Forum-Sicherheitspolitik

Normale Version: Russland vs. Ukraine
Du siehst gerade eine vereinfachte Darstellung unserer Inhalte. Normale Ansicht mit richtiger Formatierung.
Anbei eine hochinteressante Analyse des Militärökonomen Marcus Keupp (Experte an der Militärakademie der ETH Zürich). Er beschreibt wie die Ukraine den Abnutzungskrieg gegen russischen Streitkräfte sehr erfolgreich durchführt und welche Folgen den Russen in den nächsten Wochen drohen. Er gibt auch noch einmal eine ganzen anderen Blick auf das Geschehen an den einzelnen Frontabschnitten und wie diese im Zusammenhang stehen.

Quelle ZDF:

https://www.zdf.de/nachrichten/politik/g...d-100.html
Wenn der Westen die Ukraine etwas mehr unterstützten würde, und wenn ansonsten niemand Russland unterstützt und wenn auch sonst alles dort linear vom Augenblickszustand aus exakt so weiter läuft, dann hat er durchaus recht. Das ist halt eine dieser typischen Analysen welche den gegenwertigen Zustand nimmt und diesen einfach in einer linearen Funktion weiter führt.

Das Problem im Krieg mit einer solchen Herangehensweise ist, dass Kriege sehr oft in Sprüngen und Nicht-Linearen Zusammenhängen verlaufen - nicht immer - aber meistens. Deshalb ist eine solche Extrapolierung sogar etwaig gefährlich, weil sie beispielsweise die Auffassung stärkt, dass nicht mehr getan werden sollte / muss, weil die Ukraine ja ohnehin gewinnt oder dass es zu keinen überraschenden Umbrüchen mehr kommen könnte - und sie ist insbesondere deshalb kritisch zu sehen, weil die aktuellen Umstände zur höheren Wahrscheinlichkeit nicht diejenigen sein werden, welche in der Zukunft das Kriegsgeschehen beeinflussen werden und man aber bereits hier und heute sich in Wahrheit auf diese zukünftigen Umstände hin ausrichten müsste.
Russischer T-90M im Einsatz - naja, oder so ähnlich: https://www.thedrive.com/the-war-zone/ru...by-missile

Einerseits ist erstaunlich, wie hoch die Schussfolge der Hauptwaffe ist. Und zugleich ist es genauso erstaunlich, dass selbst dieses moderne Modell wie ein Dampfkochtopf auseinanderfliegt, sobald es einen Treffer abbekommt. So wie man es halbwegs sehen kann, scheint der ATGM-Treffer seitlich, im rechten vorderen Fahrzeugbereich erfolgt zu sein. Vermutlich wurde die Munition des Autoladers getroffen, wieder mal...

Schneemann
(10.10.2023, 08:02)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]... und wenn ansonsten niemand Russland unterstützt und wenn auch sonst alles dort linear vom Augenblickszustand aus exakt so weiter läuft

Russland wird diesen Krieg verlieren (und mit Verlieren meine ich den Verlust aller besetzten Gebiete einschl. der Krim), wenn
- China nicht Russland stark untertützt
- nicht ein größerer Krieg irgendwo auf der Welt ausbricht, der die Ressourcen der USA bindet (damit meine ich nicht den Gazastreifen)

Ein Problem: Wenn wir Bücher über WKII lesen, sind sehr komplexe Abläufe zeitlich verdichtet und vereinfacht dargestellt.

Sind wir jedoch als Beobachter in Echtzeit dabei (und ist der Gegner nicht Grenada) zieht sich der Konflikt gefühlt unendlich in die Länge.
An deiner letztgenannten Aussage ist auf jeden Fall etwas dran.

Meine Aussage in bezug auf disruptive Ereignisse, Sprünge, nicht lineare Verläufe möchte ich aber keinesfall nur so verstanden wissen, dass die Russen dadurch noch siegen könnten, auch das Gegenteil könnte der Fall sein, und die Russen zeitnah in sich zusammen brechen. Das (disruptive / nicht lineare Entwicklungen) ist natürlich keine Einbahnstraße in eine Richtung.
(10.10.2023, 21:48)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Meine Aussage in bezug auf disruptive Ereignisse, Sprünge, nicht lineare Verläufe möchte ich aber keinesfall nur so verstanden wissen, dass die Russen dadurch noch siegen könnten, auch das Gegenteil könnte der Fall sein, ...

Die Luftschlacht um England begann lt. Wikipedia am 10. Juli 1940.

