Afghanistan
(05.02.2024, 22:26)Quintus Fabius schrieb: Vielen Dank für die Erinnerung. Erstaunlich wie lange das schon wieder her ist.

Allgemein:

https://www.voanews.com/a/china-s-presid...63837.html

Die Taliban haben jetzt einen offiziellen Botschafter in West-Taiwan Big Grin


Am Ende werden chinesische Firmen in völlig isolieren Exklaven mit eigenen Arbeitern die Rohstoffe in Afghanistan abbauen - die Taliban dafür Geld kassieren und wenn sie es rein theoretisch wirklich für die Bevölkerung ausgeben, damit die Lage tatsächlich besser werden können.

So wird es wohl kommen, wobei das für beide Seiten ein großer Gewinn wäre, denn an einem Austausch hat da niemand das geringste Interesse. Das Geld wird aber vermutlich eher in Rüstung investiert oder auf Auslandskonten transferiert werden.
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Wahrscheinlich in Rüstung, und insbesondere in Soldzahlungen, da die meisten Kämpfer der Taliban Söldner sind die für Geld kämpfen und nur deshalb für die Taliban kämpfen. Auslandskonten sind für die zu volatil (Geld schnell weg, gesperrt, verloren), die Taliban horten wenn sie es kriegen können lieber Gold daheim. Und um das zu schützen benötigt man natürlich Waffen und Kämpfer.
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Es hängt vieles davon ab, wie die Taliban sich zukünftig aufstellen. Ich sehe bei euren Gedankenspielen das Risiko, dass übersehen wird, dass es sich um eine radikalislamistische Gruppierung handelt. (Und selbst wenn diese ihre Einnahmen verbessern wird können, wird dies die Lage des Landes nicht verbessern.)

Und China läuft hier - wenn Peking den Plan so umsetzt, wie lime spekulierte - Gefahr, einen ähnlichen Fehler wie die USA am Golf zu machen. D. h. man verbandelt sich mit einem Gegenüber, das allenfalls Geschäfte mit einem machen möchte, aber ansonsten religiös, politisch und philosophisch absolut diametral entgegengesetzt ausgerichtet ist.

Da die Taliban sowohl den Pseudokommunismus Peking'scher Prägung als auch den Buddhismus mit seinen "Götzenbildern" als geradezu gottlos, ja teuflisch verachten, könnte es sein, dass man zwar vordergründig vielleicht den einen oder anderen Deal mit den Chinesen macht - rein eigennütziger Prägung natürlich -, langfristig könnte aber das Szenario dazu führen, dass ein durch Peking finanzierter, zunehmend erstarkender Islamismus wieder nach den chinesischen Westprovinzen (Xinjiang) überschwappt. Im schlimmsten Fall machen die Chinesen also erst einmal einen gewissen Gewinn und erkaufen sich eine gewisse Ruhe, langfristig wird ihnen diese Rechnung aber zum Nachteil gereichen.

Schneemann
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Die Taliban sind aber nicht nur eine radikalislamische Bewegung, sie sind zugleich auch afghanische Nationalaisten. Noch darüber hinaus sind ihre speziellen religiösen Auffassungen teilweise stark abweichend von dem was andere Islamisten glauben.

Desweiteren ist die Grenze von West-Taiwan nach Afghanistan für die Chinesen problemlos kontrollierbar. Es wird keinerlei Terrorexport gleich welcher Art von Afghanistan nach West-Taiwan geben können. Das ist praktisch gesehen ausgeschlossen. West-Taiwan ist ja kein Staat wie Europa der seine Grenzen nicht im Griff hätte und gerade der Westrand Chinas gehört zu den am meisten überkontrollierten und niedergeknechteten Gebieten in ganz West-Taiwan. Da bewegt sich rein gar nichts mehr ohne explizite behördliche Genehmigung und radikale Dauerüberwachung.

Der Islamismus der Taliban wird also in keinster Weise nach Xianjian überschwappen, dass ist völlig ausgeschlossen und auch praktisch nicht möglich, selbst wenn die Taliban ein solches Ziel hätte.

Stattdessen wird ein erstarkender und sich stabilisierender Taliban-Staat nach Norden expandieren, in die Staaten Zentralasiens, wo Diktatoren herrschen und die Bevölkerung sich eine Befreiung durch den Islam zunehmend herbei sehnt. Eine solche Destabilisierung der Zentralasiatischen Länder, zu denen darüber hinaus im Gegensatz zu Xianjiang auch ethnische, sprachliche und kulturelle Beziehungen bestehen (Usbeken, Tadschiken usw.) wird dazu führen, dass diese Diktatoren und insbesondere die Russen dort rasant an Einfluss verlieren werden. Dazu kommt noch, dass Russland durch den Ukrainekrieg gebunden ist und selbst wenn dieser endet immens geschwächt daraus hervor gehen wird.

