und eine für uns nicht fassbare Gleichgültigkeit gegenüber dem eigenen Leben wie auch dem Leben aller anderen. Ich hab ja Bekannte von mir gefragt, die in die Mongolei geflohen sind. Die hatten drei Söhne, zwei davon sind in der Ukraine umgekommen, der dritte ist nun mit seinen Eltern in der Mongolei. Als Grund warum sie geflohen sind geben sie an, dass der dritte Sohn leben muss, weil er ja seine Eltern versorgen muss wenn diese alt sind und sie vermutlich wegen des Krieges keine ausreichende Rente mehr kriegen werden. Und der russische Staat habe sie betrogen und bezahle die Hinterbliebenenrente nicht für die toten Söhne. Nichts da mit Liebe usw. sondern wer soll sich denn um sie kümmern wenn sie alt und krank sind und wer soll das Geld verdienen etc. Und in Bezug auf den Tod von zwei ihrer Kinder geben sie an, Zitat: das sei halt schon immer so gewesen. Wenn Krieg sei müssten die Söhne halt sterben um den Feind zu besiegen. Auf die Frage ob sie die Ukrainer hassen sagten sie, die Ukrainer könnten nichts dafür. Sie seien genau so Opfer des Westens wie die Russen und genau genommen sei das ja ein von den Juden und von Schwulen inszenierter Bürgerkrieg wo eigentlich Russen gegen Russen kämpfen. In Bezug auf letztgenanntes greift natürlich nun die Propaganda, aber solche Ansichten waren und sind in Russland auch unabhängig von jeder Propaganda und schon seit langer Zeit verbreitet gewesen. Man glaubt in weiten Teilen beispielsweise nicht, dass die Ukrainer tatsächlich Nazis sind oder von solchen gelenkt werden, wie es die offizielle Propaganda will, aber man glaubt dass die Juden und Schwule hinter allem stecken.

Wen die nun tatsächlich hassen, und zwar massivst hassen, ist der Westen, dass sind wir. Die Ukrainer werden nicht gehasst, aber Deutschland und die USA werden gehasst in einem Ausmaß das man hierzulande noch nicht umrissen hat. Und das ist erst während des Krieges so richtig hochgekocht. Die Ukrainer gibt es ja nach Ansicht vieler Russen gar nicht, dass sind also Russen die der perverse Westen gegen die eigenen Leute gehetzt hat, und die man deshalb von den Schwulen und Juden befreien muss die sie manipulieren.

Wer denkt das sei absurd, der sollte sich mal vor Augen halten, dass beispielsweise die Entdeckung von Gender-Neutralen Klos in ukrainischen Schulen in den russischen Hauptnachrichtensendungen tagelang ein Thema war. Jetzt wisse man endlich wofür man kämpfe ! Und nein, das ist keine Satire. Und die einfachen Russen vom Land vor allem östlich des Ural schütteln sich vor Grauen und Hass darüber was der Westen den Ukrainern da angetan hat .......

Ein Grund ist meiner Meinung nach, dass die Russen nicht glauben können, dass die Ukrainer selbst sich so gut schlagen. Die Russen belügen sich selbst darüber wie stark sie sind und glauben fest daran, dass sie eine militärische Supermacht sind. Die Niederlagen in der Ukraine können daher nicht von den Ukrainern her rühren, denn diese sind aus russischer Sicht immer schwach gewesen und werden es immer sein. Demzufolge muß der Westen der Grund sein warum man verliert.

Das führt so weit, dass die russische Bevölkerung in weiten Kreisen die Theorie vertritt, dass die westlichen Waffenlieferungen und die westliche Waffenhilfe sehr viel größer sind als selbst die eigene Regierung es behauptet. Das man in der Ukraine bereits aktiv NATO Truppen gegenüber steht. Und dass die eigene Regierung nur deshalb die westliche Hilfe so herunter spielt (!), weil man die Eskalation zum Nuklearkrieg verhindern will.

