Forum-Sicherheitspolitik

Normale Version: Russland vs. Ukraine
Du siehst gerade eine vereinfachte Darstellung unserer Inhalte. Normale Ansicht mit richtiger Formatierung.
Es ist wahrscheinlich, dass die russischen Stellungen westlich des Djnepr und westlich und nördlich von Kherson zusammen brechen werden, da man aufgrund der zerstörten Brücken die Versorgung nicht in dem Ausmaß aufrecht erhalten kann, dass hier notwendig wäre.

Aber was dann? Der Dnjepr ist da überall einen Kilometer breit oder mehr, und Kherson wird gerade von den Russen massiv befestigt und entsprechend stünde dort den Ukrainern ein immens verlustreicher und langwieriger OHK bevor. Zudem (gerüchteweise) wollen die Russen dort Häuser mit Sprengladungen versehen und mit dem Vordringen des Feindes diesen sowie die gesamte Bausubstanz Stück für Stück sprengen und vernichten. Am Ende hätte man untragbare Verluste und dafür einen nicht mehr bewohnbaren Trümmerhaufen erobert und stünde dann vor dem Djnepr über den man nicht hinüber kommt.

Deshalb halte ich diese Offensive für sehr fragwürdig, die Verluste und der Aufwand stehen da in keinem Verhältnis. Vermutlich hat sie also vor allem Politische Gründe.
Wenn es gelingt, mit der Offensive die Russen aus dem Umland zu vertreiben, dann muss die Stadt nicht genommen werden und ich gehe auch davon aus, dass die Ukraine hier schlauer vorgehen wird als die Russen es tun.
Haben sie sich erstmal komplett in die befestigte Stadt zurückgezogen, startet eine klassische Belagerung, durch den Verlust des Vorfelds können die Ukrainer hier freier agieren und jeden Nachschub für die Besatzer konsequent unterbinden. Und da sitzen dann nicht hochmotivierte Freiheitskämpfer eingeschlossen wie in Mariupol. Ich glaube nicht, dass es den Russen da gelingen wird, lange auszuhalten.
Um Kherson einzuschließen und es dann zu belagern, muß man vorher den Djnepr überqueren. Und dass dies in diesem Bereich gelingt ist höchst fragwürdig. Solange aber die Ukrainer den Djnepr nicht überquert haben, ist eine Belagerung von Kherson sinnlos und würde nicht erfolgreich sein. Die Stadt liegt ja direkt am Fluss. Dann ist noch zu bedenken, dass die Lage für die Zivilisten in Kherson selbst bei einer Teileinschließung und dem Versuch die weiter bestehenden russischen Linien nach hinten durch Feuerkraft zu schließen dramatisch werden würde. Und die russischen Streitkräfte würden sehr sicher die Zivilisten als lebende Schutzschilde und de facto Geißeln missbrauchen und die zwingend immensen zivilen Verluste propagandistisch ausschlachten.

Beschließend kann ich dir aber zustimmen, dass Kherson selbst zu nehmen weder militärisch notwendig noch sinnvoll ist und man stattdessen ganz andere Ziele verfolgen sollte. Nur: Kherson selbst vollständig einzunehmen ist ein erklärtes politisches Ziel der ukrainischen Führung, die auch ständig in die miltärische Führung hinein pfuscht - weshalb auch die Ukrainer nicht immer so kämpfen, wie es jeweils am sinnvollsten wäre.
Zur Offensive bei Cherson:
Zitat:Russische Militärblogger melden Erfolge der ukrainischen Armee

Die Ukraine hat Angriffe bei Cherson im Süden des Landes gestartet. Ob dies die angekündigte große Gegenoffensive ist, ist noch unklar. Aber die Zerstörung von Brücken soll der russischen Armee Nachschub und Rückzug unmöglich machen. Russische Blogger bestätigen erste Erfolge Kiews. [...]

