(@Broensen: Falls meine Antwort an Quintus Deine Einwände nicht zufriedenstellend beantwortet, lasse es mich bitte wissen.)
(06.07.2025, 15:02)Quintus Fabius schrieb: Eine Landbrücke nach Kaliningrad also.......Es sind genau solche Aussagen, die ich auch immer wieder von Offizieren dieser Bundeswehr höre, welche mich so dermaßen an der Befähigung der Entscheidungsebenen zweifeln lassen.
Zweifelst Du auch an der Befähigung der russischen Entscheidungsebene, die dieses Szenar mehrfach beübt hat, zuletzt 2020?
(06.07.2025, 15:02)Quintus Fabius schrieb: Litauen wird nicht dadurch verteidigt, indem deutsche Leopard 2 sich zusammen mit den barocken Massen der Polen in einem eng begrenzten Raum tummeln. Es wird auch nicht durch mittlere Kräfte verteidigbar sein. Gerade eben die Topografie und die Anforderungen welche sich aus den genannten strategischen Linien ergeben, bedeuten, dass wir für diese sehr konkreten Anforderungen ganz andere Systeme beschaffen müssen, und für die Litauer völlig andere Wehrkonzepte.
Wieso "tummeln"? Und wieso "barocke Massen"?
Du stellst es so dar, als schwebte den Planern zwischen Brunssum und Vilnius, Straußberg und Warschau ein Großer Vaterländischer mit tausendfältigen Panzerkeilen vor. Darum geht es aber doch gar nicht.
Zunächst einmal unterschätzt Du, wenn Du Dich in der Zahl 1.000 verbeißt, Faktoren wie Logistik und Attrition.
Eine deutsche PzBrig mit zwei PzBtl müsste aktuell über 2×44+2=90 KPz Leopard 2 verfügen. Zur Sicherstellung ihrer Kaltstartfähigkeit benötigt sie eine Materialreserve von einem Drittel, die Bundeswehr geht offenbar neuerdings von 140% aus, also 126 KPz. Wenn ich als absolutes Minimum zwei solche Verbände (zwecks Rotation) vorhalten will, brauche ich also schon 252 KPz.
Und eine Operation im Brigaderahmen, um die Kommunikationswege nach Litauen zu öffnen, ist alles andere als unrealistisch und mehrfach sowohl von Deutschland als auch von anderen NATO-Streitkräften geübt worden.
Welche Aufgaben stellen sich nun dem Heer hinsichtlich der Raumverantwortung für Litauen (unabhängig von den durch Luftwaffe und Marine zu leistenden Beiträgen)?
Einerseits muss ein Gelände verteidigt werden, das weitgehend flach, ansonsten aber sehr vielfältig ist, mit Feucht- und Waldgebieten, sowie urbanen Räumen in geringer Nähe zur Landesgrenze. Zeit gegen Raum zu tauschen ist nur bedingt möglich.
Es braucht vor Ort deshalb Kräfte, die in vielen Geländearten durchsetzungsstark verteidigen und verzögern können, bis entweder Entsatz erfolgen oder die Lage politisch geklärt werden kann.
Andererseits muss die Fähigkeit erhalten werden, die Kommunikationswege offenzuhalten bzw. notfalls freizukämpfen.
Die mittleren Kräfte haben hier durchaus noch eine Daseinsberechtigung—wenngleich die ihnen zugedachte Bedeutung durch die permanente Stationierung deutscher Kräfte in Litauen geschrumpft ist*.
Denn es braucht möglichst starke Kräfte der ersten Stunde, die im Krisenfall möglichst schnell (eben auf eigener Achse) nach Litauen verlegen können. Die mKr bieten hier einen akzeptablen Kompromiss zwischen Mobilität und Feuerkraft.
Es ist jedoch auch die Möglichkeit zu bedenken, dass der Aggressor seinen operativen Schwerpunkt darauf legen könnte, den Suwalki-Korridor mit starken Landstreitkräften zu schließen, in dem Falle müsste man den Weg wieder öffnen, dazu wären mechanisierte Verbände das Mittel der Wahl.
*) Deshalb sollte die PzGrenBrig 41 auch nicht mehr umgegliedert werden. Zwei Brigaden mKr genügen.
Die in den letzten fünf Jahren beobachteten Veränderungen auf dem Gefechtsfeld erschweren die klassische Operationsführung; vor allem verstärken sie die—aufgrund des nuklearen Eskalationspotentials sowieso bestehende—Notwendigkeit, statische Frontverläufe und langwierige Gefechte zu vermeiden. Trotzdem sind und bleiben mechanisierte Kräfte das Mittel der Wahl für Mitteleuropa, und das scheint beileibe nicht nur das deutsche Heer zu glauben.