Und dann springen zunehmend Russen herum, die ernsthaft den Atomkrieg verlangen und sagen, auf diese unerträgliche Aggression des Westens müsse endlich mit Atomwaffen reagiert werden.

Das gleitet zunehmend dort alles ab. Aber um das nochmal zu betonen: da klaffen Welten zwischen den Großstädten im Westen Russlands und ländlichen Gegenden fern von Moskau.

Zusammenfassend: aus russischer Sicht ist der Westen an allem Schuld. Der Westen hat die Niederlagen der Russen in der Ukraine verursacht. Der Westen will Russland zerstören, dass russische Volk vernichten und die russischen Kinder zu Schwulen machen um die russische Kultur für immer zu vernichten. Der Westen ist DER Feind.

Man kämpft also in der Ukraine nicht gegen die Ukrainer - und deshalb hasst man die Ukrainer auch nicht - sondern man kämpft dort gegen den Westen der einen vernichten will. Die Ukrainer hingegen sind genau so Opfer des Westens wie die Russen auch.

Und es greift eben zu kurz, dass einfach auf die Propaganda zu schieben. Das sind viel tiefer sitzende Ängste und Unsicherheiten und das ist eine Grundüberzeugung die nicht von Putin geschaffen wurde, sondern welche er lediglich ausnützt, die aber schon unabhängig von ihm immer da war und ist.

Sehr viele Russen haben das Gefühl in einer Art belagerten Burg zu sitzen, während draußen DER Feind (der Westen) alles daran setzt Russland zu vernichten und für immer zu zerstören. Das ist das Bild welches sie haben und welches sie tatsächlich dazu bringt weiter zu machen.

Und dazu natürlich noch der übliche extreme Fatalismus, die absolut gleichgültige Melancholie und der Extrem-Alkoholismus und die Trostlosigkeit und Gewaltkultur schon im Zivilleben und in den Familien.
Da frag ich mich woher die Annahme kommt das man bei der Ressource Mensch irgend eine change hätte gegen Russland . Und da sind wir bei der Bw nicht mal schlecht dran obwohl das seit Jahren kontinuierlich bergab geht . Wenn man sehen will wo es hinführt, brauch man bloß mal übern großen Teich schauen.
@Quintus

Erst einmal danke für diese Erläuterungen.

Aber manche Dinge bekomme ich nicht unter einen Hut:
Zitat:Umgekehrt aber ist auf russischer Seite trotz aller Propaganda von Ukronazis usw. kaum Hass dabei.
Dann erschließt sich mir aber nicht ganz, wieso es diese Gräuel und Exzesse gab, gerade im ersten Kriegsjahr. Gerade die willkürlichen Morde an Zivilisten und auch die Verschleppungen aus den besetzten Gebieten, die Verwüstungen, die an den Dreißigjährigen Krieg erinnern, können doch eigentlich ohne Hass und Verachtung nicht stattfinden. Dererlei Exzesse haben meistens relativ klar eingrenzbare Ursachen - Hass, Angst, Frustration oder/und Propaganda (die Entmenschlichung des Gegenübers).
Zitat:Die Ukrainer gibt es ja nach Ansicht vieler Russen gar nicht, dass sind also Russen die der perverse Westen gegen die eigenen Leute gehetzt hat, und die man deshalb von den Schwulen und Juden befreien muss die sie manipulieren.

Wer denkt das sei absurd, der sollte sich mal vor Augen halten, dass beispielsweise die Entdeckung von Gender-Neutralen Klos in ukrainischen Schulen in den russischen Hauptnachrichtensendungen tagelang ein Thema war. Jetzt wisse man endlich wofür man kämpfe ! Und nein, das ist keine Satire.
Das ist dennoch ein zumindest halber Scherz, oder? Also dass das Thema Homosexualität in Osteuropa anders und teils intoleranter gesehen wird als in San Francisco - da sind wir uns einig. Aber ich führe keinen Krieg mit hunderttausenden Opfern, nur weil ich mich ärgere über eine genderneutrale Toilette. Weil wenn dies wirklich der Fall wäre, dann müsste ich mir eingestehen, dass sich diese "Logik" meinem Verständnis völlig entzieht. Das wäre rein rational betrachtet schlichtweg unlogisch, es gibt keinen Sinn, egal von welcher Warte man es aus betrachtet.