Folglicherweise stellt ein erfolgreicher Talibanstaat vor allem anderen ein Problem in Bezug auf Zentralasien dar, also alle Staaten die nördlich von Afghanistan liegen.

Was wiederum im Interesse der Chinesen sein könnte !
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Selbst wenn man von ausgeht, dass die Grenze im Westen Chinas dicht ist wie ein Einmachglas, was ich allerdings als eine riskante These ansehe, so sind die Risiken absehbar, dass die Taliban-Bewegung stärker werden wird.

Die Manpower wird weiter zulaufen, Material hat der Westen schon recht viel nach seinem Abzug 2021 zurückgelassen und nun käme in der Theorie noch Geld aus Rohstoffverkäufen nach China hinzu. Das ist eine ungute Mischung. Denn die radikalen Grundkonzepte sind da und werden da bleiben. Und wenn sich diese Strömungen nicht nach Osten bzw. Richtung Xinjiang ausbreiten können, dann werden sie sich die schwächeren Wege suchen. Und diese wären entweder ein Backlash nach Pakistan (eher ein fragiles Land) oder ein Überschwappen nach Norden in Richtung der ehemaligen zentralasiatischen Sowjetrepubliken (wo ein ehemaliger, vormals den Islamismus eingrenzender Hegemon gerade seine Kräfte lieber in der Ukraine aufbraucht). Und z. B. der Bürgerkrieg in Tadschikistan in den 1990ern hatte eine deutlich islamistische Note, er wurde auch damals schon von den Taliban zumindest im Ansatz mitbefeuert.

Indirekt besteht somit die Gefahr - wenn wir Rotchina wirklich als abgeschottetes Bollwerk ansehen wollen -, dass der so chinesisch beförderte Islamismus a) einerseits Pakistan als Atommacht gefährlich werden könnte oder andererseits b) dem sowieso schon arg geschwächten Russland noch (bzw. wieder) eine islamistische Bedrohung an der Südflanke beschert.

In jedem Fall ein riskantes Spiel, das Peking hier betreibt, selbst wenn man sich erfolgreich einigeln kann.

Schneemann
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Anbei: das westliche Kriegsmaterial ist aktuell ein Hauptexportartikel der Taliban. Afghanistan ist hier und heute aktuell ein Waffenexporteuer, itzo lasst mich lachen.

Zitat:die radikalen Grundkonzepte sind da und werden da bleiben. Und wenn sich diese Strömungen nicht nach Osten bzw. Richtung Xinjiang ausbreiten können, dann werden sie sich die schwächeren Wege suchen.

Huh Das ist doch exakt das was ich geschrieben haben ?!

Das hat übrigens nicht nur mit Bergab fließen zu tun, sondern wie von mir explizit beschrieben vor allem auch mit den ethnischen und kulturellen Beziehungen welche man nach Norden hat.

Zitat: Und diese wären entweder ein Backlash nach Pakistan (eher ein fragiles Land)

Die Taliban sind in Nordwest-Pakistan bereits aktiv, und zwar sehr aktiv. Da gibt es bereits jede Menge wechselseitige Gewalt mit der pakistanischen Armee. Dessen ungeachtet wird der Weg nach Norden noch sehr viel leichter sein. Dass man natürlich davon träumt das alte Paschtunenreich der Durrani wieder zu errichten, und dazu auch die Paschtunengebiete in Pakistan gehören ist selbstverständlich. Aber auf der einen Seite ist Pakistan viel stärker als die Staaten nördlich von Afghanistan, und noch darüber hinaus zugleich auch ein Verbündeter, welcher den Taliban schon oft und die Arme gegriffen hat und aktuell beispielsweise als Hehler für westliche Waffen aus Afghanistan für die Rebellen im Kaschmir dient. Das ist also viel komplexer. Eine witzige Rolle nehmen hier aktuell einmal mehr die Khyber Rifles ein, eine Einheit der pakistanischen Armee welche aus Paschtunen rekrutiert wird und die heute eben nicht nur in den Stammesgebieten am Khyber stationiert sind, sondern zusätzlich auch im Kaschmir.

Zitat:In jedem Fall ein riskantes Spiel, das Peking hier betreibt, selbst wenn man sich erfolgreich einigeln kann.

