Europäische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik
#15
Zitat:Die Schwäche der Europäer nach dem 2. WK war nur teilweise eine wirtschaftliche, zum ganze entscheidenden Teil aber ideologisch begründet. Die kläglichen Versuche, nach dem 2. WK noch Großmachtpolitik zu fahren, obwohl sie dazu politisch (nicht wirtschaftlich!) gar nicht mehr in der Lage waren, zeigt das nur umso mehr. Die ideologische Komponente ist noch einmal was anderes, denn was europäische Politiker wollten, hatte für das einfache Volk bedingt durch Entkolonialisierung und Demokratisierung auch noch den Ruch des Neoimperialismus.

Der Mythos von der "Entscheidung" Europas zur Abkehr vom Machtpolitik und Hinwendung zu akzentuierter Verhandlungsdiplomatie ist und bleibt für mich daher exakt das, ein Mythos.
Du kannst alles mythifizieren, wenn du deine Ausführungen mit höchst generalisierten Aussagen schmückst und dann plötzlich von politischen Restriktionen sprichst, die du aber weder ausführt noch deren damalige Relevanz und Zustandekommen bedenkst.
Man kann eben nicht einfach nur sagen, dass wirtschaftlich eine andere Politik möglich gewesen wäre, politisch aber nicht bzw. ideologisch.
Hinter diesen Entwicklungen stehen immer Entscheidungen, Entscheidungen, die nunmal auch anders hätten getroffen werden können! Und es leuchtet mir kaum ein, hier davon zu sprechen, dass zwar keine wirtschaftlichen aber politischen Restriktionen bestanden. Welchen Politikbegriff nimmst du dann überhaupt zur Grundlage?? Politik bedeutet immer die Ressourcen und Entscheidungsfähigkeiten zu haben um jene herbeizuführen. Wo also waren die Europäer politisch so eingeschränkt??
Nein, es sind hier klare Entwicklungslinien, die durch bewußte, wenn auch in der Entwicklung logische, Entscheidungen herbeigeführt wurden und es ist eben nicht alles nur eine Frage politischer Vorfestlegung über Handlungsbeschränkung.

Die Aktionen der Wetseuropäer waren nach dem Zweiten Weltkrieg angesichts ihrer wirtschaftlichen Probleme direkt nach dem Krieg sicher nicht gerade armseelig, bedenkt man die Wirtschaftskrise gerade in Großbritannien.
Aber weder konnte man im Volk die alte Großmachtpolitik wieter verkaufen, noch hielt sich in den politischen Eliten der alte Geist.
Entscheidungen werden immer unter Restriktionen getroffen, aber du siehst mir das ganze viel zu deterministisch.
Die strategische Bedrohung durch die Sowjetunion war sicher mehr als real, nur auch hier hätten erhöhten Rüstungausgaben die Abschreckung noch wirkungsvoller gestalten. Und im Laufe des Kalten Krieges klagten die USA immer wieder, dass Europa angesichts seiner wirtschaftlichen Stärke zu wenig für Rüstung ausgibt, Rüstungswellen hin oder her.

Aber diese Politik war eben so nicht mehrheitsfähig, nicht mehr akzeptabel in Europa. Da spielen kollektive Lernprozesse keine kleine Rolle. Allein waren sie es natürlich auch nicht, immerhin müssen solche Erfahrungen auch geprägt werden über Ereignisse, aber man hätte in Europa auch anders militärpolitisch und außenpolitisch verfahren können. Die wirtschaftlichen Möglichkeiten waren da. Nur, was du als politische Restriktion bezeichnet, war nicht nur die sowjetische Bedrohung, sondern auch die Entwicklung einer anderen Weltsicht, einer anderen Politikkultur nach dem Zweiten Weltkrieg, auch und gerade durch die Innenwendung zur EG. Da war Zweckrationalität dabei, aber allein mit dieser Motivation wäre die EU nicht da, wo sie heute steht. Auch da gibt es in den politischen Eliten Veränderungen im Denken.

Zitat:Geschichte wiederholt sich nie 1:1. Solange wir also nicht wieder nationale König- und Kaiserreiche einführen, ist deine These schwer zu widerlegen.
Das war bloß nur eine kurze Feststellung, die sich abe rnicht darauf bezieht, dass sich Geschichte nicht wiederholt, sondern dass eben diese Handlungstratgie unter den heutigen Umständen so nicht mehr durchgeführt werden wird, weil sie aufgrund der heutigen politischen Strategien und Wahrnehmungen nicht mehr gewählt werden wird auf absehbare Zeit.

Zitat:Das heißt aber noch lange nicht, dass die Idee von Machtpolitik nicht wieder verstärkt Eingang in die europäische Denkweise finden wird. Der Weg allein Deutschlands von den strikt humanitären Missionen in den 80ern und Anfang der 90er zu unserer Präsenz heute in Afghanistan verdeutlicht das unmißverständlich.
Deutschland ist aber ein Ausnahmefall und überdies ist machtpolitik Teil jeder Außenpolitik, sofern man nur etwas Ressourcen hat. Hier geht es um echte imperiale Macht- und Gewaltpolitik und davon sind wir noch entfernt mit unserem Aufbauhelfer und Peacekeeper Tourismus.

