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@lime
Zitat:Lehnst Du eigentlich auch die Wehrdienstverweigerung in Deutschland bzw. in der EU ab? Wenn nicht, warum dann in Israel?
Ich lehne sie nicht ab. Weder bei uns, noch in Israel. Ich frage mich aber, wie du darauf kommst, dass ich die Wehrpflicht ablehnen würde?
Schneemann
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(01.08.2025, 22:35)Schneemann schrieb: @lime
Ich lehne sie nicht ab. Weder bei uns, noch in Israel. Ich frage mich aber, wie du darauf kommst, dass ich die Wehrpflicht ablehnen würde?
Schneemann
Ich schrieb nichts von der Wehrpflicht sondern von Verweigerung der Selben. Die Haredim verweigern in Israel, so wie die Zeugen Jehovas oder andere religiöse Gruppen es in der EU auch tun.
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Ich habe es eben nochmals nachgelesen. Dies war ein Missverständnis meinerseits. Und somit ja, ich erachte die Wehrdienstverweigerung als falsch, quasi ein moralisches Übel. Bei uns vielleicht noch halbwegs verständlich bzw. im pazifistisch-verwöhnten Sinne hinnehmbar, in Israel aber völlig unverzeihlich.
Schneemann
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(01.08.2025, 22:48)Schneemann schrieb: Ich habe es eben nochmals nachgelesen. Dies war ein Missverständnis meinerseits. Und somit ja, ich erachte die Wehrdienstverweigerung als falsch, quasi ein moralisches Übel. Bei uns vielleicht noch halbwegs verständlich bzw. im pazifistisch-verwöhnten Sinne hinnehmbar, in Israel aber völlig unverzeihlich.
Schneemann
Ja für Israel ist es schon harter Tobak, das sehe ich auch so. Allerdings ist diese Ausnahme für die Haredim über Jahrzehnte sozusagen traditionell gewachsen. Als deren Zahl niedrig war spielten sie von der Masse her keine Rolle und man wollte sich mit dem Thema nicht rumärgern, nun ändert sich aber das demographische Blatt und es dürfte zu spät sein diese Tradition ohne Gegenwehr abschaffen zu können. Die Problematik zeigt aber mal wieder dass man in der Politik nicht gern langfristig genug denkt und nur Probleme vor sich her schiebt und diese dabei wachsen.
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Ich hab mich mal gestern intensiver mit der Frage der Lebensmittelversorgung in Gaza beschäftigt. Als kurze Zusammenfassung einer Unzahl von Seiten diesbezüglich ist es mein rein persönlicher Eindruck, dass fortwährend gerade so viele Lebensmittel dort ankommen, dass die Bevölkerung trotz Mangelernährung nicht verhungert. Was nicht heißt, dass die nicht hungern, sondern dass sie nicht verhungern.
Es ist also meiner Ansicht nach sachlich und faktisch falsch davon zu sprechen, dass die Bevölkerung in Gaza verhungert. Es wird von Israel anscheinend sehr fein gesteuert immer genau nur so viel geliefert, wie gerade eben der Mindesttagesbedarf ist.
Natürlich gibt es vereinzelt erste Hungertote, aber dass sind sehr wenige und das liegt dann an der weiteren Verteilung der Lebensmittel in Gaza selbst - da hier kriminelle Banden, Clans wie auch die Reste der Hamas selbst zur Zeit massiv Lebensmittel plündern, diese mit Waffengewalt der Bevölkerung abnehmen und auch die normalen Menschen sich gegenseitig überfallen und anderen Lebensmittel rauben etc.
Die schwächeren, die keine ausreichend starken Clans hinter sich haben, die Kranken etc. werden dabei zuerst und bevorzugt ausgeplündert.
Rein von der pro Kopf zur Verfügung stehenden Menge an Kalorien wird die Bevölkerung in Gaza aber praktisch unbegrenzt dort weiter existieren. Aber halt dauerhaft immer nur von Tag zu Tag, ohne jede Reserve, ohne jede Vorräte und damit in absoluter Abhängigkeit von Israel.