Pearl Harbor war am 7. Dezember 1941.

D.h. Churchill und die Briten warteten 17 Monate darauf, dass ihnen die USA als Kriegspartei beistanden.

Solche Relationen muß man im Kopf haben, wenn man BK Scholz Zögerlichkeit vorwirft.
(Wobei mir natürlich nicht präsent ist, wie US- und UK-Presse über Roosevelt schrieb. Diskussionsbeiträge aus Internetforen sind wohl keine überliefert.)

Was Russland angeht, wird durch die Politik nicht kommuniziert, was die Kriegsziele sind.
Ich kritisiere das nicht negativ, sondern stelle es fest.
@Philippe Gauchat
Zitat:Die Luftschlacht um England begann lt. Wikipedia am 10. Juli 1940.

Pearl Harbor war am 7. Dezember 1941.

D.h. Churchill und die Briten warteten 17 Monate darauf, dass ihnen die USA als Kriegspartei beistanden.

Solche Relationen muß man im Kopf haben, wenn man BK Scholz Zögerlichkeit vorwirft.
(Wobei mir natürlich nicht präsent ist, wie US- und UK-Presse über Roosevelt schrieb. Diskussionsbeiträge aus Internetforen sind wohl keine überliefert.)

Was Russland angeht, wird durch die Politik nicht kommuniziert, was die Kriegsziele sind.
Ich kritisiere das nicht negativ, sondern stelle es fest.
Das ist ein durchaus gewichtiger Punkt, den du da ansprichst. Leider ist es eben so, dass wir in einer recht schnelllebigen Zeit leben, wo "die Welt" an einem im Twitter- und Messenger-Stil vorbeijagt und wir uns wundern, warum manches in der Politik bzw. bei den Entscheidungsfindern so lange dauert. Genau genommen ist der Nachrichtenfluss deutlich schneller geworden - was es aber auch erleichtert, Falschnachrichten zu verbreiten -, inhaltlich substanzieller wurde es bzgl. der News dadurch aber nicht unbedingt.

Man darf natürlich die Politik damit nicht generell in Schutz nehmen - manches wurde auch schlicht verschlafen, aus Kalkül ignoriert oder auf die lange Bank geschoben, weil es für die eigene Wählerklientel eben eine Zumutung sein könnte. Und dass die Demokratien manchmal sehr langsam reagieren, das ist sicherlich korrekt, aber das ist auch dem politischen System geschuldet, dem Kompromiss, der Rücksichtnahme - und auch manchmal der Angst oder der mangelnden Risikobereitschaft.

In einer Demokratie gibt es eben die Widersprüche, Verzögerungen und die "Kakophonie" des innenpolitischen Gegners, während hünenhafte und durchtrainierte Recken wie Kim oder Putin stets im glitzernden Sonnenschein stehen und ihrem Volk mit einem Winken den Marschbefehl in eine bessere Zukunft geben können. Dass das zwar dann sicher in der Entscheidungsfindung schneller geht, aber infolge der "Unfehlbarkeit" dieser "Führer" auch in historischer Regelmäßigkeit die größeren "Misthaufen" für ein Volk entstehen, ist natürlich die andere Seite der Medaille.

Übrigens hatte Roosevelt bis Pearl Harbor massivsten innenpolitischen Gegenwind. Nur mit viel Gehänge und Gewürge bekam er Cash-and-Carry-Klausel, Destroyers for Bases Agreement und später Lend-Lease Act durch den stark isolationistisch geprägten Kongress. Zwar war das faktisch auch schon die Aufgabe der Neutralität - man unterstützte ja mit Material eine Kriegspartei -, aber es war ihm anders nicht möglich irgendwie Großbritannien zu stützen. Von Florida bis Idaho wollten die Senatoren auch nichts großartig wissen vom Krieg in Europa oder in Asien, sondern sie hatten ihre Leute zu versorgen, die sich erst allmählich von der großen Depression der 1930er wieder erholt hatten. Hinzu kam, dass man im Ersten Weltkrieg zwar relativ überschaubare Verluste hatte, aber diese dennoch noch präsent waren - und man wollte nicht schon wieder US Boys für europäische oder asiatische Abenteuer opfern.