Und da denke ich eben, ist die russische Führung - egal wie kleptokratisch und banditenhaft sie sich verhält - wiederum viel zu kalt und skrupellos kalkulierend, als dass sie sich auf einen solchen Mumpitz stützen würde. D. h. nun nicht, dass sie die Propagandasuppe dahingehend nicht bedient (das tut sie sicherlich gerne und sehr berechnend), aber selbst daran "glauben" aus innerer Überzeugung, nun, das halte ich für eher unwahrscheinlich.

Schneemann
alphall31:

Wenn es nur um die Ressource Mensch im Krieg ginge, würde Russland uns in den Atlantik werfen. Gerade die einfachen russischen Soldaten, der Wille und die Leidensfähigkeit der russischen Bevölkerung und auch die Gewaltbereitschaft von Führung wie Bevölkerung wären von uns in unserer aktuellen Verfassung nicht schlagbar. Aber moderne Kriege werden nicht mehr durch das Einsetzen von Blut und die Befähigung zum Barbarentum entschieden. Entsprechend ist umgekehrt die Schlußfolgerung daraus, dass der Krieg in der Ukraine kein moderner Krieg ist.


Schneemann:

Zitat:Dann erschließt sich mir aber nicht ganz, wieso es diese Gräuel und Exzesse gab, gerade im ersten Kriegsjahr. Gerade die willkürlichen Morde an Zivilisten und auch die Verschleppungen aus den besetzten Gebieten, die Verwüstungen, die an den Dreißigjährigen Krieg erinnern, können doch eigentlich ohne Hass und Verachtung nicht stattfinden. Dererlei Exzesse haben meistens relativ klar eingrenzbare Ursachen - Hass, Angst, Frustration oder/und Propaganda (die Entmenschlichung des Gegenübers).

Das ist hier anders, bzw. komplexer. Zum einen sind viele Russen Barbaren im klassischen Sinne, entsprechend sind Irrationalismus und Willkür hier wesentliche Motive. Es gab ja nicht nur wilkürliche (!) Morde an Zivilisten, sondern die exakt gleichen Mörder haben einfach beim nächsten Dorf sich ganz normal benommen und friedlich um Essen gebettelt um am nächsten Tag an anderer Stelle Mädchen zu vergewaltigen um dem folgend zu plündern.

Da gibt es keine rote Linie, keine Tendenz, dass ist schlussendlich ein barbarisches vormodernes Denken. Und entsprechend kannst du es als hierzulande sozialisierter Mensch auch nicht nachvollziehen.
Selbst im gleichen Ort ist es real so geschehen, dass man in dem einen Haus einfach die Einwohner erschossen hat um im nächsten Haus die Einwohner gut zu behandeln, weil halt barabische Randomwillkür.

Das ich hier den Begriff Barbaren einführe in die Diskussion ist übrigens keine Herabwertung der Russen die ich als einfaches Volk überaus wertschätze. Es ist nur der Versuch dir verständlich zu machen, wie hier das Denken und Empfinden abläuft. Die Russen hassen die Ukrainer mehrheitlich nicht, was sie aber nicht davon abhält nach Belieben Gewalt anzuwenden oder auch einfach so zu töten. Das Töten wie auch die Gewalt finden hier mehr oder weniger einfach beiläufig statt, als Lebensnormalität, als etwas ganz normales und nicht von der Norm abweichendes. Dazu muss man auch um die Gewaltbereitschaft und Gewaltaffinität in der russischen Gesellschaft insgesamt wissen. Und noch extremer in der Armee selbst, wo es schon im Frieden derart viel interne Gewalt gibt das es Leuten wie dir unverständlich ist und bleiben muss.

Dieser ganze dadurch von Kindesbeinen an erzeugte Druck und die angestaute Gewalt die man zuhause aus vielerlei Gründen nicht rauslassen konnte, kann man dann im Krieg abreagieren.

