(07.07.2025, 13:37)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Aufgrund der Vielzahl an Einzelsätzen welche du jeweils für sich selbst in Einzelsätzen beantwortest, will ich das nicht noch weiter zergliedern, da es dann meiner Meinung nach zu unübersichtlich wird. Meiner Meinung nach führt die Art wie du deine Antworten aufgegliedert hast bereits jetzt zu Problemen bei der Verständigung.
Interessant, so habe ich das nie empfunden, ich dachte, ein genaues Zitieren sei hilfreich.
Zunächst einmal, erlaube mir ein Missverständnis gleich auszuräumen: Es ging bei bei der Betonung der Tatsache, dass Du eine Mehrheit gegen Dich hast, durchaus nicht darum, für einen bestimmten Standpunkt einzutreten und zu sagen: "So ist es richtig."
Meinungen sind wie Geschmäcker, man kann nicht gut darüber streiten, und so lange sich die Diskutanten an die einschlägigen Grundsätze halten (und seien es nur die Gesetze der Logik), sind sie auch eher selten per se richtig oder falsch.
Ich versuche deshalb meistens, nicht Meinungen unter die Lupe zu nehmen, sondern Wege der Meinungsfindung (ob mir das gelingt, ist eine andere Frage). Der Erkenntnisgewinn ist nach meinem Dafürhalten größer, außerdem bleiben Diskutanten länger einer Diskussion zugänglich, als wenn man gegen ihre Meinungen argumentierte.
Mir ist durchaus klar, dass eine Doktrin nicht schon deshalb richtig ist, weil sie von vielen Streitkräften gelehrt wird.
Doch was Lehr- bzw. Mehrheitsmeinungen ihre Autorität verleiht, ist die Möglichkeit der Kontrolle. Umso mehr Menschen sich mit überkommenen Lehrsätzen befassen—und sei es nur als passive Anwender, die ihre Kritik ins Dienstabschlussbier murmeln—desto höher die Chance, dass Fehler aufgedeckt werden.
Bei mir ist der Eindruck entstanden—der falsch sein kann, aber nichtsdestotrotz besteht—, dass Du die vorherrschende Doktrin schon deshalb für falsch hältst,
weil man an ihr festhält. Wobei dieses "man" sich natürlich auf eine streng hierarchische, nicht sehr innovationsfreudige Organisation bezieht. Das genügt mir aber ebenso wenig als Beleg, wie der Verweis auf die Neigung von Streitkräften, sich auf den letzten Krieg statt auf künftige vorzubereiten ("make yesterday perfekt").
Du scheinst mir den zweiten, dritten, vierten Schritt vor dem ersten machen zu wollen. Es kann gut sein, dass Deine Kritik in der Sache, auf die weitere Zukunft bezogen, richtig ist. Das heißt jedoch nicht, dass ein solch radikaler Umbau
unmittelbar das richtige Mittel der Wahl wäre. (Deshalb die Werkzeug-Handwerker-Analogie.) Habe ich Dich in diesem Sinne als "Extremist" bezeichnet? Daran kann ich mich nicht erinnern. Als "radikal", das freilich, aber diesem Etikett stimmst Du weiter unten ja zu.
Danke übrigens für die Buchempfehlung, Storr kenne ich tatsächlich, "Prozessroboter" benutze ich manchmal als Beschimpfung …

Aber seine Kritik trägt doch nicht allzu viel zu der hier diskutierten Frage bei? Worauf beziehst Du Dich genau?
In 'Something Rotten' beschäftigt er sich vor allem mit den zentralisierten Entscheidungsfindungsprozessen der Briten und dem, wie er sagt, Unvermögen von Armeen, sich anders als durch Generationenwechsel weiterzuentwickeln.
Ich schreibe explizit "Briten", obwohl manches verallgemeinerbar ist und verallgemeinert wird, weil Storr natürlich innerhalb der britischen Armee sozialisiert wurde, die keine Auftragstaktik nach deutschem Muster lebt, was denn auch aus mancher Anekdote erhellt. Mehr taktische Autonomie gönnen, Zielvorgaben setzen statt Befehle ausbuchstabieren—das zumindest ist kein deutsches Problem, jedenfalls nicht auf Einheits- und Verbandsebene.
