Ingenieur schrieb:@Erich, als Antwort auf deinen längeren Beitrag vom 24. Oktober:
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Bei dem Führungsanspruch des Irans in der Region will ich widersprechen. Die kulturellen und ethnischen Verbindungen nützen erst mal rein gar nichts, schließlich orientierte sich die Schweiz seltenst an Deutschland. Die Sowjetzeit bleibt mittelfristig zudem eher ein prägendes Element im Selbstverständnis der zentral-asiatischen Staaten.
Des weiteren ist der Iran von allen größeren Mächten der wirtschaftlich schwächste. Saudi-Arabien hat ein weit höheres BIP/Kopf und einen ähnlichen aufsummierten Wert, während Russland, Türkei, Indien, China und die USA lassen den Iran weit hinter sich.
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zu einigen grundlegenden Fragen ist ja hier schon diskutiert worden, ich kann mich also auf den Kernbereich meiner Aussagen konzentrieren.
Und da muss ich zunächst einmal sagen, dass ich nicht die zentralasiatischen Turkstaaten, die arabischen Staaten wie Saudi Arabien und den Iran, Afghanistan und Tadjikistan in einen Topf werfe.
Alles sind islamisch geprägte Staaten, richtig, aber sie unterscheiden sich doch in Vielem - nicht nur in der Ausrichtung des Islam (Sunniten und Schiiten). Und die Unterschiede sind durchaus vergleichbar wie die zwischen christlichen Gemeinschaften - etwa der katholischen Kirche und den Evangelikalen aus Nordamerika.
Wenn man denn - wie ich - auf die sprachlich-kulturelle Gemeinschaft abhebt, dann zunächst einmal auch, weil "Sprache" das Mittel der geistigen Verständigung ist. Der Mensch "denkt in Sprache". Erst die gemeinsame Sprache ermöglicht einen Austausch von Gedanken und Ideen und führt damit zu einer ideellen Gemeinschaft derjenigen, die sich untereinander sprachlich verständigen können, und der anderen, der "Barbaren".
Von daher haben wir im Umfeld des Iran (mindestens) drei unterschiedliche Sprachgemeinschaften:
Seit der Frühgeschichte sind die semitischen Reiche (deren Nachfolger die
Araber sind) an Euphrat und Tigirs ständige Konkurrenen der iranischen Perser. Die wahabitisch arabischen Saudis und die schiitischen Iraner sind seit je her Konkurrenten um die regionale Vorherrschaft am Golf. Beide "eint" nur der Islam - mit seinen unterschiedlichen Ausprägungen. Diese "Rivalität" bleibt bestehen - auch innerhalb der islamischen Gemeinschaft, der Umma.
Die
zentralasiatischen Turkstaaten sind dagegen nicht nur sprachlich (altaiische Sprachfamilie) von den Iranern verschieden.
Der "sozialistische Atheismus" der jüngsten Geschichte lässt in diesen Staaten zudem viel eher eine Verbindung zu den säkulären Reformen Atatürks in der Türkei erwarten als zu den - jeweils für sich strenggläubigen - schiitischen oder wahabitischen muslimischen Gemeinschaften aus Saudi Arabien oder dem Iran. Tatsächlich sind die Türkei und Istanbul dort auch heute noch mit größerer Strahlkraft versehen - auch als Brücke zu Europa.
Im Wesentlichen sind (trotz des sowjetischen Intermezzos) auch die Verbindungen der
Aserbaidschaner westlich des Kaspischen Meeres, die unter Osmanischer Herrschaft standen, zur
Türkei "noch etwas enger" als die der zentralasiatischen Turkstaaten. Diese - Kasachen, Kirgisen, Usbeken und Turkmenen - bilden einen regionalen eigenen Schwerpunkt, der dabei ist, sich zwischen den Großmächten Russland und China sowie zwischen Iran und der Türkei zu etablieren.
Timur (um 1400), der in den zentralasiatischen Turkstaaten als Nationalheld zu neuen Ehren gelangt, wird im Übrigen im Iran eher als Besetzer und Eroberer und als Gegner gesehen, und erst das Safawidenreich (16./17. Jahrhundert) wird wieder als iranisches Reich verstanden. Und die Gegner der Safawiden waren die Osmanischen Sultane im Westen, die Usbeken vom Khanat Buchara im Norden und die Moguleiche (Dehli) im Osten.
Die
Tadschiken wiederum orientieren sich zunehmend zum
Iran. Peter Scholl-Latour, der "alte Herr der Reiseschriftsteller" weist in seinem Buch "Das Schlachtfeld der Zukunft" (S. 237) darauf hin:
"... Nicht so sehr die Moskowiter werden heue von den Tadschiken, einer iranischen Volksgruppe, verabscheut, sondern die benachbarte Regionalmacht der Usbeken. Der starke Mann von Taschkent ... der die Versorgung mit Hilfsgütern aus der Schwesterrepublik Iran verhindert und sich mit Annexionsabsichten tragen soll, wird mit keinem geringeren verglichen als mit Afrasiah, dem teuflichen Gegenspieler des wackeren Helden Rostam. Die Tadschiken, die ein besonders reines, altertümliches Farsi sprechen, führen ihre Herkunft übrigens ...." usw. usw.
Auch zumindest der mittlere Teil Afghanistans - südlich der turksprachigen Gebiete - weis diese Affinität zum Iran auf.
Nun mag man einwenden, dass diese ethnische Orientierung an den (nach)kolonialen Grenzen scheitert. Aber ist das wirklich so?
Schauen wir uns doch mal die Milizen in Afghanistan an, die in den letzten Jahrzehnten das Land faktisch unter sich aufteilten:
- im Nordwesten Ismali Khan im Siedlungsgebiet der Turkmenen,
- im Norden der Usbeke Dostom im usbekischen Siedlungsgebiet,
- im Nordosten der Tadschike Massud (Dschamiat-e-Islam) im tadschikischen Siedlungsgebiet,
- im Zentrum die Hisb-e-Wahdat (Schiiten) und der Paschtune Hekmatyar
- im Süden die Taliban, die Koranschüler mit pakistanischen Verbindungen.
Was will ich damit sagen?
Nun - der Iran ist die "natürliche Regionalmacht" in einem Gebiet, das von den kurdisch-/armenischen Grenzregionen im Westen bis nach Tadschikisten im Osten reicht.
Ohne Einflussnahme "von Aussen" würde der Iran diese regionale Einflusssphäre in kürzester Zeit wieder für sich gewinnen - davon bin ich überzeugt.
Diese externe Einflussnahme vermag - auch davon bin ich überzeugt - die regionale Vorherrschaft des Iran nur zu verzögern, nicht aber auf Dauer zu verhindern. Damit stellt sich für mich die Frage, ob ein solcher Zeitgewinn die damit verbundenen Opfer wert ist - oder ob es nicht geschickter wäre, der "natürlichen Entwicklung" ihren Lauf zu lassen.