Wenn man in diesem Kontext immer über Lebensmittel spricht: die Lage bei der Trinkwasserversorgung ist eigentlich viel dramatischer. Erkrankungen durch unsauberes Wasser sind an der Tagesordnung, und entsprechende Durchfallerkrankungen verschärfen die Hungerproblematik. Und auch hier ist es so, dass die absolute Mehrheit der Palästinenser praktisch von Wasserlieferungen aus Israel lebt und nur durch diese weiter existiert.
Ich halte dies für eine intentionale Strategie der Israelis, die Palästinenser auf diese Weise immer weiter leiden zu lassen. Keineswegs ist es das Ziel, dass die Palästinenser verhungern, genau das sollen sie nicht ! Sondern sie sollen als mahnendes Beispiel und als Abschreckung noch lange Zeit so weiter vor sich hin vegetieren. Und dazu müssen sie weiter leiden, also weiter leben, und dafür erhalten sie fortwährend gerade ausreichend Nahrung und Wasser.
Zur militärischen Lage:
Wer hier von COIN in Gaza spricht, der verkennt völlig, dass das was die israelische Armee da betreibt kein COIN ist. Tatsächlich werden die Reste der Hamas teilweise ganz offen ignoriert (wo dies gerade nützlich ist zur Legitimierung der eigenen Handlungen). Die Reste der Hamas sind derweilen zu einer bloßen kriminellen Bande unter mehreren anderen kriminellen Banden dort herunter gekommen, die sich mit den Clans und den anderne Banden dort um die Kontrolle der Zivilbevölkerung schlagen. Schlussendlich dienen die Reste der Hamas praktisch nur noch der weiteren Legitimierung des israelischen Vorgehens.
Es stellt sich auch die Frage, inwieweit bewaffnete Gruppen welche die Israelis als Hamas bezeichnen überhaupt der Hamas angehören. Mein Eindruck ist, dass islamische Dschihad als Gruppe dort teilweise inzwischen stärker ist als die Hamas und dass die letzten Versuche von Angriffen auf die Israelis eher auf diesen zurückgehen als auf die Hamas.
Was ist nun die eigentliche strategische Zielsetzung der israelischen Hungerstrategie ? Kurzfristig ist dies meiner Meinung nach vor allem anderen die Freilassung der restlichen Geiseln. Meiner Ansicht nach ist es zur Zeit (noch) nicht das Ziel, die Palästinenser aus Gaza vollständig oder partiell zu vertreiben, sondern der Druck soll so unerträglich werden für die Palästinenser, dass diese die Geiseln frei lassen. Ob das aufgehen wird kann ich nicht sagen.
Wenig bekannt und um mal etwas positives zu vermelden: Israel behandelt kranke und durch Hunger geschwächte palästinensische Kinder zur Zeit in nicht unerheblicher Anzahl in israelischen Krankenhäusern.
Es gärt immer heftiger in der israelischen Armee, insbesondere bei den Truppen an der Front. Diese sind äußerst unzufrieden mit der israelischen Regierung und der aktuellen Strategie und fordern konkrete Pläne was jetzt geschehen soll. Insbesondere wird inzwischen auch von Offizieren die israelische Hungerstrategie in Gaza immer schärfer kritisiert. Stattdessen wird gefordert, Gaza komplett zu besetzen, die Kontrolle total zu übernehmen und die Reste der Hamas in kurzer Zeit vollständig militärisch auszulöschen, was nach Ansicht der israelischen Soldaten in Gaza inzwischen problemlos machbar wäre. Die Soldaten gehen davon aus, dass die restlichen Geiseln so oder so nicht mehr gerettet werden können, während es umgekehrt das aktuelle Primärziel ist, diese mit Druck durch Hunger und Terror frei zu pressen.
https://www.jpost.com/israel-news/defens...cle-863004
Und Juden haben Gelder gesammelt, um in Gaza zerstörte Gotteshäuser wieder aufzubauen, auch so eine Meldung die es hierzulande in keinerlei Medien schafft.
