Droht ein Polexit?
#61
Gut, versteh dich nun besser. Der unvereinbare Unterschied zwischen uns ist, dass ich exakt diese Unterschiede nicht als Nachteil für uns sehe, sondern als Vorteil für uns alle. Da schon diese Grundannahme völlig konträr ist, ergeben sich daraus zwingend völlig andere Kausalketten.

Warum aber sollen diese Unterschiede für uns alle nachteilig sein? Für mich hast du nicht schlüssig beantwortet warum diese Unterschiede die Einigung auch nur behindern sollten? Abgesehen davon dass wir ein Problem damit haben, den umgekehrt haben die Polen und Ungarn kein Problem damit Unterschiede in anderen Ländern einfach hinzunehmen.

Allgemein:

Wer verstehen will warum sich nationalkonservative Positionen in Polen (und anderswo in Osteuropa) durchsetzen, sollte verstehen, dass die Parteien welche diese Positionen vertreten sehr viel gutes für ihre Völker tun, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen. Orban ist beispielsweise ein Musterbeispiel für eine gute Politik für das Volk. Nur deshalb gelang ihm überhaupt die konservative Wende in Ungarn, den anfangs waren die Ungarn sehr skeptisch was seine Werte angeht. Weil er aber nachweisbar eine derart gute Politik in allen anderen Bereichen geliefert hat, gerade deshalb gelang dort die konservative Wende. In Polen ist das ähnlich:

https://www.theguardian.com/world/2019/o...lands-soul

Zitat:The rightwing Law and Justice party may be authoritarian and anti-LGBT, but its welfare programmes have transformed the lives of low-income Poles

“It’s unprecedented what is being done on social welfare,” he says. “This has gone not just to families, the government is taking care of the disabled and the elderly too. Last month we opened a new centre for the disabled which is helping 30 residents.”

He warns against a simplistic reading of Law and Justice as a purely rightwing and reactionary phenomenon. “They do not conform to traditional left-right divisions,” says Prusak. “It’s culturally rightwing and economically leftwing. The welfare policies can be seen as within the spirit of Catholic social teaching.”

In power, Kaczyński’s party claims to have overseen the biggest redistribution of wealth in Poland since the end of communism in 1989. Its flagship 500 Plus programme gives parents a monthly subsidy of £103 (500 złoty) for their second child and the same for every subsequent addition to the family. Low-income parents receive the same, life-changing, amount for their first child. The scheme was extended in July this year to cover every child, including the first one, without any income threshold.

“At my school, I have seen the transformation of the 500 Plus at first-hand,” says Janusiewicz. “A family with three children has £310 more each month. Imagine the difference that makes. Families are going on holiday more. Parents can afford to send their children to scout camps and extra-curricular activities. The clothes that pupils from the poorer families wear are of better quality.” Voluntary donations used to be collected at the school to provide financial assistance and meals to the poorest pupils. “We closed the fund,” says Janusiewicz. “It’s not needed any more. Self-esteem has been restored to those people in need.”

State pensions have also been boosted. The retirement age has been lowered and the minimum wage raised. In a second term in office, Law and Justice has promised to double the minimum wage by 2023, distribute annual cash bonuses to pensioners, boost farming subsidies and invest heavily in improving transport in the provinces and rural areas.

The huge level of state spending appears to have boosted rather than damaged Poland’s finances. Levels of private consumption have gone up significantly, fuelling a stellar growth rate last year of 5.1%, which far outstrips the eurozone.

Ewelina Gastol, a 33-year-old nurse and mother of two small children, lives in the village of Kryspinów, near Kraków. She says that the new money available has changed things for her and her husband, a fireman. “Finally I can afford to pay for a creche. And since we had a second baby, I’ve been able to put some of the extra money into a fund for the children for when they grow up,” she says. Other parents at the local primary school have enthusiastically signed their children up for hip-hop dance classes and other extracurricular activities that would previously have been the province of the better-off.

Having criticised Law and Justice’s plans as unaffordable, opposition parties have now pledged to maintain the 500 Plus programme and made their own commitments to greater welfare spending. But Civic Platform in particular faces a credibility gap. Why, when it ran Poland between 2007 and 2014 – and the current president of the European Council, Donald Tusk, was prime minister – did it fail to deliver anything remotely similar?

Unsurprisingly, Gastol is thinking of voting for Law and Justice next week: “No one gave anything to help families like us before. And when you look at the political alternatives, well, there don’t seem to be any you could trust.”

