Hätte es eine Alternative zu Versailles gegeben?
#1
Zum Beispiel 1918 langsam und geordnet zurückziehen an die alten Reichsgrenzen und diese dann vehement verteidigen und den Gegnern einen Frieden anbieten?

Oder hätte man sich damit nicht abgefunden und weitergekämpft auf allen Seiten bis zum letzten Mann?
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#2
Tatsächlich war der Sieg auch für die Entente knapp.
Noch im Sommer 1918 klagte der britische Premier Lloyd George:"Wir verlieren den Krieg!"
Eine Alternative zu Versailles hätte es immer gegeben. Die Entente hätte einfach nur Deutschland mit mehr Respekt begegnen müssen. Tatsächlich setzten Frankreich und Großbritannien das Maximum ihrer Forderungen durch.
Was gerne übersehen wird ist, das auch die Medien in der Entente sich durchaus kritisch zu den harten Bedingungen des Friedensvertrages äußerten. Im Nachhinein geradezu prophetisch klingt die Anklage einer britischen Zeitung: "Die Forderungen der Entente sind abgeschmackt und ein Vorspiel zu neuem Rassenhass und Völkermord".
Wie hätte ein adäquaterer Friedensvertrag aussehen können? Hier ein paar Ideen:
- keiner der beteiligten Parteien wird eine Schuld am Kriegsausbruch zugewiesen
- Deutsche Truppen sind hinter Vorkriegsgrenze zurückzuziehen
- Abstimmung in Elsaß-Lothringen. Das Gebiet wird demilitarisiert, unabhängig vom Ergebnis
- Abtretung von Posen an Polen (hatte ja vor 1871 nie zu Deutschland gehört). Die polnische Regierung bürgt für Sicherheit und Besitz der deutschen Minderheit, ditto die deutsche Regierung für jene der polnischen Minderheit
- Abstimmung in Eupen-Malmedy
- Beschränkung von Reparationen auf eher symbolische Beträge
- Beschränkung des Großschiffsbestandes der deutschen Marine auf die sechs neuesten Schlachtschiffe und drei neuesten -kreuzer, die drei Schiffe der Mackensen-Klasse dürfen ebenfalls fertiggestellt werden. Ältere Schlachtschiffe und -kreuzer werden übergeben, die Entente garantiert für ihr Abwracken
- Abwracken der U-Boot-Flotille
- Fliegerkräfte und Panzer werden dem Deutschen Reich zuerkannt, ihre Anzahl aber beschränkt
- Reduzierung der Truppen aller Kriegsparteien
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#3
Hätte man sich 1918 auf die Reichsgrenze zurück gezogen, hätten die Allierten es schwer gehabt Deutschland zu erobern. die allgemeine Erschöpfung auf allen Seiten war sehr groß. Vermutlich hätte Pershing sich auch nicht an der Eroberung Deutschlands beteiligt. Und Frankreich alleine wäre dazu nicht in der Lage gewesen.
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#4
ede144 schrieb:Hätte man sich 1918 auf die Reichsgrenze zurück gezogen, hätten die Allierten es schwer gehabt Deutschland zu erobern. die allgemeine Erschöpfung auf allen Seiten war sehr groß. Vermutlich hätte Pershing sich auch nicht an der Eroberung Deutschlands beteiligt. Und Frankreich alleine wäre dazu nicht in der Lage gewesen.

Das klingt, als wäre die Dolchstoßlegende auf keinen Fall nur eine Legende gewesen Wink
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#5
Die deutsche Armee war 1918 am Ende, die Uniformen war teils aus Brennnesselstoff und zerfielen nach ein paar Wochen. Die Truppen litten unter Munitions- und Nahrungsmangel, die Mannstärke war stark abgesunken. Die schweren deutschen Niederlagen ab Sommer 1918 (etwa die Schlacht bei Amiens, bzw. die sog. "Hunderttageoffensive"), nach dem Scheitern der letzten deutschen Offensive ("Michael"), das (wenngleich auch damals noch langsame) Anrollen hunderter Tanks, etc. sind eindeutige Zeichen. Natürlich hatten auch die Alliierten ihre Probleme, aber alleine dem Auftreten der USA, wenngleich diese anfangs unerfahren waren und ihr Material teils bei den Briten und Franzosen (Flugzeuge, Artillerie) kaufen mussten, wäre auf Dauer nichts mehr entgegenzusetzen gewesen. Zudem: Im Reich verhungerten die Menschen wegen der Blockade. Man war am Ende. Es gab zwar noch "menschliche Reserven", aber keine Ressourcen mehr.

