17.09.2022, 22:56
Ergänzend zu den Ausführungen von Nightwatch, dessen Einschätzungen bezüglich des GI ich größtenteils nur vollauf teilen kann:
Da ich ja aufgrund meines Werdeganges einigen Einblick in inner-russische Verhältnisse habe und ich auch Bekannte habe welche aktiv im russischen Militär dienen respektive Reservisten sind, will ich dazu noch einiges anmerken. Nach meiner Kenntnis (bzw. der meiner Bekannten) ist durchaus noch jede Menge Kriegsmaterial vorhanden. Dieses ist zwar eigentlich fast alles veraltet, in Teilen auch nicht einsetzbar, aber was noch vorhanden und einsetzbar ist, würde ausreichend um Unmengen von Truppen damit auszurüsten.
Das Problem ist laut meinen Bekannten nicht so sehr, dass kein Kriegsmaterial mehr da wäre, sondern dass es vor allem anderen an der Ausbildung damit fehlt und am Können damit. Ein Beispiel: ein sehr guter Freund von mir ist Reservist der Panzertruppe. Er erhielt aber selbst während seiner Wehrdienstzeit eigentlich keine wirklich sinnvolle Ausbildung dafür. Theoretisch hätten sie beispielsweise jede Menge Übungen machen müssen, diese fielen aber während seiner Wehrdienstzeit ständig aus. Offiziell ist er Fahrer eines Kampfpanzers, real aber hat er kaum jemals einen Panzer gefahren. Noch besser: seine Wehrdienstzeit ist Jahre her und er räumte ganz offen ein, dass er im Endeffekt überhaupt nicht wüsste, wie er einen Kampfpanzer real im Gefecht fahren soll. Das gleiche gilt für alle anderen Soldaten seiner Einheit ganz genau so. Darüber hinaus fehlt es vollständig selbst bei den Grundkenntnissen der Taktik und moderner Kriegsführung im allgemeinen. Es bestehen hier schier unfassbare Ausbildungsdefizite! Und da der Wehrdienst auch noch Jahre her ist, und es seitdem übehaupt keinerlei Übungen oder Manöver oder dergleichen gab, wurden die völlig unzureichenden Kenntnisse auch noch teilweise vergessen. Beispielsweise haben meine Bekannten seit ihrer Wehrdienstzeit nie mehr einen Kampfpanzer gesehen, außer im Fernsehen oder mal auf einem Eisenbahnwaggon im Vorbei fahren.
Man hätte also veraltetes Material, mit dem man nicht richtig umgehen kann. Der direkte Weg zu katastrophalen Verlusten und direkt ins Desaster bzw. in eine vernichtende Niederlage.
Dann der wirtschaftliche Aspekt den Nightwatch ja schon so treffend und richtig angesprochen hat. Gerade die Ukraine zeigt ja aktuell auf, wie sehr eine Mobilisierung die Wirtschaft belastet. Das ukrainische BIP sinkt zur Zeit rasant. Und dies trotz massiver Hilfen aus dem Westen. In Russland wäre eine entsprechende Generalmobilmachung in Kombination mit den Sanktionen noch mal dramatischer. Ein Beispiel: ein Bekannter von mir ernährt seine Familie als Taxifahrer. Ein anderer hat ein kleines Unternehmen (eine Art Schreinerei), der nächste einen Mini-Supermarkt, seine Angestellten würden ebenfalls eingezogen. Bei allen würde nicht nur ihre aktuelle wirtschaftliche Tätigkeit enden, es würde auch direkt und sofort die Versorgung ihrer Familien in Frage stellen. Die sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Abwärtsspiralen wären dramatisch und sofort für die Menschen direkt unmittelbar spürbar.