Man habe „Offensivaktionen in vielen Richtungen der Südukraine begonnen, einschließlich des Gebiets Cherson“, sagte eine Armee-Sprecherin. Zuvor hatte der US-Fernsehsender CNN berichtet, Kiew bereite laut zwei hochrangigen US-Beamten „das Schlachtfeld für eine signifikante Offensive vor“, die Luftangriffe und Bodenoperationen beinhalten werde. Die Vorbereitung, das sogenannte Shaping, schließe Angriffe auf Waffensysteme, Munitionsdepots und Kontrollzentren des Feindes ein – genau das betrieb die ukrainische Armee in den vergangenen Wochen.

Mit Himars-Raketenwerfern zerstörte die ukrainische Armee fast alle wichtigen Brücken, welche die russisch besetzte Halbinsel Krim mit dem Gebiet Cherson verbinden. [...] Die zermürbenden Angriffe scheinen Wirkung gezeigt zu haben. Laut CNN-Quellen ist die russische Armee im Süden geschwächt, Moskaus taktische Gruppen aus Infanterie, Panzern, Artillerie und Luftabwehr litten spürbar an Personalmangel, manchen fehle die halbe Besatzung. [...]

Gekämpft wird offenbar um Dörfer südlich der Stadt Krivyi Rih. Wenn die Offensive dort gelingt, könne es den Informationen zufolge weiter Richtung Nowa Kachowka gehen, einer Stadt östlich von Cherson. Schon die Einnahme von Nowa Kachowka wäre ein Erfolg für die Streitkräfte der Ukraine.
https://www.welt.de/politik/ausland/arti...Armee.html

Zum Thema Ringtausch:
Zitat:Die Tschechische Republik erhält aus Deutschland 14 Leopard-Panzer

Nachdem Prag Dutzende Kampfpanzer an die Ukraine geliefert hat, erhält die Tschechische Republik aus Deutschland 14 Kampfpanzer und einen Bergepanzer. [...]

Fiala würdigte die Einigung auf Twitter als „bedeutenden Schritt der Verteidigungszusammenarbeit“. Laut dem Verteidigungsministerium erhält die Tschechische Republik 14 Kampfpanzer des Typs Leopard 2A4 und einen Bergepanzer Büffel. Die tschechischen Streitkräfte erhalten die Panzer als Ausgleich dafür, dass Prag schon vor Monaten Dutzende T-72-Kampfpanzer an die Ukraine geliefert hat. Neben diesen von Deutschland geschenkten Panzern möchte die Tschechische Republik laut Fiala bis zu 50 Exemplare des neusten Modells Leopard 2A7 kaufen. [...]

Die ersten Leopard-Panzer aus Deutschland sollen bis Ende laufenden Jahres in der Tschechischen Republik eintreffen. Eine Übereinkunft war erwartet worden, da Außenministerin Annalena Baerbock und ihr tschechischer Amtskollege Jan Lipavský schon bei einem Treffen Ende Juli eine baldige Einigung in Aussicht gestellt. Bisher zu keiner Einigung kam es mit Polen. Die Regierung in Warschau hatte ihre deutliche Unzufriedenheit über ein aus ihrer Sicht ungenügendes deutsches Angebot ausgedrückt.
https://www.faz.net/aktuell/politik/ausl...77170.html

Schneemann
(30.08.2022, 08:35)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Um Kherson einzuschließen und es dann zu belagern, muß man vorher den Djnepr überqueren. Und dass dies in diesem Bereich gelingt ist höchst fragwürdig. Solange aber die Ukrainer den Djnepr nicht überquert haben, ist eine Belagerung von Kherson sinnlos und würde nicht erfolgreich sein. Die Stadt liegt ja direkt am Fluss. Dann ist noch zu bedenken, dass die Lage für die Zivilisten in Kherson selbst bei einer Teileinschließung und dem Versuch die weiter bestehenden russischen Linien nach hinten durch Feuerkraft zu schließen dramatisch werden würde. Und die russischen Streitkräfte würden sehr sicher die Zivilisten als lebende Schutzschilde und de facto Geißeln missbrauchen und die zwingend immensen zivilen Verluste propagandistisch ausschlachten.

Beschließend kann ich dir aber zustimmen, dass Kherson selbst zu nehmen weder militärisch notwendig noch sinnvoll ist und man stattdessen ganz andere Ziele verfolgen sollte. Nur: Kherson selbst vollständig einzunehmen ist ein erklärtes politisches Ziel der ukrainischen Führung, die auch ständig in die miltärische Führung hinein pfuscht - weshalb auch die Ukrainer nicht immer so kämpfen, wie es jeweils am sinnvollsten wäre.