(06.07.2025, 15:02)Quintus Fabius schrieb: Verwende ich deshalb so oft das Wort Evolutionär ?! Tatsächlich ist gerade das Geschehen in der Ukraine in keinster Weise ein radikaler Paradigmenwechsel, sondern eine völlig logische und normale evolutionäre Weiterentwicklung.
Hier bin ich anderer Ansicht.
Betrachtet man diesen Krieg als Experiment, so handelt es sich um eines, aus dem sich kaum allgemeingültige Erkenntnisse ableiten lassen, weil bereits die Versuchsanordnung nicht zur Überprüfung der Hypothese (hier: Voraussetzungen für taktisch-operativen Erfolg) taugt. Denn beide Seiten führen diesen Krieg nicht so, wie er aus militärischer Sicht geführt werden könnte, insofern sind keine sicheren Aussagen darüber möglich, was geschähe, wenn man ihn auf die mögliche Weise führte.
Aus diesem Grund ist auch der Vergleich mit dem Ersten Weltkrieg abzulehnen, den Ralph Thiele zieht. Anders als 1914 ist heute nicht deshalb ein Patt entstanden, weil Kriegshandwerk, Waffentechnik und Ressourcen an ihre Grenzen gelangt wären.
In der Ukraine hat sich (um beim Bild der Evolution zu bleiben) ein unter ungewöhnlichen Voraussetzungen aus der Not geborener, paralleler Evolutionsstrang entwickelt. Er wird die allgemeine Entwicklung beeinflussen, vielleicht sogar entscheidend beeinflussen, aber eben nur: beeinflussen.
(06.07.2025, 15:02)Quintus Fabius schrieb: Nein tu ich nicht. Das ist eine Verkürzung dessen was ich gesamt so schreibe die einfach völlig das Bild auf welches ich hinaus will verzerrt. Und wie geschrieben ist das nur eine Projektion von dir.
Das ist meine Wahrnehmung Deiner Äußerungen, die falsch sein kann oder auch nicht, aber keine "Projektion".
(06.07.2025, 15:02)Quintus Fabius schrieb: Was ich seit vielen Jahren betone ist das Prinzip von Stein - Schere - Papier, im Krieg. Gerade eben deshalb fordere ich immer, dass man genau das exploriert was der Gegner nicht ist, nicht hat, in was er schwach ist. Deshalb bin ich beispielsweise gegen Rohrartillerie, weil diese zu stärken eine Stärke gegen eine Stärke des Gegners setzen würde. Deshalb bin ich gegen die Duellfähigkeit bei Panzern und messe dieser keinen Wert zu.
Das ist der Grundsatz der Komplementarität der Kräfte, der prinzipiell seine Berechtigung hat. Du scheinst jedoch zweierlei zu übergehen: Erstens, der Gegner ist niemals überall und zu allen Zeiten gleich stark.
Daher: Dass die Streitkräfte der Russischen Föderation über die stärkste Rohrartillerie der Welt verfüg(t)en, heißt nicht, dass Rohrartillerie für die Bundeswehr entbehrlich wäre.
Zweitens: Verzichte ich auf Fähigkeiten und Einsatzmittel wie Rohrartillerie oder duellfähige Kampfpanzer, wird der Gegner davon erfahren und sich entsprechend anpassen. Was auch immer für einen Vorteil man sich durch solch unübliche Weichenstellungen erhofft, er könnte und dürfte spätestens dann verloren gehen.
(06.07.2025, 15:02)Quintus Fabius schrieb: Deshalb bin ich für völlig andere Strukturen was die reine Landesverteidigung angeht, welche meiner Überzeugung nach getrennt von der Bündnisverteidigung für sich selbst und anders gedacht werden muss. usw.
Sollte Deutschland in die Lage kommen, dass die Bedürfnisse der Landes- und der Bündnisverteidigung nicht mehr deckungsgleich sind, hätten wir noch ganz andere Probleme …
(06.07.2025, 15:02)Quintus Fabius schrieb: Die jetzt aufgewendeten Summen scheinen grenzenlos zu sein, sind dies aber nicht. Und vergeudet man dieses Geld, wird man zur höheren Wahrscheinlichkeit keine weiteren solchen Unsummen aufwenden können um Fehler die jetzt gemacht werden dann noch zu korrigieren. Noch darüber hinaus erzeugen diese Unsummen gewaltige finanzielle Folgekosten und Fernwirkungen. Die Kalkulation der Fernwirkungen ist das Schwerste überhaupt.
Du wirst kaum darlegen können, dass die Beschaffung dieser Fahrzeuge künftige Weichenstellungen verunmöglicht. Mir ist auch nicht begreiflich, warum Du eine starke Panzerwaffe als inkompatibel mit z.B. einer starken Drohnenwaffe zu betrachten scheinst. Ich sehe da keine Konkurrenz, wonach das eine das andere ausschlösse.
