Krieg im 21. Jahrhundert
#36
(30.11.2021, 21:04)Quintus Fabius schrieb: Aber: dass das derzeitige System krank ist, liegt meiner Meinung nach nicht primär am Geld. Darin liegt meiner Ansicht nach der primäre Dissens zwischen uns. Das wahre Hauptproblem (...)

Mit keinem Wort habe ich gesagt, dass Geld das Hauptproblem wäre. Ich sehe das auch nicht so. Aber der Finanzrahmen wurde hier als Maßstab verwendet, und dieser ist ein Teil des Problems. Dabei ist es völlig egal, wie man es dreht und wendet, ob wir nun zu wenig Geld für die Bundeswehr bereit stellen, oder zu viel Bundeswehr für das Geld bereitstellen wollen, es ist ein Faktor.
Die anderen Faktoren habe ich ja explizit auch genannt, Organisation, Personal, die politischen Rahmenbedingungen, daneben blieben auch einige ungenannt, die Ottone, Broensen oder du erwähnt habt und die ich durchaus ebenfalls als relevant betrachte. Wenn man sich die Diskussionen hier anschaut, dann folgen sie dem immer gleichen Muster, jeder identifiziert so sein eigenes "Hauptproblem" und untermauert es mit stichhaltigen Argumenten. Das ist kein Dissens, im Gegenteil, denn es zeigt eigentlich nur, dass es nicht ein "Hauptproblem" gibt, sondern vielmehr etliche teilweise sehr schwer wiegende Probleme, die alle miteinander verwoben sind. Und die Vereinfachung solch komplexer Strukturen selbst bietet bereits genug Diskussionspotenzial.
Insofern lässt sich vielleicht sagen, es liegt an allen Fronten einiges im Argen, und die Aussichten auf Besserung sind eher trüb. Der einzige Trost, wenn auch ein zynischer, ist tatsächlich der tiefergehende Blick auf "die anderen", denn was nach außen wie ein saftig grüner Rasen aussieht, ist im Inneren ähnlich verrottet, allenfalls mit etwas anderen Gewichtungen (und das selbst in Strukturen, in denen man meinen sollte, dass es besser liefe). Allenfalls nicht ganz so stark ausgeprägt.

Zitat:Um es in einem Beispiel zu illustrieren: es wäre jederzeit möglich einfach so ein neues digitales Funkgerät zu kaufen. Ohne Ausschreibung, ohne alles, einfach so. Dann sollen sie halt klagen oder was auch immer, es wird einfach ignoriert. Weg damit.

Wie lange würde es dauern, bis in einem solchen System die Korruption beherrschendes Merkmal von Beschaffungen werden würde, und die Bundeswehr dann am Ende, weil Korruption ein Ausdruck von Gier ist und diese wiederum nirgendwo halt macht, noch schlechter da steht? Du selbst bezeichnest doch diese Fokussierung auf individuelle Vorteile als eine Triebfeder der Entwicklung der Bundeswehr hin zu einen industriellen Selbstbedienungsladen, was glaubst du passiert, wenn man diese Geister dann auch noch von allen Regeln befreit?
Das macht dein Argument nicht weniger richtig, bloß sind deine Vorstellung meines Erachtens häufig eine Form von Extremismus, der am Ende das Pendel nur in die jeweils gegenteilige Richtung ausschlage lässt, ohne wirklich etwas zu ändern. Viele von dir angesprochene Punkte verstehe ich und gehe ich mit, nur nicht so weit, wie du sie meinst gehen zu müssen. Ich glaube eher, da liegt unser der Dissens.


(01.12.2021, 10:52)Quintus Fabius schrieb: Wenn man nun diese beiden Möglichkeiten betrachtet, ist die letztgenannte sehr unrealistisch (auch wenn sie theoretisch machbar und hervorragend wäre und zugleich IKM wie auch die notwendige Kriegsvorbereitung zugleich abdecken würde). Gerade deshalb meine Schlußfolgerung, dass das IKM auf dem Altar der Kriegsfähigkeit geopfert werden muss - oder schlichter: dass man die Auslandseinsätze beenden muss und so weit wie möglich herunter fahren muss.

Geht man von den aktuellen Rahmenbedingungen aus, dann sind schlicht beide Möglichkeiten unrealistisch und die Abwägung willkürlich, was nun "unrealistischer" oder eben schwerer zu erreichen sei. Ersteres würde einen großen insbesondere innenpolitischen Wandel erfordern, letzteres einen großen insbesondere außenpolitischen Wandel einleiten. Und da liegt der Grund, warum ich ein Problem mit deinen Gedanken zum IKM habe: mir wäre der in diesem Gedanken notwendige innenpolitischer Wandel wesentlich lieber als der zwangsläufig folgende außenpolitische.