Es gibt in Israel selbst zur Zeit auch wieder eine ganze Reihe Demonstrationen gegen Bibi und seine Nicht-Strategie bzw. seine auf das bloße breitflächig um sich schlagen nicht hinausgehende Idee was nun mit den militärischen israelischen Siegen rundherum überhaupt angefangen werden soll.
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(Gestern, 08:14)Quintus Fabius schrieb: Ich hab mich mal gestern intensiver mit der Frage der Lebensmittelversorgung in Gaza beschäftigt. Als kurze Zusammenfassung einer Unzahl von Seiten diesbezüglich ist es mein rein persönlicher Eindruck, dass fortwährend gerade so viele Lebensmittel dort ankommen, dass die Bevölkerung trotz Mangelernährung nicht verhungert. Was nicht heißt, dass die nicht hungern, sondern dass sie nicht verhungern.
.... ich durchsuche nicht eine Unzahl von Seiten sondern versuche, die zu filtern, die möglichst nahe am Geschehen sind.
Solche, die sich auf Quellen vor Ort stützen, haben andere Eindrücke bis hin zum Vorwurf des Völkermordes
z.B. Massive Kritik an Israel wegen Aushungern der Menschen in Gaza (die FR ist die älteste Zeitung der jungen Bundesrepublik).
Seit einer Woche lässt Israel mehr Hilfe in den Gazastreifen – aber bei vielen Menschen kommt sie nicht an. Ein Tag auf dem Markt in Gaza
Israel/Palästina: Dringende Forderung nach humanitärem Korridor
Und Fakt ist auch, dass dieses Vorgehen politisch für die Ziele Israels kontroproduktiv ist
Palästina-Anerkennung: Nächstes EU-Land macht Druck auf Israel
(Gestern, 08:14)Quintus Fabius schrieb: ....
Zur militärischen Lage:
... da warten jüdische Siedler nur darauf, sich endlich im Gaza-Gebiet niederlassen zu können - berichten z.B. die FAZ oder der STANDARD (Video)
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Vorwürfe sind keine Fakten.
Beispiel Leningrader Blockade. Diese dauerte ungefähr 27 Monate, und es verhungerten ungefähr 1 Millionen Russen in der Stadt.
Der Krieg gegen die Hamas u.a. in Gaza dauert nun schon seit Oktober 2023, also damit ungefähr 23 Monate.
Seitdem ist die Bevölkerung von Gaza gestiegen (!) es gibt also jetzt mehr Palästinenser dort als vor Kriegsbeginn.
Die Zahl der Toten laut Angaben der Hamas beträgt ungefähr 50.500 - wobei hier nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern unterschieden wird.
Und nun die Preisfrage: Wieviele Palästinenser sind seitdem nachweislich verhungert ?!
Wieviele Hungertote konkret gab es bis jetzt in Gaza ?
Hier und heute gibt es mehr Palästinenser in Gaza als bei Kriegsbeginn. Das ist ein Fakt.
Die Zahl der nachweislich Verhungerten liegt im zweistelligen Bereich und sinkt. Das ist ein Fakt.
Und diese Menschen sind nicht wegen der Israelis und ihren Blockaden verhungert, sondern weil die Palästinenser in ihrer Clankultur allesamt aufeinander losgehen und sich gegenseitig die Lebensmittel rauben und die Schwächsten deshalb keine erhalten, weil andere Palästinenser sie ihnen wegnehmen.
Hübsche Bilder aus Gaza dieser Tage:
Plünderer kippen Mehl aus Säcken in den Dreck, weil sie die Säcke für ihr Plündergut brauchen. Mit dieser anekdotischen Evidenz ist in Wahrheit bereits alles gesagt über den ach so schröcklichen Völkermord dort.