Dass Kommando‑ und Führungsstrukturen zu aufgebläht, prozesslastig und träge sind? Das trifft natürlich zu. Wir haben ja schon viel darüber diskutiert. Dass eine politisch goutierte Fehlervermeidungskultur und institutionelle Bequemlichkeit Innovationen und Reformen blockieren? Geschenkt, ist alles wahr.
Letztlich leitet das Beispiel direkt dazu über, warum ich fragte, ob Du einen Hintergrund in der Forschung hast (ein sponanter Gedanke, der mir beim Lesen kam). Es ist nicht so sehr, dass ich in allen Fragen anderer Meinung wäre als Du, gerade Deine Kritik an der "Tribüne" teile ich in der Sache durchaus. Es ist aber das eine, eine Krankheit zu diagnostizieren, und etwas anderes, ein Heilmittel zu finden, das heilt
und möglichst geringe Nebenwirkungen hat.
Eine Kritik wie Deine (oder Storrs) findet man wohl in Bezug auf jede Epoche—wenn nicht schon von Zeitgenossen formuliert, dann zumindest als rückblickende Kritik durch Historiker. Daraus folgere ich, dass die diskutierten Probleme allgemeiner Natur sind, menschlicher Makel, und es wenig Sinn hat, sich allzu sehr an konkreten Entscheidungsträgern und Strukturen abzuarbeiten.
Außerdem, und das wiegt schwerer, ist eine Fehleranalyse nur so nützlich wie die Veränderungen, die sie ermöglicht.
Was ich mit meinen beschränkten Mitteln die ganze Zeit zu sagen versuche, und warum ich Dich radikal nenne: Du willst meiner Meinung nach zu viel Veränderung, und Du willst sie zu schnell. Darin zumindest bleibe ich fest: Der Umbau, den Du forderst, ist nicht evolutionär, sondern revolutionär. Und Revolutionen haben die Angewohnheit zu scheitern. Lieber im Schneckentempo in die richtige Richtung, als mit Känguruhsprüngen voranpreschen und auf die Nase fallen.
Ich sehe das auch nicht als Ausdruck von Konservatismus, sondern als erfolgsorientierten Pragmatismus.
(07.07.2025, 13:37)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Krieg ist für mich eine Kunst, in welcher Intuition, kriminelle Energie, Amoralität und vor allem anderen radikaler Funktionalismus die überlegenen Prinzipien darstellen.
Das heißt umgekehrt nicht, dass man Gesetze, Regeln usw. nicht einhalten sollte, sondern dass man erkennen sollte, wann und warum man sie einhalten sollte, nämlich wenn sie nützlich sind, also wenn sie funktional sind.
Ist dieser Ansatz praktisch umsetzbar? Siehst Du ihn in der jüngeren Vergangenheit umgesetzt, insbesondere durch Staatsführungen, deren Beispiel wir folgen könnten?
(07.07.2025, 13:37)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Beispielsweise ist es aufgrund des Lesens von Clausewitz meine Überzeugung geworden, dass in Wahrheit die Politik lediglich die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln ist. […]
Das erklärt vieles. Eine solche Sichtweise lässt für eine wertegeleitete Weltordnung—selbst eine, die mehr Schein als Sein ist—natürlich keinen Raum. Ob sie mit dieser extremen Konsequenz zutreffend ist, mag dahingestellt sein. (Denn selbst eine Welt ohne wertegeleitete Ordnung ist keine darwinistische Dystopie, in der ständig und allseits Krieg geführt würde; es gibt fast immer kostengünstigere Mittel, um die Ziele eines Staates zu verwirklichen.)
Was aber das Originalzitat anlangt, bezog ich mich darauf, dass—wenn Krieg lediglich gewaltsam durchgesetzte Politik ist—der einzige Maßstab der Qualität einer Kriegskunst sein kann, ob sie die politisch formulierten Ziele erreicht (und zu welchen Kosten). Müsstest Du diese Sichtweise nicht teilen, Dich auf den von Dir betonten funktionalistischen Imperativ stützend? Oder habe ich Dich schon wieder falsch verstanden?