Das Ziel ist nicht allein sich einzuigeln, dass macht man nur in bezug auf Westchina so. Parallel dazu träumt West-Taiwan davon Zentralasien mit der Zeit bis zum Aralsee unter Kontrolle und unter die eigene Herrschaft zu bringen. Und die Islamisten sieht es dabei als ein destabilisierendes Element welches diese chinesische Herrschaft ermöglichen könnte.

Und man soll nicht glauben, die Armeen West-Taiwans würden im Guerillakrieg versagen. Die haben nicht die gleichen Hemmnisse in einem solchen Szenario wie unsresgleichen. Schlussendlich ist das Fernziel der sozialkulturelle Völkermord an den Muslimen in Zentralasien, exakt so wie er aktuell an den Uiguren verübt wird.

Aber zunächst mal die Dsungarei, und dann erst wird es von dort weitergehen, zur Korrektur der Schlacht am Talas - wie es chinesische Soldaten und Politiker ein paar mal schon so nett formuliert haben.

Und sollte es dennoch scheitern, schadet man Russland und dem Westen zugleich und schafft beiden ein erhebliches Problem, während man selbst von diesem weitestgehend nicht betroffen sein wird.
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(05.02.2024, 22:26)Quintus Fabius schrieb: ....
Die Taliban haben jetzt einen offiziellen Botschafter in West-Taiwan Big Grin
...
ich versuche gerade, die Entwicklung in Afghanistan etwas zu analysieren.

Zunächst einmal ist Afghanistan ja durch ethnisch-religiöse Konflikte zerrissen. Ein typisches Beispiel ist der Konflikt zwischen den iranischen Hazara und Tadschiken einerseits und den Paschtunen / Taliban andererseits, die "inoffiziell" über den Rückhalt aus Pakistan verfügen.
Nun ist Pakistan ein langjähriger Verbündeter Chinas - und in der aktuellen Entwicklung scheint sich über die Verbindung des Irans zu Russland auch eine weitere engere Verbindung zwischen Iran und China anzubahnen.
Peking sitzt als bei beiden Seiten am Ende der Leinen.
(05.02.2024, 22:26)Quintus Fabius schrieb: ....
Am Ende werden chinesische Firmen in völlig isolieren Exklaven mit eigenen Arbeitern die Rohstoffe in Afghanistan abbauen - die Taliban dafür Geld kassieren ...
gar nicht so unwahrscheinlich
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(06.02.2024, 12:53)Schneemann schrieb: Indirekt besteht somit die Gefahr - wenn wir Rotchina wirklich als abgeschottetes Bollwerk ansehen wollen -, dass der so chinesisch beförderte Islamismus a) einerseits Pakistan als Atommacht gefährlich werden könnte oder andererseits b) dem sowieso schon arg geschwächten Russland noch (bzw. wieder) eine islamistische Bedrohung an der Südflanke beschert.
Was würdet ihr von der Theorie halten, dass ein zentralasiatischer Taliban-Staat zwischen Russland und Pakistan aus chinesischer Sicht deshalb erstrebenswert wäre, weil sich so an der chinesischen Nord/West-Front ein Gleichgewicht der Kräfte einstellen könnte, das es China ermöglicht, auf alle drei Staaten dort ausreichend Einfluss zu nehmen, während keiner davon das Potential besitzt, sich von diesem Einfluss zu lösen?

Russland und ein erweitertes "Talibanstan" sind auf absehbare Zeit international isoliert und wirtschaftlich auf China angewiesen, während Pakistan durch den gemeinsamen Feind Indien an China gebunden ist. Das verschafft den Chinesen eine gesicherte Grenze von Kaschmir bis Korea, entlang der kein Nachbarstaat in der Lage ist, sich dem Einfluss zu entziehen.
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Ein einziger zentralasiatischer Staat würde an seinen inneren - insbesondere ethnischen - Konflikten zerbrechen. Schon jetzt sind sich Kirgisen und Usbeken nicht besonders "grün".

Ein anderes Beispiel:
Der Kirgisisch-Tadschikischer Grenzkonflikt besteht schon länger. Da stoßen auch die über Jahrtausende gepflegten gegenseitigen Vorurteile der städtischen "persisch-iranischen Hochkultur" einerseits und der "stolzen Reiternomaden" andererseits aufeinander.