Quintus,

im Schach gibt es eine Regel die besagt, die Drohung ist oftmals stärker als die Ausfühunrg (-> eines Zuges). Meiner Meinung nach setzt die Ukraine genau darauf. Die von dir zu Recht aufgeführten Risiken oder Schwächen dieses Planes ist der militärischen Fühurng mit Sicherheit gewahr. Aber auf eine Drohung muss man reagieren ob der Gegner diese wirklich ausführen wird oder nicht. Das ist sehr unangemnehe Situation. Man erlangt durch das Aufstellen von Drohungen die Initiative, dadurch kann man materiellen oder positonellen Nachteil oder weniger Raum kompensieren. Man kann ein dynamisches Gleichgewicht herstellen, damit hat man als Schwächerer dann schon viel gewonnen. Ist mir schon klar dass dieser Vergleich hinkt.
Der Vergleich hinkt keineswegs. Und gerade als materiell unterlegener macht es ja noch viel mehr Sinn durch Bewegungskrieg und Manöver die Initiative an sich zu reißen um dadurch Vorteile zu erlangen. Eine Drohung ist nun nichts anderes als genau so ein Ansatz, eine Bewegung, ein indirektes Wirken, ein Herstellen von Assymetrie, und schlußendlich vor allem anderen: ein psychologischer Effekt, der auf den Willen des Gegners einwirkt. Und da jeder Krieg ausnahmslos ein Zweikampf verschiedener Willen ist, macht natürlich ein solches psychologisches Wirken sehr viel Sinn.

Aber: man muss eben keineswegs auf eine solche Drohung reagieren. Man kann, man wird vielleicht dazu gedrängt, aber es gibt hier keine Axiome. Gerade deshalb muss jede Finte eigentlich so ausgeführt werden, dass wenn der Gegner nicht auf sie reagiert sie zu einem tatsächlichen Hieb geführt werden könnte, und muss daher meiner Meinung nach hinter jeder Drohung auch eine echte und tatsächliche Wirkung stehen, welche eine reale Bedrohung darstellt. Bloßes Täuschen ist daher unzureichend, weil zu risikoreich. Wenn der Bluff aufgerufen wird, muss eine entsprechende Substanz da sein.

Und hier kommen wir nun zum aktuellen Problem der ukrainischen Gegenoffensive: diese hat meiner Ansicht nach zu wenig Substanz. Aber natürlich kann das täuschen, ist meine Informationslage sehr begrenzt und ist so etwas von außen im aktuellen Geschehen kaum einschätzbar. Wenn aber meine Annahme zutrifft, und die hinter der Drohung stehende Substanz zu gering ist, dann wäre diese Gegenoffensive ein strategischer Fehler, und wäre das militärische Risiko den etwaigen politischen Nutzen nicht wert. Meiner rein persönlichen Ansicht nach verschwendet die Ukraine daher mit dieser Gegenoffensive wertvolle und begrenzte Mittel - die sie in der aktuellen Situation so nicht verschwenden darf. Ich halte auch den Zeitpunkt für verfrüht. Diese Aussagen sind aber alle rein miitärisch-strategisch und ich unterscheide ja zwischen politischer Strategie und der militärischen Strategie (was heute meiner Kenntnis nach so kaum noch praktiziert bzw. gedacht wird und bei mir ein Erbe der Schriften Jominis ist).

