19.12.2005, 22:55
zu den Wirtschaftsfragen hat Thomas ja schon geantwortet, daher kann ich mir erlauben, nur noch die Frage der
Zitat:sowieso nicht existenten koordinierten Verteidiungspolitikanzusprechen; dazu zitier ich mal (unter Streichung der Passagen, die nahezu ausschließlich der NATO oder der deutschen Bundeswehr gewidmet waren) die Eröffnungsrede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Peter Struck, auf dem 2. Europäischen Verteidigungskongress am 9. Dezember 2003 in Berlin:
Zitat:Berlin, 09.12.2003 - " Perspektiven der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik"man sieht - mit vielen kleinen Schritten ist Europas Kooperation im Verteidigungsbereich schon gewaltig vorangekommen - und die Ziele sind weit gesetzt.
Es gilt das gesprochene Wort.
Meine Damen und Herren,
ich freue mich, heute hier zu sein - auf einer wichtigen Konferenz über die europäische Verteidigung, wenige Tage vor einem entscheidenden Gipfel für die Europäische Union.
Am Ende diesen Jahres wird Europa aller Voraussicht nach in Verteidigungsfragen handlungsfähiger sein.
Handlungsfähigkeit als Union ist unabdingbar mit Blick auf die am 1. Mai 2004 erfolgende Vergrößerung der Union auf 25 Staaten. Und sie ist wichtig angesichts einer veränderten sicherheitspolitischen Lage in Europa
und im globalen Rahmen, aus der der EU künftig noch mehr Verantwortung erwachsen wird.
NATO und EU
Beide für die europäische Sicherheit wichtigen Institutionen, NATO und EU, treiben die Anpassung an die neuen Herausforderungen unserer Sicherheit
zielgerichtet voran.
Die NATO hat auf dem Gipfel in Prag 2002 den Weg zur globaleren Ausrichtung eingeschlagen. ....
Aber auch die EU entwickelt sich zu einem Akteur, der zur Festigung von Stabilität und Sicherheit auf allen Ebenen beitragen kann. Dies entspricht der politischen Bestimmung Europas als Friedensmacht und starker demokratischer Partner Amerikas.
Europa war immer mehr als nur ein ökonomisches Projekt.
- Sein politisches und wirtschaftliches Gewicht,
- die Verflechtungen mit anderen Regionen der Welt,
- seine globalen Interessen und
- seine Gefährdungen durch globale Risiken
zwingen das integrierte Europa dazu, eine Rolle als selbständiger Akteur innerhalb und außerhalb Europas wahrzunehmen.
Dies kann natürlich nur gelingen, wenn es mit einer Stimme spricht und gemeinsam handeln kann.Die Europäer mussten spätestens nach den Erfahrungen des Kosovo-Krieges erkennen: Konflikte in Europa, am Rand Europas und mit Einfluss auf Europa sind weiterhin möglich. Eine Beschränkung der EU auf den Status einer " Zivilmacht" würde daher einer Politik umfassender und wirksamer Sicherheitsvorsorge nicht gerecht. Aus diesem Verständnis heraus wurden seit 1999 wichtige Konsequenzen für die Ausgestaltung einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU gezogen.
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Wem das zu abstrakt oder zu theoretisch erscheint, den möchte ich gleich an dieser Stelle auf die wachsende Bedeutung militärischer Einsätze der EU hinweisen. Denn dies gehört auch zur Einschätzung der Perspektiven der ESVP am Ende des Jahres 2003.
Die Operation CONCORDIA in Mazedonien ist ein Erfolg der ESVP und sichtbarer Ausdruck der strategischen Partnerschaft mit der NATO. Die Ablösung von SFOR durch eine EU-geführte Nachfolgeoperation in Bosnien
im Jahr 2004 ist absehbar.
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Die Operation ARTEMIS im Kongo war ein Erfolg. Es war die erste EU-geführte militärische Operation außerhalb Europas ohne Rückgriff auf NATO-Mittel und
-Fähigkeiten. Auch unter Zeitdruck waren die Europäer zu einem risikoreichen Einsatz in der Lage. Er hat dafür gesorgt, dass der Prozess der Befriedung der Region durch die VN fortgesetzt werden konnte.