Offenbar setzt die im Zuge des Ukraine-Krieges zunehmend schwindende Klammerkraft dominanter russischer (ex sowjetischer) Kräfte nun bei den ehemaligen Sowjetrepubliken weitere "Entfesselungstendenzen" frei, die entlang der ethnisch schwierigen Grenzen zu explosiven Entwicklungen führen.
Dazu sind in Tadschikistan - als unmittelbarer Nachbar der afghanischen Taliban - auch russische und indische Kräfte stationiert, um radikale islamistische Gruppierungen fern zu halten.
Das russische Heer hat seine 201. motSchützendivision in Tadschikistan stationiert, die indische Luftwaffe verfügt über einen Militärflugplatz im Lande.
Auch in der Nähe der nördlichen kirgisischen Stadt Kant befindet sich eine russische Militär-/Luftwaffenbasis.
Weiter hat Usbekistan territoriale Exklaven im kirgisischen Staatsgebiet. Und da auch noch China mit seiner "Unruheprovinz" benachbart ist, und sich der Iran um die Tadschiken bemüht, trägt die explosive Lage den Keim einer übergreifenden Eskalation in sich.
Mehr Infos: Inaugural-Dissertation von Marina Tsoi an der KU Eichstätt

Wenn Du das Wort "Taliban-Staat" bzw. "Talibanstan" durch "Iran" bzw. "Turan" ersetzt, ist es - glaub ich - das, was sich entwickelt:

Die zentralasiatisch-turksprachigen Staaten entwickeln sich zu einem Staatenbündnis unter Beteiligung der Türkei, so, wie die unmittelbare russische Dominanz schwindet, so schleicht sich ein zunehmender türkischer Einfluss ein. Das fängt mit der Ersetzung des kyrillischen Alphabets durch die lateinische Schrift an und setzt sich soweit fort, dass im letzten Krieg gegen Armenien plötzlich türkische F-16 auf einem aserbaidschanischen Flugplatz standen und nahezu alle Staaten dort die türkischen Drohnen in ihr Arsenal aufgenommen haben.
Wenn wirklich "Taliban" aus Afghanistan in das kirgisische Staatsgebiet einsickern, dann könnten etwa in Kant sehr schnell auch türkische Flugzeuge und Hubschrauber landen.
Möglicherweise von Russland zähneknirschend akzeptiert, weil die russischen Truppen durch die Verluste in der Ukraine nicht mehr den Schutz liefern können, der in einem solchen Fall benötigt würde.

südlich davon gewinnt der Iran bis Tadschikistan an Einfluss. Da halte ich es für denkbar, dass auch Indien und der Iran stillschweigend kooperieren. Indien ist jetzt schon einer der größten Kunden für iranische Öl- und Gasvorkommen. Und Indien wie auch der Iran haben mehr oder weniger großes Interesse, den pakistanischen Einfluss in Afghanistan einzudämmen.
Für China und Pakistan wäre wiederum die iranische Präsenz leichter zu ertragen als eine Präsenz indischer Truppen.
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(06.02.2024, 22:32)Kongo Erich schrieb: Offenbar setzt die im Zuge des Ukraine-Krieges zunehmend schwindende Klammerkraft dominanter russischer (ex sowjetischer) Kräfte nun bei den ehemaligen Sowjetrepubliken weitere "Entfesselungstendenzen" frei, die entlang der ethnisch schwierigen Grenzen zu explosiven Entwicklungen führen.
Dazu sind in Tadschikistan - als unmittelbarer Nachbar der afghanischen Taliban - auch russische und indische Kräfte stationiert, um radikale islamistische Gruppierungen fern zu halten.
Das russische Heer hat seine 201. motSchützendivision in Tadschikistan stationiert, die indische Luftwaffe verfügt über einen Militärflugplatz im Lande.
Auch in der Nähe der nördlichen kirgisischen Stadt Kant befindet sich eine russische Militär-/Luftwaffenbasis.
Weiter hat Usbekistan territoriale Exklaven im kirgisischen Staatsgebiet. Und da auch noch China mit seiner "Unruheprovinz" benachbart ist, und sich der Iran um die Tadschiken bemüht, trägt die explosive Lage den Keim einer übergreifenden Eskalation in sich.

Oberflächlich betrachtet wäre Tadschikistan das einfachste Opfer für eine zukünftige Talibanexpansion, allerdings gerät man dann möglicherweise in direkten Konflikt mit Rußland. Deshalb könnte vielleicht auch Usbekistan der nächste Kandidat sein. Fast alle lokalen Milizen die Dostum unterstanden sind ohne große Gegenwehr übergelaufen. Aus den usbekisch besiedelten Provinzen war nach der Machtübernahme der Taliban so gut wie kein Widerstand geleistet wurden was dafür spricht dass die Taliban unter den Usbeken in Afghanistan gar nicht so unbeliebt sein kann. Der Islamismus ist in Usbekistan gerade auf dem Land stark auf dem Vormarsch. Dagegen stehen auf der anderen Seite ca. 40% der Usbeken die den Islam nicht mehr praktizieren und weiterhin ca. 20-30% die eine eher moderate Ausrichtung leben. Gerade in der sehr ländlichen Südprovinz die an Afghanistan grenzt dürfte aber die Taliban durchaus auf Zustimmung stoßen. Hinzu kommt dass die eher dünne Besiedlung und eine große tadschikische Minderheit vorteilhaft für ein einsickern der Taliban wären.
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Ergänzend:

Zitat:Zunächst einmal ist Afghanistan ja durch ethnisch-religiöse Konflikte zerrissen. Ein typisches Beispiel ist der Konflikt zwischen den iranischen Hazara und Tadschiken einerseits und den Paschtunen / Taliban andererseits, die "inoffiziell" über den Rückhalt aus Pakistan verfügen.