Deshalb hat die aktuelle Gegenoffensive in Richtung Kherson meiner Auffassung nach vor allem politische Gründe, und ist rein militärisch gesehen nicht zweckmäßig.
(30.08.2022, 08:35)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Um Kherson einzuschließen und es dann zu belagern, muß man vorher den Djnepr überqueren. Und dass dies in diesem Bereich gelingt ist höchst fragwürdig. Solange aber die Ukrainer den Djnepr nicht überquert haben, ist eine Belagerung von Kherson sinnlos und würde nicht erfolgreich sein. Die Stadt liegt ja direkt am Fluss.
Warum das? Solange das Umland weitestgehend befreit und dann von der eigenen Artillerie genutzt werden kann, hilft der Fluss den Besatzern wenig. Wenn dort weder Schiffe herangeführt, noch Brücken genutzt werden können, dann bleiben Boote und Fähren, die ebenso der Artillerie ausgeliefert sind. Eine Versorgung von über 20.000 Soldaten ist so schlicht nicht möglich. Klar, es ist keine 100%ig geschlossene Belagerung, aber es reicht zumindest, um die Truppen dort zu neutralisieren.
Ohne den Fluss zu überqueren kann man das Umland nicht weitestgehend befreien, wie du es hier nennst. Ohne diese weitestgehende Befreiung des Umlandes, kann man das Artillerie-Duell dort auf Dauer nicht gewinnen. Gewinnt man das Artillerie-Duell dort nicht, kann man die entsprechenden Räume und Linien nicht mit Feuerkraft sperren. Und entsprechend kann man die Truppen des Feindes dort nicht schlagen.

Sie dort zu binden, zu neutralisieren also wie du es nennst, würde dann selbst im günstigsten Fall eine Menge Wehrmittel und Soldaten dort festlegen. Und damit gibt man genau das wieder aus der Hand was notwendig wäre, nämlich die Initiative. Das heißt selbst wenn die Teileinschließung in deinem Sinne erfolgreich wäre, würde sie die ukrainischen Streitkräfte dort festsetzen und binden und einem Stellungskampf und einer Materialschlacht ausliefern, welche primär mit Artillerie geführt werden würde und aufgrund der politischen Bedeutung und der geographischen Lage dort speziell auch stark durch die russische Luftwaffe.

Dieser Abnutzungskampf würde von Russland dort dann auf Dauer gewonnen werden.

Oder noch viel kürzer und einfaher: eine "Belagerung" kann auch heute noch für den Belagerer durchaus viel gefährlicher sein als für den Belagerten. Aus einer Vielzahl von Gründen, im vorliegenden Fall aber vor allem auch aufgrund der Gestalt des Schlachtfeldes, seiner Lokation und Bedeutung und weil der Feind per Artillerie und Luftwaffe hier den Abnutzungs-Fernkampf gewinnen würde. Beschließend auch, weil die Russen wie von mir schon ausgeführt die zivile Bevölkerung der Stadt skrupellos als Schutzschild nutzen werden. Aber selbst ohne das: dort, in der Nähe zur Krim und zum Schwarzen Meer, würde eine Belagerung die ukrainischen Verbände nur sinnlos abnutzen und schlußendlich wären die Verluste welche daraus zwingend entstehen würden sogar erheblich und von Bedeutung für den weiteren Kriegsverlauf.
Hm.... Schätze ich anders ein, aber ist jetzt auch nicht unbedingt mein Fachgebiet.

Die ganzen HIMARS-Erfolge zur Unterbindung des russischen Artillerienachschubs würden ja sicher nicht weniger werden, wenn dann entlang des Nordufers relativ frei agiert werden kann. Klar hätte man die Stadt nicht aus der Artilleriereichweite heraus, aber man kann diese Artillerie deutlich besser bekämpfen als bisher. Und die Versorgungswege dieser Artillerie werden auch südlich des Flusses immer schlechter.

Ich versteh' auch nicht, warum es unbedingt zum Abnutzungskampf in der Stadt kommen muss und warum dieser so enorm viele Soldaten binden soll. Es würden sicher weniger Kräfte benötigt als momentan um die besetze Oblast herum eingesetzt werden müssen. Und eine russische Gegenwehr ohne Nachschub wird auch endlich sein, vor allem bei schlechter Moral und Partisanenaktivität.
Broensen:

Zitat:Die ganzen HIMARS-Erfolge zur Unterbindung des russischen Artillerienachschubs würden ja sicher nicht weniger werden,


Die werden in jedem Fall weniger werden, durch Abnutzung der HIMARS Systeme, durch Verbrauch der Raketen, durch Probleme beim Nachschub derselben, durch die Anpassung der Russen an die Präsenz und die Wirkung dieses Systems, durch veränderte Taktiken der Russen, durch größere Dislozierung ihrer Nachschubwege, Depots und Artilleriestellungen, durch russisches Konterartilleriefeuer, durch den Einsatz der russischen Luftwaffe und russischer Drohnen sowie Sondereinheiten speziell gegen die HIMARS Systeme usw usw usf

Gerade deshalb sollte die Bundesrepublik meiner Meinung nach hier und jetzt ALLE Mars Raketenartillerie-Systeme welche wir aktuell noch haben so schnell wie möglich in die Ukraine werfen.