Insofern: Der Zusammenbruch 1918 wäre allenfalls noch 2-3 Monate hinauszuzögern gewesen. Deswegen die OHL auch die Sache beendet, damit sie keine krachende Niederlage hinnehmen musste und später behaupten konnte, dass das "Feldheer ja nicht im Felde besiegt worden sei".

Schneemann.
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#6
Deutschland hatte 1918 den Krieg verloren ! Man war am Ende. Dass Hindenburg dann die Dolchstoßlegende in die Welt gesetzt hat, trug zur Vergiftung der Politik in Deutschland bei.....

Respekt ist aber das entscheidende Wort. Der fehlte in Versailles, vor allem die Franzosen wollten eines: RACHE ! Clemencau wollte Rache für die Niederlage von 1871, die in Frankreich niemand erwartet hatte und deshalb so schmerzlich gewesen war.
Und in England erntete man die Früchte der eigenen blutrünstigen Propaganda, man musste aus Deutschland herauspressen, was ging. Zu Recht wurde das später als großer Fehler gesehen.

Dass man aus Versailles gelernt hat, zeigt der 2+4 Vertrag von 1990, kein Friedensdiktat, sondern ein gemeinsamer Vertrag, den man aus gutem Grund auch nicht Friedensvertrag nannte......
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#7
Nun gut, dann wäre es wohl das Cleverste gewesen, Anfang 1918 Schluss zu machen. Man hatte von Russland Gebiete gewonnen und hätte zu der Zeit sicher noch einen Remi-Frieden mit den Westmächen aushandeln können.
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#8
Mit dem Kriegseintritt der USA war die Sache für uns ziemlich gegessen. Einen reinen Verteidigungskrieg kannst du nichtmehr gewinnen. Jedenfalls nicht ohne entsprechenden nachschub an Rohstoffen. Das wusste auch die Entente. Die hätten sich niemals auf einen gütlichen Frieden eingelassen. Dafür hatten sie schon viel zuviel investiert. Mit Rückzug an die alten Reichsgrenzen, hätte man nichts erreicht. Nur die Verluste auf eigener Seite und die Zerstörung der Wirtschaft unnötig weiter vorangetrieben. Ich bin mir aber sicher, dass wenn man von deutscher Seite vorher gewusst hätte, wie harsch die Diktate ausfallen, hätte man sich die Kapitulation nochmal durch den Kopf gehen lassen. Wenn man vergleicht, was uns aufgezwungen wurde, und was wir den Franzosen 1871 abverlangten, wird doch deutlich, das diese Rache Frankreichs mehr als unverhältnismäßig ausgefallen ist. Besonders wenn man bedenkt, das eigentlich die USA der Sieger des Krieges waren. Und die hatten ja wesentlich geringere Vorstellungen von deutscher Wiedergutmachung, als Frankreich und England.
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#9
Gerade die Michaelsoffensive war der eigentliche Dolchstoß. Sie hat wertvolle Ressourcen verbraucht und machte militärisch nicht wirklich Sinn. So wollte man mit ihr etwa auf Paris vorstoßen - nur wozu? Die französische Regierung war längst in Bordeaux.
Ludendorff und Co haben nach ihrem Scheitern, als nichts mehr ging, dann den zivilen Politikern die Verantwortung zugeschoben, mit der Intention das diese einen Frieden aushandeln. Dabei hatte man ihnen just mit der Frühjahrsoffensive die letzten Karten aus der Hand geschlagen. Ironie der Geschichte: Ludendorff und die Oberste Heeresleitung handelten dabei aus ihrer Sicht wie gute Patrioten.
Eine Frage, die sich allerdings stellt ist die, inwieweit Ludendorff 1918 noch geistig gesund war.
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#10
marcoB schrieb:
ede144 schrieb:Hätte man sich 1918 auf die Reichsgrenze zurück gezogen, hätten die Allierten es schwer gehabt Deutschland zu erobern. die allgemeine Erschöpfung auf allen Seiten war sehr groß. Vermutlich hätte Pershing sich auch nicht an der Eroberung Deutschlands beteiligt. Und Frankreich alleine wäre dazu nicht in der Lage gewesen.