Wenn dem aber so ist, warum sollte dann ein Staat, der auf Angriffskriege verzichtet, deshalb nicht kriegstauglich aufgestellt sein?
(07.07.2025, 13:37)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Krieg ist in seiner Gesamtheit keine Wissenschaft, sondern eine Kunst. Insbesondere die Strategie mag zwar einzelfallweise durch feste Gesetze geregelt sein, die denen der Wissenschaften ähneln, doch gilt dies nicht für den Krieg als Ganzes. Unter anderem können Gefechte oft völlig unabhängig von wissenschaftlichen Kombinationen sein und im Wesentlichen dramatisch werden, wobei persönliche Eigenschaften und Inspirationen und tausend andere Dinge häufig die bestimmenden Elemente sind. Die Leidenschaften, die die aufeinanderprallenden Massen bewegen, die kriegerischen Eigenschaften dieser Massen, die Energie und das Talent ihrer Befehlshaber, der mehr oder weniger kriegerische Geist von Nationen und Epochen – kurz gesagt, alles, was man als Poesie und Metaphysik des Krieges bezeichnen kann – werden seinen Ausgang nachhaltig beeinflussen.
Unterliegt aber nicht auch die Kunst Gesetzmäßigkeiten, selbst wenn es mitunter schwierig oder sogar unmöglich ist, sie allgemeingültig auszudrücken (im Sinne Stewarts: "I know it when I see it")?
(07.07.2025, 13:37)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Ein weiterer Komplex ist die Einordnung des Krieges in der Ukraine in Bezug auf ihren Aussagewert. Auch wieder so ein Musterbeispiel dafür, wie du eigentlich an mir vorbei schreibst. Deine Annahme ist, dass ich den Krieg in der Ukraine von seiner Aussagekraft her weit überschätze, daher beispielsweise so Vorwürfe von dir wie dass ich einem Rezenzeffekt unterliegen würde. Ein Musterbeispiel dafür wie du meine Denkweise nicht nachvollziehen kannst !
Denn: wenn Lehrsätze und Regeln für mich schlussendlich ohnehin keinerlei Bedeutung haben, dann ist die Frage der Kriegsführung in der Ukraine für mich in Wahrheit gar nicht so relevant. Ich bemesse ihr daher gar nicht den Wert zu, den du denkst. Natürlich untersucht man das Geschehen dort, zieht Schlussfolgerungen daraus, aber ich sehe mich nirgends an diese gebunden bzw. gewichte diese in Wahrheit gar nicht so hoch wie du annimmst.
Wenn Lehrsätze für Dich keine Bedeutung haben, wie lässt sich dann überhaupt in Deinen Augen eine künftige Gliederung der Bundeswehr formulieren? Wäre nicht jede Gliederung Ausdruck von verallgemeinerten Beobachtungen?
Das verstehe ich in der Tat nicht.
(07.07.2025, 13:37)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Meine Mentalität ist daher meiner Überzeugung nach mehr als kriegstauglich, aber natürlich unter den aktuellen Umständen nicht mal im Ansatz in dieser Bundeswehr umsetzbar.
Und in allen anderen Streitkräften, nehme ich an? Denn welche Armee ist schon nach den von Dir skizzierten Grundsätzen organisiert und geführt?
(07.07.2025, 13:37)Quintus Fabius schrieb: [ -> ]Mein primärer Vorwurf aber insgesamt ist genau dieses Fehlen einer kriegstauglichen Mentalität.
Dann lasse mich eine ganz konkrete Verständnisfrage stellen: Gibt es Dir zufolge andere Formen oder Abstufungen von Kriegstauglichkeit?
(06.07.2025, 23:41)Broensen schrieb: [ -> ]Wie kommst du darauf, dass das nicht bereits so ist?
In der Landesverteidigung geht es heute und auf absehbare Zeit um asymmetrische Lagen im Rahmen hybrider Kriegsführung und den Schutz von Infrastruktur. Das hat rein gar nichts mit dem zu tun, was in der Bündnisverteidigung benötigt wird.