Zur Einsatzrealität der EU gehört dies sollten wir nicht außer Acht lassen - die Tatsache, dass am Kampf gegen den internationalen Terrorismus weltweit weit mehr als 5.000 europäische Soldaten beteiligt sind.
In Afghanistan stellen EU-Staaten im Rahmen von ISAF und Enduring Freedom rund 5.000 Soldaten. Mit 21.000 Soldaten wird der Löwenanteil bei der
Friedenssicherung auf dem Balkan von den Europäern gestellt. Und für die VN-Peacekeeping-Missionen stellen die Europäer mit 3.500 Soldaten siebenmal so viel wie Amerika.
Fortentwicklung der ESVP
Meine Damen, meine Herren,
ich will im Folgenden auf einige Schwerpunkte für die Fortentwicklung der ESVP eingehen. Und ich werde auch einige Bemerkungen zur Weiterentwicklung der Bundeswehr machen, denn beide Prozesse können
voneinander gar nicht getrennt werden.
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Insbesondere für die ESVP haben sich durch die vorgesehenen Flexibilisierungsinstrumente neue Impulse ergeben. Die so genannte "Verstärkte Zusammenarbeit" wird auf die Außen-, Sicherheits- und
Verteidigungspolitik ausgedehnt. Für den Sicherheits- und Verteidigungsbereich ist darüber hinaus die strukturierte Zusammenarbeit möglich.
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Dies ist gerade in der vergrößerten Union wichtig.
Das heißt: Gruppen von Mitgliedsstaaten können zusammenarbeiten, die bereit und in der Lage sind, bestimmte militärische Fähigkeiten zur Verbesserung
der Fähigkeiten zum internationalen Krisenmanagement beizusteuern. Hier kann es also um Harmonisierung der militärischen Bedarfsplanung, Bündelung der Fähigkeiten und Ressourcen sowie um Aufgabenteilung zwischen den beteiligten Mitgliedsstaaten gehen.
Der geplanten Europäischen Verteidigungsagentur dürfte hier eine wichtige Rolle zufallen. Was die Regelungen zur Beistandsklausel auf dem Gebiet der
Verteidigung betrifft, so ist für mich wichtig: Sie verpflichten die EU-Staaten zur Solidarität.
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Die Stärkung der militärischen Fähigkeiten der EU muss indes auf allen Ebenen weiter vorangetrieben werden. Es ist wichtig, dass die Analysephase von ECAP
abgeschlossen ist und seine Umsetzung in 15 Projektgruppen Fahrt aufgenommen hat.
Deutschland hat, wie in der NATO, die Führung der Projektgruppen "Combat Search and Rescue" und "Strategic Airlift" übernommen.
Dies zeigt die Bedeutung, die wir einem abgestimmtem Vorgehen von NATO und EU zur Schließung von Fähigkeitslücken beimessen. Denn Duplizierungen kann sich niemand leisten. Wir haben nur ein " single set of forces" ! Und wir können jeden Euro auch nur einmal ausgeben!
Die militärischen Initiativen des Vierer-Gipfels vom 29. April 2003 sind weiterhin wichtig und stehen unverändert allen Europäern offen.
Dies betrifft
- die Schaffung einer europäischen schnellen Reaktionsfähigkeit,
- das Europäische Lufttransportkommando, aubauend auf die bestehende " European Airlift Coordination Cell" ,
- die europäische gemeinsame ABC-Abwehrfähigkeit,
- die Fähigkeit zur humanitären Soforthilfe im Katastrophenfall (EU-FAST - European Union First Aid and Support Team ) und
- die Schaffung europäischer Ausbildungszentren wie
zum Beispiel für die A400M- und Hubschrauberbesatzungen.