Mal ernsthaft Erich: du bist doch rechtlich sehr versiert, und müsstest daher die rechtliche Definition von Völkermord genau kennen, insbesondere aufgrund deiner Kenntnisse was Völkerrecht angeht.
In Gaza findet (aktuell) kein Völkermord statt. Das ist ein Fakt !
Weder rechtlich noch tatsächlich.
Was noch nicht ist, könnte zwar ja noch werden (beispielsweise wenn man die Palästinenser dann vertreibt etc), aber hier und heute ist es einfach falsch von Völkermord zu reden.
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Eine Vertreibung fällt aber nicht unter Völkermord , oder unter was wäre eine geplante flächendeckende Vertreibung der Palästinenser einzuordnen?
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(Gestern, 19:17)Quintus Fabius schrieb: Vorwürfe sind keine Fakten.
... Stimmt - Vorwürfe sind keine Fakten, und vieles im politischen Geschehen ist eine Reaktion auf mediale Entwicklungen.
Wir sind viel mehr medial gesteuert, als wir uns selbst eingestehen wollen.
Auch das ist einer der Gründe, warum ich meine Quellen möglichst nahe am Geschehen suche.
Allerdings unterstelle ich auch, dass neben den Reportern und Organisationen vor Ort (ich nehme gerade im Nahen Osten auch christliche Religionen, weil man denen nicht vorwerfen kann, islamistische Wasserträger zu sein) durchaus auch Reaktionen aus der Politik zur Einordnung zu be(ob)achten sind.
Ich unterstelle jedenfalls auch, dass die überwiegende Mehrheit der Entscheidungsträger über unabhängige Quellen verfügen - bis hin zu Geheimdiensten - und daher recht gut einschätzen können, was tatsächlich "vor Ort" geschieht.
Und - entschuldige bitte - ich möchte Dich jetzt nicht so verstehen müssen, dass alles was "weniger verbrecherisch ist als die Leningrader Blockade" entschuldbar wäre. Man kann Leid nicht relativieren. Schon ein einziges verhungertes oder an anderen Kriegsfolgen verstorbenes Kind ist moralisch gesehen eines zu viel.
Entscheidend ist letztendlich das " Humanitäre Völkerrecht". Es versucht "einen Ausgleich zwischen zwei gegenläufigen Interessen: den militärischen Notwendigkeiten bei der Kampfführung und der Bewahrung des Prinzips der Menschlichkeit im bewaffneten Konflikt." Und was im Gaza-Streifen geschieht ist nach den von mir berücksichtigten Quellen eben mit dem "humanitären Völkerrecht" nicht mehr vereinbar.
(Gestern, 19:17)Quintus Fabius schrieb: ...
Mal ernsthaft Erich: du bist doch rechtlich sehr versiert, und müsstest daher die rechtliche Definition von Völkermord genau kennen, insbesondere aufgrund deiner Kenntnisse was Völkerrecht angeht.
... Zu viel der Ehre - ich habe in meinem Studium über mehrere Semester im Schwerpunkt "öffentliches Recht" gehört, und da ist Verfassungsrecht die wesentliche Grundlage.
Völkerrecht kam nur insoweit vor, als es Auswirkungen auf das nationale Recht hatte.
Es gibt allerdings Juristen, die der Auffassung sind, Völkerrecht sei wesentlich einfacher als die normale Juristerei, schon weil es da nur rund zweihundert Rechtssubjekte gibt ...
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(Gestern, 22:40)alphall31 schrieb: Eine Vertreibung fällt aber nicht unter Völkermord , oder unter was wäre eine geplante flächendeckende Vertreibung der Palästinenser einzuordnen? Ethnische Säuberung.
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Ob Vertreibung eine ethnische Säuberung oder ein Völkermord ist, hängt von der Zielsetzung und den Umständen ab.
Ebenso stellt eine Blockade und eine Mangelversorgung von Zivilbevölkerung in einem Kriegsgebiet keinen Völkermord dar, wenn die Intention nicht die eines Völkermordes ist.