Landes- und Bündnisverteidigung lässt sich für mich nur in einer gemeinsamen Klammer denken, und das gilt auch für die vorzuhaltenden Mittel und Fähigkeiten. Man sollte sich nicht darauf verlassen, dass ein Angriff im Baltikum sich nicht durch Methoden der hybriden Kriegsführung einschleicht.
Genauso wenig kann man einen massiven Angriff aufs Bundesgebiet ausschließen, durchaus auch zu Land. Bedenkt man, wie eine Handvoll Terroristen eine ganze Stadt lähmen und buchstäblich tausende Polizisten binden können (siehe z.B. in Mumbai oder Paris), wird klar, dass auch kleine Kommandos enorm großen Schaden anrichten können.
Deswegen hoffe ich auch, dass man sich beim Heimatschutz wieder mehr am untergegangenen Territorialheer orientiert, und in der Heimatschutzdivision Einheiten und Verbände alter Schule aufstellt, die nicht nur den Objektschutz beherrschen und die anderen Divisionen unterstützen können.
(06.07.2025, 23:41)Broensen schrieb: [ -> ]Nicht verunmöglicht, aber einerseits unwahrscheinlicher macht, weil zu erwarten ist, dass man sich auf den Panzerstückzahlen ausruhen wird.
Nichts für ungut, aber solche Gemeinplätze führen zu nichts, denn diese Gefahr besteht bei jeder Veränderung. So, wie sich manche Politiker und Offiziere seit dem Bergkarabach-Krieg ausdrücken, könnte auch eine massive Aufrüstung mit Drohnen dazu führen, dass man glaubt, für die Zukunft gut aufgestellt zu sein, und alles andere vernachlässigt. Deutsche Armeen neigen seit preußischer Zeit dazu, technologische Dominanz zu überhöhen.
(06.07.2025, 23:41)Broensen schrieb: [ -> ]Und andererseits frisst halt jede Beschaffung und Fähigkeit Ressourcen über den Kaufpreis hinaus. Insbesondere hinsichtlich Personal, Planungs-, Beschaffungs- und Produktionskapazitäten sowie Infrastruktur. All das ist nur begrenzt vorhanden.
Bei anderen, teuren und personalintensiven Waffensystem könnte vielleicht eine Konkurrenz entstehen, aber bei Drohnen? Finanziell besteht die Konkurrenz schon gar nicht, dazu sind selbst High-end-Produkte zu billig, und personnell handelt es sich um eine klassische Fertigkeit für den Aufwuchs.
Außerdem, ich sagte es schon, halte ich diese Priorisierung für gerechtfertigt, weil es nun mal sehr lange dauert, Panzer zu bauen und ihre Bediener (v.a. taktisch) auszubilden. Drohnen kannst du zehntausende quasi sofort kaufen, aber Panzer?
(06.07.2025, 23:41)Broensen schrieb: [ -> ]Was wäre dann das "Zielbild" bzw. die geplante Gliederung von ~2018, auf die du dich damit beziehst? Ich kenne "HEER2011" und dann das "Zielbild Einsatzkräfte Heer". Beide sehen keine 1000 Panzer vor.
Nochmals, ich habe nie mit 1.000 Panzern argumentiert.
Aber: Keine Gliederung seit dem "Neuen Heer" sah überhaupt eine Vollausstattung vor, geschweige denn eine Ausstattung der nichtaktiven Verbände—wegen fehlender Mittel, und nicht etwa wegen fehlender Notwendigkeit.
Beispiel: Nach der alten StAN könnte selbst die anämische
2011er Gliederung (plus das nicht abgebildete HAmt) mit (6×44)+(5×2)+14=288×1,3=374 KPz Leopard 2 hinterlegt werden. Und da ist noch kein einziges Funktionsfahrzeug inkludiert. Will sagen, schon eine mittlere dreistellige Zahl ist sehr schnell in Strukturen verplant, die man nicht als panzerlastig bezeichnen kann.
(06.07.2025, 23:41)Broensen schrieb: [ -> ]Quelle dazu? Nicht weil ich's dir nicht glauben würde, sondern rein aus Interesse.
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Quelle)