(Land) Die Brigade Scorpion
#10
Wenn man nun primär die Technologie betrachtet, im vorliegenden Fall also das Scorpion Programm, so ist eine Möglichkeit diese in Bezug auf ihren Wert für die Kampfkraft zu bewerten die sogenannte Systemic Technology Theory. Gemäß dieser verschiebt (wie schon oben beschrieben) die Technologie den Vorteil vom Angreifer zum Verteidiger und umgekehrt. Deshalb werden solche Gedankengebäude auch Offensiv-Defensiv Theorie genannt.

Es genügt aber eben nicht hier allein die Kriegs-Technologie zu betrachten, in einer ganzheitlichen Sichtweise muss auch die Gesellschaft und ihre Kultur mit berücksichtigt werden - wie aramiso es schon so treffend benannt hat. Es genügt also nicht eine Technologie zu haben welche den Angreifer stark bevorzugt wenn man parallel dazu eine Gesellschaft hat welche zum Angriff aus diversen anderen Gründen nicht in der Lage ist.

Aufgrund dieser Problematik die aramiso hier so viel besser (weil kürzer und prägnanter) beschrieben hat, stellen sich zwei Fragen:

1. soll man daher die Technologie der jeweiligen Kultur anpassen? Das ist nämlich exakt das was zur Zeit in vielen Ländern - insbesondere in dieser Bundesrepublik geschieht, man bevorzugt defensive Rüstungstechnologien weil diese eher zum eigenen kulturellen Selbstverständnis passen. Dies ist der größtmögliche Fehler, da es nach der Systemic Technology Theory egal ist welche Seite angreift oder welche Seite verteidigt, wenn die aktuell vorherrschende Technologie den Angreifer bevorzugt, dann ist immer der Angreifer im Vorteil, völlig gleich ob wir das sind oder der Feind. Wenn wir daher entgegen dem jeweiligen Vorteil der aktuellen Technologie eine andere Form von Technik rüsten, dann rüsten wir entgegen diesem Vorteil, wir verschlimmern also das Problem und werden noch schwächer als wir es ohnehin wären weil wir uns dem was ist verweigern. Und da bei unseren Streitkräften Doktrin und Technik meist Hand in Hand gehen, wird auch noch unsere Doktrin entgegengesetzt zu dem sein, was gerade aktuell vorteilhaft ist.

2. ist das Scorpion Programm nun eine Technologie, welche den Angreifer bevorzugt oder welche den Verteidiger bevorzugt? Vernetzte Kriegsführung bevorzugt meiner Ansicht nach in den meisten Fällen den Angreifer (wenn die "richtigen" Waffensysteme miteinander vernetzt werden), gerade deshalb hat dieser zur Zeit das Primat. Vernetzung ist aber daher nicht gleich Vernetzung. Man muss sie auch im Kontext ihrer Zielsetzung betrachten, die dazugehörige Doktrin betrachten, die Gesellschaft und deren kulturelle Ausrichtung und was für Systeme hier miteinander vernetzt werden und wie diese konkret eingesetzt werden sollen.

Beispielsweise ist das Scorpion System meiner Ansicht nach "zu leicht" für eine ernsthafte offensive Kriegsführung. Dazu kommt noch die selbst in Frankreich zu sehr vorherrschende Defensive Ausrichtung allen militärischen Handelns um das Risiko und die Verluste zu minimieren. Wenn man ein höheres Risiko eingeht, höhere Verluste akzeptiert, sehr viel aggressiver und offensiver agiert und dafür deutlich schwerere Verbände vorsieht, wird man sich gegenüber einem System wie Scorpion durchsetzen können. Einfach weil die aktuelle Technologie hier dieser Ausrichtung den Vorteil gewährt. Und dies umso mehr, wenn die Gesellschaft eine solche Kriegsführung aus sozialkulturellen Gründen ohnehin anstrebt bzw. tragen kann.

Die Schlußfolgerung für Deutschland sollte daraus sein, dass wir bewusst deutlich schwerere Verbände aufstellen müssen, welche deutlich aggressiver/offensiver ausgerichtet sein müssen, um die Vorteile der Vernetzung im Angriff explorieren zu können. Auf einen feindlichen Angriff muss mit einem Präventivangriff oder einem möglichst frühzeitigen und möglichst offensiven Gegenangriff "reagiert" werden, besser aber wäre es zuerst zuzuschlagen. Es wäre daher für Deutschland falsch Mittlere Verbände auf Radpanzern zu rüsten, nicht nur weil diese in Europa schon zuhauf vorhanden sind, sondern weil diese schlechter für die offensive vernetzte Kriegsführung geeignet sind.