Wobei diese Konflikte in Afghanistan heute nicht mehr so massiv sind wie sie es früher waren bzw. wie sie es zur Zeit der ersten Taliban-Herrschaft waren.

Das hat zum einen den Grund, dass heute die ethnischen Minderheiten bei den Taliban stärker vertreten sind, diese sich heute mehr als Gesamt-Afghanische Nationalisten aufgestellt haben und weil es in Afghanistan eine massive Paschtunisierung gibt, welche zunehmend die Paschtunische Kultur auch bei den Minderheiten ausbreitet.

In diesem Kontext muss man halt auch bedenken, dass Afghan und Paschtune als ethnisch / sozialkultureller Begriff identisch waren und sind.

Zitat:Dazu sind in Tadschikistan - als unmittelbarer Nachbar der afghanischen Taliban - auch ....... indische Kräfte stationiert, um radikale islamistische Gruppierungen fern zu halten........die indische Luftwaffe verfügt über einen Militärflugplatz im Lande.

Was für Pakistan unerträglich ist und weshalb Pakistan durchaus gezielt die Taliban gegen diese Ausweitung des indischen Einfluss nördlich von Afghanistan einsetzen wird, wenn möglich. Die Präsenz der Inder erhöht deshalb meiner Meinung nach die Wahrscheinlichkeit von Aktivitäten der Taliban in diesem Gebiet.

Zitat:Die zentralasiatisch-turksprachigen Staaten entwickeln sich zu einem Staatenbündnis unter Beteiligung der Türkei

Zumindest ist dass seit langem das große Ziel der Türkei. Ob man damit aber erfolgreich sein wird ist meiner Meinung nach fragwürdig. Die ganzen Diktatoren dort sind mMn nicht in der Lage sich zusammen zu schließen und deren Bevölkerungen derart geknechtet, dass langfristig gesehen Islamisten als Befreier auftreten könnten.

Zitat:halte ich es für denkbar, dass auch Indien und der Iran stillschweigend kooperieren. Indien ist jetzt schon einer der größten Kunden für iranische Öl- und Gasvorkommen. Und Indien wie auch der Iran haben mehr oder weniger großes Interesse, den pakistanischen Einfluss in Afghanistan einzudämmen.

Und umgekehrt will Pakistan das exakte Gegenteil und wären die Talban ein Mittel die Inder in Zentralasien zu bekämpfen.

Zitat:Für China und Pakistan wäre wiederum die iranische Präsenz leichter zu ertragen als eine Präsenz indischer Truppen.

Eventuell, aber für die Taliban nicht. Und die sind nicht nach belieben fernsteuerbaren Marionetten, sondern verfolgen ja ebenfalls wieder eigene Ziele. Die Taliban hassen die Iraner, aus vielerlei Gründen, von der Religion bis hin zur Erbfeindschaft der Durrani gegen die Perser.

Insgesamt betrachtet sprechen all diese Faktoren meiner Meinung nach für eine Destabilisierung in Zentralasien und eine in Zukunft wachsende Präsenz von Islamisten und den Taliban in den Ländern nördlich von Afghanistan.

Beschließend schließe ich mich da durchaus lime an, Usbekistan könnte als nächstes ein Opfer der Taliban werden.
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Zitat:Die zentralasiatisch-turksprachigen Staaten entwickeln sich zu einem Staatenbündnis unter Beteiligung der Türkei, so, wie die unmittelbare russische Dominanz schwindet...
Wobei der türkische Einfluss auch seine Grenzen hat. Aserbaidschan und Turkmenistan sind vergleichsweise sichere Häfen, aber spätestens in Usbekistan und Tadschikistan wird es deutlich schwieriger.