Zitat:Klar hätte man die Stadt nicht aus der Artilleriereichweite heraus, aber man kann diese Artillerie deutlich besser bekämpfen als bisher. Und die Versorgungswege dieser Artillerie werden auch südlich des Flusses immer schlechter.

Dem wäre nicht der Fall, wenn der Dnjepr nicht überquert wird. Und die Russen hätten ihre Artillerie in weiten Teilen dann auch in der Stadt selbst. Wenn man dann die Versorgungsketten der Russen sowie deren Bewegungslinien auf der anderen Seite des Flusses mit Artillerie angreifen will, kommt man dadurch viel weitergehend in die Reichweite der quantiativ weit überlegenen russischen Artillerie in der Stadt.
Stell dir das so vor wie bei einer Bastion vor einer Neuzeitlichen Festung. Um an den Inneren Bereich der Festung heran zu kommen musst du in die Reichweite der Bastion. Bekämpfst du nur diese, ist der innere Bereich für dich nicht erreichbar. Die Stadt Kherson bildet daher zusammen mit dem Fluss eine natürliche Bastion für die russischen Linien dort, bzw. deren rückwärtige Dienste.

Ich versteh' auch nicht, warum es unbedingt zum Abnutzungskampf in der Stadt kommen muss und warum dieser so enorm viele Soldaten binden soll.

Von IN der Stadt hatte ich gar nichts geschrieben, dass wäre noch mal eine ganz andere Hausnummer. Ich schrieb explizit in Bezug auf eine bloße Belagerung aus dem Umland heraus, dass eine solche die belagernden Truppen dort festlegt. Das heißt, sie sind dort gebunden und können daher nicht an anderer Stelle eingesetzt werden. Und meiner Ansicht nach unterschätzt du vermutlich wieviele Kräfte man hier selbst bei einer Teileinschließung mindestens benötigt. Von einer Stürmung der Stadt spreche ich dabei gar nicht.

Liegen nun diese Kräfte bei einer Teileinschließung dort fest, dann kommt es zum Abnutzungskampf. Dieser wird primär per Artillerie geführt, die Bastion Kherson bietet dabei für die Russen einen ebenso großen Vorteil wie ihre quantitative Überlegenheit. Die Ukrainer geben damit exakt das auf was in diesem Raum zur Zeit ihr Vorteil ist, nämlich die Wirkung durch Manöver (welche man nicht nur wörtlich verstehen darf, man kann auch beispielsweise in der Zeit manövrieren und anderes). Man geht vom Bewegungskrieg welcher auf die Russen vor allem auch psychologisch einwirkt wieder zu einem Kampf entlang einer erstarrten Front über, in welchem die russische Armee einfach querschnittlich überlegen ist, vor allem und gerade in der Defensive.

Zitat:Es würden sicher weniger Kräfte benötigt als momentan um die besetze Oblast herum eingesetzt werden müssen.

Das wäre dann exakt das was ich gegenüber OG Bär als zu wenig Substanz bezeichnet habe. Damit machst du diese Kräfte anfällig für eine russische Gegenoffensive und damit für den Ausfall unersetzlicher wertvoller Systeme auf deiner eigenen Seite. Du verlierst zudem selbst wenn die Sache statt durch Bewegung nur durch Feuer gelöst wird mangels Substanz das Artillerieduell. Man kann also schlicht und einfach die Bastion nicht neutralisieren wenn man weniger Kräfte dort einsetzt als sie momentan dort eingesetzt werden, ganz im Gegenteil, führt dies leicht dazu, dass die Russen dort wieder die Initiative erlangen könnten.

Zitat: Und eine russische Gegenwehr ohne Nachschub wird auch endlich sein, vor allem bei schlechter Moral und Partisanenaktivität.

