Krieg im 21. Jahrhundert
#49
Helios:

Zitat:ie Nachteile sind aber ein drastischer Leistungsverlust und damit Einschränkungen insbesondere auch im Bereich der genannten Kernfähigkeiten, etwa was Mobilität angeht. .....insbesondere wegen der Motorsteuerung.

Warum sollte ein relevanter Leistungsverlust auftreten nur weil es keine elektronische Motorsteuerung gibt? Es gibt beispielsweise russische LKW (und andere Fahrzeuge) welche speziell für Sibirien gebaut wurden welche auch keine solche haben und in keinster Weise haben diese dadurch irgendeinen Leistungsverlust, ganz im Gegenteil !

Zitat:Die sinnvollste Lösung ist daher eben nicht die radikale Abkehr von jeglicher Elektronik im Fahrzeugbereich, sondern bei betriebsrelevanten Komponenten die Reduktion auf ein sinnvolles Minimum, dass dann gegen äußere Einflüsse gehärtet wird.

Härtung kostet mehr Geld. Radikale Abkehr spart Geld und erzielt den gleichen Effekt. Das man diesen Grundsatz nicht auf alles übertragen kann und vor allem auch nicht übertragen sollte ist mir schon klar, mir ging es jetzt prinzipiell nur um die ganzen einfacheren Hilfsfahrzeuge.

Die aktuelle Beschaffung von solchen Fahrzeugen durch die französische Armee ist so ein Beispiel: da hat man sich für den Ford Everest entschieden und daraus aber durch allerlei Zusatzforderungen schußendlich ein Fahrzeug mit um die 3,5 Tonnen gemacht. Mit allerlei Fahrzeugelektronik. Und schließlich zu einem Preis der deutlich zu hoch ist im Vergleich zu dem was man dafür erhält und was man bei radikaler Abkehr von dieser ganzen gegenwertigen Spirale der Qualitätssteigerung für einen Bruchteil der Kosten ganz genau so hätte.

Die dahinter stehende Grundidee, die Qualität der Einzelsysteme zu steigern ist nicht überall, aber in vielen Bereichen ein Irrweg. Die resultierende Übertechnologisierung senkt die Quantität zu stark ab und schließlich kreuzen sich beide Linien und das mehr an Qualität führt zu weniger Kampfkraft. Das ist als Wirkungsmechanismus eigentlich seit Jahrzehnten bekannt und belegt, führt aber zu keinem Umdenken, da es bei der Rüstung ja eben nicht um den Krieg geht, sondern um die Berreicherung von Unternehmen und um die materialistischen Individualinteressen von Personen.

Zitat:dass sie Spaß macht kann ich mir vorstellen, einen Krieg gewinnst du damit aber nicht.

Selbst damit würde man noch eher einen Krieg gewinnen als mit einem aktuellen Panzer-Bataillon der Bundeswehr Big Grin aber mal ernsthaft: mir ist schon klar, dass das kein geeignetes Fahrzeug ist, mir ging es nur um eine Illustration des dahinter stehenden Grundgedankens. Heutige Zivilfahrzeuge sind überbläht, übertechnisiert und wie du es so treffend schreibst: Möchtegerns.

Deiner Aussage:

Zitat:Letztlich zeigst du damit aber auf, warum ich ein Problem mit der Nutzung zivile Basisfahrzeuge habe: die Anforderungen sind unterschiedlich und sie entwickeln sich auch nicht in die gleichen Richtungen.

kann ich daher schon zustimmen. Aber wie du es zugleich auch geschrieben hast: man baut was der Markt verlangt. Wenn wir nun in kurzer Zeit 40.000 Einheiten abnehmen, dann wird man sie so bauen wie wir es wollen. Das ist ja selbst bei viel geringeren Stückzahlen und in ganz anderen Systembereichen so: ein Hauptproblem der Gegenwart in der Beschaffung ist ja, dass die Rüstungsunternehmen nicht bauen was sinnvoll ist, sondern was Seitens der Bundeswehr von ihnen verlangt wird.