Es hängt also von der Absicht ab, nicht von der Zahl der Toten.
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@Kongo Erich
Zitat:Man kann Leid nicht relativieren. Schon ein einziges verhungertes oder an anderen Kriegsfolgen verstorbenes Kind ist moralisch gesehen eines zu viel.
Das ist zweifelsohne richtig. Nur müssen wir uns fragen, ob dieser Umstand alleine es zulässt, dass man in Bezug auf Gaza genau deswegen von einem Völkermord reden sollte oder darf? In jedem Krieg, egal in welchem, kam es zu dem Sachverhalt, dass schwächere Schichten von Mangel betroffen waren und es auch zu Opfern durch diese Mangelernährung kam.
Quintus hatte schon das Bsp. der Leningrader Blockade genannt.
Ich würde noch ein weiteres Bsp. benennen: Im Ersten Weltkrieg verhängten die Entente-Mächte, vorzugsweise die Royal Navy, eine strickte Blockade über das deutsche Kaiserreich. In der Folge dieser - militärisch durchaus legitimen - Blockade kam es zu gravierenden Versorgungsengpässen im Wilhelminischen Reich. Vermutlich starben einige hunderttausend Menschen in den deutschen Landen, Schätzungen reichen bis zu 700.000 hungerbedingten Opfern (wobei man hierbei wiederum berücksichtigen muss, dass diese Menschen nicht primär des Hungers wegen starben, sondern durch diesen geschwächt wurden, was dann dazu beitrug, dass sie Erkrankungen - etwa der berüchtigten Spanischen Grippe, die zu Kriegsende hin weltweit um sich griff - kaum etwas entgegenzusetzen hatten, was dann die Sterblichkeit erhöhte). Grob litten zehn bis 15% der Menschen im Reich Hunger, rund 1% starb (wenn wir von ca. 70 Mio. Einwohnern des Reiches 1918 ausgehen). Die Zahl der Hungertoten im Reich lag also prozentual um ein Vielfaches höher als in Gaza heutzutage, wenn wir von 30 oder 40 hungerbedingten Todesfällen dort bei ca. 2,1 Mio. Einwohnern ausgehen.
Hatten wir es also mit dem Versuch eines Völkermordes an den Deutschen durch die Entente-Mächte zu tun? Nein, so brutal es klingt. Es war das Ziel, das Reich durch eine Blockade zur Aufgabe zu zwingen, aber nicht, die Deutschen als Volk auszulöschen.
Darüber hinaus: Bedingt durch stammesinterne Rivalitäten und eine himmelschreiende Korruption sterben bspw. in Südafrika - das du in einem anderen Strang übrigens durchaus als Vorbild im afrikanischen Vergleich herausgehoben hattest - jedes Jahr 800 bis 1.200 Kinder und Heranwachsende an Hunger - also die 20- bis 30-fache Todeszahl im Vgl. zu Gaza -, rund 12 Mio. Menschen sind unterernährt. Und das, obwohl dort kein "echter" Krieg tobt und das Land eigentlich durchaus Potenzial hat. Nein, die Ursache ist "prosaischer": Korrupte Offizielle zeigen sich unfähig oder unwillentlich in der Kriminalitätsbekämpfung, weil sie die eigene Stammesclique hofieren oder gar am Bandenunwesen und an der Auspressung schwächerer Schichten noch mitverdienen oder kein Interesse haben, die Regionen ihrer potenziellen ethnischen Gegner zu entwickeln. Also auch ein Völkermord? Nein, so hart es klingt...
Schneemann
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Die Frage der Nahrungsmittel ist in Gaza vor allem eine Verteilungsfrage. Wie schon geschrieben wird immer gerade so viel herein gelassen, dass die Bevölkerung nicht verhungert, aber weiterhin Nahrungsmittelunsicherheit besteht. Das heißt, es sind genügend Kalorien pro Kopf pro Tag da, aber nicht mehr und keine Reserven.