Die russische Moral ist seit Monaten katastrophal. Schlechter wird sie nicht mehr und kann sie eigentlich auch gar nicht mehr werden. Man kann daher von dem ausgehen was ist und dass ist bereits hochproblematisch. Und die Partisanenaktivität ist im Vergleich zum möglichen meiner rein persönlichen Ansicht nach noch viel zu gering.

Ganz allgemein bin ich ja gar nicht gegen eine massive ukrainische Gegenoffensive, aber ich halte sie hier und jetzt halt für verfrüht. Beispielsweise auch weil man erst massive Partisanenstrukturen aufbauen und wachsen lassen sollte, um den letzten Punkt noch mal aufzugreifen. Man müsste erstmal die Umstände so gestalten, dass diese Offensive deutlich höhere Chancen auf Erfolg hat.

Es ist natürlich rein theoretisch möglich, dass die Ukrainer es trotzdem schaffen und damit den Dnjepr als Verteidigungslinie für sich zurück gewinnen und der Fluß dann als strategisches Hinderniss zu ihren Gunsten wirkt. Deshalb macht es auch durchaus Sinn den Brückenkopf der Russen auf der ukrainischen Seite des Dnjepr einzudrücken. Nur ist dazu meiner rein persönlichen Meinung nach aktuell (noch?) die real vorhandene Substanz zu gering.

Es ist natürlich leicht möglich, dass ich mich bezüglich der notwendigen Kräfteverhältnisse irre. Wie sollte ich diese auch beurteilen können?! Es ist daher lediglich mein rein persönlicher Eindruck dass die Offensive verfrüht ist und daher ein höheres Risiko darstellt von höchst fragwürdigem militärischen Wert, weil die Substanz die hinter der dort eingesetzten Drohung real steht meiner Ansicht nach eben unzureichend ist.
@Quintus
Zitat:Ganz allgemein bin ich ja gar nicht gegen eine massive ukrainische Gegenoffensive, aber ich halte sie hier und jetzt halt für verfrüht.
In der Tendenz sehe ich das auch so. Allerdings kann es auch sein, dass die Ukrainer zumindest noch vor der kommenden Schlammphase ab September einige Gebietsgewinne erzielen wollen bevor alles wieder mehr oder minder erstarrt, so dass sie, wenn es denn dann im Herbst tatsächlich Verhandlungen geben sollte - Spekulationen gehen ja in diese Richtung - eine etwas bessere Ausgangslage haben.

Dennoch birgt diese jetzige Offensive aber tatsächlich auch das Risiko in sich, dass die Ukrainer nun unnötige Verluste generieren und sich verzetteln, anstatt sich zurückzuhalten und einen weiteren Kräfteaufbau für das kommende Frühjahr vorzunehmen (so beide Parteien denn da zur zweiten Runde blasen wollen). Hinzu kommt, wie auch im untenstehenden Artikel angeführt, dass es wenig Sinn ergibt, den Beginn einer Offensive medial wie einen Pfannkuchen auszutreten, da dies dem Gegner nur Vorteile einbringt und es das eigene Überraschungsmoment zunichte macht.

Dazu:
Zitat:"Entlang der gesamten Front"

Selenskyj: Offensive hat auch im Osten begonnen

Anfang der Woche verkündet Kiew den Start der lange erwarteten Großoffensive in der Region Cherson. Nun gibt Präsident Selenskyj bekannt, dass ukrainische Truppen nicht nur im Süden in Bewegung sind - sondern auch im Osten. Genaue Details verrät er aber nicht. [...] "Aktives militärisches Vorgehen findet jetzt entlang der gesamten Frontlinie statt: im Süden, in der Region Charkiw, im Donbass", sagte er in seiner nächtlichen Ansprache. [...]

Die Pressesprecherin des Südkommandos der ukrainischen Armee, Natalija Humenjuk, sprach am Dienstag von "Positionskämpfen" in den Gebieten Mykolajiw und Cherson. Es sei dabei noch zu früh, von möglichen zurückeroberten Orten zu reden. "Es finden gerade Kämpfe statt und diese erfordern eine Informationsruhe." Am Montag hatte Humenjuk den Start der lange angekündigten Offensive in der Region Cherson verkündet. Die russische Armee bestätigte Vorstöße der ukrainischen Truppen, sprach aber von erfolgreicher Abwehr und hohen ukrainischen Verlusten. Die Berichte über die Kampfhandlungen lassen sich nicht unabhängig überprüfen. [...]