Tadschikistan ist ein labiles Konstrukt, vor allem die östlichen Gebiete in Richtung Badachschan sind nur schwer von der Regierung zu sichern und stellen ein Einfallstor für Islamisten aus Afghanistan dar, der türkische Einfluss darauf ist faktisch nicht vorhanden. Bei Usbekistan ist es etwas unklarer, die Phase Karimov brachte einen starken, wenn auch konstruierten und mit manchen Stilblüten versehenen Nationalismus mit sich. Mirsijojew scheint konzilianter zu sein und eher auf Ausgleich hinzuarbeiten, er hat auch den repressiven Deckel seines Vorgängers etwas angehoben, allerdings kann das auch negativ sich auswirken, da dies wiederum das langsame Erstarken der Islamisten begünstigen kann.

PS: Da wir mittlerweile, was aber unvermeidbar ist, auch generell auf Zentralasien ausgreifen, habe ich etwas im Archiv gestöbert und einen Strang verschoben (ggf. können wir manchen zentralasiatischen Kontext auch dort besprechen): https://www.forum-sicherheitspolitik.org...p?tid=4290

Schneemann
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Spezifisch über die Zustände in Afghanistan unter der Herrschaft der Taliban:

https://www.youtube.com/watch?v=vP6SnlLlMU8

https://www.youtube.com/watch?v=iYL-UuNE_9w

In Bezug auf das zweite Video: was viel zu wenig verstanden wird ist, dass die Taliban eine Art Rechtsstaat etabliert haben und dass dieser in der Zeit unserer Besatzung dort so nicht vorhanden war. Es ist nicht unsere Vorstellung von Rechtsstaat, aber man kann jetzt auch dann Recht erhalten wenn man Arm ist und keine Beziehungen hat. Das Justizsystem in Afghanistan ist heute unter Taliban-Herrschaft gerechter und arbeitet besser als zur Zeit der Anwesenheit unserer Truppen die damalige afghanische Justiz.

Das ist auch absolut wesentlich um zu verstehen, wie sich die Taliban wieder im ganzen Land ausbreiten konnten. Sie etablierten eine komplette parallele Schattengesellschaft, einen Schattenstaat bei dem es dann einen offiziellen Bürgermeister gab, und parallel einen Talibanbürgermeister, einen Richter und einen Talibanrichter usw - und dies gelang primär über das Justizwesen. Wenn jemand Rechtsprechung wollte, wandte er sich an die Taliban, wenn jemandem Unrecht getan wurde, wandte er sich an die Taliban, wenn jemand Ansprüche geltend machen wollte desgleichen.

Durch das bessere Justizsystem der Taliban (im Vergleich zu dem was der afghanische Staat betrieb) konnten die Taliban sich ausbreiten und ihre Parallelwelt in ganz Afghanistan einziehen. Extrem überspitzt: nicht die Kämpfer der Taliban haben gegen uns gesiegt, die Kämpfer und der militärische Widerstand waren gar nicht so wesentlich. Die Taliban haben uns sozial / gesellschaftlich besiegt. Und dies zuvorderst durch ihre Justiz.

Die erstaunlichste Entwicklung bei den Taliban ist aktuell für mich, dass sie kaum gegen die Hazara vorgehen, sich sogar teilweise um sie bemühen, was in Wahrheit ein extremer Bruch mit allem ist was sie früher diesbezüglich ausgemacht hat. Rein persönlich ging ich von bald folgendem Völkermord aus, aber stattdessen will man sich mit den Hazara irgendwie arrangieren.

Es gibt aktuell sogar zunehmend Hazara unter den Taliban. Dass ist mal wirklich neu, ein völliger Bruch mit dem was früher seit jeher war. Natürlich ist das Fernziel, die Häretiker zum wahren Glauben zu bringen etc, aber aktuell forciert man das nicht.
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(07.02.2024, 13:41)Quintus Fabius schrieb: ... die Taliban .... etablierten eine komplette parallele Schattengesellschaft, einen Schattenstaat bei dem es dann einen offiziellen Bürgermeister gab, und parallel einen Talibanbürgermeister, einen Richter und einen Talibanrichter usw - und dies gelang primär über das Justizwesen. Wenn jemand Rechtsprechung wollte, wandte er sich an die Taliban, wenn jemandem Unrecht getan wurde, wandte er sich an die Taliban, wenn jemand Ansprüche geltend machen wollte desgleichen.

