Sechster Nahostkrieg
Ich hoffe wieder vermehrt hier vorbeischauen zu können.

(Gestern, 19:27)Nite schrieb: Möglicherweise muß Israel tatsächlich diesen Gaza-Krieg erst vollständig gewinnen, damit es hier zu einem Umdenken kommen kann.

Erst ohne Krieg ist ein Regierungswechsel in israel möglich, erst dann wird der Prozeß gegen Netanyahu fortgesetzt werden können.

Erst dann wird die religiöse Rechte politisch auf ein erträgliches Maß gestutzt werden können.

Erst dann können die Siedlungen gestoppt werden.

Ohne diese Kaskade wird es nicht gehen.

- Es ist doch schon seit der Demobilisierung im Dezember 23 ersichtlich, dass es kein Interesse seitens der politischen und militärischen Führung gibt den Gaza-Krieg "vollständig zu gewinnen", sprich die Hamas vollständig inklusive Verwaltungsstrukturen zu zerschlagen. Daran hat sich bis heute nichts geändert und das ist auch richtig so. Ein Israelisches Besatzungsregime in Gaza ist weder militärisch noch politisch darstellbar, auch wenn das der Finanzminister (öffentlich) nicht einsehen will.

- Ein Regierungswechsel ist völlig unabhängig vom Krieg 'möglich'. Man könnte genausogut argumentieren, dass ein immer weiter verlängerter Krieg Netanyahus Wahlchancen schmälert. So oder so wird spätestens in einem Jahr gewählt, wahrscheinlich sogar schon in der ersten Jahreshälfte 26. Status Quo seit vielen Monaten ist, dass Netanyahu mit den bisherigen Partnern keine Mehrheit mehr hat und Bennett in der Nominierungsrunde mehr Stimmen haben wird somit den Auftrag zur Regierungsbildung bekommen wird. Ob er ohne Likud und Netanyahu eine Mehrheit zusammenbekommt ist allerdings fraglich.

- der Prozess gegen Netanyahu läuft bis auf kurze Unterbrechungen munter weiter. Ob er am Ende groß was zu befürchten hat ist angesichts des Prozessverlaufs auch mehr als fraglich. So oder so wird es noch Jahre dauern bis da ein abschließendes Urteil steht und er bei einer (nicht sehr wahrscheinlichen) Verurteilung mit relevanten Strafmaß durch die Instanzen geht.
Für wirklich tiefgehende Hintergründe lohnt ein Blick in diesen Artikel: https://www.tabletmag.com/sections/israe...-netanyahu

- Wenn sich 'die Religiöse Rechte' auf die beiden Schreckgespenster von Rechtsaußen bezieht stehen die zusammengenommen Sitzetechnisch genau da wo sie bei den letzten Wahlen und vor dem Krieg auch gestanden haben. Wobei Smotrich zuschauen muss dass er wieder eine Wahlallianz mit Ben Gvir bildet, sonst könnte er an der Prozenthürde scheitern. Ist allerdings auch recht wahrscheinlich.
Insgesamt betrachtet ist die israelische Gesellschaft weiterhin klar auf dem Weg nach Rechts. Man sollte hier nicht den momentanen Anti-Netnayahu Block mit einer politischen Ausrichtung verwechseln und sich in Hoffnungen verlieren, dass sich die israelische Politik groß ändert wenn Otzma Yehudit rausfliegt.

- Der Siedlungsbau ist seit vielen Jahren gestoppt. Maximal werden hier und dort in schon bestehenden Ortschaften Neubaugebiete ausgewiesen. Die eigentliche siedlungsbezogene Problematik dort sind zahlenmäßig sehr überschaubare Radikale, die sich einen keineswegs einseitigen Kleinkrieg mit den örtlichen Palästinensern liefern. Hier müsste man staatlicherseits aus diversen Gründen längst gegensteuern, aber auch wenn man dieses Happening komplett abstellt löst das keine relevanten Probleme. Das ist ein medial gut bespielter Nebenschauplatz.