Leave me alone war die feste Devise der 1930er Jahre. Vor allem im mittleren Westen und um die großen Seen war der Widerstand hierbei groß. Und Roosevelt ist beinahe daran verzweifelt. Erst nach Pearl Harbor - und nachdem Hitler den USA am 11.12.1941 in völliger Fehleinschätzung der Lage (zur gleichen Zeit steckte die Wehrmacht bekanntlich vor Moskau im Schnee fest bzw. musste mit einer russischen Gegenoffensive fertig werden) den Krieg erklärt hatte -, d. h. als es gar nicht mehr anders ging, zogen die USA weitgehend innenpolitisch geschlossen in den Krieg.

Hierzu ganz interessant: https://www.jstor.org/stable/24910114

Schneemann
Zum aktuellen Stand der Gefechte:

Im Süden: kriechen die Ukrainer weiter Meter für Meter südwärts, während sie zugleich in einem für sie günstigen Verhältnis Systeme abtauschen. Was umso bemerkenswerter ist, wenn man überlegt, dass die Ukrainer keine signifikante lokale numerische Überlegenheit haben und ihnen viele Fähigkeiten fehlen, welche die Russen trotz aller ihrer Unfähigkeit durchaus haben. Wenn man dann noch bedenkt, dass der Verteidiger immer einen erheblichen Vorteil im Kampf hat und die russische Armee in der Defensive querschnittlich deutlich leistungsfähiger ist, wird die sehr viel größere Qualität der militärischen Arbeit der Ukrainer noch umso deutlicher. Das ist wirklich beeindruckend ! Die geringen Geländegewinne und auch die ukrainischen Verluste an westlichem Kriegsmaterial verstellen völlig den Blick darauf, welch immense militärische Leistung hier die Ukraine unter hohen Opfern erbringt. Wir sollten mal selbst hier sehr viel mehr Demut zeigen, darob unserer eigenen Unzulänglichkeiten, denn wir wären nicht in der Lage dort so zu kämpfen, und würde man uns entsprechende Fähigkeiten streichen (Luftwaffe) wären wir nicht in der Lage das zu leisten was die Ukraine hier leistet. Ich kann daher auch diese ganze Not- gegen Elend Rethorik nicht mehr hören, diese Hybris wird uns noch so dermaßen auf die Füße fallen.

Südlich von Kherson sind angeblich (Gerüchte, Gerüchte) ukrainische Spezialeinheiten sehr aktiv. Nach den spektakulären Aktionen gegen die Krim muss man beispielsweise die immensen Fähigkeiten der Ukrainischen Sondereinheiten neidlos als herausragend anerkennen.

Im Osten: versuchen sich die Russen mit Entlastungsangriffen, wie immer völlig irrsinnig, mit völlig unerklärlichen Zielen und Vorgehensweisen. Bemerkenswert ist, dass bei Awdijiwka die russische Artillerie zur Zeit schier unfassbare Mengen an Feuer abgibt - haben sie anscheinend mal eine Menge Granaten nach vorne schaffen können. Das wird jetzt alles mehr oder weniger sinnfrei in die Landschaft geblasen, angeblich ist die Feuerdichte dort wieder so hoch wie letztes Jahr als die Russen auf dem Höhepunkt ihrer Artilleriefeuer-Quantität waren. Vor allem scheint man jetzt erneut die M30 entlang vorstoßen zu wollen, mit allen Mitteln und obwohl man dort hohe Verluste erleidet. Vielleicht ein paar neue Mobik Einheiten ? welche da verheizt werden. Ein Ergebnis dieses Wahnsinns ist immerhin, dass man jetzt zum zweiten Mal eine nördlich davon gelegene Eisenbahnstrecke erreicht hat, welche damit für die Ukrainer ausfällt, die russischen Einheiten welche die Flanke der aktuellen Unsinnsangriffe sichern sollen kommen da anscheinend besser voran als der Hauptvorstoß.

Auch im Bereich Donezk rennen die Russen aktuell entlang der gesamten schwer befestigten Front dort fortwährend gegen die ukrainischen Stellungen an, kommen dort aber nicht einen Schritt voran. Sie scheitern dort anscheinend vor allem auch an ukrainischen Minen. Besonders heftig umkämpft ist hier weiter die Ortschaft Marinka, wobei die Russen dort durch ihre sinnfreien Angriffsversuche so viele Leute verlieren, dass die Ukrainer aktuell sogar dort Raum gewinnen, obwohl sie in der Defensive sind.

Bei Bakhmut hingegen steht mal wieder alles still, angeblich rotieren die Ukrainer dort Einheiten, was die aktuelle Ruhe erklären würde. Entsprechend könnte es dort in Kürze mit frischen ausgeruhten Einheiten wieder losgehen. Müssig zu sagen, dass die Russen alle Einheiten solange an der Front lassen, bis sie vollständig ausradiert sind.