(01.12.2021, 21:54)Quintus Fabius schrieb: Ein GTK Boxer hat beispielsweise einen Basispreis von aktuell ca 3 Millionen Euro - mit einer fernlenkbaren Waffenstation, GMW usw. (wenn ich mich richtig erinnere). Da könnte man natürlich auch eine Maschinenkanone aufpflanzen, aber dann kommt das Fahrzeug teurer, aber lassen wir es der Einfachheit der Rechnung halber einfach nur 3,2 Mio sein. Ein JLTV bekommt man mit allem dran und Maschinenkanone für 400.000 Euro. Heißt: für 1 GTK Boxer mit 1 Maschinenkanone auf Waffenstation bekommt man ca. 8 JLTV mit 8 Maschinenkanonen. Es ist selbsterklärend was im Einsatz dann überlegen ist und mehr Möglichkeiten bietet.

Du weißt doch aber selbst, dass das eine Milchmädchenrechnung ist, weil die weitaus wichtigeren Unterstützungskosten eben nicht nur bei einem Achtel liegen. Das fängt beim Personal an, geht über die materiellen Wartungskosten und hört bei den Betriebsmitteln auf. Betrachtet man alles zusammen genommen, wirst du nie auf ein Verhältnis von 1:8 kommen, und die sinnvollste Wahl auch mit Blick auf tatsächlich einsatzfähiger Kampfkraft wird eher von dem jeweiligen Szenario als nur vom Muster abhängen. Solch eine Betrachtung folgt damit letztlich genau dem, was ich zuvor negativ angemerkt habe (bspw. hinsichtlich der fehlenden Berücksichtigung der weiteren Abhängigkeiten).

In dem Zusammenhang finde ich es übrigens auch bezeichnend, und das gilt jetzt ganz allgemein und nicht nur auf dich bezogen, dass hier das JLTV als Beispiel genannt wird, während der Dingo meines Wissens kein einziges mal erwähnt wurde. Mir ist klar, dass es nicht um spezielle Muster geht, sondern um die Fahrzeugkategorie als Basis des Grundgedankens, aber es hat halt in gewisser hinsicht System, insbesondere die meist in den publizierten Kosten glänzenden US-Amerikanischen Systeme (was eine Folge der großen Stückzahl und der sehr weit heruntergebrochenen Einzelposten ist) als Maßstab zu verwenden.
Das Problem dabei ist, dass eine Übertragung auf hiesige Produktions- und Unterhaltsverhältnisse selten sinnvoll gelingt, diese aber zum einen (Aufgrund der Nutzung) berücksichtigt werden müssen, und sie zum anderen (Aufgrund ganz eigener Vorteile, beispielsweise schon was die logistische Unterstützung betrifft) berücksichtigt werden sollten.

Zitat:Die grundsätzliche Idee dahinter wäre dann, dass diese Streitkräfte gar nicht so für den Feind greifbar wären, weil er sie nicht in ausreichender Anzahl aufklären kann und dass was er nicht aufklären kann die aufgrund der konventionellen Struktur des Feindes zwingend entstehenden Räume geringer Truppendichte exploriert und diese zur Bewegung und zum Angriff auf die feindlichen Verbände aus der Distanz nutzt, oder diese indirekt zerstört, indem sie die Grundlagen vernichten auf denen diese Verbände überhaupt aufrecht erhalten werden können.

Das Problem dabei ist, dass dem Feind eine solche Streitkräftetransformation nicht entgehen und er sich dementsprechend natürlich auch darauf einstellen würde. Und das ist vermutlich gar nicht so schwierig, wie du es hier darstellst, etwa was die Aufklärbarkeit angeht. Die Prämisse, dass ein MRAP oder in noch viel stärkerem Maße ein Technical viel unauffälliger bewegt werden kann setzt unabhängig von den Aufklärungsmöglichkeiten zwei Dinge voraus, die nicht selbstverständlich sind: erstens muss es entsprechend zivilen Verkehr geben, in denen diese Fahrzeuge "untertauchen" können, zweitens muss dem Gegner daran gelegen sein, keine zivilen Ziele zu beschädigen oder zu vernichten. Wenn man sich die tatsächliche Nutzung anschaut, dann wird man feststellen, dass der Einsatz nur da erfolgreich war, wo entweder der Gegner nur rudimentäre Aufklärungsfähigkeiten besaß, oder eben die genannten Grundvoraussetzungen erfüllt waren.

In einem Großkonflikt, behaupte ich, wird beides nicht der Fall sein. Es wird fortschrittliche Aufklärungsmöglichkeiten geben, auch weil der Gegner sich verstärkt darauf fokussiert, und die Grundbedingungen werden nicht zutreffen, weil der Zivilverkehr zumindest in einem Frontbereich (auch wenn es keine klare Front geben wird, die Gründe wurden hier dargelegt) zum erliegen kommt, die Bewegungen aufgrund der Aufklärungsmöglichkeiten nicht anhand der Signatur, sondern des Verhaltens aufgeklärt werden, oder eben dem Gegner egal ist ob es zu zivilen Opfern kommt.

Übrigens mal aus rein praktischer Sicht, ich weiß nicht, wer solche Technicals (also auch mit entsprechender Zuladung) schon mal im Gelände bewegt hat, aber das mit der hohen Beweglichkeit gilt tatsächlich nur in trockenen Gegenden. Etwas mehr Feuchtigkeit, was bei uns ja gar nicht selten ist, und die Dinger sind nur noch infrastrukturabhängig zu gebrauchen. Wink
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