Entsprechend wird Krieg und die Gewalt im Krieg von vielen Russen als eine Art befreiendes Gefühl beschrieben, als ein positives Gefühl. Auch wenn man sterben wird (davon gehen die meisten aus), fühlt es sich gut an endlich grenzenlos Gewalt ausüben zu können. Entsprechend ist Krieg für viele Russen (die Kreise der Gesellschaft welche die Armee stellen) ein befreiendes Gefühl und fühlt sich damit besser an als ihr normales Leben.

Und entsprechend ist Krieg für eine Mehrheit der Russen eine positive Sache, ist positiv besetzt und wird deshalb nicht abgelehnt, weil er im Gegensatz zu uns nicht als Grauen verstanden wird, sondern als eine sehr gute Sache. Krieg, Zerstörung, Vernichtung, Vergewaltigung, Raub und Mord sind gute Dinge. Und der Krieg macht sie möglich. Soziologen sprechen deshalb von einer „Mehrheit der Nicht-Ablehnung des Kriegs“.

Das wäre der Bereich des einfachen Volkes, insbesondere der einfachen Menschen auf dem Land. Die Eliten wiederum profitieren von diesem Krieg in vielerlei Hinsicht und finden daher zynisch und mafiös wie sie sind ebenfalls gut. Und beides zusammen ergibt dann eben die hier vorliegende äußerst problematische Mischung. Die russischen Eliten könnten das aktuelle Geschehen nicht vom Zaun brechen, wenn sie eine moderne Gesellschaft hätten. Sie können es aber gerade eben deshalb tun, weil ihre Gesellschaft (im Gegensatz zu ihnen selbst als modernen Mafiosi) absolut vormodern ist.

Eine amüsante Randnote dazu: viele Russen heute bezeichnen die Soldaten an der Front als Krieger des Lichts, ein Begriff der auch schon von russischen Propagandisten aufgegriffen wurde und denn auch viele Soldaten an der Front inzwischen verwenden. Sie nennen sich also selbst Krieger des Lichts nachdem sie soeben eine vierzehnjährige vergewaltigt und dann erschossen haben und dass ist für sie eben kein Widerspruch. Dafür teilen sie mit der nächsten vierzehnjährigen ihre kärgliche Ration und tun ihr nichts. Für westliche Menschen wie dich muss das natürlich unbegreiflich sein.

Ein wesentliches Element der "russischen Seele" ist meiner Meinung nach zudem eine düstere gewaltätige Melancholie. Man übt Gewalt nicht in einem Zustand von Wut und Hass aus wie wir sie empfinden, sondern der Hass hat dort andere Formen. Meiner Meinung nach haben sehr viele Russen in Wahrheit Depressionen. Nun kann aber eine Depression sich auch in Agression und agressivem Verhalten ausdrücken. Die Russen leiden also meiner Ansicht nach unter einer agressiven Depression, welche sie aber im Zivilleben nicht ausleben können weil dann der Ordnungs- und Obrigkeitsstaat sie niedermacht. Trotzdem ist Gewaltkriminalität aller Art in Russland natürlich weit verbreitet, aber insgesamt hält man mit sehr viel Druck den Deckel drauf.

Kommt nun der Krieg, kann sich die Depression Bahn brechen und die Agression welche aus ihr her rührt ausgelebt werden.

Man tötet also wahllos Ukrainer nicht weil man diese selbst hasst, sondern weil man selbst depressiv ist und die unendliche diffuse Wut welche sich in einem angestaut hat einfach rauslassen kann.

Nun zum wichtgisten was sich daraus ergibt: Meiner Überzeugung nach ist es deshalb völlig egal gegen wen die Russen Krieg führen. Die werden mit der exakt gleichen Gewalttätigkeit gegen absolut jeden vorgehen. Es spielt keine Rolle dass es jetzt halt Ukrainer sind, der Gegner ist nicht der Grund für die Gewalt, sondern diese resultiert aus innerrussischen Problemen. Der Gegner ist daher nur ein rein zufälliges Ziel.

