Hyperschall-Flugkörper
#30
Hyperschall-Raketen - eine bahnbrechende Militärtechnologie?
Aerion (französisch)
5. Januar 2023

Die Hyperschall-Rakete ist seit einigen Jahren auf dem Vormarsch. Ob in Debatten über internationale Beziehungen, strategische Studien oder sogar in der Technik, sie wird oft als Game Changer dargestellt, der einen Bruch in den militärischen Gleichgewichten verursacht.

Wie so oft, wenn es um technisch fortschrittliche Systeme geht, werden die "revolutionären" Eigenschaften des Objekts oft übertrieben; ebenso wie der operative Zweck einer Innovation paradoxerweise missverstanden werden kann. In Wirklichkeit sind Hyperschall-Systeme - seien es Segelflugzeuge oder Marschflugkörper (siehe Kasten unten) - nur Produkte einer Kontinuität. Ballistische Raketen und Marschflugkörper sind nichts Neues, aber man muss feststellen, dass die Systeme, mit denen sie abgefangen werden sollen,

in den letzten 20 Jahren bedeutende Entwicklungen durchgemacht haben. In diesem Rahmen ist eine Hyperschallrakete interessant: Was sie von herkömmlichen Flugkörpern unterscheidet, ist eine für die Verteidigungssysteme unvorhersehbare Flugbahn. In dieser Hinsicht ist der Begriff "Hyperschall" teilweise irreführend: Zwar bezieht er sich inhärent auf den Faktor Geschwindigkeit (was manchmal auch zutrifft), sein Vorteil liegt jedoch woanders.

Die technischen Grundlagen


Manövrierfähige Systeme, aber zu welchem Zweck?


Die ersten Systeme, die auftauchen, sind mit der nuklearen Abschreckung verbunden. So arbeiten Russland und China rasch an Segelflugzeugen, um dem seit den 2000er Jahren aufgebauten Raketenabwehrsystem der USA entgegenzuwirken. Für Moskau und Peking sind Hyperschall-Systeme eine Möglichkeit, die Abschreckung wieder zu sichern, die von der Gewissheit abhängt, dass Atomschläge tatsächlich ihr Ziel erreichen. Im Übrigen engagieren sich auch mehrere Staaten in dieser Richtung: Für Frankreich soll die künftige ASN4G-Rakete, die die ASMP-A-Raketen der Luft- und Raumstreitkräfte ersetzen wird, die Wahrscheinlichkeit eines Schlags erhöhen.

Eine zweite Funktion von Hyperschall-Systemen ist der konventionelle Schlag auf Ziele mit hohem Mehrwert. In dieser Hinsicht eröffnen diese Systeme operative und taktische Möglichkeiten. Man kann sich sehr gut vorstellen, dass chinesische DF-17-Schläge auf taiwanesische Raketenabwehrbatterien die "Tür" für nicht-hypersonische - und damit weniger teure - ballistische Raketen "öffnen", die dann eine Reihe von Zielen bearbeiten, die nicht mehr verteidigt werden können. Bei den Programmen der USA und Japans geht es darum, das operative Tempo zu erhöhen, indem ein Ziel sofort nach seiner Entdeckung bekämpft wird, wobei die Reichweite und Geschwindigkeit von Hyperschall-Systemen genutzt wird.

Eine dritte Funktion ist die Bekämpfung von Anti-Schiffen. Russland war das erste Land, das diesen Weg mit der Rakete 3M22 Zircon beschritten hat, einem Hyperschall-Marschflugkörper (HCM) mit einer geschätzten Reichweite von 800 bis 1.000 km und einer Geschwindigkeit von Mach 7 oder 8. Sie wird von Überwasserschiffen oder U-Booten abgefeuert und hat in Wirklichkeit vielfältigere Funktionen. Einerseits haben Tests gezeigt, dass sie gegen statische Ziele am Boden eingesetzt werden kann, andererseits kann sie mit einer nuklearen oder konventionellen Ladung bestückt werden. China entwickelt ebenfalls Anti-Schiff-Schlagsysteme und auch die USA bewegen sich auf diese Option zu.

Eine Wunderwaffe?