- In Bezug auf das Westjordanland sind die genauen politischen Verhältnisse in Israel nicht sonderlich relevant, zumindest kurz- und mittelfristig. Viel entscheidender wird sein was nach dem Tod von Abbas passieren wird.
In Bezug auf Gaza wird es meines Erachtens auch völlig losgelöst von den politischen Verhältnissen in 2026 in Richtung Auswanderung gehen. Der Streifen ist schon jetzt nicht mehr lebensfähig und wenn die IDF nun auch durch Gaza-Stadt endlich durchgeht wird sich diese Erkenntnis schon mittelfristig innerhalb wie außerhalb Gazas verfestigen.
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(Gestern, 21:34)Nightwatch schrieb: In Bezug auf Gaza wird es meines Erachtens auch völlig losgelöst von den politischen Verhältnissen in 2026 in Richtung Auswanderung gehen. Der Streifen ist schon jetzt nicht mehr lebensfähig ...

Ob eine solche Auswanderung tatsächlich ein Unglück für die Menschen wäre, wäre noch zu klären.

"Nicht überlebensfähig" war der Gazastreifen im Grunde schon immer.

Für mich die einzig praktikable Lösung:
- Das Westjordanland geht an Jordanien, ebenso der Gazastreifen.
- Ein Eisenbahntunnel verbindet Jordanien mit dem Gazastreifen, das als zollfreies Gebiet und Mittelmeerhafen von Jordanien fungiert.
- Jordanien wird mit mehreren Fantastilliarden von Dollar belohnt und gefördert.
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Das Problem bei dieser Idee ist, dass Jordanien dies selbst dann nicht zulassen wird, wenn man es mit Unsummen von Geld dafür belohnen würde, gebranntes Kind scheut den Ofen etc.

Besagten Tunnel wird es ebenfalls niemals geben.

Und das Westjordanland ist genau so politisch nicht händelbar, weil es einfach dermaßen zerschnitten, zerteilt, zerstückelt und mit Radikalen (auf beiden Seiten) durchsetzt ist. Jordanien wird den Teufel tun und sich beispielsweise den Islamischen Dschihad mit dem Westjordanland ins eigene Land holen.

Und ist ja nicht so, als ob die Jordanier die einzigen wären die hier Probleme hatten. Das zieht sich vom Libanon bis nach Kuweit.

Gibt es überhaupt irgendeine Lösung ?!

In der Theorie mag es da Möglichkeiten geben, aber in der praktischen Realität werden die Akteure vor Ort ohne massives Eingreifen von Außen meiner Einschätzung nach nicht in der Lage sein aus diesem Geschehen auszubrechen. Und niemand will von Außen hier massiv eingreifen.

So bleibt es beim Fatalismus der vor Ort befindlichen Akteure und einem ewigen Krieg.
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Gaza hatte in meinen Augen immer enormes Potential, wenn man was daraus hätte machen wollen.
Man liegt direkt an einer der größten Handelsrouten der Welt und hat direkten Zugang zu den Handelsströmen zwischen Ost und West
Man sitzt auf auskömmlichen Erdgasressourcen vor der eigenen Küste, man hätte sich in friedlicheren Zeiten ohne viel Aufwand an die israelische Gasförderung anhängen und Ägypten und Europa beliefern können. Damit hätte man eigenes Kapital für die weitere Entwicklung des Streifens generiert.
Das touristische Potential ist selbsterklärend. Europa liegt nur 2, 3 Flugstunden entfernt, man liegt zwischen den touristischen Hotspots Israel und Ägypten und ist eigentlich ein einziger langer Sandstrand mit angeschlossener Partymeile im arabischen Flair inklusive touristisch interessanten archäologischen Stätten.
Der eigentliche Trumpf wäre das Humankapital gewesen. Die Bevölkerung ist jung mit einer verglichen mit dem arabischen Raum hohen Alphabetisierungsrate. Die israelische Wirtschaft direkt nebenan hat unersättlichen Bedarf an Arbeitskräften. Die Erfolgstory schreibt sich hier da eigentlich von selbst.