Zitat:Die Architektur Europas wurde vor allem dafür geschaffen, einen neuen Krieg in Europa zu verhindern. Nebenbei hat man die alten Großmächte ausgeschaltet und das Außenimage Europas als weitestgehend zahnloser, aber finanzstarker Partner für den Rest der Welt geschaffen. Bei beiden Punkten sind eindeutig Veränderungen in der Selbstbetrachtung festzustellen, beim rein militärischen Aspekt allerdings viel stärker als beim politischen und das auch nur in Teilen Europas, speziell Frankreich und GB.
Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Es ging natürlich darum einen neuen krieg zu verhindern, aber es ging auch um weiter gesteckte Ziele. Wie ausgeführt, wäre das ganze wirklich nur - wie du es zu schildern versuchst - ein reines (!!) zweckrationales Projekt, wären wir nie so weit gekommen. Du unterschätzt den Idealismus bzw. den pragmatischen/realistischen Idealismus vieler europäischer Führungspolitiker, die damit die Einigung Europa über 40 Jahre lang immer wieder angetrieben haben. Dieser Idealismus wird aber dann letztlich auch relevant, hielt er doch Europa auch in schwierigen Situationen immer wieder zusammen. Hier steckt auch ein bewußtes Denken, Entscheiden dahinter, nämlich die Vision Europa, die in vielen Köpfen der politischen Eliten Europa steckte und noch steckt
Diese Vision aber besteht eben schon länger, wurde durch die Schrecken des Zweiten Weltkrieges gefördert und damit mehr als zu einem bloßen "Wir verhindern einen Krieg". Denn mit deiner Argumentation ist man auch in Sachen Briand-Kellog Pakt rangegangen. Die Entwicklungsunterschiede dürften klar sein.
Hier liegen sehr viel tiefere Entwicklungen der Politikkultur zugrunde. Das Außenimage, das du dabei zeichnest, ist letztlich ein Nebenprodukt davon, nicht mehr, nicht weniger. Das war kein Ziel.
Und die Selbstbeschreibungen, tja, infolge beständiger Neuorietierung ändert sich eben auch die Selbstbeschreibung. Nur das ist eben nicht nur eine Sache äußerer Beschränkungen, das ist auch eine Frage eigener Entwscheidungen und eigenem Umgehen mit diesen Beschränkungen.
Daher greift für mich deine Argumentation zu kurz.
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
[Kein Betreff] - von hawkeye87 - 10.04.2006, 11:29
[Kein Betreff] - von barcardi - 10.04.2006, 13:36
[Kein Betreff] - von Cluster - 22.04.2006, 14:20
[Kein Betreff] - von ThomasWach - 22.04.2006, 21:47
[Kein Betreff] - von Turin - 22.04.2006, 22:41
[Kein Betreff] - von ThomasWach - 23.04.2006, 11:46
[Kein Betreff] - von Turin - 23.04.2006, 14:05
[Kein Betreff] - von ThomasWach - 23.04.2006, 20:51
[Kein Betreff] - von bastian - 23.04.2006, 21:56
[Kein Betreff] - von Turin - 24.04.2006, 02:18
[Kein Betreff] - von hawkeye87 - 17.07.2006, 22:49
[Kein Betreff] - von ThomasWach - 17.07.2006, 23:42
[Kein Betreff] - von Turin - 18.07.2006, 00:00
[Kein Betreff] - von ThomasWach - 18.07.2006, 11:37
[Kein Betreff] - von Turin - 18.07.2006, 13:28
[Kein Betreff] - von Tiger - 18.07.2006, 14:49
[Kein Betreff] - von Schneemann - 18.07.2006, 15:35
[Kein Betreff] - von Erich - 13.08.2006, 17:42
[Kein Betreff] - von BigLinus - 18.09.2006, 19:15
Die Rückkehr der Raketenabwehr - von BigLinus - 22.09.2007, 00:58
[Kein Betreff] - von hoj - 18.02.2008, 17:04
[Kein Betreff] - von Marc79 - 22.02.2008, 16:38
[Kein Betreff] - von hoj - 22.02.2008, 18:03
[Kein Betreff] - von Yioun - 03.03.2008, 17:31
[Kein Betreff] - von Erich - 22.05.2008, 12:34
[Kein Betreff] - von Wiskhy - 22.05.2008, 18:50
[Kein Betreff] - von Raider101 - 30.05.2008, 23:24
[Kein Betreff] - von Erich - 30.05.2009, 10:33
[Kein Betreff] - von ThomasWach - 19.08.2009, 16:30
[Kein Betreff] - von blasrohr - 19.08.2009, 16:39
[Kein Betreff] - von blasrohr - 20.08.2009, 12:54
[Kein Betreff] - von Erich - 20.06.2010, 09:29
[Kein Betreff] - von Erich - 10.09.2010, 21:08
Re: - von Erich - 05.04.2014, 09:36
Mistralski - von PKr - 02.07.2015, 23:27
Europäische Sicherheitspolitk - von voyageur - 18.06.2021, 14:19

Gehe zu: