04.10.2024, 22:00
@Quintus
Und das ist auch das bittere Element daran. Der Libanon war einstmals eine zwar kleine, aber durchaus blühende Oase, eine "Schweiz" in der östlichen Levante. Zwar gab es (beinahe immer schon) divergierende konfessionelle Aspekte, aber diese waren in einem fein austarierten Gleichgewicht. Eine gewisse levantinische Gleichgültigkeit, eine gewisse Korruption mag immer schon vorgeherrscht haben, im nahöstlichen Ränkespiel ist dies aber vernachlässigbar, aber insgesamt war es eben ein durchaus lebenswertes und interessantes Örtchen. (Ohne dass ich dies anhand realer Erfahrungen nachvollziehen könnte, dazu bin ich zu jung, ich habe es vielmehr nur aus Berichten aus früheren Tagen.)
Das Problem - man mag es mir verzeihen, wenn ich dies so direkt sage - waren die Palästinenser (besser: ihre radikalen Kräfte). Nach dem Sechstagekrieg 1967 nistete sich die Fatah samt ihrer Sektierer zunächst in Jordanien ein. Dort benahmen sie sich wie die Axt im Walde und sahen sich als "Staat im Staate" an, errichteten eigenmächtig Grenzkontrollen und verlangten "Zölle" von Durchreisenden. Und sie versuchten somit, da sie faktisch die staatliche Autorität untergruben, dem Haschemitenkönig Hussein I. sein Land unter den Füßen wegzuziehen. Aber der König war ein altbewährter Haudegen, und er hatte eine Beduinengarde, die noch von Glubb Pascha (https://de.wikipedia.org/wiki/John_Bagot_Glubb) angeführt worden war. Und diese Truppe war durchaus ernst zu nehmen - sie hatte auch den Israelis schon Ärger bereitet -, und sie war nicht gewillt, dem wirren und anmaßenden Treiben der Fatah einfach nur zuzusehen.
Das Ergebnis war der "Schwarzer September" 1970 (https://de.wikipedia.org/wiki/Jordanisch...Crgerkrieg), als die Gardisten des Königs den Palästinensern die Beine langzogen. Und im Ergebnis flüchtete die Fatah über die Hermonroute nach dem Südlibanon und begann dort ihr neuerliches, großmannsüchtiges Spiel. Das Ergebnis war, dass die Palästinensergruppen dort auf den verarmten und von Drusen wie Christen und Sunniten als billige Arbeiter angesehenen und missbrauchten Schiiten herumtrampelten (!) und somit eine Radikalisierung von diesen (besser: die Begründung von bewaffneten Selbsthilfegruppen) bewirkten. Zu diesem Zeitpunkt, grob Anfang der 1970er, waren AMAL und Hisbollah noch keine eigenständigen Gruppen, sie agierten sogar gemeinsam gegen die irrlichternden Palästinenser von der Fatah.
1979 folgte der Umsturz in Teheran. 1980 (oder bereits 1978?) verschwand der eigentlich der AMAL zugewandte Musa al Sadr (deren Mitbegründer er war), ein durchaus charismatischer schiitischer Anführer, der nicht an einen Konflikt mit Israel dachte, sondern nur und schlicht seinen schiitischen Landsleuten gegen die Unterdrückung im Libanon und die Gewalttaten der Fatah etc. helfen wollte, in Libyen (ich hatte dies schon einmal hier, denke ich, erwähnt). Vermutlich war es ein Mordkomplott zwischen Arafat - der diesen Schiitenführer loswerden wollte, stand er doch seiner wirr und arrogant agierenden Fatah im Weg - und Oberst Gaddafi. Khomeini hatte, so zumindest Scholl-Latour, weder Arafat noch Gaddafi diesen Mord je verziehen.
In der Folge spalteten sich die Schiitengruppen des Libanon auf - die AMAL orientierte sich eher auf das Baath-Regime in Syrien und versuchte, eine (eigene) politische Kraft im Libanon zu werden - und versumpfte unter al Sadrs Nachfolger Nabih Berri (https://de.wikipedia.org/wiki/Nabih_Berri) immer mehr im Korruptionssumpf -, die Hisbollah verschrieb sich jedoch nach 1981 immer mehr dem Einfluss aus Teheran, von wo sie auf die Linie der Israel-Feindlichkeit und das militante "Märtyrertum" getrimmt wurde. Die nachfolgenden, fürchterlichen Exzesse im Libanon sind maßgebend diesem Umstand geschuldet. Und als Zahal 1982 gen Norden antrat, um der PLO und Arafat die Zähne zu ziehen, war der Zug bzgl. einer Verständigung mit den Schiiten des Libanon quasi schon abgefahren (zumal die Israelis die Schiiten auch weitgehend ignorierten)...
Entschuldigt, ich bin vermutlich wieder abgeschweift.
Und ja, der Libanon tut mir leid, das bedeutet aber nicht, dass ich irgendwelchen inflationären Übertreibungen und antiisraelischen Äußerungen geneigt bin stillschweigend zuzuhören...