(06.07.2025, 15:02)Quintus Fabius schrieb: Und nur weil ein Mangel bestand, heißt das nicht, dass dieser Mangel in Zukunft überhaupt einer sein wird.
Das ist richtig, aber letztlich ein Gemeinplatz. Ohne jetzt näher darauf eingehen zu wollen, wie wohlbegründet diese Befürchtungen sind, scheint man in Berlin und in der gesamten NATO von einer ernsten unmittelbar bevorstehenden Kriegsgefahr auszugehen.
Wenn man diese Gefahr bejaht, so folgt daraus zwingend, dass man den Handwerkern die Werkzeuge an die Hand geben muss, die sie kennen und beherrschen, ob sich nun deren Obsoleszenz am Horizont abzeichnet oder nicht.
(06.07.2025, 15:02)Quintus Fabius schrieb: Kontextlos bedeutet nun in diesem Zusammenhang, dass die Beschaffung eben ohne Kontext erfolgt. Bis die strategischen Fragestellungen nicht richtig beantwortet wurden, sind alle genannten Zahlen, völlig gleich wie hoch oder niedrig genau deshalb völlig sinnfrei.
Es wird der Zustand nachträglich hergestellt, den man schon ~2018 herstellen wollte, um das damals benannte Ziel tatsächlich zu erreichen. Entschuldige, wenn ich auf dem Punkt herumreite, aber ich verstehe wirklich nicht, wieso Du von einer Beschaffung "ohne Kontext" sprichst. Vielleicht ist das Ziel inzwischen hinfällig geworden, darüber kann man diskutieren—aber es gibt ein Ziel.
(06.07.2025, 15:02)Quintus Fabius schrieb: Ich schrieb sehr ähnliches bis das gleiche schon viele Jahre vor dem Ukrainekrieg ! […]
Dann habe ich Dir in dieser Hinsicht Unrecht getan. Mea culpa.
(06.07.2025, 15:02)Quintus Fabius schrieb: Ich traue tatsächlich den Entscheidungsebenen als System in dieser Bundesrepublik nicht zu, eine kriegsfähige Armee aufzustellen. Das ist eine Grundannahme von mir, die auf einer langjährigen Beobachtung exakt dieser Entscheidungsebenen und der von ihnen getroffenen Entscheidungen beruht.
Damit magst Du Recht haben oder nicht, aber was ich nicht verstehe, ist, warum Du ein bundeswehrspezifisches Versagen in nicht-bundeswehrspezifischen Entscheidungen zu erkennen glaubst. Vorliegend machst Du der Bundeswehrführung zum Vorwurf, dass sie weiterhin mechanisierte Kräfte in den Mittelpunkt ihrer Erwägungen stellt—obwohl sie sich in dieser Hinsicht von anderen Armeen nicht unterscheidet. Ist das nicht widersinnig?
(06.07.2025, 15:02)Quintus Fabius schrieb: Meine radikale Ablehnung überkommener Doktrinen beruht im weiteren vor allem auch darauf, dass wir zu sehr dem Prinzip des "Making yesterday perfect" verbunden sind und dass der Gegner im Prinzip ähnliche Doktrinen verwendet. Um aber erneut das Bild des Schere-Stein-Papier aufzugreifen: wenn zwei Kampfpanzer beide auf Duellfähigkeit versuchen das Duell zu führen, so widerspricht genau dies den eigentlichen Prinzipien des Krieges und generiert nicht nur keine Vorteile, es verschenkt jedwede Vorteile welche wir durch unsere überlegene Technologie generieren könnten.
Duellfähig zu sein bedeutet nicht, das Duell zu suchen. Die deutsche Panzerwaffe wird sich nie ausschließlich auf die Duellfähigkeit ihrer Fahrzeuge verlassen, denn das hieße, "fair" zu kämpfen, was jedoch dem Wesen des Krieges widerspricht.
Duellfähigkeit, das heißt zunächst einmal nur, dass der Kampfpanzer durchsetzungsfähig ist, wenn er sich einem gegnerischen Gefechtsfahrzeug dennoch stellen muss. Welcher Nachteil sollte daraus entstehen, dass er dies kann?
Der Fehler muss wohl bei mir liegen, aber ich finde immer weniger Zugang zu dieser radikalen Denkweise.
Darf ich fragen, welchen militärischen Hintergrund Du hast? Forschst Du vielleicht zu solchen Fragen?
(06.07.2025, 15:02)Quintus Fabius schrieb: Diese Strukturen sind aber nicht kriegstauglich, sie entsprechend nicht den Anforderungen des modernen Krieges. Das hat nichts mit dem Leopard 2 als System zu tun, sondern liegt direkt an der Struktur selbst.
