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Normale Version: Irak
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Die irakische Regierung ist gerade auseinander gefallen. --->
Venturus schrieb:....
Wer da ernsthaft glaubt ein paar Palmwedel-schwingende UN'ler würde dort irgend etwas erreichen (außer erschossen oder entführt zu werden), leidet meiner Meinung nach an Realitätsverlust. Aber wie ich die UN kenne, wird es sicherlich genug Weltverbesserer geben, die auf den Vorschlag der Anglo-Amerikanischen Allianz anspringen. :roll:
vielleicht meine
Zitat:idealistische und ergo unrealistische Planung
von S. 142/148 unter dem Dach der UN?
Würde jedenfalls den USA einen Vorwand geben, die schwer verdauliche Suppe, die sie eingebrockt haben, nicht auslöffeln zu müssen ...
Das unbestritten, aber nenn' mich einen Pessimisten. Ich bezweifle stark, daß dort unten noch irgendeiner den in Gang gesetzten Prozess aufhalten kann. Der Hass der sich unter dem Saddam-Regime aufgestaut hat, die Gier nach Macht und Geld plus irgendwelche religiösen Spinner die sich in bester "Kain und Abel"-Manier gegenseitig totschlagen. Das sind alles Fakten die man nicht mal eben so aus der Welt schaffen kann, weil irgendjemand bei der UN der Meinung ist, im Stuhlkreis ließen sich alle Probleme lösen.

Der Irak ist verloren und das einzige was jetzt das Gebot der Stunde sein sollte, ist eine Begrenzung dieses Konflikts. Entweder in dem die Amis weiterhin bluten und den aktuellen Status Quo aufrecht erhalten oder in dem man dafür sorgt, daß die Iraker sich nach Möglichkeit weiterhin selbst abschlachten und der Konflikt auf den Irak begrenzt bleibt (über ein amerikanisch besetztes Kurdengebiet lässt sich sicherlich reden).

Ansonsten bleibt im Prinzip nicht viel zu machen. Solang die Iraner und die Saudis nur indirekt bzw. inoffiziell Macht im Irak ausüben, dürfte es dem Rest der Welt egal sein, was dort auf Dauer passiert. Der Nahe Osten hat auch schon andere (Bürger)-Kriege überstanden. Man kann eigentlich nur darauf warten, bis sich im Irak in ein paar Jahren Kriegsmüdigkeit ausbreitet. Vielleicht ist dann ein Friedensprozess möglich.
Venturus schrieb:....
Ansonsten bleibt im Prinzip nicht viel zu machen. Solang die Iraner und die Saudis nur indirekt bzw. inoffiziell Macht im Irak ausüben, dürfte es dem Rest der Welt egal sein, was dort auf Dauer passiert. Der Nahe Osten hat auch schon andere (Bürger)-Kriege überstanden. Man kann eigentlich nur darauf warten, bis sich im Irak in ein paar Jahren Kriegsmüdigkeit ausbreitet. Vielleicht ist dann ein Friedensprozess möglich.
in der Zeit bleiben wenigstens die irakischen Ölreserven weitgehend erhalten, weil während der Bürgerkriegszeit der Export praktisch zum Erliegen kommen dürfte
SPIEGEL Heft 32/2007
Titelgeschichte:
Zitat:Bagdad Babylon
SPIEGEL-Reporter mit US-Soldaten im Irak-Krieg
Wie die Amerikaner im Irak Enklaven des Friedens geschaffen haben - und täglich neue Herde des Terrors bekämpfen müssen.
...
ab Montag im Kiosk
Erich schrieb:in der Zeit bleiben wenigstens die irakischen Ölreserven weitgehend erhalten, weil während der Bürgerkriegszeit der Export praktisch zum Erliegen kommen dürfte

Sicherlich ein Hoffnungsschimmer, damit in der Nachkriegszeit der Wiederaufbau nicht nur von milden Gaben aus dem internationalen Raum abhängt. Andererseits - sollte der Ölpreis weiter auf einem hohen Niveau verharren könnte sich dieser Segen als Bumerang erweisen. Ein kriegsmüder Irak mit reichen Ölvorkommen wäre sicherlich eine verlockende Beute.
Nicht wirklich neu, aber immer wieder interessant - amerikanische Waffen für die irakischen Sicherheitskräfte könnten in die Hände der Aufständischen gelangt sein --->

Für mich ein sehr glaubhaftes Szenario. Die irakischen Sicherheitskräfte waren ja schon öfters mit Meldungen vertretene, daß sie ihr eigenes Süppchen kochen und oft genug mehr mit den Aufständischen, als mit den Amis zusammen arbeiten.