Das klingt, als wäre die Dolchstoßlegende auf keinen Fall nur eine Legende gewesen Wink

Nun wenn man einen Obebefehlshaber hat, der fast diktatorische Macht hat und der immer wieder vom Sieg redet und dann sein Stabschef kommt und der Politik sagt: Für heute hält die Front, für Morgen kann ich nicht garantieren. Dann bleibt der Politik nichts mehr als Schadensbegrenzung. Das der Nämliche dann davon später nichts mehr wissen will, ist dann schon eine Dolchstoßlegende
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#11
Das Problem mit Versailles war zudem, dass die Alliierten/Entente keinen einheitlichen Standpunkt vertraten. Die Franzosen wollten Rache, Sicherheiten und Reparationen - und Gebiete. Die Briten lavierten herum. George galt zudem nicht als der Hellste und ließ Clemenceau eher gewären. Zudem schielten die Briten auch auf die deutschen Kolonien und die ehemals osmanischen Gebiete (Nahost), die man quasi durch die Hintertüre (als Mandat) übernahm. Die Japaner sicherten sich die deutschen Gebiete in Mikronesien (Karolinen, etc., de facto auch eine Annektion). Zugleich war man unter Druck, den Italienern die ehem. k. u. k.-Gebiete zuzuschanzen, die diesen im Falle eines Kriegsbeitrittes versprochen worden waren (was dann 1915 auch zum Kriegseintritt Italiens auf Entente-Seite geführt hatte).

Dieses ganze Gebietsgeschacher jedoch stand Wilsons Idee des Selbstbestimmungsrechtes der Völker ziemlich konträr entgegen. Der Streit mit Wilson ging soweit, dass die Amerikaner die Versailles-Konferenz verlassen wollten (das Schiff zur Abreise war schon bestellt) und von der französischen Presse mit Häme überzogen wurden. Dass der Versailler Vertrag von den USA später nicht unterzeichnet wurde, und auch, dass sich isolationistische Tendenzen in den 20ern in den USA verstärkt durchsetzten, liegt auch darin begründet.

Letztlich setzten sich dann weitgehend die Franzosen durch...

Schneemann.
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#12
Als 1915 klar war das der Krieg mehr oder minder kein Erfolg für keine Seite Aufzeigte hätten Verhandlungen geführt werden müssen. Da wäre wohl ein blaues Auge möglich gewesen. Als 1916 England und Frankreich im nahen Osten Boden gut machten und sich abzeichnete das beide Erfolge auf ganzer Linie Außerhalb Europas holten hätte zwingend auch unter hohen Gebietsverlusten ein Frieden kommen müssen.
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#13
Sorry, klarer Widerspruch.
1915 waren alle Nationen noch siegessicher.
Erst mit dem Kriegseintritt der Amerikaner 1917 haben sich die Kräfte verschoben.
Zur Frage: Natürlich wäre eine Friedensvertrag wie 1870/ 71 möglich gewesen,
mit harten Bedinungen für die Besiegten, die aber irgendwie erfüllbar gewesen wären.
Wer mehr über das Thema wissen möchte sollte sich "der Gewaltfrieden" auf Phoenix ansehen, kommt regelmäßig.
Man sieht in dieser Dokumentation sehr schön, dass Frankreich unbedingt gewinnen wollte,
mit welcher Arroganz dann der Vertrag verhandelt wurde. Frankreich wollte unbedingt zeigen wer die Grande Nation in Europa ist. So ist auch der Vertrag enstanden.
Leider muß man auch die Power haben, um die vorherschende Nation in Europa zu sein.
Die wahre Stärke lag am Ende und liegt immer noch in Amerika.
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#14
Wo soll 1915 bitte noch eine klare Siegchance für Deutschland bestanden haben?
Die Front war Beton, das Anrennen war schon 1915 das Gemetzel was es 1918 wurde.
Der Schlieffenplan war gescheitert, der Feldzug im Osten ungünstig mit wenig Kräften, das Volk bereits 1915 aller Kriegsfreude beraubt und ein Militärischer Sieg nur unter enormen Kosten an Leib und Material möglich. Schon 1915 war aus Sich der deutschen Heeresleitung klar das ein Waffenstillstand mehr einbringt als die Fortsetzung des Krieges (Die Rückholung wäre dann halt wie früher "später wieder erfolgt). Schon vor dem Krieg war dem Militärs klar das nicht an zwei Fronten Krieg möglich war. Das galt 1914/1915 so und das galt 1939 genauso. Zudem war auch 1914 klar das ein langer Krieg nicht zu gewinnen ist wenn Frankreich nicht gefallen war und die Blockade zur See vollständig ist.

Für Frankreich war die Lage 1915 nicht besser. Eine militärische Durchsetzung gegen Deutschland war nicht möglich. Einzig GB hat 1915 schon die Reste der Kolonien eingesammelt bzw. stand davor und konnte seine Weltmachtstellung massiv ausbauen.