Aufgrund der Tatsache, dass sich die Gliederung deutscher Kampfverbände von denen anderer Streitkräfte nicht wesentlich unterscheidet, kann ich diese Aussage absolut nicht nachvollziehen. Oder denkst Du, dass auch alle ähnlich aufgestellten Streitkräfte nicht kriegstauglich seien? Das wäre in der Tat extrem.
(06.07.2025, 15:02)Quintus Fabius schrieb: Wir ahmen in allem unsere westlichen Verbündeten nach, statt mal selbst voran zu gehen oder geniun eigene Wege zu entwickeln.
Könnte es dafür aber nicht noch andere Gründe als Apathie oder doktrinäre Orthodoxie geben? Ich meine, mir ist klar, dass die Mehrheit nicht notwendigerweise richtig liegt. Nichtsdestotrotz ist die statistische Wahrscheinlichkeit, dass sie Recht hat, wesentlich höher, als dass die Außenseitermeinung Recht hat.
Aus diesem Umstand bezieht die Lehrmeinung gleich welcher akademischen Disziplin ja ein Gutteil ihrer Autorität.
(06.07.2025, 15:02)Quintus Fabius schrieb: Und weil es im Krieg keine allgemeingültigen abstrakten Axiome gibt. Daher kann jede Strategie welche sich auf allgemein gehaltene Axiome abstützt nicht funktionieren.
Ich muss Dich bitten, das zu erläutern, denn hier kann ich Dir absolut nicht folgen.
Man könnte Strategie und Taktik doch gar nicht lehren, gäbe es nicht verallgemeinerbare Prinzipien—mithin axiomatische Lehrsätze—die der Stratege bzw. Taktiker beachten und anwenden muss.
(06.07.2025, 15:02)Quintus Fabius schrieb: Der Zweck des Krieges bestimmt die Mittel, weshalb diese an klar defnierte Kriegsziele angepasst werden müssen.
Müsste man dann nicht für jeden denkbaren Krieg die maßgeschneiderten Mittel vorhalten?
(06.07.2025, 15:02)Quintus Fabius schrieb: Durchaus richtig, aber die konkrete Umsetzung bei der Bundeswehr hatte zum einen die aktuelle Bonsai-Armee zur Folge, die nur noch so tut als ob sie ein großer Baum wäre […]
So können die Meinungen auseinandergehen. Wäre die Bundeswehr wirklich als Werkzeugkasten für, Zitat, die "wichtigsten denkbaren Anwendungen" konzipiert, sähe sie meines Erachtens komplett anders aus. Ihr aktueller Zustand ist die Folge der kompromisslosen, rein fiskalisch motivierten Ausrichtung auf eine einzige Anwendung.
(06.07.2025, 15:02)Quintus Fabius schrieb: Um es mal in einem möglichst einfachen und plakativen Beispiel überspitzt darzustellen: Und es wird nötig in ein Sumpfgebiet vorzustoßen. Und Radpanzer wie überschwere Leopard 2 versinken einfach […]
Es wird niemals nötig sein, mit schweren Kräften in ein Sumpfgebiet vorzustoßen, dafür hat man leichte Kräfte (oder umgeht die Sümpfe gleich). Ich kann Dir hier überhaupt nicht folgen. Denn es ist doch kein Malus der Panzertruppen, dass sie für Einsätze in Sümpfen nicht taugen, genauso wenig ist es ein Malus der leichten Infanterie, dass sie für Offenland nicht taugt.
(06.07.2025, 15:02)Quintus Fabius schrieb: Womit wir bereits im weiteren Sinne Verlierer sind. Allein schon der gedankliche Ausschluss dieser Möglichkeiten bildet eine Mentalität ab, die nicht kriegstauglich ist.
Und deswegen unterstelle ich Dir eine nicht zielführende Radikalität. Angriffskriege sind völkerrechtlich verboten. Mir ist klar, dass Du das für realitätsfern hältst, doch als Handelsnation, die von einer halbwegs stabilen Weltordnung profitiert, und die ihren einzigen ernstzunehmenden Rivalen ohnehin militärisch unterlegen ist und immer sein wird, liegt es gar nicht in Deutschlands Interesse, Angriffskriege zu führen.
Und warum sollte der Verzicht auf das Mittel des Angriffskrieges per se Ausdruck einer kriegsuntauglichen Mentalität sein? Wie begründest Du das anhand der von Clausewitz aufgestellten Maximen? Ist die Defensive weniger Krieg als die Aggression?
(06.07.2025, 16:03)DeltaR95 schrieb: Ich glaube, da wird der logistische Aufwand unterschätzt, diese Massen an UAV mit kurzer Reichweite an die Front und damit zum Einsatz zu bringen […]
So ist es. Der Einsatz von Drohnen ist (noch) nicht beliebig skalierbar. Das ist nicht nur eine Frage der Logistik, sondern auch von konstruktiven Eigenheiten.