Fazit: Sollten das alles nicht nur die berühmten Einzelfälle sein (und daran glaube ich nicht), zeigt das nur, daß die Strategie eines sich selbst sichernden Iraks wohl nicht umzusetzen ist. Und damit fällt eines der zentralen Elemente des amerikanischen Plans weg und das ganze Kartenhaus, das meiner Ansicht nach eh schon lange nur noch ein frommer Wunsch ist, fällt in sich zusammen.

Zumal man daran sieht wie tief die Probleme sitzen. Dem Irak fehlt aktuell einfach jegliche Basis wieder zur einer gewissen Stabilität zurück zu finden.
Zitat: Bilder vom heimlichen Frieden

Krieg, Elend, Gewalt: Wer vom Irak spricht, hat eine klare Vorstellung davon, wie es zwischen Euphrat und Tigris derzeit aussieht. SPIEGEL-Reporter Ullrich Fichtner und Fotografin Tina Hager waren dort - und zeichnen ein anderes Bild des Landes. Ein Bild voller Widersprüche.

Die "Schlacht von Donkey Island", benannt nach den wilden Eseln, die dort einst gelebt hatten, dauerte 23 Stunden. Die Amerikaner zwangen den Feind in einen Stellungskampf, sie schnürten ihn ein in der weiten Flusslandschaft. Zwei ihrer Leute fielen, 35 Terroristen wurden getötet. Erst hinterher verstanden die US-Soldaten, was sie verhindert hatten.

Anfang Juli nämlich wäre der Krieg um ein Haar nach Ramadi zurückgekehrt; die Angreifer hatten sich vier Kilometer südlich der Stadt, am Ufer des Nasr-Kanals, schon versammelt, 40, 50 Mann in hellen Uniformen, ausgerüstet wie eine Armee, vorbereitet auf Selbstmordattentate in Serie. Sie trugen am Leib schon die Sprengstoffwesten, und auf zwei alte Mercedes-Laster hatten sie Tausende Kilogramm Sprengstoff, Raketen, Granaten geladen.

Dass es nicht zu der multiplen Kamikaze-Attacke kam, dass Ramadi nicht wieder in Tumult und Chaos versank, ist Irakern zu verdanken, die die Terroristen an die Amerikaner verrieten. Iraker, die den Frieden in Ramadi erhalten wollten. "Jetzt", sagt Kompanie-Chef Ian Lauer beim Spaziergang durch die Stadt, "ist hier der Frieden ausgebrochen. And that's fucking great!"

Ramadi ist ein irritierender Widerspruch zu fast allem, was die Welt über die Situation im Irak zu wissen glaubt. Ramadi ist ein Beleg dafür, dass das US-Militär erfolgreicher ist, als es die Welt wahrhaben will. Ramadi zeigt, dass große Teile des Irak, nicht nur die Anbar-Provinz, auch viele andere ländliche Gegenden entlang Euphrat und Tigris heute so gut wie befriedet sind.
[...]
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,498087,00.html">http://www.spiegel.de/politik/ausland/0 ... 87,00.html</a><!-- m -->

Man sollte im Irak vielleicht etwas genauer hingucken und nicht alle süber einen Haufen scheren.
Das es in vielen Gebieten relativ ruhig ist, glaub ich dir gerne. Bloß was nützt es wenn der Flächenbrand irgendwann auch auf diese Gebiete übergreift? Die Zentralverwaltung ist auf gut deutsch gesagt für den Arsch und ich erinnere mich nur zu genau, wie die Aufständischen, als eine US-Offensive für Bagdad angekündigt war, einfach in andere Gebiete ausgewichen sind und dort weitergemacht haben.

Natürlich kann man jetzt einfach die Scheuklappen anlegen und stolz auf die kleinen Wunder verweisen - es nützt bloß nichts. Schau dir Somalia an. Auch dort gab und gibt es relativ ruhige Gebiete. Bringt bloß nicht viel, wenn es keine gescheite Zentralregierung gibt und Frieden nur innerhalb von bestimmten Stammesgebieten möglich ist, die dann irgendwann doch wieder ins Kreuzfeuer geraten.

Jetzt zu sagen - hey dem Irak geht's bis auf ein paar Ausnahmen doch eigentlich ganz gut, ist in etwa wie so sinnvoll wie die vielen atomwaffenfreien Zonen in den 80ern hier in Deutschland.
Venturus schrieb:Das es in vielen Gebieten relativ ruhig ist, glaub ich dir gerne. Bloß was nützt es wenn der Flächenbrand irgendwann auch auf diese Gebiete übergreift?
Warum sollte er das in der gegenwärtigen Situation tun? Solange die Amerikaner nicht abziehen ändert sich nicht sonderlich viel an den Gegebenheiten. Er wäre schon längst übergesprungen wenn sich diese Möglichkeit gegeben hätte.
Aber es ist halt so, in ethnisch homogenen Gebieten findet sich wenig Konfliktpotential, entsprechen führen sich die Einwohner zivilisiert auf.