Im Gespräch mit ntv bezeichnete Oberst a.D. Ralph Thiele die ukrainischen Ankündigungen einer Großoffensive als Finte. "Wenn man eine Offensive macht, dann spricht man nicht darüber, sondern versucht, den Gegner zu überraschen", so Thiele. Er bewertet das Ganze daher als "informationstaktisches Manöver". Ein Grund dafür könnte sein, die Motivation der eigenen Kräfte hochzuhalten.
https://www.n-tv.de/politik/Selenskyj-Of...57302.html

Schneemann
(31.08.2022, 10:38)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Die werden in jedem Fall weniger werden, durch Abnutzung der HIMARS Systeme, durch Verbrauch der Raketen, durch Probleme beim Nachschub derselben, durch die Anpassung der Russen an die Präsenz und die Wirkung dieses Systems, durch veränderte Taktiken der Russen, durch größere Dislozierung ihrer Nachschubwege, Depots und Artilleriestellungen, durch russisches Konterartilleriefeuer, durch den Einsatz der russischen Luftwaffe und russischer Drohnen sowie Sondereinheiten speziell gegen die HIMARS Systeme usw usw usf
Das ist doch alles nicht einseitig zu betrachten. Da kann man jetzt diverse Sachen dagegenstellen wie bspw. die Nachlieferungen aus dem Westen, den Erfahrungsgewinn der Ukrainer, den Gewinn zusätzlicher möglicher Stellungen etc. Mein Punkt war lediglich, dass großflächiger Raumgewinn nördlich des Dnjepr grundsätzlich ein Vorteil für den weiteren Beschuss der russischen Versorgungswege südlich des Flusses sein wird.

Zitat:Und die Russen hätten ihre Artillerie in weiten Teilen dann auch in der Stadt selbst. Wenn man dann die Versorgungsketten der Russen sowie deren Bewegungslinien auf der anderen Seite des Flusses mit Artillerie angreifen will, kommt man dadurch viel weitergehend in die Reichweite der quantiativ weit überlegenen russischen Artillerie in der Stadt.
...
Liegen nun diese Kräfte bei einer Teileinschließung dort fest, dann kommt es zum Abnutzungskampf. Dieser wird primär per Artillerie geführt, die Bastion Kherson bietet dabei für die Russen einen ebenso großen Vorteil wie ihre quantitative Überlegenheit.
Du hast da eine ganz andere Grundannahme als ich. Du gehst davon aus, dass die Russen in Cherson voll kampffähig sein werden. Aber wie soll denn die russische Artillerie in Cherson schießen ohne Munition?
Ich schrieb doch:
Zitat:Wenn dort weder Schiffe herangeführt, noch Brücken genutzt werden können, dann bleiben Boote und Fähren, die ebenso der Artillerie ausgeliefert sind. Eine Versorgung von über 20.000 Soldaten ist so schlicht nicht möglich.
Hier ist ein Flaschenhals in der Logistik, der es nicht mehr erlauben würde, russische Kräfte nördlich des Flusses effektiv mit Munition zu versorgen, vor allem nicht mit den erforderlichen Mengen von Artilleriemunition. Klar, falls die Russen zwischenzeitlich Munition für monatelanges Trommelfeuer in Cherson eingelagert haben sollten, hast du natürlich recht, aber das halte ich für nicht wahrscheinlich. Also wird man den Kampf dort nicht mehr besonders lange mit hoher Intensität weiter führen können, sobald die Ukrainer das Dnjeprufer zwischen Cherson und Nowa Kachowka unter ihre Kontrolle bringen können, von wo aus sowohl die Brücken, Fähr- und Seewege, als auch eventuelle Luftversorgungskorridore effektiv bekämpft werden können.
Diskussionen über ungelegte Eier... sofern die Ukrainer die Russen tatsächlich bis nach Kherson zurückwerfen können würde sich die Motivation der (überlebenden) Russen dort die Stadt bis zum äußersten zu halten in sehr engen Grenzen halten. Wenn es überhaupt noch eine Rolle spielen würde, die Russen haben die Front dort in den letzten Wochen schließlich massiv verstärkt.
Eine Einschließung Khersons auf der Westseite des Dnjepr setzt so die effektive Vernichtung ganzer russischer Armeen voraus. Käme es dazu stellen sich für die Russen ganz andere Fragen als was man mit Kherson noch sinnvollerweise anfangen kann.
Broensen:

