Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg
#42
Allgemein:

Wesentliche Kernlehren des aktuellen Krieges sind meiner Auffassung nach:

1. Man darf NIEMALS einen Gegner unterschätzen. Hat man ihn überschätzt und gewinnt dann deshalb umso leichter, dann ist es umso besser, denn dann wird dadurch die Kriegsdauer verkürzt, was für unsere Gesellschaften und ihre aktuelle Verfasstheit absolut wesentlich ist.

2. Unsere westlichen TM Gesellschaften sind insgesamt zu anfällig als dass sie einen ernsthaften Krieg länger durchhalten könnten. Ein solcher längerer Krieg würde auch sehr schnell technisch degradieren und damit unseren aktuellen Primärvorteil, die technische Überlegenheit mindern.

3. Die Quantität unserer Armeen ist zu gering, wir benötigen mehr Masse (dazu schreibe ich gleich Broensen noch mal was gesondert). Das betrifft das stehende Heer ganz genau so wie die Reserve (im weitesten Sinne), welche nicht groß genug sein kann. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Masse technisch querschnittlich insgesamt überlegen ist, sondern sie muss lediglich technisch ausreichend sein. Ich will mal das Bild eine Lanze als Illustration verwenden. Nur die Lanzenspitze selbst sollte aus dem besten verfügbaren Stahl sein, der ganze Rest kann einfach Holz sein, aber auch mit diesem kann man wirken (beispielsweise durch Schläge mit dem Lanzenschaft), zudem ist der Schaft die Voraussetzung für den Erfolg der Lanzenspitze. In den westlichen TM Armeen will man hingegen eher darauf hinaus, dass die Armee einem Schwert gleicht. Also wesentlich mehr Stahl in einer längeren Klinge. Die Anaologie passt auch dahingehend sehr gut, als dass Schwerter in der Realität vor allem Defensivwaffen sind, bzw. für die Verteidigung gut geeignet sind. Der defensive Krieg bietet aber hier und heute spezifisch für unsere Gesellschaften keinen Vorteil mehr, sondern führt zur Verlängerung des Krieges, welche wir uns nicht leisten können da sonst die Gesellschaft selbst ausfallen wird, noch bevor die Armee im Felde geschlagen wurde.

4. Wir haben aktuell immer noch keine Antwort auf die Drohnenkriegsführung, während diese von unseren Feinden in der Zukunft zweifelsohne maximal skrupellos exploriert werden wird, einschließlich des Einsatzes vollautonomer Systeme - welche hier und heute technisch möglich sind, wenn man sich nur von dem Gedanken lösen würde, dass man hier irgendwelche komplexen Entscheidungsmechanismen benötigen würde. Die notwendige "KI" kann in Wahrheit ziemlich dumm sein, dass reicht schon.

5. Der Wert echter leichter Infanterie in größerer Menge und mit einer lokalen Bindung wird unterschätzt (wie von mir seit zwei Dekaden vorher gesagt).

6. Es kann leicht sein, dass eine spezifische Kampfweise auf die man sich spezialisiert hat nicht aufgeht (sei es Artillerie, sei es Luft, seien es Panzer, was auch immer). Es genügt daher nicht in einem solchen Schwerpunkt überlegen zu sein, man benötigt immer einen Plan B zusätzlich, sollte diese Rechnung nicht aufgehen.

7. Die ideellen Faktoren werden drastisch unterschätzt, Krieg zu sehr als ein technisches Geschehen begriffen. Der Wille der Nation als Ganzes, Moral, Disziplin, Taktik, handwerkliches Können usw usw können einen wesentlich höheren Wert erlangen als die technische Differenz zwischen zwei Streitkräften. Echte Krieg ist eben kein technisches Projekt in welchem Ingenieure und Techniker systematisch eine Produktionsstraße errichten. Das beißt sich nur scheinbar mit Nummer drei, in Wahrheit ist es die Voraussetzung dafür.

Broensen:

Zitat:....liegt es doch nahe, dass wir uns den teuren Scheiß leisten können, während Osteuropa eher Mannzahl zustande bringt. Denn zum Anderen ist diese Konstellation ja auch nicht frei gewählt, sondern u.a. auf den Mangel an Bewerbern zurückzuführen, mit dem wir zu kämpfen haben. Selbst wenn wir wollten, würden wir nicht ausreichend Mannschaften zusammenbekommen.

1. Generierung von Mannschaften durch eine Reform des Militärwesens

Das könnten wir durchaus, würden wir die notwendigen Mittel dafür aufwenden und würden wir die Mannschaftslaufbahn von ihren überkommenen Formen und Bedingungen befreien. Eine tatsächliche Militärreform, ein echter militärischer Futurismus würde den Mangel an Mannschaften in diesem Land sehr schnell beenden können, und auch die Qualität des Menschenmaterials erheblich steigern.