Ich bin froh, dass wir auf der Basis eines deutsch-französisch-britischen Vorschlages auch bei der Initiative zur Verbesserung der Fähigkeit der EU zur
Planung und Führung von autonomen Einsätzen weiter vorangekommen sind und hoffe, dass diese Überlegungen bald von allen Seiten akzeptiert
werden:
- Die NATO bleibt danach die erste Wahl für eine Krisenoperation mit Beteiligung der europäischen und amerikanischen Bündnispartner.
- Wenn die NATO sich nicht engagieren kann oder will, wird die EU entscheiden, ob sie zur Führung einer Krisenoperation im Rahmen der " Berlin
plus" -Vereinbarungen auf Mittel und Fähigkeiten der NATO zurückgreifen will.
- Für den Fall, dass der Rückgriff auf NATO-Mittel und Fähigkeiten nicht erfolgen kann, soll beim Militärstab der EU in Brüssel eine Fähigkeit zur strategischen Planung geschaffen werden. Dies ist notwendig, weil
dann die Abstützung auf die strategischen Planungsfähigkeiten von SHAPE nicht erfolgen kann. In diesem Fall wird ein nationales Hauptquartier für die
Führung der Operation ausgewählt - in Deutschland wäre dies Potsdam. Dieses Hauptquartier kann durch Elemente der Planungszelle beim Militärstab der EU verstärkt werden.
- Der Rat kann schließlich für sehr begrenzte Fälle auch den Beschluss fassen, die Fähigkeiten des EU-Militärstabes zur Führung von Operationen zu
nutzen, insbesondere wenn eine gemeinsame zivil-militärische Antwort erforderlich ist. In diesem Fall müsste dann auf Personal der strategischen
Planungszelle und aus den EU-Mitgliedsstaaten zurückgegriffen werden.
Mit dieser Lösung können wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Europäer militärisch handlungsfähig sind - auch wenn sie nicht auf
NATO-Mittel und -Fähigkeiten zurückgreifen wollen oder können.
Es geht hier nicht um unnötige Konkurrenz zur NATO, sondern für EU und NATO um notwendige Komplementarität in einem sicherheitspolitischen
Umfeld, das flexibles Handeln erfordert.
European Headline Goal
Ein weiteres wichtiges Projekt der ESVP in den nächsten Jahren ist die kontinuierliche Weiterentwicklung des European Headline Goal.
Die europäischen Streitkräfteziele müssen noch stärker die wahrscheinlichsten Einsatzszenarios im Spektrum der Petersberg-Aufgaben widerspiegeln.
Ich denke, die EU wird zwar auch zur Führung einer großen Operation mit einem Jahr Durchhaltefähigkeit in der Lage sein müssen, sie wird aber insbesondere mehrere mittlere und kleinere, auch lang andauernde
Einsätze, die eher wahrscheinlich sind, zu bewältigen haben.
Die neue EU-Sicherheitsstrategie, die auf dem Gipfel im Dezember angenommen werden wird, weist hierbei den Weg. Ihr kommt wegweisender Charakter für die EU-Außen- und Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert zu.
Sie bildet zudem eine ganz wichtige Grundlage für den strategischen Dialog mit den USA, die strategische Partnerschaft zwischen EU und NATO und die
Kooperation mit den Vereinten Nationen.
Die Strategie macht deutlich, dass die EU zum umfassenden präventiven Engagement in der Lage sein muss. Und dass sie hierfür eine aktivere Politik, eine kohärentere Politik und bessere Fähigkeiten benötigt.
Gleichzeitig wird unterstrichen, dass die Bewältigung der drei großen Aufgaben
- die Erweiterung der Stabilitätszone über Europa hinaus,
- die Stärkung der internationalen Ordnung und
- die Abwehr von Bedrohungen
nur auf der Grundlage eines effektiven Multilateralismus und der strategischen Partnerschaft zwischen EU und NATO bewältigt werden können.
In der Tat ist die Zusammenarbeit und Kompatibilität zwischen NATO und EU von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der ESVP. Die " Berlin
plus" -Vereinbarungen vom 17. März 2003 sind der Rahmen hierfür.
Die EU/NATO Capability Group ist der richtige Weg zur Harmonisierung von NATO- und EU-Streitkräfteplanung (ECAP und PCC) und zur Verhinderung von
Doppelarbeit.