Und diese Politik erfolgt nicht primär aus einem Machtkalkül heraus, sondern aus tatsächlicher christlicher Überzeugung. Die Politiker der Regierungspartei in Polen sind meiner Einschätzung nach im Schnitt aufrichtiger und vertrauenswürdiger als die in dieser Bundesrepublik. Den sie vertreten ideelle Werte an welche sie selbst zutiefst glauben.

Und nur deshalb gelingt auch in Polen überhaupt die Wende hin zu einer von genuin europäischen Werten geprägten Gesellschaft.

Da Bilder mehr sprechen als tausend Worte:

In Berlin wird am frühen Nachmittag vor den Augen von Kleinkindern (!) dergleichen aufgeführt:

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/c..._Pic_2.JPG

Und das ist natürlich Toleranz, Anti-Diskriminerung und DAS ALLEIN sind natürlich die wahren europäischen Werte, und die Wertegemeinschaft.

In Polen hingegen zur gleichen Zeit:

https://st4.depositphotos.com/17831392/2...corpus.jpg

Und das ist natürlich Diskriminierend, gegen die europäischen Werte, hochgradig verachtenswert, gegen Toleranz und Freiheit und gegen die Wertegemeinschaft.

Man sehe mir die Überspitzung nach, aber im Kern geht es genau darum: dass hier ein Volk seine Tradition, seine Bräuche und seine Kultur gegen fremde und zutiefst krankhafte Veränderungen schützen will und dieses gesunde Empfinden von uns allein als Problem wahrgenommen wird. Polen ist nicht das Problem Europas, sondern wir sind das Problem Europas, den Zivilisation und Freiheit besteht nicht aus dem öffentlichen Ausleben von Störungen welche absolut in den privaten Raum gehören und außerhalb von diesem nichts zu suchen haben. Mit welchem Recht behelligt man die Öffentlichkeit gegen ihren Willen damit und noch darüber hinaus auch noch andere Völker und wie zum Hohn verkauft man das noch als Toleranz und Anti-Diskriminierung?

Werden die anderen welche damit gegen ihren Willen belästigt werden nicht auch dadurch diskriminiert, dass man ihre Meinung und ihre Wünsche nicht achtet?

Tatsächlich aber geht es gar nicht um Menschenrechte und Diskriminierung, das wird nur vorgeschoben um damit die eigene absolutistische Position zu legitimieren. Alles ist gegen die Menschenrechte was diese Fehlentwicklungen nicht auch noch lauthals feiert. Was sollen solche Rechte dann aber noch Wert sein? Haben andere Völker kein Menschenrecht darauf davon verschont zu werden, wenn sie es mehrheitlich so wollen?!
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#62
(26.07.2021, 08:50)Quintus Fabius schrieb: In Berlin wird am frühen Nachmittag vor den Augen von Kleinkindern (!) dergleichen aufgeführt

Das Bild ist der Beschreibung nach auf einem Fetischfestival entstanden, was sollten dort Kleinkinder zu suchen haben? Und müssten dann nicht die Eltern in die Pflicht genommen werden, statt den Staat dafür zu kritisieren, dass er sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Menschen eingemischt hat? Wie passt das mit deiner Generalkritik an den Jugendschutzbemühungen der Behörden zusammen?

Zitat:In Polen hingegen zur gleichen Zeit

Ach, derartige Traditionspflege ist in Deutschland verboten? Und wäre es für Kleinkinder (die du ja besonders herausgestellt hast) deiner Meinung nach gut, an Ostern zu sehen wie zur Bewahrung des kulturellen christlichen Erbes ein blutüberströmter Jesus durch die Straßen gepeitscht wird?

Zitat:Man sehe mir die Überspitzung nach

Das ist keine Überspitzung, das ist schlicht eine unlogische Polemik, die mehr über dich aussagt als über die Situation in den jeweiligen Ländern. Denn dabei wird doch vor allem klar, dass es dir gar nicht um die Frage geht, welche Freiheiten der Staat den Menschen gewähren sollte, sondern nur welchen Menschen er diese Freiheiten gewähren sollte. Und diese Frage stilisierst du in deinem Sinne hoch zu einer Entscheidungsfrage hinsichtlich der Zukunft Europas, in der es nicht nur deiner Ansicht nach in Ordnung, sondern von elementarer Bedeutung insgesamt ist, dass man die Öffentlichkeit gegen ihren Willen mit christlicher Kulturpflege behelligen darf, aber nicht mit achristlichen Moralvorstellungen.