Die Idee aber selbst nur noch Führen zu wollen, etwas San dazu und ein paar Hochwert-Systeme, während die Geführten aus den Soldaten der Osteuropäer bestehen (Rahmennationen-Konzept) ist nicht nur sicherheitspolitisch risikoreich, sie krankt auch daran, dass sie von den Osteuropäern nur dazu ausgenützt werden wird ihre Kosten in Friedenszeiten auf uns auszulagern, uns im Kriegsfall aber mal rein gar nichts zu unterstellen. Den dass es so kommen wird ist die höhere Wahrscheinlichkeit (und wurde mir schon ganz offen von Soldaten in der Slowakei und in Polen eröffnet).

Aktuell fehlt uns aber für diese arrogante Hybris sogar noch die Führungsfähigkeit und auch die Interoperiabilität. Die "militärische Führung" dieser Bundeswehr wird aktuell von etlichen unserer Verbündeten mehr als Schwachstelle im Gesamtgefüge betrachtet denn als tatsächlicher Nutzen.

Die menschliche Mannschaft wäre aber auch bei uns generierbar. Und das beißt sich in keinster Weise damit, Einheiten unserer Verbündeten mit zu führen und parallel zu nationalen deutschen Großkampfverbänden einzusetzen. Ganz im Gegenteil! Wenn wir selbst hier mehr Kampftruppen stellen würden, dann würde dass uns nicht nur glaubwürdiger machen, es würde auch andere Nationen eher dazu motivieren sich uns zu unterstellen. Wir benötigen also mehr Kampftruppe im Verhältnis und insgesamt eine größere Streitmacht.

2. Generierung von Mannschaften durch eine wesentlich weiterführende Roboterisierung der Kriegsführung

Andererseits gibt es hier natürlich demographische, gesellschaftliche und auch makroönomische Grenzen. Um diese zu überwinden lautet die Lösung, die Roboterisierung der Kriegsführung jetzt massiv voran zu treiben. Das ist kein Widerspruch zu mehr menschlichen Soldaten, sondern ganz im Gegenteil wird deren Wert noch wesentlich weiter gesteigert, deutlich erhöht, wenn wir diesen absoluten Tiefpunkt in der militärischen Schlagkraft welchen wir zur Zeit haben dazu verwenden würden, völlig frei von altem und unbelastet (wortwörtlich) völlig neue Wege zu gehen und einen Umbruch in der Doktrin, der Strategie, der Struktur und Ausrüstung unserer Streitkraft herbei zu führen.

Damit meine ich keineswegs nur bewaffnete Drohnen, sondern insbesondere auch eine weitgehende Roboterisierung von Bodeneinheiten, auch innerhalb von Systemen. Immer mit dem Ziel mit weniger Soldaten wesentlich mehr Kampfkraft zu generieren.

Ein möglichst einfaches plakatives Beispiel: Wenn ein Kampfpanzer nur 2 Soldaten Besatzung benötigen würde, dann könnte man mit den 176 Mann Besatzungen welche heute ein Panzerbataillon hat statt der 44 Kampfpanzer nicht weniger als 88 Kampfpanzer aufstellen. Damit hätte dann das Bataillon welches insgesamt ca. 500 Mann umfasst auf der Stelle doppelt so viele Kampfpanzer. Das ist jetzt mal ganz einfach und plakativ, es soll nur das grundlegende Funktionsprinzip verdeutlichen. Man kann solche Einsparungen insbesondere auch in der Logistik des Bataillons andenken (selbstfahrende Lkw die anderen Lkw folgen etc), und anderen Stellen.

3. Generierung von Mannschaften durch richtige Schwerpunktsetzung

Wir streuen in der Bundeswehr zu sehr was die Fähigkeiten im Kampf angeht. Abgesehen von diesem mangelndem Schwerpunkt bei dem was kämpft, haben wir in der real existierenden Bundeswehr definitiv einen Schwerpunkt beim Sanitätswesen (auslagerbar), bei der Führung (muss reduziert werden - dringend notwendiger Teil von 1.) und bei de facto zivilen Behörden welche an die Bundeswehr angehängt sind (kann man auch auslagern und drastisch vermindern). Es fehlt also ein Schwerpunkt in Bezug auf die Generierung von Kampfkraft (wo und wie man diese exakt produziert) und stattdessen hat man einen Schwerpunkt in nicht-kämpfenden Bereichen welche höchst fragwürdig sind. Dies muss komplett verschoben werden. Es müssen aus der Bundeswehr bestimmte Elemente heraus und/oder sie müssen drastisch reduziert werden. Und da beißt sich die Schlange in Richtung 1. gleich wieder in den Kopf: mit unseren überkommenen Strukturen und all diesem überkommenen "militärischen" Getue wird das nicht bewerkstelligbar sein.

Gerade der katastrophal schlechte Zustand unserer Streitkräfte ist hier aber eigentlich die Chance schlechthin, radikal das überkommene jetzt abzuschneiden und völlig Neues an seine Stelle zu setzen ! Und damit hätte sich dann auch das Schein-Problem der fehlenden Quantität bzw. der zu geringen Zahl der Mannschaften erledigt.
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RE: Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg - von Quintus Fabius - 02.05.2022, 08:00
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