Hyperschall-Systeme erleben in ihren Arten und Funktionen eindeutig eine weltweite Verbreitung, was sie zu einem Marker für technologische Macht macht. Die untenstehende Tabelle berücksichtigt weder die Forschungsanstrengungen in Großbritannien und Australien noch das zweite französische Hyperschallprogramm, in diesem Fall die VMAX, die der Technologiedemonstration dient. Aber ist Hyperschall ein Allheilmittel, eine Art "Wunderwaffe"? Vor einer solchen Sichtweise sollte man sich zweifellos hüten. Was den Atomschlag betrifft, so bringen diese Systeme eindeutig Vorteile in Bezug auf die Schlagsicherheit, aber es sind nicht ein paar Hyperschallgleiter, die die Situation für Staaten, die bereits über mehrere hundert (oder sogar tausend) Atomsprengköpfe verfügen - also weit mehr als die mögliche Anzahl von Abfangjägern im Einsatz - grundlegend verändern werden.

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Hyperschall-Systeme, die einsatzbereit sind oder sich in der Entwicklung befinden.

Was konventionelle Schläge gegen Land- oder Seeziele angeht, fällt die Antwort noch differenzierter aus. Die Wirksamkeit von Hyperschallraketen wird zwar von ihrem technischen Reifegrad abhängen, aber vor allem von Faktoren, die sowohl technisch als auch militärisch weitaus komplexer sind. Um ein Kriegsschiff in 1.000 km Entfernung zu treffen, bedarf es eines Netzwerks von Sensoren, das über das des Trägerschiffs oder -unterseeboots hinausgeht, sowie geeigneter Systeme zur Informationsverarbeitung. Dies erfordert jedoch komplexe und teure Systeme: Seepatrouillenflugzeuge und/oder Radarsatelliten zur Aufklärung des Ozeans, sichere Satellitenverbindungen und funktionierende Joint Commandments. Allein anhand dieser Kriterien kann die Eignung der russischen Zirkon-Rakete für den Einsatz in Anti-Schiff-Szenarien in Frage gestellt werden - zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt.

Die Frage des militärischen Umfelds, in das ein Hyperschallsystem eingebettet werden soll, ist für Landschlagkörper ebenso wichtig. Im amerikanischen Fall werden die verschiedenen Systeme, die derzeit entwickelt werden, in einer sogenannten "Multi-Domain"-Vision eingesetzt werden. Ein Einsatzszenario könnte so aussehen, dass der Pilot eines Kampfflugzeugs oder einer Drohne den Start einer Rakete - von einer Batterie am Boden, einem anderen Flugzeug oder einem Marineschiff aus - so steuert, dass der Schlag einige Minuten später erfolgt. Um das zu erreichen, braucht man zwar Raketen, aber vor allem Datenverbindungen, ein Kommando-System mit künstlicher Intelligenz, das entscheidet, dass eine bestimmte Rakete aus einer bestimmten Batterie abgeschossen wird, und Personal, das in einer Doktrin ausgebildet ist, die es noch nicht gibt.

All dies ist nicht selbstverständlich, sodass die Vereinigten Staaten zwar mit ihren Raketentests im Rückstand sind, andere Staaten jedoch in Bezug auf den technischen, verfahrenstechnischen und doktrinären Rahmen, in dem die Fähigkeiten implementiert werden sollen, weitaus weniger weit fortgeschritten sind. Darüber hinaus arbeiten mehrere Staaten bereits an Verteidigungssystemen gegen Hyperschallsysteme.

Werden Hyperschall-Raketen etwas an der Kriegskunst ändern? Einerseits kann man davon ausgehen, dass sie andere Fähigkeiten nicht ersetzen, sondern vielmehr ergänzen werden: Militärische Innovation erfolgt additiv, denn noch nie hat eine Rakete einen Kämpfer ersetzt. Andererseits kann man sich auch vorstellen, dass sich die Kampfgebiete ausdehnen und der Kampf komplexer werden wird. Aber war das nicht schon an dem Tag der Fall, als ein erster Hominide eine Lanze ausprobierte?
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Hyperschall-Flugkörper - von Erich - 16.01.2014, 19:45
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