Die geringe Bereitschaft für einen Opfergang resultiert im weiteren auch aus einer Ablehnung des Kampfes gegen ein rechtgläubiges orthodoxes slawisches Brudervolk. Es erregt insgeheim erheblichen Unmut dass Muslime und irgendwelche Nicht-Russen in der Ukraine "Kleinrussen" töten, welche man ja eigentlich als Teil des eigenen Volkes und Blutes begreift und ironischerweise ist es gerade eben die Leugnung einer eigenständigen ukrainischen Identität welche diesen Krieg sehr unpopulär macht. Man versucht den Leuten zu verkaufen, dass in der Ukraine fast nur noch westliche Söldner, NATO Offiziere und Neo-Nazis kämpfen, um das irgenwie noch zu rechtfertigen, aber insgesamt gesehen verfängt das nicht mehr. Die Leute wissen mehrheitlich sehr wohl was dort vor sich geht und sind heillos unzufrieden weil das eigene Militär sich derart schwach schlägt und weil der Kampf als Bruderkrieg / Bürgerkrieg gegen die gleiche Ethnie verstanden wird. Entsprechend ist die militärische Spezialoperation in Wahrheit sehr unbeliebt, wenn auch nicht unbedingt aus den Gründen welche man im Westen annehmen würde.
Und beschließend könnte man noch anmerken, dass aktuell die Zustimmung zu rechtsradikalen und rechtsextremistischen Positionen in Russland stark ansteigt, nicht nur weil der Staat diese seit Jahren schürt um dadurch die Pfründe der grenzenlos korrupten Kleptokraten abzusichern, sondern auch weil die Bevölkerung selbst durchaus diese Ideen aufrichtig teilt und darin ihr Heil für die Zukunft sieht. Entsprechend geraten die Geister welche das System Putin da gerufen hat aktuell zunehmend außer Kontrolle.
Zitat:5. Selbst im russischen Propagandafernsehen dringt mitunter die Erkenntnis durch, dass eine Generalmobilmachung immense Schwierigkeiten mit sich bringt. Zum einen die Materialfrage, es ist 30 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion und sechs Monaten Krieg keineswegs gewiss, dass Russland noch über so viel Material verfügt, dass Reserveverbände im nennenswerten Umfang zeitnah adäquat ausstatten und versorgen könnte. Dann die wirtschaftlichen Implikationen. Die Reservisten müssen kommen ja nicht von irgendwo sondern aus der Wirtschaft. Eine Generalmobilmachung hätte erhebliche wirtschaftliche Implikationen um nicht zu sagen, wäre für die russische Wirtschaft wohl der Todesstoß. Womit man dann auch schon beim Hauptargument dagegen wäre - ich glaube nach wie vor nicht, dass das Regime Putin (und nicht nur Putin selbst) bereit ist das Risiko einzugehen die ethnischen Russen in Masse an die Front zu rufen. So schrill die mediale Propaganda zum Teil sein mag, im komfortablen Moskau und St. Petersburg schreit es sich leicht, aber es ist auch in Russland nicht mehr 1914 und die Bereitschaft für einen Opfergang ist insbesondere bei der Jugend sehr übersichtlich.
Da ich ja aufgrund meines Werdeganges einigen Einblick in inner-russische Verhältnisse habe und ich auch Bekannte habe welche aktiv im russischen Militär dienen respektive Reservisten sind, will ich dazu noch einiges anmerken. Nach meiner Kenntnis (bzw. der meiner Bekannten) ist durchaus noch jede Menge Kriegsmaterial vorhanden. Dieses ist zwar eigentlich fast alles veraltet, in Teilen auch nicht einsetzbar, aber was noch vorhanden und einsetzbar ist, würde ausreichend um Unmengen von Truppen damit auszurüsten.