Kherson ist im Süden DER Logistik-Knotenpunkt der Russen, von dort kommt der Gros der Artillerie-Munition in diesem Gebiet bzw. diese wird exakt dort gelagert und von dort distributiert, gerade eben weil man sie dort inmitten der Zivilbevölkerung dem feindlichen Zugriff eher entziehen kann.

Schneemann:

Zitat:Im Gespräch mit ntv bezeichnete Oberst a.D. Ralph Thiele die ukrainischen Ankündigungen einer Großoffensive als Finte. "Wenn man eine Offensive macht, dann spricht man nicht darüber, sondern versucht, den Gegner zu überraschen", so Thiele. Er bewertet das Ganze daher als "informationstaktisches Manöver". Ein Grund dafür könnte sein, die Motivation der eigenen Kräfte hochzuhalten.

Und genau das halte ich für sehr problematisch, sollte es so sein, weil dies keineswegs eine Steigerung der eigenen Moral zur Folge hat, sondern der Feind bei einer bloßen Finte ohne Substanz einfach behaupten kann, er habe die Offensive erfolgreich zerschlagen und abgewehrt und man damit genau genommen die Moral der eigenen Truppe schwächt, weil die Offensive eben mangels Substanz keinen Erfolg vorweisen kann, sondern im Gegenteil dem Feind die Darstellung eines vermeintlichen Erfolges ermöglicht.

Nightwatch:

Meiner Ansicht nach sind das ca. um die 20.000 Mann auf russischer Seite. Von Armeen ist man mit so einer Zahl noch weit entfernt. Aber ich kann dir trotzdem zustimmen, dass ein Vordringen der Ukrainer bis nach Kherson Umstände voraussetzt, die in Russland selbst grundsätzliche Veränderungen nach sich ziehen könnten und müssten.
(31.08.2022, 22:36)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Broensen:

Kherson ist im Süden DER Logistik-Knotenpunkt der Russen, von dort kommt der Gros der Artillerie-Munition in diesem Gebiet bzw. diese wird exakt dort gelagert und von dort distributiert, gerade eben weil man sie dort inmitten der Zivilbevölkerung dem feindlichen Zugriff eher entziehen kann.

Aber die Munition wird nicht vor Ort hergestellt, sondern muss zu diesem Knotenpunkt gebracht werden. Insofern wäre es durchaus von Relevanz wenn die Ukrainer durch Himars etc. diesen Nachschub zum Erliegen bringen könnten. Allerdings wäre meine Vermutung dass die russische Armee über Alternativen verfügt und nicht zwangsweise auf die nun zerstörten Brücken angewiesen ist. Es gibt auch weitere Punkte die aus allgemeinen Erwägungen gegen einen ukr. Offensiverfolg sprechen. Das Terrain in Verbindung mit der faktischen Lufthoheit Rußlands wäre hier zu nennen, auch wenn diese Lufthoheit bisher eher selten zum Tragen kam. Weiterhin konnte sich auf diese Offensive lange vorbereitet werden, ob diese Zeit natürlich sinnvoll genutzt wurde steht auf einem anderen Blatt. Strategisch betrachtet bietet die Offensive tatsächlich die Möglichkeit das Blatt quasi zu wenden, aber auf der anderen Seite besteht ein hohes Risiko dass sie scheitert und dann mit hohen Verlusten an Mensch und Material einhergeht ohne einen strategischen Nutzen daraus ziehen zu können. Ob es aus ukr. Sicht sinnvoll ist so eine Vorentscheidung zu erzwingen ist durchaus eine berechtigte Frage.