Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg
Das primäre Problem in dieser aktuellen Form des Stellungskrieges ist nicht, dass da Gräben, Bunkersysteme, und feindliche Infanterie in ausgedehnten Stellungssystemen sind, sondern es ist vor allem anderen die Kombination aus: Stellungssystemen - Artillerie - Minen. Nur zusammen, nur in diesem Dreiklang geht die Sache auf und kommt es zum entsprechenden Stillstand.

Das heißt aber auch, dass man diese Faktoren zusammen schlagen muss, und erst dann wird das feindliche Stellungssystem überwindbar und "dahinter" kommt dann erst mal wenig bis nichts, da selbst die Russen und Ukrainer einfach nicht genug Truppen mobilisieren können, um derartige Stellungssysteme über die ganze Front hinweg zu bemannen und noch parallel dazu ausreichend Reserven in der Tiefe an vielen Orten bereit zu halten.

Es genügt daher nicht ansatzweise, einfach auf jeden Graben eine JDAM zu werfen. Man muss zugleich auch die Artillerie ausschalten und Wege durch immense Minenfelder freilegen. Ebenso wäre es unzureichend, sich auf die feindliche Artillerie und entsprechende Hochwertziele zu konzentrieren, da auch dies unzureichend wäre um einen Durchbruch zu erzielen der dann strategische Effekte erzeugt.

Da selbst die NATO-Luftwaffen meiner Meinung nach nicht genügend Einsätze generieren können und es auch einfach zu teuer und zu wenig effizient ist, alles aus der Luft anzugehen, müsste man eine entsprechende Arbeitsteilung angehen, wobei die Luftwaffe sich primär auf die feindliche Artillerie konzentriert (nach der Abarbeitung der feindlichen Luftraumverteidigung), während Stellungssysteme und Minenfelder auf andere, kostengünstigere und effizientere Weise angegangen werden.

Damit die Luftwaffe sich schneller auf die feindliche Artillerie konzentrieren kann, muss die Ausschaltung der feindlichen Luftraumverteidigung im entsprechenden Raum oberste Priorität sein, und damit dies schneller und effizienter geschieht, sollte man dieses Feld eben nicht der Luftwaffe allein überlassen (sie könnte es zwar, aber eben nicht so schnell wie notwendig), sondern hier zugleich zu den Angriffen der Luftwaffe weitreichende Raketenartillerie und Marschflugkörper einsetzen, wobei letztgenannte vor allem auch vom Boden aus gestartet werden, ich schreibe hier also nicht von durch Kampfflugzeuge abgesetzte Marschflugkörper, die rechne ich zu den Angriffen der Luftwaffe.

Mit dem zusammenbrechen der Luftraumverteidigung konzentriert sich die Luftwaffe dann auf die feindliche Artillerie, während die eigene Raketenartillerie sich der feindlichen Stellungssysteme und mit entsprechender Munition auch bedingt feindlicher Minenfelder annehmen kann. Dabei rückt die Raketenartillerie weiter nach vorne und verändert ihr Feuer von entsprechenden weitreichenden Präzisionsraketen hin zu entsprechendem Massenfeuer. Wobei gerade auch die Raketenartillerie besonders für Konterbatteriefeuer geeignet ist und auch hier wieder eine Kulmination mit der Luftwaffe zusammen für diesen Bereich stattfinden sollte.

Und erst dann kann man mit mechanisierten Einheiten offensiv durchbrechen und erst nach dem erfolgreichen Durchbruch können die mechanisierten Kräfte dann tatsächlich ihre Wirkung entfalten. Die Einheiten aber welche für den Durchbruch angesetzt werden, haben andere Anforderungen als diejenigen welche dann den Durchbruch in die Gebiete geringer Truppendichte hinein explorieren. Dies spricht meiner Meinung nach für eine Aufteilung der Verbände in eine auf den Durchbruch spezialisierte und eine auf die Exploration des Durchbruchs spezialisierte Struktur und Konzeption. Und das ist ja nichts neues und wurde schon früh von sowjetischen Theoretikern (Tiefe Schlacht, Operation in die Tiefe, Leichte Panzer und Schwere Panzer) angedacht und findet sich selbst in den neuen Plänen der US Army für besonders schwere Durchbruchs-Divisionen (Penetration-Division) wieder, welche aktuell Armor Division (Reinforced) genannt werden, und konzeptionell von den Armour Divisions unterschieden werden. 