Eventuell hält man sich sogar in der Ukraine im Vergleich zu dem was man sonst tun würde tatsächlich zurück, auch so ein Punkt den viele im Westen nicht verstehen. Gerade weil es die Ukrainer sind, gehen die Russen nicht so brutal vor, wie sie ansonsten vorgehen würden. Das mag angesichts der Verbrechen dort Erstaunen, ich halte es aber tatsächlich für wahrscheinlich, dass sich die Russen im Vergleich noch zurück halten, gerade eben weil der Feind die Ukrainer sind.

Wir haben es also mit einer barbarischen Gesellschaft zu tun, die aus Depression heraus handelt und einer mafiösen Elite die dies für sich ausnützt. Die Treue des barbarischen Volkes zu seiner Führung ist aber begrenzt. Ebenso die Treue der Eliten zu ihrer jeweiligen Führung. Für das Volk gibt es gewisse ideologische Grenzen, beispielsweise eine Niederlage, welche dann sofort für die Eliten extremst lebensgefährlich wären. Für die Eliten ist der Umbruch sofort gegeben, wenn der Krieg ihre Chancen und Möglichkeiten welche ihnen dieses System ermöglicht und welche der Krieg ihnen noch ausgeweitet hat nehmen würde, sie also substanziell Wohlstand und Möglichkeiten zur Berreicherung verlieren würden.

Entsprechend läuft die Propagandamaschine auf Hochtouren um das barabarische Volk nicht aufzuscheuchen, was mörderisch wäre, und intern schafft man beispielsweise aktuell Gesetze gegen Korruption ab (ja, allen Ernstes ist das aktuell ein Thema in Russland) und löst Behörden und Stellen zur Korruptionsbekämpfung auf, erklärt aber beispielsweise umgekehrt eine Umweltschutzorganisation zu ausländischen Agenten, weil sie der Berreicherung eines Angehörigen der Eliten und seiner Fabriken im Weg steht.

Da selbst die Oligarchen wesentliche Profiteure des Krieges sind, haben sie ebensowenig wie das Volk ein Interesse daran dass der Krieg aufhört.

Die Schnittmenge zwischen beiden ist nun die Lust am Normenbruch. Russen lieben in Wahrheit den Normenbruch. Und dass führt zum einen im Krieg zu den genannten Exzessen und Verbrechen, zum anderen verbindet es die mafiösen Eliten mit dem Volk, beide funktionieren aus diesem gemeinsamen wesentlichen Wert heraus. Entsprechend ist auch hier der Grund für die Gewaltverbrechen vor allem anderen im Russen selbst und resultiert nicht aus den Ukrainern, einem Hass auf die Ukrainer oder dergleichen, sondern hat innere Gründe.

Um das nochmal zu wiederholen: es spielt daher absolut gar keine Rolle gegen wen Russland gerade kämpft. Es wäre gegen Kasachstan genau das gleiche wie gegen Finnland oder gegen Azerbeidschan oder halt nun hier gegen die Ukraine.

Zitat:ich führe keinen Krieg mit hunderttausenden Opfern, nur weil ich mich ärgere über eine genderneutrale Toilette.

Das ist nur ein Symbol. Es verkörpert sozusagen eine größere komplexere Gesamtheit. Beispielsweise musst du dir nur mal ansehen, wie unglaublich oft Homosexualität im Westen im russischen Staatsfernsehen und auf russischen Medienseiten thematisiert wird. Die sind besessen davon und auch hier stellt sich in Bezug auf Volksmeinung und Propaganda die Henne-Ei Frage. Ironischerweise wird dort mehr über Schwule in Europa berichtet als hierzulande in Deutschland (natürlich immer nur im geiferndem Hass). Entsprechend erzeugen solche Symbole als Vertretung des größeren Ganzen welches man so immens hasst eine große Wirkung.