Deine Ansicht ist legitim, du darfst gern dieser Meinung sein, aber aus tiefster Überzeugung lehne ich sie ab und finde die Melodramatik, mit der du sie hier verbreitest, deplatziert. Denn zu meiner Vorstellung einer individuellen Freiheit gehört eben kein Recht auf öffentliche Ungestörtheit. Es ist nicht Aufgabe der Politik dafür zur Sorgen, dass die Gesellschaft es mir Recht zu machen hat, sondern im Gegenteil dafür zu sorgen, dass jeder unabhängig von seinen Ansichten ein Teil der Gesellschaft sein kann (sofern er keine Gefährdung für diese darstellt).
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#63
(26.07.2021, 08:50)Quintus Fabius schrieb: Allgemein:

Wer verstehen will warum sich nationalkonservative Positionen in Polen (und anderswo in Osteuropa) durchsetzen, sollte verstehen, dass die Parteien welche diese Positionen vertreten sehr viel gutes für ihre Völker tun, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen. Orban ist beispielsweise ein Musterbeispiel für eine gute Politik für das Volk. Nur deshalb gelang ihm überhaupt die konservative Wende in Ungarn, den anfangs waren die Ungarn sehr skeptisch was seine Werte angeht. Weil er aber nachweisbar eine derart gute Politik in allen anderen Bereichen geliefert hat, gerade deshalb gelang dort die konservative Wende. In Polen ist das ähnlich:

https://www.theguardian.com/world/2019/o...lands-soul

Strukturell waren Polen und Ungarn schon immer konservativ. Ob zu Zeiten der kommunistischen Herrschaft oder auch nach der Wende. Nur weil die Parteien damals nicht das Label "konservativ" hatten, sondern sich für progressiv hielten, heißt dies nicht dass die Mehrheit der Bevölkerung nicht trotzdem konservativ gesinnt war. Da hat sich nicht viel verändert über die letzten Jahrzehnte, allerdings haben Kommunisten und die (links)bürgerlichen Nachwendeparteien beider Länder in der Realpolitik kläglich versagt, so dass es dann eben einen Schwenk in Richtung der nationalkonservativen bzw. sozialkonservativen Parteien gab.
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#64
Mmööp: „zwingend“ Angel
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#65
Verdammt, ist gar nicht so leicht wie ich dachte !
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#66
Es hatte sich in den letzten Tagen und Wochen abgezeichnet, dass die Regierung in Warschau die stark umstrittene Justizreform zumindest entschärfen könnte. Selbst in regierungsnahen polnischen Blättern war die Rede davon gewesen, dass Kaczyński (angebl., so gab es der SPIEGEL in seiner Printausgabe wieder) gemeint habe, dass "manches wohl unglücklich gelaufen sei", was als Einstieg in einen Ausstieg aus der Reform gedeutet wurde. Und tatsächlich scheint man sich in Warschau zu bewegen.

Wobei: Man darf nicht vergessen, bevor nun nur der EU-Druck angeführt wird, dass es auch in Polen selbst erhebliche Proteste gegen die Politik der PiS gegeben hat.
Zitat:Umstrittene Disziplinarkammer

Polen lenkt in Streit über Justizreform teilweise ein

Der Umbau des polnischen Justizsystems hat für heftigen Streit mit der EU-Kommission gesorgt. Jetzt kündigte Vizepremier Kaczyński an, eine umstrittene Disziplinarkammer wieder abzuschaffen.

Polen lenkt im Streit mit Brüssel über seine umstrittene Justizreform teilweise ein. »Wir werden die Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofs in ihrer jetzigen Form abschaffen – und damit wird auch der Gegenstand des Streits mit der EU verschwinden«, sagte der Vizepremier und Chef der rechtsnationalistischen Regierungspartei PiS, Jarosław Kaczyński, der Nachrichtenagentur PAP. […] Die Partei gibt vor, so gegen Korruption und anderes Fehlverhalten sowie gegen das »Erbe des Kommunismus« im Justizsystem vorzugehen. Kritiker, darunter auch die EU-Kommission, werfen der Regierung in Warschau dagegen vor, die Unabhängigkeit der Justiz und die Gewaltenteilung zu untergraben. […]

Die EU-Kommission hatte Warschau bis Mitte August Zeit gegeben, um darzulegen, wie die Regierung den EU-gerichtlichen Entscheidungen zur Disziplinarkammer nachzukommen gedenke. Andernfalls drohe Polen eine Geldstrafe.
https://www.spiegel.de/politik/polen-len...62b08f0fcf

Schneemann.
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#67
Aber: Das Ding soll in anderer Form dann wieder eingeführt werden.
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#68
(09.08.2021, 14:41)Ottone schrieb: Aber: Das Ding soll in anderer Form dann wieder eingeführt werden.