Das Problem ist laut meinen Bekannten nicht so sehr, dass kein Kriegsmaterial mehr da wäre, sondern dass es vor allem anderen an der Ausbildung damit fehlt und am Können damit. Ein Beispiel: ein sehr guter Freund von mir ist Reservist der Panzertruppe. Er erhielt aber selbst während seiner Wehrdienstzeit eigentlich keine wirklich sinnvolle Ausbildung dafür. Theoretisch hätten sie beispielsweise jede Menge Übungen machen müssen, diese fielen aber während seiner Wehrdienstzeit ständig aus. Offiziell ist er Fahrer eines Kampfpanzers, real aber hat er kaum jemals einen Panzer gefahren. Noch besser: seine Wehrdienstzeit ist Jahre her und er räumte ganz offen ein, dass er im Endeffekt überhaupt nicht wüsste, wie er einen Kampfpanzer real im Gefecht fahren soll. Das gleiche gilt für alle anderen Soldaten seiner Einheit ganz genau so. Darüber hinaus fehlt es vollständig selbst bei den Grundkenntnissen der Taktik und moderner Kriegsführung im allgemeinen. Es bestehen hier schier unfassbare Ausbildungsdefizite! Und da der Wehrdienst auch noch Jahre her ist, und es seitdem übehaupt keinerlei Übungen oder Manöver oder dergleichen gab, wurden die völlig unzureichenden Kenntnisse auch noch teilweise vergessen. Beispielsweise haben meine Bekannten seit ihrer Wehrdienstzeit nie mehr einen Kampfpanzer gesehen, außer im Fernsehen oder mal auf einem Eisenbahnwaggon im Vorbei fahren.
Man hätte also veraltetes Material, mit dem man nicht richtig umgehen kann. Der direkte Weg zu katastrophalen Verlusten und direkt ins Desaster bzw. in eine vernichtende Niederlage.
Dann der wirtschaftliche Aspekt den Nightwatch ja schon so treffend und richtig angesprochen hat. Gerade die Ukraine zeigt ja aktuell auf, wie sehr eine Mobilisierung die Wirtschaft belastet. Das ukrainische BIP sinkt zur Zeit rasant. Und dies trotz massiver Hilfen aus dem Westen. In Russland wäre eine entsprechende Generalmobilmachung in Kombination mit den Sanktionen noch mal dramatischer. Ein Beispiel: ein Bekannter von mir ernährt seine Familie als Taxifahrer. Ein anderer hat ein kleines Unternehmen (eine Art Schreinerei), der nächste einen Mini-Supermarkt, seine Angestellten würden ebenfalls eingezogen. Bei allen würde nicht nur ihre aktuelle wirtschaftliche Tätigkeit enden, es würde auch direkt und sofort die Versorgung ihrer Familien in Frage stellen. Die sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Abwärtsspiralen wären dramatisch und sofort für die Menschen direkt unmittelbar spürbar.
Die geringe Bereitschaft für einen Opfergang resultiert im weiteren auch aus einer Ablehnung des Kampfes gegen ein rechtgläubiges orthodoxes slawisches Brudervolk. Es erregt insgeheim erheblichen Unmut dass Muslime und irgendwelche Nicht-Russen in der Ukraine "Kleinrussen" töten, welche man ja eigentlich als Teil des eigenen Volkes und Blutes begreift und ironischerweise ist es gerade eben die Leugnung einer eigenständigen ukrainischen Identität welche diesen Krieg sehr unpopulär macht. Man versucht den Leuten zu verkaufen, dass in der Ukraine fast nur noch westliche Söldner, NATO Offiziere und Neo-Nazis kämpfen, um das irgenwie noch zu rechtfertigen, aber insgesamt gesehen verfängt das nicht mehr. Die Leute wissen mehrheitlich sehr wohl was dort vor sich geht und sind heillos unzufrieden weil das eigene Militär sich derart schwach schlägt und weil der Kampf als Bruderkrieg / Bürgerkrieg gegen die gleiche Ethnie verstanden wird. Entsprechend ist die militärische Spezialoperation in Wahrheit sehr unbeliebt, wenn auch nicht unbedingt aus den Gründen welche man im Westen annehmen würde.
Und beschließend könnte man noch anmerken, dass aktuell die Zustimmung zu rechtsradikalen und rechtsextremistischen Positionen in Russland stark ansteigt, nicht nur weil der Staat diese seit Jahren schürt um dadurch die Pfründe der grenzenlos korrupten Kleptokraten abzusichern, sondern auch weil die Bevölkerung selbst durchaus diese Ideen aufrichtig teilt und darin ihr Heil für die Zukunft sieht. Entsprechend geraten die Geister welche das System Putin da gerufen hat aktuell zunehmend außer Kontrolle.