Im Norden: hingegen steht alles still, da rührt sich wenig bis nichts mehr. Die Russen versuchen zur Zeit dort ihre Front mit kleinen lokalen Vorstößen zu arrondieren - da gibt es so einen kleinen Fluss welchen sie an manchen Stellen erreicht haben, während im südlichen Abschnitt der Front im Norden noch Ukrainer östlich des Flusses stehen. Deshalb gibt es dort sporadische Angriffe auf diese ukrainischen Stellungen, beispielsweise bei Makiivka die aber anscheinend recht problemlos abgewehrt werden. Über die Orte Synkivka und Ivanivka tastet man russischerseits auch wieder in Richtung Kupyansk ab.
Bis zum Jahresende 2022 soll sich die Zahl wohl schon verdreifacht haben an neuen T90 im Einsatz . Das Problem ist dabei eher die Schtora und Arena abwehrsysteme die außerdem auch schon auf T80 auftauchen und soweit verbessert wurden das sie wohl komplett vollautomatisch funktionieren jetzt
Verdreifacht klingt nach was - aber das wären dann nur um die 210 neue Panzer dieses Typs im Einsatz. Das gleicht nicht mal die Verluste aus.
Durch die hohen Verluste an T-72 und T-80 ist man gezwungen das Tafelsilber zu verscherbeln aber auch den wirklich veralteten Sowjet Kram zu reaktivieren. Der Leopard 1 dürfte mit seiner 105mm und verbesserten Feuerleitanlage auf viele dankbare Panzer treffen, sofern die Ukrainer diese Panzer sinnvoll als mobile Panzerjäger nutzen.
Die Ukraine tut sich aber sehr schwer gegen die neuen Panzer . Die abwehrsysteme sind laut Aussage einiger Rückkehrer recht zuverlässig. Es dauert wohl ca 3 sek. Bis zur Bekämpfung ( in den vorherigen Ausführungen wurde in der Zeit nur eingenebelt) .
Und Jahresende 2022 ist mittlerweile 10 Monate her , da wird sich die Zahl wohl weiter erhöht haben
Was tatsächlich dafür spricht, dass die Zahl der T-90 ansteigt ist, dass in den letzten Wochen und Monaten immer mehr Filme von T-90 aufgetaucht sind, und immer mehr T-90 zerstört wurden. Von daher scheint es tatsächlich so zu sein wie alphall31 es hier propagiert, dass man sehr stark auf diesen Typ setzt.

Und ja, die Ukrainer tun sich mit den T-90 schwer. Würden die Russen diese sinnvoller einsetzen und wären sie befähigt, wäre das ganze noch schwerer. Aber nur weil eine Aufgabe schwer ist, heißt das nichts in Bezug auf den Gesamtkontext und der sieht in jedem Fall so aus: die Russen können ihre bisherigen und derzeitigen Verluste nicht kompensieren. Sie schaffen es einfach nicht mehr neu zu produzieren als sie verlieren.

Das ist auch ganz normal und absolut natürlich und ginge selbst westlichen Industriemächten nicht anders.

Deswegen ist es ja gerade eben seit Jahren mein Credo, dass man für die entscheidende Eröffnungsschlacht gewappnet sein muss und dass es Unsinn ist, erst nach Ausbruch des Krieges einen militärischen Aufwuchs herstellen zu wollen. Das geben die Umstände heute nicht mehr her, selbst für Russland nicht.

Entsprechend blutet die russische Armee trotz aller Neuproduktion und trotz aller T-90 Stück für Stück aus, genau wie die Ukrainer auch.
PERUN über den aktuellen Stillstand im Süden:

https://www.youtube.com/watch?v=vjf_vAkaBS8

Zitat:After more than four months of fighting, Ukraine's counteroffensive is grinding on. There have been none of the rapid mechanised advances many Ukrainian allies hoped for. Instead, there has been a hard, grinding assault intended to slowly break into, and eventually through, the main belt of Russian fixed defences.

Today I want to look at the way the counteroffensive has evolved over time, what we've learned about Russian defences and tactics, and what all of that might mean as months of mud and winter cold grow ever closer.
Die Offensive der Russen zur Einkesselung von Avdiivka läuft ja großartig. Da scheint mehr als ein Regiment auf wenigen Kilometern unterzugehen.