Das einzige strukturelle Problem Gazas war der fehlende Raum. Überlegungen hinsichtlich Wirtschaftszonen im Negev gab es, hatten sich aber nie materialisiert. Natürlicher wäre ein wachsen in den Sinai hinein gewesen, genügend Raum ist vorhanden. Klug aufgezogen hätte man daraus Sonderwirtschaftszonen mit Steuererleichterungen basteln können, vom herangezogenen Kapital hätten dann auch wieder Israel und Ägypten profitiert.
Wasser ist kein Problem, im Gegenteil, zunächst dank Erdgas und nun auch erneuerbaren Energien hätte man dort halt wie in Israel auch einige Meerwasserentsalzungsanlagen hingestellt und im Küstenklima auch wunderbar außerordentlich ergiebige Landwirtschaft betreiben können.
Demographie wäre auch weniger ein Problem gewesen, mit dem wachsenden Wohlstand, dem sinkenden Einfluss des radikalen Islams, ohne die Motivation Märtyrer für den Kampf gegen Israel produzieren zu müssen und umfassender Freizügigkeit hätte sich das Bevölkerungswachstum auf einem viel gesünderen Niveau eingependelt.
Gaza und die Region darüber hinaus hätten einfach enormes Potential. Es ist ein Trauerspiel, dass alle Akteure so viel Kapital für Rüstung und Verteidigung aufbringen (müssen), da könnte es zivilisatorisch auch so aussehen wie am Golf oder in Fernost.

Das ist jetzt halt vorbei. Weite Teile des Streifens sind eine Trümmerwüste. Nicht nur aus Millionen Tonnen Beton, sondern auch allen möglichen sonstigen Dreck der da verbaut wurde, inklusive Asbest und Schwermetallen. Das ist nochmal ein anderes Kaliber als Deutschland 45. Hinzu kommt die in dem trockenen/heißen Klima extreme Staubbelastung sowie Verseuchungen durch den Kollaps der Müll- und Abwasserentsorgung.
Israelische Blindgänger und verbleibende Sprengfallen und Munition der Hamas sowie Rückstände eingesetzter Wirkmittel kommen noch dazu.

Man kann dort sicherlich aufräumen. Aber das sind Prozesse die sich über zwei Dekaden erstrecken würden. Kapital dazu müsste ausschließlich aus dem Ausland fließen. Schon kurzfristige bewegt man sich da mit zweistelligen Milliardenbereichen. Wie das geschehen und vor allem dann auch konkret die notwendige Hardware in den Gazastreifen gebracht werden soll, wenn dort noch die Hamas agiert ist sehr unklar. Spannend in diesem Zusammenhang auch die Frage, ob man die Bewohner des Streifens überhaupt zu großflächigem Wiederaufbau animieren kann. Generationen sind da nicht unter dem Banner Hilfe zur Selbsthilfe erzogen worden.
Zu erwarten ist da eher, dass nur das allernötigste gemacht werden wird /kann und die Bewohner des Streifens ohne Perspektiven in einer Trümmerwüste leben werden. Da ist dann der Ausreisewunsch eine nur natürliche Folge.

Wenn man es vernünftig machen will muss man sich von dem Gedanken trennen den Status Quo Ante wiederherstellen zu wollen. Das wird angesichts der demographischen Entwicklung nur in die nächste Katastrophe führen.
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(Heute, 08:27)Nightwatch schrieb: Zu erwarten ist da eher, dass nur das allernötigste gemacht werden wird /kann und die Bewohner des Streifens ohne Perspektiven in einer Trümmerwüste leben werden. Da ist dann der Ausreisewunsch eine nur natürliche Folge.

