(Allgemein) Traditionserlass der Bundeswehr
#24
(22.04.2021, 14:54)GermanMilitaryPower schrieb: Immerhin diskreditierst Du einige der größten militärischen Figuren unserer Geschichte. Wink

Indem ich sage, dass ein preußischer Feldherr nicht unbedingt als Traditionsname für ein bundesdeutsches Kriegsschiff taugt? Selbst für die Kaiserliche Marine stellte diese Namenvergabe ein Affront dar, über den schon im damaligen Kaiserreich diskutiert wurde. Insofern ist es zunächst eine reine Feststellung mit maritimem Auge, dass dem Großteil der genannten Personen die Qualifikation als Identifikationsfigur der deutschen Marine fehlt. Und die ist meines Erachtens maßgeblich dafür, eine Namensvergabe überhaupt in Erwägung zu ziehen. Gleiches gilt im übrigen auch für die Namen Rommel oder Mölders (Lütjens auch, aber aus anderen Gründen).
Den beiden Bundeskanzlern kann man zumindest noch eine Vertretung der bundesdeutschen Ideale und Werte zu Gute halten, einen maritimen Bezug haben aber auch sie nicht.
Der ist bei Tirpitz und Hipper vorhanden, und während letzterer immerhin ein aktiver und guter Marineführer war (der allerdings aufgrund seines gezielten Angriffs auf Zivilisten als Wertefigur kaum in Frage kommt), ist ersterer alles andere als eine der "größten militärischen Figuren unserer Geschichte", sondern ein Schreibtischadmiral, dessen Ruhm sich aus einer völlig sinnlosen und maßlos überheblichen Aufrüstung der kaiserlichen Marine speist. Er ist dabei nicht nur eine Symbolfigur für die Idee des deutschen Größenwahns des Kaisers und (indirekt) dem Dritten Reich, sondern als direkter Unterstützer rassistischer und antisemitischer Politik Wegbereiter der Nationalsozialisten.

Es bleibt also tatsächlich nur, wie von mir erwähnt, Langsdorff - dessen Vermächtnis ihn allerdings zu einem schwierigen Namensgeber macht.

(22.04.2021, 15:59)Quintus Fabius schrieb: Sie wurden keineswegs willkürlich und irgendwann vergeben: sie wurden zu Beginn der Bundeswehr so festgelegt. Sie verweisen damit auf die Anfänge dieser Armee. Sie zu behalten bedeutet also Kontinuität von den Anfängen der Bundeswehr bis jetzt und sie wurden damals auch aus ganz bestimmten Gründen ausgewählt, weil sie nach damaligem Verständnis für militärische Leistungsfähigkeit standen.

Bloß stimmt das nicht. Den Tirpitzhafen und die Tirpitzmole (auch wenn damit damals noch die heutige Scheermole gemeint war) gibt es schon seit Mitte der dreißiger Jahre, als die Nationalsozialisten angefangen haben aufbauend auf den maritimen Erfolgen der Kaiserzeit eine künstliche Marinetradition zu erschaffen. Aus dem gleichen Grund wurden auch die Becken des Marinehafens Wilhelmshaven umbenannt. Die ebenfalls hier im Thema erwähnte Marseille-Kaserne wurde erst in den siebziger Jahren, also über 20 Jahre nach Gründung der Bundeswehr umbenannt, und das augenscheinlich völlig willkürlich, denn Marseille hatte mit dem Standort meines Wissens nichts zu tun.
Selbst in den Fällen, in denen die Namensvergabe tatsächlich mit der Gründung der Bundeswehr erfolgte darf man meiner Meinung nach nicht so "betriebsblind" sein zu glauben, dass diese ausschließlich dem damaligen Verständnis für militärische Leistungsfähigkeit entsprachen. Denn auch wenn es wohl in den seltensten Fällen (wenn überhaupt) um eine bewusste Herstellung der Kontinuität zur Wehrmacht ging, so ließen sich damals und lassen sich erst recht nicht heute andere Aspekte, die mit einer solchen Namensvergabe einher gehen, ignorieren.

Zitat:Und da sind wir am entscheidenden Punkt: ich nehme allgemein eine Tendenz weg von der reinen militärischen Leistung hin zu anderen Parametern wahr. Deshalb meine Ansicht, dass die Namen selbst nicht so relevant sind, sondern der Geist aus welchem sie entspringen.

Diese Tendenz ist aber nicht neu, im Gegenteil sollte sie von Anfang an Teil des Selbstverständnisses der Bundeswehr sein, Stichwort Innere Führung. Dass sie es hinsichtlich der Traditionspflege zum Teil nicht ist liegt auch an der beständigen Weigerung mancher Personen und Ebenen, eine differenzierte Betrachtung der eigenen Geschichte zu erlauben. Die internen Kämpfe, die beispielsweise Baudissin gegen entsprechend antiquierte (aus Sicht der Verfechter des neuen Stils) Vorstellungen ausfechten musste sind dahingehend ganz aufschlussreich. Insofern darf man sich durchaus auch die Frage stellen, ob jede Entscheidung hinsichtlich Traditionspflege wirklich mit Blick auf das Werteverständnis der Bundeswehr getroffen wurde. Bei der Marseille-Kaserne beispielsweise kann man das wohl recht eindeutig verneinen (umso erstaunlicher, dass die Umbenennung nicht schon spätestens 1982 erfolgte).

Zitat:Das sich seit Jahren zunehmend und massiv ändernde Wertebild der Bundeswehr ist ein (militärisches) Problem, weil es nicht mehr den Anforderungen des Krieges genügt. Das möchte ich frei von jedweder moralisch-ethischer Überlegung als rein praktisch relevanten nüchternen Mechanismus verstanden wissen.

Ich bin wie dargelegt nicht der Meinung, dass sich das Wertebild der Bundeswehr großartig ändert oder geändert hat. Vielmehr ist es die Gesellschaft, die dieses ursprüngliche Wertebild nicht mehr als reines Lippenbekenntnis akzeptiert, sondern auch ein Handeln danach einfordert. Insofern ist deine Betrachtung, zumindest in der von dir hier genannten Form, durchaus legitim, aber unrealistisch.
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Traditionserlass der Bundeswehr - von aramiso - 21.04.2021, 14:03
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