Frankreich muss natürlich anders rüsten, ist sein Ziel doch auch eindeutig die Expeditionskriegsführung in Afrika und anderen vergleichbaren Fällen. Das kann man mit den beschränkten Mitteln welche zur Verfügung stehen natürlich so nicht unter einen Hut bringen und beides Vorhalten. Gerade deshalb aber sollten wir umso mehr so rüsten, wie es für die offensive Kriegsführung benötigt wird. Je schneller und je weiter reichend wir in kürzest möglicher Zeit tief in feindlichem Raum inmitten der feindlichen Zivilbevölkerung stehen, desto besser. Selbst Russland ist heute nicht mehr in der Lage ein solches Geschehen kriegswirtschaftlich wegzustecken und muss sich dann zwischen Verhandlungen (welche man parallel durchgehend anbieten muss) oder der nuklearen Eskalation entscheiden.

Genau aus diesem Grund verfolgt Russland umgekehrt ja genau die gleiche Strategie, genau die gleiche Grundausrichtung und rüstet entsprechend seine vernetzten Verbände anders als es Frankreich hier tut. Und Frankreich selbst kann sich das viel eher leisten leichtere / mittlere Verbände in den Mittelpunkt zu stellen, aufgrund seiner geographischen Lage hinter Deutschland und Polen. In einer europäischen Rüstungspolitik und einer ganzheitlichen Betrachtung der Rüstung in Europa müssen wir daher Frankreich "ausgleichen", indem wir eben anders rüsten als es die Franzosen hier tun.

Beides würde sich zudem gut ergänzen, da die entsprechenden mittelschweren Verbände Frankreichs durchaus insgesamt für einen Angriffskrieg sehr brauchbar wären, auch wenn sie für sich selbst dafür unzureichend sind. Sie dienen dann in einem solchen Kontext gerade aufgrund dieses Kampfinformationssystems als Späher, Plänkler, und leiten die Entscheidungsschlacht ein welche dann von anderen Verbänden geschlagen wird. Da ist aufgrund ihrer leichteren Ausrichtung mobiler sind, können sie von weiter westlich auch viel eher nach Osten verlegen und kämen damit zeitgleich mit den schweren Einheiten dort an welche weiter östlich zu positionieren wären.

Kommen wir beschließend damit zur entscheidenden Schlußfolgerung aus dem Scorpion Programm, welche man mit einem Wort perfekt zusammen fassen kann:

Interoperabilität

Was nützen Späher und Plänkler welche über ein eigenes Netz, ein Kampfinformationssystem und überragende Sensorik verfügen, wenn diese in Bezug auf die Informationen nicht mit uns zusammen interagieren können? Die zwingenden Schlußfolgerung des Scorpion Programms ist, dass die deutschen Streitkräfte mit diesem Interoperabel werden müssen, dass wir eine Verknüpfung mit diesem System herstellen müssen und die Interoperabilität zwischen den französischen und deutschen Verbänden weitgehend ausgebaut und erheblich verbessert werden muss. Wir benötigen daher neue Schnittstellen und eine fließend ineinander übergehende Vernetzung der französischen und der deutschen Netzwerke. Nur so macht das französische Scorpion Programm in einem europäischen Gesamtkontext Sinn und kann für die Offensive in einem ernsthaften größeren Krieg tatsächlich insgesamt nutzbringend werden.

Das Problem sind hier wieder einmal wir. Aktuell dürften wir in Europa in Bezug auf die Interoperabilität eine der am schlechtesten aufgestellten Armeen sein. Aufgrund der eindeutigen Bevorzugung des Angreifers durch die aktuelle Technologie, insbesondere durch die vernetzte Kriegsführung wäre aber die Herstellung einer möglichst weitgehenden Interoperabilität zwischen den französischen Streitkräften und der Bundeswehr der entscheidenste und wesentlichste Schwerpunkt der nächsten Jahre überhaupt. Diese Vernetzung zwischen uns herzustellen wäre meiner Meinung nach das aktuell wichtigste Rüstungsprojekt, wichtiger als fast alles andere.

Wenn Frankreich und Deutschland sich hier weitgehend vernetzen würden, und wir dann unsere Streitkräfte deutlich offensiver und schwerer ausrichten würden, wäre für Europa insgesamt sehr viel gewonnen.
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Die Brigade Scorpion - von voyageur - 18.10.2021, 13:38
RE: Das Programm Scorpion - von Quintus Fabius - 18.10.2021, 17:15
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