Wenn es nun trotzdem zu Unterernährung und einigen wenigen Hungertoten gekommen ist, so liegt das wie auch beim Hunger weltweit (es werden vielfach so viel Lebensmittel weggeworfen wie für die Ernährung aller Hungernden benötigt werden) eine bloße Frage der Verteilung.
Pro Kopf gerechnet ist genug da, aber es gibt natürlich immer Schwache, marginalisierte Gruppen, Opfer usw. welche dabei leer ausgehen.
Dieses Verteilungsproblem ist angesichts der Trümmergebirge, der extrem eng zusammen gedrängten Bevölkerung (aktuell bei um die 56.000 Menschen pro Quadratkilometer) und der immer noch stattfindenden Guerilla nicht lösbar.
Es würde selbst dann weiter eine Mangelernährung und auch hin und wieder Hungertote geben, wenn man deutlich mehr Lebensmittel hinein lassen würde.
Die primären Probleme in Gaza sind aber ohnehin ganz anderer Art - und um hierbei mal scharfe Kritik an Israel zu üben:
1. Israel hat die Bevölkerung zu stark auf zu kleinem Raum konzentriert. An manchen Stellen sprechen wir aktuell bereits von über 60.000 Menschen pro Quadratkilometer, dass wird von vielen als Zahl zwar gehört, aber nicht ansatzweise verstanden. Jede Lösung dort benötigt eine deutlich größere Dislozierung der Zivilbevölkerung.
2. Die medizinische Infrastruktur ist zu weitgehend zerstört. Aktuell gibt es erste Anzeichen für Ruhr und Cholera dort. Hunderte Ärzte wurden getötet, 32 von 36 Krankenhäusern vollständig zerstört, hunderte medizinische Einrichtungen vernichtet, die gesamte medizinische Versorung ist praktisch nicht mehr existent. Das ist übrigens viel problematischer, vor allem langfristig, als die Frage der Lebensmittelversorgung.
3. Die Israelis besetzen immer noch nicht den gesamten Gazastreifen und übernehmen als Besatzungsmacht die Verantwortung, welche sie nun mal dafür haben ! Wenn man so einen Krieg auf diese Weise führt, mit totalitären Kriegszielen, muss man ihn auch konsequent zu Ende führen, also Gaza besetzen und die Kontrolle übernehmen. Das geschieht aber meiner Ansicht nach intentional nicht. Die Reste der Hamas, insbesondere deren gesamte zivile Strukturen werden weiter absichtlich bestehen gelassen. Gleichzeitig bewaffnet man Clans und kriminelle Banden. Kurz und einfach: die Israelis führen in Gaza eben kein COIN durch, sondern sie lassen die Palästinenser intentional leiden, ohne den Feind tatsächlich vollständig zu besiegen, was zeitnah möglich und zwingend notwendig wäre.
4. Das aktuelle strategische Ziel der Israelis geht aktuell über die Idee, durch Leid die Geiseln frei zu pressen nicht hinaus. Es gibt meiner Ansicht nach überhaupt keinen machbaren israelischen Plan was aus Gaza werden soll und man hat einen solchen auch gar nicht. Die israelische Strategielosigkeit führt dazu, dass man einfach weiter vor sich hin kämpft, ohne dass dies irgendeinem strategischen Ziel über die Geiselfreipressung hinaus dienen würde.