Solange die Hamas und andere radikale Islamisten aktiv sind macht ein Wiederaufbau keinen Sinn. Mit den vielen israelischen Siedlern im Westjordanland wird es auch da nie Ruhe geben. Der Zug ist abgefahren.

Wenn man wieder und wieder Kriege verliert sollte man irgendwann einsehen, dass weitermachen sinnlos ist. Das können die Palästinensers aber nur selber schaffen und dazu scheint keinerlei Willen da zu sein.
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Das Westjordanland ist da unproblematischer. Israel könnte den unabhängig agierenden radikalen Mob der Siedlerbewegung durchaus Einhalt gebieten. Es geschieht halt momentan nicht, weil Netanyahu Ben Gvir benötigt bzw. er politisch diese Flanke nach Rechts nicht aufmachen kann.
Und dies halt auch nur weil sich Liebermann als eigentlich (sicherheitspolitisch) stramm rechter Politiker weigert mit persönlich Netanyahu zusammenzuarbeiten, Yisrael Beitenu deswegen in der Opposition sitzt und dem rechten Lager damit entscheidende Stimmen ohne Otzma Yehudit fehlen.
Das heißt allerdings auch, dass sich dieses Problem allerspätestens nach Netanyahu in Luft auflösen wird, da sich mit Likud, Bennett und Liebermann eine rechte und weitgehend säkulare Mehrheit in der Knesset abzeichnet, ohne Rechtsaußenparteien, ohne dezidiert linke oder progressive Kräfte und - für die innerisraelische Politik am Wichtigsten - ohne ultraorthodoxe Parteien.
Spätestens eine solche Regierungskoalition wird dann auch gegen die eigenen Pappenheimer vorgehen. Wirklich Gewalttätig dort sind dabei eh nur wenige hundert bis zu (das schwankt je nach Lage) vllt 1500 Personen, das ist ein sehr überschaubarer (und den Behörden sehr gut bekannter) Personenkreis. Das Unterstützerumfeld ist etwas größer, bis zu 10.000 Personen. Das ist jetzt nicht nichts, aber in dem Rahmen in dem Extremismus auch in Deutschland existiert.

Wenn man dieses Täterfeld unter Kontrolle bekommt wird man schon sehr viel Spannung aus der Westbank nehmen können, was direkte Konfrontation anbelangt. Das löst das Grundproblem des Konfliktes nicht, erlaubt aber beiden Seiten nebeneinander herzuleben. Zumindest wenn sich die Lage nach dem Tod Abbas weiterhin kontrollieren lässt, dass ist eine offene Frage.
Grundsätzlich muss man konstatieren, dass die Israelis mit dem Trump-Plan von 2020 seitens der USA ziemlich das Maximum zugesprochen bekommen haben, was sich wahrscheinlich 90% der Bevölkerung und Politik dort erträumt. Da wird man auch zukünftig kaum mehr dahinter zurückgehen. Eigentlich sollten da auch die Palästinenser merken, dass sich ihre Verhandlungsposition durch die sich verändernde Situation on the ground permanent verschlechtert und sie mit jeder verstreichenden Dekade schlechter dastehen.

Die in meinen Augen wahrscheinlichste relevante Entwicklung dort wird dann auch sein, dass Israel *in den nächsten zwanzig Jahren* dort sehr einseitig Fakten schafft, Gebiete annektiert und unilateral eine finale Grenze festlegt. Ganz besonders dann, wenn die internationale Community es für sinnvoll hält das Projekt Staat Palästina voranzutreiben ohne vorausgegangene finale Absprachen zwischen Israel und den Palästinensern.
Hinsichtlich der Annektierung ist auch ein Aspekt ganz interessant: Sollte die westliche Welt es im Rahmen eines Endes des Krieges in der Ukraine anerkennen, dass Russland dort Gebiete annektiert werden in Israel die Stimmen noch lauter werden, die ein ähnliches Vorgehen fordern.
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