Die genderneutralen Klos sind daher eine Verkörperung des Bösen, gegen welches man kämpft und welches vom Westen aus in die russische Kultur einsickern will um Russland zu vernichten. Die fühlen sich ernsthaft von uns bedroht und sie fühlen sich von der westlichen Kultur belästigt. Sie ertragen unsere Kultur einfach nicht.


Dann setze ich noch mal neu an: es gibt 3 primäre Bereiche aus denen heraus Russland Krieg führt und auch nicht damit aufhören wird:

1. Wahnwelten

Die Russen haben sich in den Eliten wie auch in zu weiten Teilen der Bevölkerung in Echokammern verzogen und sind dort in eine Wahnwelt abgeglitten. Eine gute Analogie wären die Reichsbürger in Deutschland welche erklären es gäbe keine BRD und dass sei eine GmbH usw.

Entsprechend sind auch zu viele Russen und insbesondere katastrophal Putin selbst und sein Umfeld in eine Wahnwelt abgeglitten. Sie handeln daher aus vollständig anderen Kausalketten heraus, welche komplett von allem getrennt sind was wir so denken und an Informationen und logischen Schlüssen haben. Dies führt natürlich zu extrem irrationalen Verhaltensweisen.

2. Egoprobleme

Die Russen sind extrem, wirklich extremst stolz darauf militärisch herausragend zu sein - was sie in Wahrheit nicht sind. Das Selbstbewusstsein, die ganze eigene Identität, das eigene Selbstverständnis basieren darauf, dass man zumindest militärisch eine Supermacht ist und alle anderne Schwach. Dass russische Männer stärker, härter, leidensfähiger, und militärisch besser sind als alle anderen Völker der Welt. Das ist das Selbstverständnis. Daher stört es das russische Ego in unerträglicher Weise in der Ukraine nun real vorgeführt zu bekommen, dass man in Wahrheit militärisch viel schwächer ist als gedacht. Das ist inakzeptabel, auch für einfache arme Russen, oder sogar gerade eben für die.

Man sitzt da in einem uralten Plattenbau, hat im Winter oft keine Heizung, trinkt schlechten Wodka und baut Kartoffeln an damit man überhaupt was zu essen hat, arbeitet hart und wird betrogen und wird von der Regierung unterdrückt, aber alles egal: man ist ja schließlich eine militärische Supermacht und Russen sind die Härtesten und man ist am Männlichsten von allen.

Und nun, ist dem anscheinend nicht so. Deshalb ist der Krieg in der Ukraine für die Russen eine ungeheure Demütigung und erzeugt ungeheure Wut.

Das hat noch eine Folge: weil die Ukrainer ja nicht stark sein könne, muss es der perverse üble Westen sein, der die Russen hier so massiv tötet. Beispielsweise glaubt man in Russland, dass der Westen der Ukraine mehr als 1 Millionen Drohnen gestellt hätte und man kämpfe also Heldenhaft als Krieger des Lichtes gegen Maschinen, statt dass sich der Feind selbst stellt würde man von Maschinen vernichtet die der perverse schwule Westen erfunden hat weil in Gayropa alle schwach und feige sind und sich nicht trauen gegen die überlegenen Russen selbst zu kämpfen. Der Feind (der Westen!) ist also schwach, aber technologisch stark weil er hinterlistig und feige und durchtrieben ist und deshalb will er Russland vernichten und die Gefahr ist groß, weil die Maschinen des Westens so viele sind usw.

Dazu kommt der Rassismus in Russland. Die Russen halten sich für grundsätzlich überlegen, und jede Wiederlegung desselben greift ihr Ego immens an, sowohl in den Eliten als auch im Volk.

3. Sozialkulturelle Abstoßungsreaktion

Schlussendlich ist das auch ein Krieg der Meme. Was hier in Russland stattfindet ist eine massive Abstoßungsrektion gegen unsere Meme, weil diese als zu fremd empfunden werden und man sie tatsächlich mehrheitlich nicht will. Das ist vergleichbar der sozialkulturellen Abstoßung in vielen islamischen Ländern und der Ausbreitung von Islamisten dort. Man unterschätzt im Westen meiner Meinung nach diese Abstoßungsreaktion als wesentlichem Punkt.