Venturus schrieb:Natürlich kann man jetzt einfach die Scheuklappen anlegen und stolz auf die kleinen Wunder verweisen - es nützt bloß nichts.
Wollte ich auch nicht implizieren. Die Probleme des Iraks werden nicht größer oder kleiner nur weil es in manchen Teilen des Landes wirklich einigermaßen normal zugeht.
Nur wie eben geschrieben, differenzieren muss man schon. Es ist nicht der Irak der in Gewalt versunken ist. Nicht in allen Teilen des Landes schlägt jeder seinem Nächsten den Schädel ein.
Das ist einfach nicht der Fall.
Die zweifelsohne monströsen Probleme im Irak konzentrieren sich auf einige Provinzen, im Rest des Landes ist OIF zu einem einigermaßen befriedigenden Ergebnis gekommen. Was die Situation als ganzes zwar nicht löst aber sie doch in ein etwas anderes Licht rückt.
Heißt ja nicht das man die Konflikte im Land irgendwie übertünchen könnte. Das wäre natürlich komplett falsch und schwachsinnig.
Alles über einen Kamm zu scheren führt auf der anderen Seite dann halt einfach zu falschen Analysen und Lösungsansätzen.
Über einen Kamm scheren möchte ich weiß Gott niemanden. Die Iraker sind für mich kein primitives Völkchen an streitsüchtigen Höhlenbewohnern - der Laden ist/war immerhin mal die Wiege der Zivilisation, aber ich versuche halt "hochzurechnen" wie die Zukunft aussieht. Und da seh' ich aktuell keinen Ausweg. Die Amis werden über kurz oder lang abziehen. Spätestens der nächste Präsident wird die "Irakisierung" des Konfliktes verkünden.

Danach ist es meiner Meinung nach nur eine Frage der Zeit bis auch friedliche Gebiete in den Konflikt hineingezogen werden. Sei es das die Fraktionen dort sich ihre Gotteskrieger schanghaien, sei es das ein Dorf das Pech hat, an einer strategisch wichtigen Position zu liegen, sei es das einfach ein Kriegsschauplatz "benötigt" wird, sei es das eine Fraktion gerade Nachschub braucht und mal eben den gesamten Besitz eines Dorfes "requiriert" oder das Todeskommandos dort ethnische Säuberungen vornehmen. Vielleicht mag es abgelegene Gebiete geben, an denen dieser Kelch noch einmal vorüber gehen wird, aber ich persönlich befürchte eine irakische Version des 30jährigen Krieges (überspitzt ausgedrückt). Und da nützten die augenblicklichen Erfolge leider gar nichts, denn die werden mit den Koalitionstruppen passé sein. Gibt ja schließlich auch genug Iraker, die das befürchten und daher für einen Verbleib der Amis sind.
Venturus schrieb:Die Amis werden über kurz oder lang abziehen. Spätestens der nächste Präsident wird die "Irakisierung" des Konfliktes verkünden.
Das ist zwar wahrscheinlich, wenn auch noch lange nicht in trockenen Tüchern. Das "Wie" einer Truppenreduzierung schon garnicht. Bis dahin kann dann eh noch sehr viel passieren.

Venturus schrieb:Danach ist es meiner Meinung nach nur eine Frage der Zeit bis auch friedliche Gebiete in den Konflikt hineingezogen werden.
Das mag auf manche Gebiete zutreffen, auf viele andere jedoch nicht.
Der Konflikt würde primär dort ausgetragen, wo die Volksgruppen ineinander übergehen.
In einer rein Schiitischen / Sunnitischen / Kurdischen Region wird es mE kaum zu größeren Ausschreitungen kommen.
Die Beispiele die du aufzählst sind schön und gut, im wesentlichen würde ich diese jedoch einfach auf Mischgebiete runterbrechen.
Ich erwarte da dann auch keinen irakischen 30 jährigen Krieg. Vielmehr werden sich im Norden wie im Süden recht schnell ruhige Zonen bilden während man sich im Zentralirak die Köpfe einschlägt. Auf deutsch, Schiiten und Kurden kriegen ihren Kram erledigt, die Sunniten sind gearscht.
Ein Landesweites Köpfeeinschlagen halte ich für unwahrscheinlich. Dazu ist der Irak zu deutlich iin die drei großen Volksgruppen gespalten, die Interessensgebiete klar abgrenzt. Der Krieg der Schiiten wird die Kurden herzlich wenig interessieren - umgekehrt gilt das gleiche. Die Interessensphären tangieren sich kaum. Entsprechend gibt es da kaum Konfliktpotential.
Die Gewalt wird sich damit wohl auf die heutigen Problemzonen konzentrieren.
Wäre zu wünschen, aber gerade weil die Sunniten die "Verlierer" sein werden, befürchte ich, daß die immer wieder losziehen werden um die "Gewinner" zu bekämpfen. Und der Haß zwischen Sunniten und Schiiten scheint tief zu sitzen. Es wird genug clevere Kerlchen geben, die das auszunutzen wissen und sich darauf eine Machtbasis aufbauen werden. Einzig und allein im kurdischen Teil habe ich noch Hoffnungen. Da gibt es zwar noch die Probleme mit den Türken, aber insgesamt habe ich den Eindruck das da noch etwas zu retten ist.