Durch das bessere Justizsystem der Taliban (im Vergleich zu dem was der afghanische Staat betrieb) konnten die Taliban sich ausbreiten und ihre Parallelwelt in ganz Afghanistan einziehen. Extrem überspitzt: nicht die Kämpfer der Taliban haben gegen uns gesiegt, die Kämpfer und der militärische Widerstand waren gar nicht so wesentlich. Die Taliban haben uns sozial / gesellschaftlich besiegt. Und dies zuvorderst durch ihre Justiz.
möglicherweise ist diese "Stammesjustiz" in der örtlichen Gesellschaft mehr verwurzelt als unser "System Rechtsstaat".
Wir haben in Europa ja im Endeffekt auch das "römische Rechtssystem" (Lex Romana) übernommen, mit altem germanischen Stammesrecht (z.B. Lex Baiuvariorum) verschmolzen und weiter entwickelt. Das mag für eine andere Gesellschaft gar nicht einmal optimal sein.
(07.02.2024, 13:41)Quintus Fabius schrieb: Die erstaunlichste Entwicklung bei den Taliban ist aktuell für mich, dass sie kaum gegen die Hazara vorgehen, sich sogar teilweise um sie bemühen, was in Wahrheit ein extremer Bruch mit allem ist was sie früher diesbezüglich ausgemacht hat. Rein persönlich ging ich von bald folgendem Völkermord aus, aber stattdessen will man sich mit den Hazara irgendwie arrangieren.
Es gibt aktuell sogar zunehmend Hazara unter den Taliban. Dass ist mal wirklich neu, ein völliger Bruch mit dem was früher seit jeher war. Natürlich ist das Fernziel, die Häretiker zum wahren Glauben zu bringen etc, aber aktuell forciert man das nicht.
Das - in der Tat - erstaunt mich auch. Und ich frage mich, ob das dauerhaft ist.
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Zitat:möglicherweise ist diese "Stammesjustiz" in der örtlichen Gesellschaft mehr verwurzelt als unser "System Rechtsstaat".

Es ist gerade eben keine Stammesjustiz oder die simple Fortführung vorislamischen Rechtes, welche die Taliban so erfolgreich gemacht hat, sondern ihr Versuch tatsächlich das Stammesrecht und teilweise Clan- und Familienrecht durch eine einheitliche Interpretation der Scharia zu ersetzen, die dann für alle gleich gilt.

Gerade deshalb hatte ich intentional das zweite Video zu dem Dorfgericht vernetzt. Darin geht es um den Fall einer jungen Witwe welche nach dem Tod ihres Mannes bei ihrem Vater leben will, die Brüder des Verstorbenen Manners aber beanspruchen sie und wollen sie zwingen einen der ihren zu heiraten. Das war und ist in Afghanistan seit Jahrhunderten Stammesjustiz. Die Witwe eines Mannes gehört seinem Bruder, in einem de facto sklavenähnlichen Verhältnis.

Und der Talibanrichter erklärt nun dazu Scharia-Konform, dass die junge Frau selbst entscheiden darf ob sie den Bruder heiratet und wenn sie dies nicht will darf sie bei ihrem Vater leben.

Und das ist nicht gestellt, nicht für westliche Reporter inszeniert, es steht so in der Scharia wie sie die Taliban anwenden geschrieben. Genau so wie man vorher einen jungen Mann vor laufender Kamera praktisch gesehen foltert um ihn zu einem Geständnis zu zwingen dass er gestohlen hat.

Die Taliban bieten mit der Scharia praktisch gesehen einen Rechtsstaat, welcher stammesübergreifend einheitliches Recht anbietet. Und damit haben die Taliban per definitionem einen Rechtsstaat geschaffen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Rechtsstaat

Zitat:Ein Rechtsstaat ist ein Staat, der einerseits allgemein verbindliches Recht schafft und andererseits seine eigenen Organe zur Ausübung der staatlichen Gewalt an das Recht bindet.

Etwas was es vorher so nicht gab und was auch und insbesondere der von uns geschaffene Staat Afghanistan nicht geboten hat, aufgrund von zu viel Korruption, Nepotismus usw.

Desweiteren ist Afghanistan massivst gespalten zwischen den Menschen in den Großstädten und der ländlichen Bevölkerung. Das ist eine Spaltung von der Kultur und Lebensweise her die viel krasser ist als es die meisten hierzulande verstehen. Die Taliban müssen nun beide Seiten irgendwie berücksichtigen. Wenn sie beispielsweise Frauenrechte einräumen, weil die Afghanen in den Städten dies gutheißen, führt dies sofort zu massivsten Widerstand auf dem Land bis hin zu letaler Gewalt. Unterdrücken sie die Frauen, führt dies zu Kritik und Widerstand in den Städten.

Ironischerweise ist beispielsweise ein Vorwurf den Taliban in Afghanistan oft hören, dass sie den Frauen zu viele Rechte einräumen und dass sie zu sehr für Frauen wären ! Das wird in Afghanistan auf dem Land mehr als Vorwurf erhoben als umgekehrt der Vorwurf, sie würden die Frauenrechte zu sehr einschränken.