Alles was ich hier ausgeführt habe ist natürlich vereinfacht, ist eine Darstellung des Querschnitts, der bloße Versuch einer Charakterisierung einer gewissen Mehrheit oder doch zumindest eines wesentlichen Anteils der russischen Gesellschaft - insbesondere des Anteils welcher diesen Krieg verschuldet hat, ihn führt und ihn weiter führen will und den ganzen Rest der russischen Gesellschaft mit sich reißt. Natürlich gibt es in Russland, gerade in den Städten des Westens auch ganze andere Gruppen, ganz andere Sozialkultur usw. Mir ging es nur darum vielleicht etwas Verständnis insgesamt dafür herzustellen, wie die Kreise welche für diesen Krieg maßgeblich sind funktionieren, wie sie denken und wie sie empfinden.
Ein russisches Gedicht, welches in letzter Zeit bei Frontsoldaten dort Beachtung findet: Big Grin

Ich übersetz es mal so gut ich kann:

Tag für Tag wird schauriger und dichter, rings die starre Todesnacht. Der Krieg löscht die Leben aus wie Lichter, Hilfeschrei und Ruf bleibt ohne Macht. Dunkles Los des, der in Russland lebt, unergründlich das Verhängnis bleibt. Sollte ich ein gleiches Los auch ziehen, Russland – bittere Kindesmörderin, und in deinen Kellern untergehn, schlag ich auch in blutiger Pfütze hin – will ich doch dein Golgatha nicht fliehen. Und nicht leugnen deiner Gräber Sinn! Ob mich Krieg, ob Hunger niedermähen – wählte ich doch kein anderes Schicksal mir: Sterb ich, will ich sterben nur mit dir!
(23.01.2024, 21:17)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Ein russisches Gedicht, welches in letzter Zeit bei Frontsoldaten dort Beachtung findet: Big Grin

Ich übersetz es mal so gut ich kann:

Tag für Tag wird schauriger und dichter, rings die starre Todesnacht. Der Krieg löscht die Leben aus wie Lichter, Hilfeschrei und Ruf bleibt ohne Macht. Dunkles Los des, der in Russland lebt, unergründlich das Verhängnis bleibt. Sollte ich ein gleiches Los auch ziehen, Russland – bittere Kindesmörderin, und in deinen Kellern untergehn, schlag ich auch in blutiger Pfütze hin – will ich doch dein Golgatha nicht fliehen. Und nicht leugnen deiner Gräber Sinn! Ob mich Krieg, ob Hunger niedermähen – wählte ich doch kein anderes Schicksal mir: Sterb ich, will ich sterben nur mit dir!

Das Gedicht dürfte schon mindestens 100 Jahre alt sein. Am Ende fehlt aber noch: "Und wie Lazarus auferstehen" oder so ähnlich.
Ja richtig, dass ist die letzte Zeile. Ich bin immer wieder auf das positivste erstaunt über deine profunde und allumfassende Bildung ! Und ja es ist wie alles im wahren Russland sehr alt. Ich beschrieb ja explizit eine in Wahrheit archaische Kultur.

Den anderen Teil beschreibt Viktor Jerofejew recht gut:

Russen lieben das Unmäßige, sie haben ihr Glück gefunden, indem sie auf jede Norm pfeifen. Wenn man Wodka trinkt, dann bis zur Bewusstlosigkeit. Wenn man feiert, dann bis der Arzt kommt. Wenn man sich prügelt, dann bis einer tot umfällt. Dazu treten als wesentliche Merkmale Gnadenlosigkeit, Argwohn, Misstrauen, Zynismus und grenzenlose Gewaltbereitschaft.

Hauptsache, man versetzt sich in einen Bewusstseinszustand, in dem das Leben als närrisches Treiben erscheint und zugleich als Sieg über alle übrigen Formen des Daseins. Dazu tritt ein Komplex der Überlegenheit über alle anderen Völker und alles zusammen produziert das Präludium für einen bestialischen Krieg ohne Regeln.

