16.08.2021, 11:07
Zitat:Die Gemengelage ist heute eine völlig andere als 2001. Damals gab es eine Nordallianz als Gegenpol und bedeutende Warlords, die mit den Taliban verbündet waren. Heute sind die alten Warlords geflohen (Dostum, Noor Atta Mohammed) oder gefangen (Ismail Khan), generell sind sie schon sehr alt. Einen Gegenpol müsste man zuerst wieder im Ausland aufbauen. Es fehlt also vorerst mal an der Substanz, um eine Opposition zu etablieren. Die Idee, dass sich die Afghanen an die schönen Dinge des Westens erinnern, wenn man ihnen diese jetzt wegnimmt und sie die zurückwollen, ist zwar ein Hoffnungsschimmer, aber auch ein Griff nach dem Strohhalm. Etwas anderes gibt es zur Zeit nicht.Vielleicht brauchen wir gar nicht nur alleine nach Gegnern im Inneren schauen. Der aktuelle Sieg der Taliban ist so vollständig, wie er in den 1990ern nie war. D. h. sie werden sehr wahrscheinlich in den kommenden Monaten und Jahren im Land frei schalten und walten können.
Und vor diesem möglicherweise kommenden Emirat, Kalifat etc. reihum wird entweder...
- mit Wohlwollen reagiert (Pakistan - hach, wer hätte das gedacht) oder...
- mit den militärischen Hufen gescharrt (Iran - die hatten den Taliban schon mal in den 1990ern offen mit Krieg gedroht; das Schicksal der Hazaras lässt ja bekanntlich grüßen) oder...
- vorsichtig, aber mit der Option auf indirektes Eingreifen, im Hintergrund gelauert (Russland - das sich wieder um die Islamisierung seines grünen Unterleibs Sorgen macht und sogar schon die Grenztruppen verstärkt; Indien - das schon 1996 einen Krieg erwogen hatte, und sei es nur, um Pakistan zu schwächen und die Kashmir-Region zu entlasten) oder...
- sich selbst in die Tasche gelogen (China - offiziell will man den Willen der Afghanen natürlich gutheißen und respektieren, dass sich "die Menschen vor Ort" nun entschieden haben, was sie wollen - ein deutlicher Seitenhieb gegen den Westen und seine Kritik an China -, inoffiziell dürfte diese Sichtweise aber blitzschnell in der Versenkung verschwinden, wenn sich der afghanische Islamismus via Tadschikistan bis nach Xinjiang und zu den Uiguren ausbreitet).
Kurzum: Fast alle um das Land herum sind distanziert bis feindselig ggü. dem neuen Regime. Bis irgendwo ein Proxy entsteht, ist also ebenso wohl nur eine Frage der Zeit.
Schneemann.