Die stehen also vor dem praktischen Problem unvereinbare Positionen und Kulturen und Stämme irgendwie zusammen zu halten. Dies geht nur mit viel Gewalt, viel Unfreiheit und indem man irgend etwas anbietet was beide Seiten nicht ablehnen können und dass ist im Falle Afghanistans halt die Scharia. Denn dann kann man dem Stadtmenschen genau so wie den letzten Hinterwäldlern aus abgelegenen Tälern gleichermaßen erklären: seht es steht so im Koran und in der Scharia, also müsst ihr das so tun.

Deshalb halte ich dies tatsächlich für die einzige reale praktische Möglichkeit in Afghanistan halbwegs so etwas wie Frieden und Stabilität zu erzeugen. Jedweder aufgeklärte westliche Staat würde hier nur sofort dazu führen, dass alle Stämme und Clans wieder aufeinander losgehen und alles in Bürgerkrieg und Blutvergießen versinkt.

Das scharfe Schariarecht der Taliban erfüllt damit eine wesentliche soziale Funktion für den Zusammenhalt aller Afghanen und für das funktionieren von Afghanistan als Staat.

Zitat: ich frage mich, ob das dauerhaft ist.

Das hängt davon ab, ob die Hazara sich einordnen und mit der Zeit paschtunisieren lassen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Paschtunisierung

Aber selbst im Hazaradschat sprechen inzwischen viele junge Hazara zunehmend paschtunisch (zumindest sprechen sie ihre eigene Sprache nicht mehr, sondern stattdessen Dari) und auch sonst gleichen sich Sitten und Kultur an. Verbleibt die Frage der Religion. Es sind aber nicht alle Hazara Schiiten, es gibt auch eine sunnitische Minderheit unter ihnen. Und die wird von den Taliban aktuell in jeder Weise gefördert.

Und warum? Um das in diesem Kontext noch mal zu betonen: die Taliban sind Radikal-Islamisten, aber sie sind zugleich halt auch afghanische Ultra-Nationalisten. Wobei für sie natürlich Afghane und Paschtune identisch ist, was ja auch historisch der Fall war.

Ein weiterer Grund warum die Taliban nicht so wie früher auf die Hazara losgehen - obwohl es durchaus jede Menge Diskriminierung und dergleichen gibt - und umgekehrt sich die Hazara für die Taliban öffen liegt darin, dass der Islamische Staat in Afghanistan viele sehr blutige Anschläge und Morde gegen Hazara ausgeführt hat. Die Taliban aber sind ein Todfeind des IS und rotten diesen in Afghanistan mit geradezu atemberaubender Gewalt aus. Das hat viele junge Hazara zum Umdenken gebracht, als die Taliban ganz offen die Anschläge des IS auf schiitische Hazara scharf verurteilten.

Langfristig wollen die Taliban natürlich einfach die Bekehrung der Hazara zum sunnitischen Islam und wirken in diese Richtung. Aber um dieses Ziel endlich zu erreichen gehen sie halt heute wesentlich geschickter vor als in früheren Zeiten. Die Taliban haben sich im Vergleich zu vor der Invasion Afghanistans deutlich verändert. Was sie meiner Ansicht nach gefährlicher macht. Heute kommunizieren die Taliban auf Facebook und X in englischer Sprache. Unter Mohammed Omar wäre man dafür noch etwaig geötet worden. Es gibt heute sogar vereinzelt Schiiten in der Führung der Taliban aus den Reihen der Hazara, dass wäre früher vollkommen undenkbar gewesen. Absolut undenkbar. Und heute gibt es schiitische Taliban obwohl dies vollkommen konträr zu allem ist was die Taliban Ideologie ausmacht. Frauen können heute auch mit dem Niqab anstelle der Burka herum laufen, wäre früher undenkbar gewesen. In den Städten laufen auch immer noch Frauen mit Hidschab herum, früher undenkbar. Heute werden Männer die ihre Frauen schwer misshandeln oder töten verurteilt, früher undenkbar. Man verstümmelt und foltert auch selbst nicht mehr so leichtfertig wie zu Zeiten Mohammed Omars und bemüht sich tatsächlich um eine funktionierende Regierung des Landes. Man toleriert illegale Mädchenschulen, auch wenn man darauf beharrt dass sie illegal sind. Früher undenkbar, da wurden Lehrerinnen von Mädchen gefoltert und niedergemacht. Heute schicken Taliban selbst ihre Töchter auf illegale Schulen und man tut einfach so als gäbe es sie nicht usw. usw.

Die sind also heute deutlich komplexer, aber auch deutlich fähiger und geschickter als sie es in ihren frühen Steinzeit-Islam Zeiten waren.
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