16.03.2023, 21:46
Zitat:Verzögerung bedeutet doch, dass ein Gegner, so kanalisiert wird, dass er auf vorbereitete Abwehrstellungen trifft. Hierbei wird der Gegner abgenutzt und der Verteidiger sich auf die nächste Abwehrstellung zurückzieht und wieder von vorne verteidigt?
Die Lenkung des Feindes kann einer von mehreren Aspekten bei der Verzögerung sein, dass prägende Element aber ist sie nicht, sondern dass prägende Element ist die bewusste und gezielte Aufgabe von Raum durch Zurückweichen / Ausweichen, um dadurch mehrere militärische Vorteile zu erlangen, deren wesentlichste die folgenden sind:
1. Der Feind kann in seiner Dislozierung und seinen Plänen besser aufgeklärt werden. Er verrät sich daher eher und man kann besser auf seine Pläne reagieren - Überlegene Aufklärung / Informationslage
2. Der Feind kann seine überlegene Truppenstärke (so er eine hat) nicht ausspielen, diese verläuft sich sozusagen im Leerraum und kommt damit nicht oder weniger zur Wirkung - Negierung der Quantität
3. Der Feind wird auf eine effiziente Weise abgenutzt, dass heißt vor allem anderen, dass sich die Verlustverhältnisse für uns günstig entwickeln und der Feind mehr verliert als wir und dass durch eine kleinere Menge an eigenen Truppen (Economy of Force) - weitere Negierung der Quantität und Zeitgewinn
4. Man gewinnt wertvolle Zeit die man entsprechend für alles mögliche nutzen kann, vom Anlegen von Verteidigungsstellungen über deren weiteren Ausbau, über den Austausch von Verbänden, über die Versorgung von Einheiten, hin zu flankierenden Bewegungen oder zum Angriff an anderer Stelle usw usf - weiterer Zeitgewinn
5. Der Feind wird eventuell durch die Verzögerung in eine für uns vorteilhafte Position gelenkt - bessere taktische Positionierung für die nachfolgenden Aktionen:
Dabei kann es dann nach einer erfolgreichen Verzögerung sowohl so sein, dass der Gegner dann irgendwann auf eine vorbereitete Abwehrstellung aufläuft, aber auch genau so, dass man dann dem vordringenden Gegner mit einem Gegenangriff begegnet. Was genau auf die Verzögerung folgt ist also nicht festgelegt und genau deshalb hat man sie früher als eigene Kampfweise getrennt von Angriff und Verteidigung betrachtet.
Heute ist die Bundeswehr jedoch stark vom anglo-amerikanischen militärischen Denken durchsetzt, und Verzögerung wird deshalb heute nicht mehr als gesonderter Bereich, sondern als eine Unterart der Verteidigung gesehen, was meiner Überzeugung nach falsch ist, ihrem Wesen nicht gerecht wird, und sie daher negativ beeinflusst.
Nochmal zusammen fassend: es geht also nicht (primär) um Kanalisierung und dass der Gegner auf die nächste Abwehrstellung trifft, sondern vor allem anderen um Zeitgewinn und die Herstellung günstigerer Verhältnisse durch bewusste Raumaufgabe.
Zitat:Ich tue mir etwas schwer, dass Infanterie dabei keine Rolle spielen soll.
Bei der Verzögerung müssen die Einheiten welche dafür eingesetzt werden zum einen sehr mobil sein, zum anderen eine möglichst hohe Kampfkraft / Feuerkraft pro Einheit aufweisen. Und dann benötigt man recht viel Platz dafür, in welchem die Einheiten welche für die Verzögerung eingesetzt werden eine hohe Geschwindigkeit und eine hohe Querfeldeinbeweglichkeit aufweisen müssen. Ein ständiger Wechsel von aufgesessener und abgesessener Kampfweise ist ebenfalls hochgradig nachteilig, die Einheiten müssen de facto ad hoc aus der Bewegung heraus kämpfen und sich absetzen können. Entsprechend wurden Panzergrenadiere in der Verzögerung beispielsweise fast nur aufgesessen eingesetzt (Kalter Krieg Zeiten). Nur in ganz spezifischen Situationen hätte man hier dann mal abgesessen (beispielsweise an einer Sperre mit großer Bedeutung für die Lenkung des Gegners etc)