5. Es gibt in Gaza überhaupt keinerlei Möglichkeiten mehr irgend etwas zu organisieren. Die UN Organisationen die noch dort sind, sind handlungsunfähig, es gibt keinerlei Strukturen über Clans und kriminelle Banden hinaus, es gibt keinerlei Ordnungsorgane mehr, und auch die Hamas ist nur noch dabei zu plündern, einzubrechen, zu rauben, Restgeld zu stehlen und Lebensmittel zu rauben um sie dann teuer zu verkaufen. Dieser Mangel an Organisationsmöglichkeiten führt dazu, dass von den Lastwagen welche die Israelis pro Tag nach Gaza fahren lassen ein Gros nicht sinnvoll verteilt werden kann. Dies kann nur durch eine komplette Machtübernahme wie in Punkt 3 genannt gelöst werden, was Israel aber bewusst nicht will. Der Zusammenbruch jedweder Organisationsstruktur in Gaza ist viel problematischer als die Frage der Quantität der Lebensmittel. Es stehen aktuell tausende Paletten von Lebensmitteln in der Gegend herum, die deswegen nicht verteilbar sind und nicht verteilt werden können. Das hat nichts mehr mit der Menge zu tun, sondern mit dem Mangel an Organisation.
6. In Bezug auf Lebensmittel ist zu bemerken, dass viele Probleme in Gaza nicht daher rühren, dass die reine Kalorienzahl zu gering wäre, sondern es fehlen vor allem Vitamine. Da gibt es Familien, die sich praktisch sein Monaten nur von Mehl und Wasser ernähren. Zwar reicht die Menge rein von den Kalorien her, aber es gibt zunehmend Vitaminmangelkrankheiten dort. Versuche der israelischen Armee Vitamintabletten zumindest sporadisch an Kinder zu verteilen waren vollkommen erfolglos. Es gibt kein Obst, kein Gemüse, keine frischen Nahrungsmittel, die Menschen gehen wegen extrem einseitiger Ernährung gesundheitlich ein.
Nun ist es aber so, dass es durchaus frische Lebensmittel zu kaufen gibt. Nur dass diese so teuer sind, dass die absolute Mehrheit die ohnehin alles verloren hat, sich diese nicht leisten kann. Eine mögliche Lösung wäre es, diese Lebensmittel vor Ort zu guten Preisen aufzukaufen (für unsere Verhältnisse sind die immer noch nicht teuer) und dann vor Ort zu verteilen, was zugleich die Händler wirtschaftlich begünstigen würde. Das geschieht aber nicht und wird insbesondere von den UN Organisationen nicht mal erwogen.
In Gaza verhungern gerade Kinder oder erkranken schwer an Vitaminmangel, während es auf den Märkten tatsächlich Obst und Gemüse in größeren Mengen gibt ! Welches sich aber niemand leisten kann.
Die gerade mal vier Essensausgabestellen der Gaza Humanitarian Foundation funktionieren nicht. Die Anzahl ist zu gering, die Sicherheitslage zu prekär, der Bedarf zu groß, und die Betreiber haben sich als unfähig erwiesen. Es wäre aus einer Vielzahl von Gründen dringend geboten, dass die israelische Armee selbst direkt die Essensausgabestellen betreibt, statt nur um die der GHF herum auf alles zu schießen was ihnen verdächtig vorkommt. Nach diversen Berichten wurden bei den Essensausgabestellen schon mehr als 2000 Menschen erschossen, gesichert mehr als 1000. Die Wege dorthin und zurück sind auch zu lang und zu unsicher. Als Grund für diesen Fehler wird von den Israelis angegeben, dass die Hamas die Hungernden gezielt angreifen würde, sollte die IDF selbst die Verteilung vornehmen. Zudem würden auch jetzt schon 50 bis 100% der Lebensmittel von der Hamas gestohlen oder geraubt und dann teuer an die Hungernden verkauft. Dabei kommt es auch zunehmend zu Mädchen- und Menschenhandel. Und tatsächlich ist davon auszugehen, dass kriminelle Banden (die Hamas ist dabei nur noch eine kriminelle Bande unter vielen) wirklich jedes Mal über 50% der Lebensmittel für sich einkassieren.
Der Grund für den Hunger dort, die Verantwortung für die Hungertoten liegt also nicht direkt bei Israel, sondern bei den Palästinensischen kriminellen Banden dort. Dass diese das aber können, liegt indirekt an Israel (siehe oben).