Genau genommen setzt man sie nur einige Monate aus.
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#69
Regierungsbündnis in Polen verliert Mehrheit. Interessant dürfte jetzt sein wie es weiter geht. Zur Mehrheitsbeschaffung könnte theoretisch die rechtsradikale Konförderation, die Bauernpartei oder K15 dienen.

https://www.n-tv.de/politik/Konservative...35288.html
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#70
Oder es gibt Neuwahlen - und aktuelle Zeichen aus der polnischen Gesellschaft weisen darauf hin, vorsichtig ausgedrückt, dass der reaktionäre und erzkatholische Sarmatismus einiger Kreise an Boden verliert. Naja, aber mal abwarten...

Schneemann.
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#71
Mit dem neuesten Urteil des polnischen Verfassungsgerichtes dürfte sich die Lage weiter zuspitzen.

Zitat:Regierungschef Mateusz Morawiecki hatte das polnische Verfassungsgericht gebeten, ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 2. März 2021 zu überprüfen. In dem Urteil hatten die obersten EU-Richter festgestellt, dass EU-Recht Mitgliedsstaaten zwingen kann, einzelne Vorschriften im nationalen Recht außer acht zu lassen, selbst wenn es sich um Verfassungsrecht handelt. Dies würde bedeuten, dass der EuGH Polen zwingen könnte, Teile der umstrittenen Justizreform der nationalkonservativen PiS-Regierung aufzuheben.
Richter betonen Souveränität PolensDaran hatten die polnischen Verfassungsrichter Richter allerdings erhebliche Zweifel. In dem nun gesprochenen Urteil, erklärten sie, dass die EU-Mitgliedschaft des Landes und die Unterzeichnung der EU-Verträge nicht bedeuteten, dass den EU-Gerichten die oberste rechtliche Autorität übertragen werde und Polen seine Souveränität an die EU abtrete.Julia Przylebska, die Vorsitzende des polnischen Verfassungsgerichts und enge Vertraute von PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, wirft der EU die Überschreitung ihrer Kompetenzen vor. "Die Organe der EU handeln außerhalb der Grenzen der Kompetenz, die ihnen von Polen zuerkannt wird", sagte Przylebska bei der Urteilsverkündung.

https://www.tagesschau.de/ausland/europa...t-101.html
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#72
Zitat:Polen: Zehntausende protestieren gegen neues Rundfunkgesetz

Warschau (dpa) - Zehntausende haben am Sonntag in Polen gegen ein neues Rundfunkgesetz protestiert. Aus Sicht von Kritikern könnte es die Pressefreiheit einschränken. In Warschau versammelten sich Demonstranten vor dem Präsidentenpalast.

Sie trugen Plakate mit Slogans wie "Freie Medien, freie Menschen, freies Polen" und "Wir haben ein Recht auf die Wahrheit". Proteste gab es auch in Danzig, Stettin, Posen, Krakau und vielen anderen Städten. [...] Am Freitag hatte das Parlament das geänderte Gesetz verabschiedet. Die Entscheidung liegt nun bei Präsident Andrzej Duda. Er hat angedeutet, dass er das Gesetz per Veto stoppen könnte. Künftig sollen Rundfunklizenzen nur noch an Ausländer vergeben werden dürfen, wenn diese Zentrale oder Wohnsitz im Bereich des Europäischen Wirtschaftsraums haben. Zusätzlich darf der Lizenznehmer nicht von jemandem abhängig sein, der Zentrale oder Wohnsitz außerhalb hat.

Nach Ansicht von Kritikern zielt das Gesetz auf den Privatsender TVN, der über eine in den Niederlanden registrierte Holding Teil des US-Konzerns Discovery ist. Der Nachrichtensender TVN24 vertritt eine kritische Linie gegenüber der Regierungspartei PiS. [...] Die USA ermutigten Duda, die in der Verfassung garantierten Grundrechte zu verteidigen.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/m...-99-445839

Schneemann
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