Was denn US-Abzug angeht bin ich eher pessimistisch. Bei der Frage "wann" sehe ich aktuell keine Anzeichen dafür, daß es noch zu positiven Ereignissen in naher Zukunft kommen wird. Eher das Gegenteil, sollte es mal wieder an den israelischen Grenzen krachen oder Amerika doch zum Präventivschlag gegen den Iran ausholen. Dann dürften die Fronten sich international schnell verhärten und ein wenigstens leicht mäßigender Einfluss von außen wäre gestorben.

Die Frage "wie" lass ich jetzt mal außen vor, bin da kein Experte, aber wenn die Amis weg sind, dann sind sie halt weg.
Venturus schrieb:Wäre zu wünschen, aber gerade weil die Sunniten die "Verlierer" sein werden, befürchte ich, daß die immer wieder losziehen werden um die "Gewinner" zu bekämpfen.
Das will ich auch garnicht von der Hand weißen. Den Sunnis wird nicht viel anderes übrig bleiben als zu kämpfen - und unterzugehen.
Aber wie gesagt, ich erwarte eher, das sich der Konflikt va auf sunnitische Regionen beschränken wird. Kurdische und Schiitische Kerngebiete werden davon nicht betroffen sein. Da kochen diese Volksgruppen ihr eigenes Süppchen.
Die Sunnis werden zwar alles mögliche probieren, sich letztlich aber nicht gegen die Beiden durchsetzen können.
Da reicht es schon wenn man sich die Bevölkerungszahlen anschaut.
Dann gibt es halt einen nette Völkermord mit Vertreibung und allem was dazugehört. Kurden und Schiiten krallen sich das was sie haben wollen, mit dem Rest wird man nicht viel anfangen können.

Venturus schrieb:Was denn US-Abzug angeht bin ich eher pessimistisch. Bei der Frage "wann" sehe ich aktuell keine Anzeichen dafür, daß es noch zu positiven Ereignissen in naher Zukunft kommen wird.
"ob" und "wann" sind nicht so entscheidend. Das "wie" ist wesentlich interessanter. Wie wird eine Truppenreduzierung aussehen?
Ich wage es zu Bezweifeln das der nächste Präsident die Truppen komplett heimholen wird. Die Reps schon gar nicht und Hillary hat ab und an auch ihre lichten Momente. Natürlich wird man die Präsenz im Irak verringern, drei vier Brigaden könnten aber durchaus im Land verbleiben um die Situation einigermaßen unter Kontrolle halten zu können.
Ich kann mir nicht vorstellen, das Amerika den Irak zur Adoption freigibt. Nicht mit Iran, Saudi-Arabien und Türkei als Anrainer die nur warten ihre Interessen durchsetzen zu können.
Und sehen wir es mal so: Wenn die Amis aus dem Irak abziehen ist der Bürgerkrieg wirklich das geringste Problem was die Amis dann in der Region haben werden.


Im Übrigen kann ich die Spiegel-Reportage empfehlen. Die 3,50€ für das E-Paper sind es wirklich wert.
@Nightwatch
Wieso meinst du, das die schiitischen Kerngebiete nicht von einem Konflikt im Irak betroffen wären? Es gibt ja bereits jetzt Kämpfe zwischen schiitischen Gruppen. Ich könnte mir gut vorstellen, das z.B. die Mahdi-Armee von Al-Sadr und die SCIRI um die Kontrolle der heiligen Stätten in Kerbela und Nedschef kämpfen würden.
Der Iran ist ja auch mit ähnlichen Motiven 1982 in den Irak einmarschiert.