Eine solche Spezialisierung müsste man zumindest auf der Brigade-Ebene haben, wenn man stärkere autonome Brigaden als primäre Großkampfverbände andenkt. Ansonsten müsste (und sollte) man tatsächlich ganze Divisionen entsprechend ausrichten.

Um beschließend zur Luftwaffe zurück zu kehren: spezifisch für die deutsche Luftwaffe müsste man dann zudem festhalten, dass man sehr viel mehr Luft-Boden Fähigkeiten und auch entsprechende  Waffensysteme haben müsste und dass eine Aufteilung der Kampfflugzeuge in solche die sich auf Luft-Luft spezialisieren und solche die Luft-Boden ausgerichtet sind falsch ist, sondern dass alle gleichermaßen vollumfänglich für die Luft-Boden-Rolle ausgerichtet sein müssten. Dies ist aktuell in der Bundeswehr eben nicht der Fall! Darüber hinaus benötigt man für einen solchen Krieg unbedingt eine glaubhafte nukleare Abschreckung, welche mit Freifallbomben aus einigen wenigen Kampfflugzeugen nicht gegeben ist. Die beste Option wären hier für die Bundeswehr nuklear bewaffnete Marschflugkörper.

Zusammenfassung: Was müsste getan werden ?

1. Stärkung der Luftwaffe, viel mehr Wirkmittel, sehr viel mehr Bomben aller Art, alle Kampfflugzeuge müssen gleichermaßen für die Luft-Boden-Rolle befähigt werden.

2. Deutliche Stärkung der Raketenartillerie, wesentlich mehr Raketenartillerie, wesentlich mehr Raketen für diese. Meiner Ansicht nach sollte man dafür bewusst Rohrartillerie opfern. Ich könnte mir sogar vorstellen, komplett auf konventionelle Haubitzen und das Kaliber 155mm zu verzichten und stattdessen alles auf Raketenartillerie hin auszurichten. Dafür könnte man auch über verschiedene Formen und Systeme der Raketenartillerie nachdenken.

3. Beschaffung von bodengestützten Marschflugkörpern welche auch mit taktischen Nuklearwaffen bestückbar wären (Stichwort nukleare Teilhabe). Beschaffung einer großen Zahl von Marschflugkörpern.

4. Schaffung von dezidierten überschweren Durchbruchsverbänden (Brigadegröße oder mehr, mehr Kampfpanzer, mehr Pioniere, schwerste Panzerung, überschwere Transportpanzer, sehr viel mehr Minenräumfähigkeiten) und dezidierten Manöververbänden (Brigadegröße oder weniger, mehr Schützenpanzer, mobilere Einheiten, Pioniere mehr auf die Ermöglichung der Bewegung hin ausgerichtet statt auf die Minenkriegsführung, mehr organische Luftraumverteidigung, Rucksack-Konzept, möglichst geringer logistischer Fußabdruck, Panzerkavallerie).

5. Deutliche Stärkung der Pionierkräfte, aber auch eine weiterreichende Spezialisierung derselben, insbesondere in Form von dezidiert auf die Minenkriegsführung hin ausgerichteten Verbänden. Dabei sollten diese Einheiten entsprechend auch selbst zum Minenlegen befähigt sein. Man benötigt schlussendlich komplette Bataillone die primär auf Minenkriegsführung hin ausgerichtet sind und auch über entsprechende Werfer / fernverlegbare Minen verfügen, etwaig auch über Drohnen die Minen verlegen oder als solche agieren können usw und zugleich über möglichst starke Minenräumfähigkeiten.

6. Weniger Einheiten insgesamt, dafür eine umfangreichere Materialausstattung für diese. Das reduziert zugleich das Personalproblem, indem man das Material konzentrierter zusammen stellt. Im Idealfall würde man natürlich alle vorhandenen Verbände entsprechend mit einem zuviel an Material ausstatten, aber das ist angesichts der immensen Kosten welche die oben schon angeführten zwingend notwendigen Veränderungen verursachen selbst dann nicht machbar, wenn der Wehrerat steigen würde.

7. Eine Doktrin für Einheiten welche nach dem Durchbruch entsprechend tief und weitgreifend im feindlichen Hinterland agieren und entsprechend auch spezifisch darauf spezialisierte Einheiten, welche von der Größe her geringer ausfallen sollten (Kampfgruppen, Regimenter, Panzerkavallerie). Entsprechende Brigaden des Bewegungskrieges sollten daher grundsätzlich so aufgestellt sein, dass man sie ad hoc in entsprechende selbstständige Kampfgruppen aufteilen kann, die dann jeweils für sich agieren.
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