Deshalb diese ganzen Krücken und fragwürdigen Systeme allenorten. Deshalb auch die ganzen Verspätungen und Kostenanforderungen. Die Schuld liegt bei der Generalskaste, spezifisch im Ministerium und im Beschaffungsamt. Gerade deshalb schrieb ich ja immer, dass man dort vor allem anderen ansetzen müsste.

Zitat:viele .....Entwicklungen.....sind hingegen absolut nachvollziehbar, etwa wenn es um die immer weitergehende Integration von Sicherheitstechnik geht.

Die immer übertriebener um sich greifende Sicherheitstechnik ist heute mehr ein Problem als eine Lösung geworden. Sie ist das Resultat unserer gegenwertigen Absicherungs-, Versicherungs- und EigensicherungsUNkultur, welche uns schlußendlich Kriegsunfähig macht.

Zitat:Das Problem ist halt immer, dass die weitergehenden Betriebskosten kaum eine entsprechende Berücksichtigung finden. Wie teuer etwa ist die Betriebsstunde inklusive aller Kosten eines Boxer im Vergleich zu einem Dingo?

Wie teuer ist etwas die Betriebsstunde inklusive aller Kosten eines GTK Boxer im Vergleich zu einem Land Cruiser 6x6 mit Track over Wheel (ja so etwas gibts !) und im Vergleich zu einem Lada Niva (hat man mir vor zwei Jahren kostenlos als Geschenk angeboten).

Zitat:Automatische Zielpriorisierungen bis hin zum Waffeneinsatz sind weder neu noch exotisch, sondern im Gegenteil seit Jahren und in einfacher Form Jahrzehnten im praktischen Einsatz, wenn es um die individuellen Systeme geht. Bei Führungssystemen ist diese Entwicklung verzögert (aufgrund der höheren Komplexität), mit der Digitalisierung aber auch schnell fortschreitend. Kurz gesagt, ich wage es zu bezweifeln, dass mit der Taktik abseits des ersten Moments tatsächlich eine Überreizung der Aufklärung erzielt werden kann.

In der bloßen Theorie. Die Aufklärungs-Truppe der Bundeswehr wäre überfordert, ebenso wie die vieler anderer Streitkräfte. Auch die strategische Aufklärung. Die Idee des komplett transparenten und vollständig durchsichtigen Schlachtfeldes kann in der praktischen Realität nicht funktionieren (zumindest nicht auf absehbare Zeit) und die wie geschrieben ist die bloße Aufklärung nur ein Bruchteil des Ganzen und nicht einmal der wesentlichste.

Und im Krieg werden nun mal so oder so Einheiten aufgeklärt, sie werden dann angegriffen und vernichtet. Das gilt immer und für beide Seiten ist daher kein Argument für gar nichts. Die Idee dass man in einem ernsthaften Krieg irgendwie sehr hohe eigene Verluste wird vermeiden können ist absurd. Die Verluste wären schon nach kurzer Zeit so hoch, dass unsere aktuelle Struktur und unsere gegenwertigen Streitkräfte, insbesondere die Bundeswehr vollständig kampfunfähig und wiederstandsunfähig werden und damit der konventionelle Krieg mit einer vernichtenden Niederlage / oder einem entschiedenen Sieg vorbei ist.

Aber nehmen wir einmal an, dass von dir hier propagierte völlig transparente Schlachtfeld wäre Realität (denkbar, also auch machbar). Dann gilt der bereits beschriebene Mechanismus erst recht! Die aktuellen konventionellen Streitkräfte würden in einem transparenten Kriegsraum so schnell untergehen, dass innerhalb kürzester Zeit eine der beiden Seiten verlieren würde und dies wäre dann zwingend diejenige welche sich mit den aktuellen konventionellen Streitkräften in der Verteidigung befindet, also wir. Und dass wir als Angreifer in einem Präventigschlag das Geflecht der Mechanismen zu unseren Gunsten einsetzen ist politisch undenkbar. Die von Obibiber hier skizzierte Armee wäre also in dem von dir hier postulierten transparenten Kriegsraum deutlich besser, weil sie die zwingend auftretenden erheblichen Verluste eher wegstecken könnte und danach immer noch kriegsfähig wäre.