Das EU Military Rapid Response Concept, das permanent weiter entwickelt wird, wurde am 24. Januar 2003 beschlossen.
Der Rückgriff auf NATO-Fähigkeiten und -Mittel bleibt hierbei die bevorzugte Option. Wichtig ist auch, dass die Kompatibilität der NATO-NRF mit der ESVP im NRF-Konzept verankert ist.
Europäische Verteidigungsagentur
Ich möchte schließlich noch auf die neue Europäische Verteidigungsagentur (" European Defence Agency" ), deren Aufbau im November beschlossen wurde,
eingehen.
Der neuen Agentur, die, wenn alles glatt geht, im Jahr 2004 ihre Arbeit aufnehmen wird, kommt mit Blick auf die militärischen Fähigkeiten der EU und Optimierung ihrer Rüstungsaktivitäten eine Schlüsselbedeutung zu.
Sie wird unter anderem
- Fähigkeitsziele abstimmen und vorschlagen;
- den operativen Bedarf harmonisieren sowie kompatible Beschaffungsvorhaben bewirken;
- Kooperationsprojekte anregen und betreuen;
- die Forschung fördern sowie
- die industrielle/technologische Basis des Verteidigungsbereichs stärken und die Schaffung eines wettbewerbsfähigen europäischen Rüstungsgütermarktes unterstützen.
Unter dem Dach der Agentur können Mitgliedsstaaten Gruppen für gemeinsame Projekte bilden. Wir wollen dabei keine neue Superbehörde, sondern eine rasch arbeitsfähige Agentur mit Netzwerkcharakter.
Rolle Deutschlands in der europäischen Sicherheitspolitik
...
Resumeé
Meine Damen, meine Herren,
es gibt Anlass zu begründetem Optimismus für die Fortentwicklung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Die Europäer haben ein
beeindruckendes Konventsergebnis erzielt - ob wegen oder trotz der Irak-Krise spielt letztlich keine Rolle.
Es gibt eine gemeinsame Politik der EU in vielen sicherheitspolitischen Feldern, obwohl man in der Tat feststellen muss, dass die EU immer noch eine Macht
im Werden ist. Die Überwindung der Probleme bei der politischen Willensbildung und bei der institutionellen Umsetzung sowie der Defizite bei den militärischen
Fähigkeiten wird bei allen Fortschritten - nach meiner Einschätzung noch Jahre brauchen.
Auch von daher ist es wichtig, nicht politisch und militärisch Illusionen nachzuhängen, was die Rolle der NATO und unserer amerikanischen Verbündeten für die europäische Sicherheit betrifft.
Die NATO wird ihre grundlegende Bedeutung als Garant unserer Sicherheit behalten. Es geht im transatlantischen Verhältnis um Teilung von Lasten
und Verantwortung unter Partnern mit den gleichen Grundwerten und Grundinteressen. Dies verlangt gegenseitigen Respekt und Vertrauen, auch in
schwierigen Phasen. Es erfordert auch die Bereitschaft, zu akzeptieren, dass ein stärkeres Europa nicht immer einer Meinung mit dem amerikanischen Bündnispartner sein kann und wird. Dies ist im Umgang von großen
Demokratien völlig normal.
Trotzdem gilt: Amerika und Europa bleiben füreinander erste Wahl. Dies wird umso mehr gelingen, je mehr Europa substanziell beitragen kann. Und es wird umso eher der Fall sein, je mehr beide Partner zu einem strategischen Dialog über die Grundfragen der gemeinsamen Sicherheit und über das gemeinsame
Handeln finden.
Mit der Nationalen Sicherheitsstrategie der USA und der neuen EU-Sicherheitsstrategie sind wichtige Voraussetzungen geschaffen. Auf dieser Grundlage können Europäer und Amerikaner in der NATO, im Dialog zwischen NATO und EU sowie auf bilateraler Ebene die strategische Analyse und die strategischen Handlungsoptionen zur Stärkung der gemeinsamen
Sicherheit einander annähern.
Vielen Dank.