Schneemann
Zitat:Es ist trotzdem eine Tragödie für die Zivilbevölkerung im Libanon und nur die Toten für eine Bewertung heran zu ziehen meiner Meinung nach unzureichend. Auch die Todesangst, die Notwendigkeit der Flucht, die Zerstörung des gesamten Eigentums sind ja allesamt nur negativ.Das ist unbestritten meinerseits. In gewisser Weise, wenn ich das mal so ausdrücken möchte, ist es eine neuerliche Tragödie, die den Libanon ereilt.
Und das ist auch das bittere Element daran. Der Libanon war einstmals eine zwar kleine, aber durchaus blühende Oase, eine "Schweiz" in der östlichen Levante. Zwar gab es (beinahe immer schon) divergierende konfessionelle Aspekte, aber diese waren in einem fein austarierten Gleichgewicht. Eine gewisse levantinische Gleichgültigkeit, eine gewisse Korruption mag immer schon vorgeherrscht haben, im nahöstlichen Ränkespiel ist dies aber vernachlässigbar, aber insgesamt war es eben ein durchaus lebenswertes und interessantes Örtchen. (Ohne dass ich dies anhand realer Erfahrungen nachvollziehen könnte, dazu bin ich zu jung, ich habe es vielmehr nur aus Berichten aus früheren Tagen.)
Das Problem - man mag es mir verzeihen, wenn ich dies so direkt sage - waren die Palästinenser (besser: ihre radikalen Kräfte). Nach dem Sechstagekrieg 1967 nistete sich die Fatah samt ihrer Sektierer zunächst in Jordanien ein. Dort benahmen sie sich wie die Axt im Walde und sahen sich als "Staat im Staate" an, errichteten eigenmächtig Grenzkontrollen und verlangten "Zölle" von Durchreisenden. Und sie versuchten somit, da sie faktisch die staatliche Autorität untergruben, dem Haschemitenkönig Hussein I. sein Land unter den Füßen wegzuziehen. Aber der König war ein altbewährter Haudegen, und er hatte eine Beduinengarde, die noch von Glubb Pascha (https://de.wikipedia.org/wiki/John_Bagot_Glubb) angeführt worden war. Und diese Truppe war durchaus ernst zu nehmen - sie hatte auch den Israelis schon Ärger bereitet -, und sie war nicht gewillt, dem wirren und anmaßenden Treiben der Fatah einfach nur zuzusehen.
Das Ergebnis war der "Schwarzer September" 1970 (https://de.wikipedia.org/wiki/Jordanisch...Crgerkrieg), als die Gardisten des Königs den Palästinensern die Beine langzogen. Und im Ergebnis flüchtete die Fatah über die Hermonroute nach dem Südlibanon und begann dort ihr neuerliches, großmannsüchtiges Spiel. Das Ergebnis war, dass die Palästinensergruppen dort auf den verarmten und von Drusen wie Christen und Sunniten als billige Arbeiter angesehenen und missbrauchten Schiiten herumtrampelten (!) und somit eine Radikalisierung von diesen (besser: die Begründung von bewaffneten Selbsthilfegruppen) bewirkten. Zu diesem Zeitpunkt, grob Anfang der 1970er, waren AMAL und Hisbollah noch keine eigenständigen Gruppen, sie agierten sogar gemeinsam gegen die irrlichternden Palästinenser von der Fatah.
1979 folgte der Umsturz in Teheran. 1980 (oder bereits 1978?) verschwand der eigentlich der AMAL zugewandte Musa al Sadr (deren Mitbegründer er war), ein durchaus charismatischer schiitischer Anführer, der nicht an einen Konflikt mit Israel dachte, sondern nur und schlicht seinen schiitischen Landsleuten gegen die Unterdrückung im Libanon und die Gewalttaten der Fatah etc. helfen wollte, in Libyen (ich hatte dies schon einmal hier, denke ich, erwähnt). Vermutlich war es ein Mordkomplott zwischen Arafat - der diesen Schiitenführer loswerden wollte, stand er doch seiner wirr und arrogant agierenden Fatah im Weg - und Oberst Gaddafi. Khomeini hatte, so zumindest Scholl-Latour, weder Arafat noch Gaddafi diesen Mord je verziehen.
In der Folge spalteten sich die Schiitengruppen des Libanon auf - die AMAL orientierte sich eher auf das Baath-Regime in Syrien und versuchte, eine (eigene) politische Kraft im Libanon zu werden - und versumpfte unter al Sadrs Nachfolger Nabih Berri (https://de.wikipedia.org/wiki/Nabih_Berri) immer mehr im Korruptionssumpf -, die Hisbollah verschrieb sich jedoch nach 1981 immer mehr dem Einfluss aus Teheran, von wo sie auf die Linie der Israel-Feindlichkeit und das militante "Märtyrertum" getrimmt wurde. Die nachfolgenden, fürchterlichen Exzesse im Libanon sind maßgebend diesem Umstand geschuldet. Und als Zahal 1982 gen Norden antrat, um der PLO und Arafat die Zähne zu ziehen, war der Zug bzgl. einer Verständigung mit den Schiiten des Libanon quasi schon abgefahren (zumal die Israelis die Schiiten auch weitgehend ignorierten)...
Entschuldigt, ich bin vermutlich wieder abgeschweift.
Und ja, der Libanon tut mir leid, das bedeutet aber nicht, dass ich irgendwelchen inflationären Übertreibungen und antiisraelischen Äußerungen geneigt bin stillschweigend zuzuhören...
Schneemann