die Diskussion scheint eingschlafen zu sein - dabei finde ich es hochinteressant, wie aus der Diskussion um den EU-Beitritt der Türkei ein "Selbstfindungsprozess" nach dem Motto "Was ist Europa" wird.
Da gibt es die reine - oder im Wesentlichen- wirtschaftliche Betrachtungsweise:
Zitat:Die EU ist als Montanunion gegründet worden und sie ist immer ein Wirtschaftsgebilde geblieben.
und dann fragt man sich, wieso die Türkei das "aussen vor" bleiben soll.
Ein Zitat aus der (gewiss nicht in Gefahr stehend, als besonders türkisch- EU-Aufnahmefreundlich zu gelten) Bayerischen Staatszeitung vom 31. Oktober d.J., S. 23
Zitat:Türkei interessant für bayerische Firmen
Bayerns Wirtschaftsstaatssekretär Hans Spitzner ist mit einer Wirtschaftsdelegation in der Türkei. Dort will er Kooperationen zwischen Mittelständien Unternehmen anstoßen und damit die wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Länder vertiefen. "Die Türkei stellt einen für bayerische Unternehmen zunehmend interesanten Wirtschaftsmarkt dar. Dieses Potential gilt es für Bayern zu nutzen." Spitzner wird von einer 30-köpfigen Wirtschaftsdelegation begleitet.
... Zwischen Bayern und der Türlei bestehen gute wirtschaftliche Kontakte. Rund 1.600 bayerische Unternehmen stehen in Geschäftsbeziehungen zur Türkei, viele haben dort investiert. Die Bayerischen Exporte in die Türkei - hauptsächlich Maschinen, elektrotechnische Erzeugnisse und Fahrzeuge - umfassen im Jahre 2002 ein Volumen von über 947 Mio. €. Im Gegenzug verzeichnen die Lieferugnen türkischer Produkte .... einen Wert von mehr als 1,1 Mrd. €, das sind fast 17 % der gesamtdeutschen Importe aus der Türkei. Türkische Unternehmen in Bayern sind mittlerweile ein bedeutender Wirtschaftsfaktor.
Spitzner betonte, dass sich Handel und Investitionen zwischen beiden Ländern weiter ausbauen lassen. ...stellen die nahezu 76 Millionen Einwohner der Türkei ein bedeutendes Kaufkraftpotential dar, das Land bietet günstige Produktionskostenstrukturen sowie beachtliche Verbindungen in den umliegenden Regionen in Zentralasien und im Nahen und Mittleren Osten."
Wenn wir also die EU als mehr als eine Wirtschaftsgemeinschaft sehen, dann stellt sich die Frage, welche Werte da zusätzlich zu berücksichtigen sind.
Gehen wir mal von der Wertegemeinschaft aus (einem Begriff, der so einprägsam wie unbestimmt ist), und fragen, was ein europäischer Aussenminister dazu meint:
Zitat:Vor allem darf man nie vergessen, dass eine stabile Einigung Europas nicht nur auf gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen beruhen darf, die eines Tags leicht auseinander klaffen können, sondern unverrückbare geistige und geistliche Werte das Fundament bilden müssen.
Derselbe Aussenminister führt zuvor zur Rolle Deutschlands in der EU aus:
Zitat:Wegen seiner geographischen Lage, der Größe seiner Bevölkerung, seines wirtschaftlichen Gewichts, aber auch - und noch mehr - wegen seienr Geschichte mit ihren glanzvollen und leidvollen Seiten und nicht zuletzt wegen seines kulturellen Reichtums, der im Christentum eine seienr Hauptkomponenten hat, ist Deutschland berufen, eine entscheidende Rolle zu spielen.
Zugegeben, das war jetzt gemein, den Aussenminister erst hinterher zu benennen - aber ich wollte die Zeilen unvoreingenommen zum Lesen bringen; das gesamte Interview mit Giovanni Lajolo, Aussenminister des Vatikan, Erzbischof und bisher päpstlicher Nuntius in Deutschland ist in der Münchner Kath. Kirchenzeitung vom 2. November d.J. (Seite 3) nachzulesen.
Ist Europa also eine auf dem Christentum beruhende Wertegemeinschaft, der islamisch geprägte Länder nicht angehören dürfen (können)?
Und was ist dann mit den islamischen Bosniern, dem Laizismus Frankreichs, dem Kooperationsmodell Deutschlands oder gar der Staatsreligion in Britannien und dem Vatikanstaat - wie lässt scih das unter einen Hut bringen?
Beruht Europa vielleicht auf der sprachlichen Verwandtschaft der Indeoeuropäer, die mit Kelten, Romanen, Germanen und Slawen ja der indoeuropäischen Sprachenfamilie angehören - aber was ist dann mit Basken, Finnen, Esten, Letten, Litauern und Ungarn - und gar mit den Ukrainern und Russen? Finnen, Ungarn ... raus, Ukrainer, Russen rein??
Oder beruht Europa dann auf der "abendländischen Kultur", die sich z.B. in der Gestalt der Romanischen, Gotischen .... Kirchen, Dome und Schlösser von einem Kerneuropa ausgehend mit späteren Baustilen auch in den skandinavischen Ländern wiederfindet - und damit signifikant von den Zwiebelgekrönten Kirchen- und Klöstern des Orthodoxen europäischen Ostens und erst recht von den Moscheen der Türkei unterscheidet?
Wo findet sich dann Griechenland wieder??
Was prägt Europa so tief, dass die "Lufthoheit über den Stammtischen" ohne groß nachzudenken eine Trennung zur Türkei zieht?
Nur so als Anregung, um die Diskussion weiter führen zu können