Jenes Russland, das viele Deutsche bewundern, verehren, romantisieren, das Land Tschechows und Dostojewskis und Pasternaks, existiert, aber es hat nur dem Westen gefallen. Nicht aber dem eigenen Land, vor allem nicht der russischen Provinz, dem wahren Russland. Von dorther bezieht Putin seinen Halt. Die russischen „Werte“, analysiert der erfolgreiche Schriftsteller, seien an den sozialen Stand gebunden – Adlige, Bauern, Offiziere, Arbeiterklasse – zersplitterte Welten. Deshalb sind wir keine Nation, sondern ein überaus archaisches Volk.

Putin hat das Geheimnis vom Glück des russischen Volkes geknackt. Putin hat verstanden, dass weder Komfort, noch Lebensstandard oder Freundschaft mit dem Westen für das russische Volk Glück bedeuten. Das russische Volk habe andere Maßstäbe für Glück. Das russische Glück ist die Verletzung jeder Norm.
@Quintus,

ich hatte eine Phase im Leben da habe ich Gedichtbände etc. regelrecht verschlungen Wink


Das Neueste von Reisner ist bei NTV zu sehen. Er beschreibt die aktuelle Lage eher pessimistisch. Nennt Zahlen von 1:5 für Rußland für den aktuellen Verbrauch von Artilleriegranaten. Da stellt sich mir die Frage wie dieses Verhältnis zu Stande kommt, wenn man bedenkt dass es vor wenigen Monaten noch hieß dass die ukr. Konter-Ari den Russen massiv Probleme bereitet, sogar das Verhältnis in Sachen Artillerie bald zur ukr. Seite kippen könnte. Hapert es da wirklich nur am Munitionsnachschub? Da kann man nur hoffen dass die Ukraine früh genug mit der Rationierung angefangen hat. Weiterhin wird die Zahl von zwei Millionen Granaten der großen Kaliber benannt die Rußland im letzten Jahr produziert hätte. Für die EU ein Armutszeugnis wenn man zusammen nicht einmal auf die Hälfte kommt. Nordkorea soll der externe Hauptlieferant für Munition von Rußland sein. Was nicht schwer fällt denn viele Lieferanten dahingehend dürfte Rußland nicht haben. Ob China Lieferungen über Nordkorea verschleiert?

https://www.youtube.com/watch?v=ufWXXme2x-E
Das primäre Problem der Ukrainer ist zur Zeit nach allem was ich so gesehen habe tatsächlich der Munitionsmangel. Dabei sah es im Sommer noch vorübergehend richtig gut aus. Und schon da haben die Ukrainer rationieren müssen.

Aktuell soll die Lage bei der Munition zunehmend katastrophal sein, gibt viele Meldungen ukrainischer Soldaten dazu. Und Rationierung hin oder her, der Artilleriekrieg dort verschlingt einfach unvorstellbare Massen an Granaten. Die Ukrainer haben frühzeitig rationiert und versucht möglichst effizient zu wirken, aber das reicht halt einfach nicht.

Entsprechend fühlen sich immer mehr Ukrainer vom Westen regelrecht verraten. Und mit Recht, wenn man sich ansieht was statt der zugesagten Mengen dann tatsächlich geliefert wurde.

Bezüglich Nordkorea: ich glaube nicht dass die Chinesen ihre Mun über NK liefern. Das ginge auch so über die chinesisch-russische Grenze ohne dass es Gros auffällt, und da rollen schon seit Monaten Züge ohne Ende hin und her. Zum anderen hat Nordkorea einfach selbst durch jahrzehntelange Überrüstung gigantische Arsenale angehäuft, die es problemlos exportieren kann. Die Nordkoreaner geben seit Dekaden über 20% ihres BIP für Waffen aus, dass sammelt sich dann mit der Zeit immens an. Und ein Gros davon ist halt einfach in russischen Kalibern.

Dazu würde auch passen, dass der russische Artilleriehagel zwar wieder deutlich zunimmt, aber selbst im Vergleich zu früher noch unpräziser sein soll.