Selbst eine Defensive Stellung ohne Offensiven wäre die bessere Option im Westen gewesen und damit die Option im Osten viel schneller günstiger geworden. Aber die Gefahr das FRA und Gb durchbricht hätte ein Abkommen am grünen Tisch nicht viel mehr aufgewogen.
Zumal der Zar sicher auch einem Frieden zugestimmt hätte.
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#15
1915 glaubten alle Beteiligten noch an Sieg !
Alle Kriegsparteien führten (mehr oder weniger erfolglose)Offensiven, auf Seiten der Entente trat Italien in den Krieg ein, die Deutschen waren optimistisch hinsichtlich der Türken im Mittleren Osten. Da gab es keine Chance für einen Frieden. Man muss das Denken der Militärs und Politiker damals bedenken und nicht unser Wissen von heute.

Auch 1916 glaubte man an Sieg, die Deutschen griffen Verdun an, schlugen Rumänien und hatten Erfolge im Osten gegen die Russen. Die Österreicher hielten ihre Front gegen Italien, die Türken auch gegen die Briten. Die Entente dagegen setzte auf die große Offensive an der Somme und hoffte (vergeblich) auf Erfolge der Russen und Italiener.
Also auch 1916 noch kein Wille zum Frieden, nur der Glaube an den Sieg !

Das änderte sich erst 1917: Aus deutscher Sicht schied Russland aus dem Krieg aus und man feierte den großen Sieg über die Italiener am Isonzo. Man blieb im Westen in der Defensive und das durchaus erfolgreich. Also vielleicht gute Vorraussetzungen aus einer Position der Stärke heraus verhandeln zu können, besonders wenn der U-Bootkrieg erfolgreich sein würde.....
Aus der Sicht der Entente marschierte man gegen die Türken erfolgreich im Mittleren Osten und der Kriegseintritt der USA gab eine langfristige Erfolgsperspektive für 1918. Der U-Bootkrieg erwies sich als nicht so gefährlich wie befürchtet, warum sollte man also verhandeln.....

Die Zeit spielte letztendlich für die Entente, je länger der Krieg dauerte, desto schwächer wurde Deutschland und desto stärker die Entente. Das war im Grunde schon vor dem Krieg den deutschen Generälen klar, deshalb ja der Schlieffenplan: Die Gegner nacheinander schlagen....
Funktionierte aber nicht und alle fanden sich in einem langen Krieg wieder, den keiner erwartet hatte!

Für mich sind Clemencau und Wilson keine großen Staatsmänner. Große Staatsmänner schauen in die Zukunft und nutzen ihre Macht geschickt. Der alte Mann Clemencau war ein Mann des 19.Jahrhunderts, er hatte 1871 miterlebt und war von Rache zerfressen. Wilson sah nicht die Macht der USA als neue Weltmacht und nutzte diese Position nicht, um seine Vorstellungen durch zu setzen. Große Staatsmänner hätten einen Vertrag geschaffen, der Deutschland zwar schädigt, aber nicht demütigt und fast vernichtet.
Aber auch auf Deutscher Seite fehlte es an großen Staatsmännern, Politiker mit Format hätten Ludendorff gesagt, wenn du einen Waffenstillstand willst, geh hin und unterschreib selbst. Waffenstillstände werden von Generälen unterschrieben, nicht von Politikern ! Es hätte keine Dolchstoßlegende gegeben, wenn Hindenburg und Ludendorff selbst in Compiegne hätten erscheinen müssen.....

Ein guter Friedensvertrag hätte Deutschland Streitkräfte gelassen, mit dem es sich auch hätte verteidigen können, aber nicht angreifen: Z.B. 300.000 Mann Berufsarmee mit 300 Flugzeugen, 1000 Kanonen, 500 Panzern, 8 U-Booten und 6 Schlachtschiffen entsprechend der Flottenverträge.
Man hätte die Volksabstimmungen akzeptieren müssen und die Reparationen auf einem vernünftigen Maß halten müssen. Das hätte Deutschland nicht gedemütigt und wirtschaftlich erhalten. Der ganzen Diskussion vom "Siegerdiktat" und einem Teil der wirtschaftlichen Probleme wäre der Boden entzogen gewesen.
Stattdessen wurde Deutschland als potentiell stärkste Wirtschaftsmacht Europas finanziell ausgeblutet, was sich letztendlich auch verheerend auf die Wirtschaft der Sieger auswirkte.......
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