Selbst wenn der Feind dann alle 40.000 bewaffneten Einheiten in Echtzeit durchgehend aufklären, erfassen, ihr Verhalten analysieren und schlußendlich in Echtzeit fortwährend die richtigen Schlüsse daraus ziehen könnte, entsteht ihm das Problem, dass an keiner einzigen Stelle ein greifbarer Schwerpunkt ist, und nirgendwo etwas Entscheidendes geschieht. Das ist analog zu meinen Überlegungen zu einer Schützengruppe in der es keine Schwerpunktwaffe und insbesondere kein MG gibt, sondern die Feuerkraft auf alle aufgeteilt wird, aber insgesamt größer ist. Der Feind hat also nichts was er als Fokus hernehmen kann, unterliegt aber der gleichen erheblichen Abnutzung wie alle Streitkräfte im modernen konventionellen Krieg und da er dies nicht so lange durchhalten kann wie die hier postulierte Streitmacht verliert er seine konventionellen Streitkräfte, während dann immer noch genug bei uns übrig ist um damit fortzufahren.

Deshalb schrieb ich ja, dass die bloßen Plattformen nicht relevant sind, sondern man auch eine ganz andere Militärkultur, eine andere Doktrin und eine grundsätzlich andere Herangehensweise benötigt. Schlußendlich sollen ja auch unsere Truppen nirgendwo etwas entscheidendes tun, stattdessen kämpfen sie jeweils für sich in bestimmten Räumen mit einem gewissen vorher festgelegten Maß an Ehrgeiz (dieses Konzept habe ich von Sven Ortmann übernommen der es zuerst vor ca. 5 Jahren mal so ausgearbeitet hat) - und dennoch verliert der Feind aus dem Gesamtzusammenhang heraus.

Zitat:
Zitat:Schwerpunkt Luft

Ich vertrete diese Ansicht hier im Forum seit über 20 Jahren, mich wundert, dass dir das nicht aufgefallen ist.

Ich meinte hier im Strang. Sieh dir mal entsprechend die Umfrage oben an.

Zitat:Doch, ist es, nämlich genau in der Form, wie ich es hier angebracht habe, in der Kombination aus Defensive und Vereinfachung, mit dem Augenmerk darauf, dass mit entsprechenden Gegenstrukturen sehr einfach die kurzfristigen Vorteile in langfristige Nachteile umgewandelt werden könnten, während ein Ausweg aus der Vereinfachung sehr viel mehr Aufwand erfordern würde.

Das setzt aber voraus, dass der Gegner entsprechend seine Streitkräfte ebenfalls umbaut. Dies bedeutet zunächst einen Zeitraum, in welchem er militärisch deutlich weniger leistungsstark ist, was für uns vorteilhaft ist und zum anderen dass seine Streitkräfte eine bereits jetzt im Vorab absehbare Form einnehmen, welche wir nicht nur vorhersehen können, sondern welche ganz grundsätzlich im Gesamtkontext für uns nützlich ist und schließlich beschließend schrieb ich ausdrücklich von einer Interimslösung bis entsprechende revolutionäre Umbrüche in der Kriegsführung sowohl die von mir skizzierten Streitkräfte als auch die des Gegners untauglich machen werden. Dann haben wir aber für diese Übergangszeit deutlich weniger Geld dafür aufgewendet, und haben diese Mittel damit dann zumindest theoretisch frei für die einsetzende Revolution der vollautonomen Kriegsführung in welcher wir damit eine Führungsrolle einnehmen könnten weil wir dafür früher mehr Ressourcen einsetzen können (zumindest rein theoretisch).