Und 7. wie schon mehrfacht genannt ist die Trinkwasserversorgung ein größeres Problem als die Frage der Lebensmittel - insbesondere wenn man es langfristig betrachtet. Sauberes Trinkwasser steht für viele nicht mehr zur Verfügung. Mit langfristiger Mangelernährung führt dies zwingend zur massiven Ausbreitung von Krankheiten durch die Schwächung des Immunsystems etc.
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@Quintus - wir stimmen also darin überein, dass Israel mit unnötiger Härte agiert und damit gegen das Humanitäre Völkerrecht verstößt?
Es ist Zitat:»Ein politisch gewollter Hunger«
Der Hunger in Gaza verschärft sich, der internationale Druck auf Israel wächst. Netanyahus Regierung antwortet mit Propaganda. ...
@Schneemann:
Wie man dieses Verhalten in den populären Medien bezeichnet, ist dagegen für mich eher nachrangig. Wir wissen alle, dass es medial üblich ist, komplexe Sachverhalte durch einfache Zuspitzung "auf den Punkt" zu bringen, während die juristisch korrekten Formulierungen zwar präzise, für die meisten Menschen aber unverständlich sind.
Das (politische) Ergebnis sieht man jedenfalls allerorten:
Die Bundesregierung kritisiert Israel wegen nicht ausreichender Versorgung in Gaza und Tausende Menschen demonstrieren in Sydney gegen Hungerkrise in Gaza
Die nächste Frage, die sich stellt ist, warum Bibi so agiert. Und da hat nicht nur DT einen konkreten Verdacht:
Zitat:Israel: Donald Trump glaubt offenbar, Benjamin Netanyahu verlängert den Gazakrieg, um an der Macht zu bleiben
Die Beziehung zwischen Donald Trump und Benjamin Netanyahu war nie einfach. Nun zweifelt der US-Präsident laut einem Bericht, dass Israels Premier den Krieg in Gaza beenden will. Dort gibt es offenbar wieder Tote an einer Verteilstation für Hilfsgüter.
...
(Kopie hier)
Damit kommen wir aber genau wieder zu dem Punkt, den ich oben angesprochen hatte:
(Gestern, 22:47)Kongo Erich schrieb: ....
Entscheidend ist letztendlich das "Humanitäre Völkerrecht". Es versucht "einen Ausgleich zwischen zwei gegenläufigen Interessen: den militärischen Notwendigkeiten bei der Kampfführung und der Bewahrung des Prinzips der Menschlichkeit im bewaffneten Konflikt." Und was im Gaza-Streifen geschieht ist nach den von mir berücksichtigten Quellen eben mit dem "humanitären Völkerrecht" nicht mehr vereinbar.
... Die israelische Regierung nimmt diesen Ausgleich nicht vor. Sie stellt das Prinzip der Menschlichkeit zurück - und das (wahrscheinlich sogar) aus Gründen, die rein persönlicher Natur sind und auch ohne die bekannten Folgen bereits verwerflich sein könnten.
Das scheint mir - da bleibe ich bei meiner Aussage - ein bewusster und völlig unberechtigter Verstoß gegen das Humanitäre Völkerrecht zu sein. Und damit besteht der Verdacht auf ein (bewusstes) Kriegsverbrechen.
Ob der Verdacht sich bestätigt, ist Sache der dafür zuständigen Gerichte.
Und ich bleibe auch bei meiner Aussage:
Gerade wegen der jüngeren deutschen Geschichte muss die "Staatsräson Deutschlands" auf die Einhaltung humanitärer Werte hin ausgerichtet sein, und nicht auf die Unterstützung eines Staates, egal, wie sich die Führung dieses Staates verhält.
Unsere (d.h. der nach ~1930 geborenen Generationen) deutsche (und auch die europäische) Verantwortung liegt nicht (mehr) in einer Schuld, die vor Jahrzehnten aufgeladen wurde, sondern in der massiven Unterstützung bei der Umsetzung des Humanitären Völkerrechts.
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