Praktisch hier und heute würde zudem eine solche Armeestruktur eher der Sozialkultur in diesem Land entgegen kommen. Sie würde aber zugleich auch wenn man sie richtig umsetzt die notwendige Re-Militarisierung der Gesellschaft von oben einleiten können, ohne dass dies von der Bevölkerung negativ aufgefasst wird (aufgrund der defensiven Ausrichtung unter Verzicht auf IKM) und schlußendlich wäre sie auch für den modernen Krieg im eigenen Land besser geeignet als die gegenwertigen konventionellen Streitkräfte.

Zitat:Kurzfristig und meines Erachtens ohne Aussicht auf Langfristigkeit, weil die radikale Konzentration auf Quantität ohne Berücksichtigung einer fortschreitenden Qualität abseits dieser Einfachheit eine extreme Verwundbarkeit bedeutet, sofern es dem Gegner gelingt, das "System" zu knacken. Und die Ansätze dafür, dass das gelingt, sind heute bereits gelegt.

So leicht wäre das gar nicht zu knacken und es geht auch keineswegs um Low-Tech-only in allen Bereichen, ganz im Gegenteil. In bestimmten anderen Bereichen wäre das komplette Gegenteil der Fall. Meine ganzen Ausführungen bzw. der ursprüngliche Vorschlag von ObiBiber bezogen sich ausdrücklich auf das Heer und dieses ist auch nur ein Teil des ganzen. Meine Ausführungen bezogen sich beispielsweise nicht auf die Luftwaffe, nicht auf die EloKa und viele andere Bereiche. Aber gerade um Mittel für diese High-Tech Bereiche frei zu kriegen wird es erforderlich sein in anderen Teilbereichen eine völlig neue Struktur einzunehmen. Und das erzeugt in diesen eine Lücke welche der Gegner explorieren kann und ausnutzen wird, wenn man es nicht richtig angeht.

Zitat:Genau genommen braucht es Quantität und Qualität, in welchem Verhältnis hängt von der tatsächlichen Bedrohung ab, und die ist aktuell ja keineswegs klar erkennbar.

Beides zusammen ist aber über alle Bereiche hinweg nicht mehr finanzierbar und nicht mehr aufstellbar. Also stellt sich folgende Frage: wo: in welchen Teilbereichen und deren Unterbereichen exakt kann ich beispielsweise auf die Qualität verzichten, wo ist Quantität überlegen, wo ist höhere Qualität unabdingbar erforderlich usw

Ich sollte hier an dieser Stelle zudem mal anführen, dass weder die von "uns" hier ausgearbeitete Struktur und Ausrüstung für die Bundeswehr, noch das Heer von ObiBiber das wären was ich als das Ideal ansehen würde. Ginge alles (rein theoretisch) so wie ich es mir als Ideal erträumen würde, würde sich die ganze Fragestellung: Quantität oder Qualität oder beides zusammen und dann in welcher Menge gar nicht stellen. Aber kaum etwas könnte weiter entfern von dem sein was ist als dies. Und die triste Realität ist, dass wir unsere Streitkräfte nicht nur seit Dekaden drastisch unterfinanzieren, sondern dass diese bis hin zur völligen Kriegsuntauglichkeit degeneriert sind, aus einem ganzen Bündel von Faktoren heraus. Was also tun?

Selbst wenn wir das derzeit real vorhandene Kriegsgerät einsatztauglich kriegen, Munition, Verbrauchsmittel und Ersatzteile dafür beschaffen usw, kostet dies nicht nur Unmengen, es kostet auch Zeit und die Armee ist hinterher trotzdem kriegsuntauglich weil uns aufgrund der technologischen Innovationszyklen einfach die Zeit davon rast. Das Rennen zur Geschwindigkeit wäre schon verloren bevor wir es überhaupt begonnen hätten.
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