Aufstands- und Partisanenbekämpfung (COIN)
Zitat:Ich sollte noch betonen, dass die französische Doktrin absolut nichts damit zu tun hat, was Frankreich heute für Ansätze im Bereich COIN verfolgt. Die moderne französische Auffassung von COIN ist allerdings ebenfalls weitgehend unbekannt, bzw. wird genau so ignoriert wie ihre Vorgänger. Und sie ist meiner Ansicht nach ebenfalls besser als das was die USA bzw. die Bundeswehr dazu so andenken. Leider ist nur sehr wenig dazu in englisch oder deutsch verfügbar. Aber dem geneigten Leser hier mal ein Auszug, zumindest in englischer Sprache:

Der folgende Text ist von der französichen Armee selbst:

https://smallwarsjournal.com/documents/f...ctrine.pdf

voyageur:

Vielen Dank für die Vernetzung. Zu L’INTERVENTION FRANÇAISE AU SAHEL ET L’ÉVOLUTION DE LA DOCTRINE DE CONTRE-INSURRECTION in englischer Sprache:

https://tnsr.org/2020/11/frances-war-in-...-doctrine/

Ergänzend:

https://africacenter.org/publication/str...-strategy/

https://css.ethz.ch/en/services/digital-...d969fdc5fa

https://de.scribd.com/document/340090541...hurkin-pdf#

https://www.rand.org/content/dam/rand/pu...nopsis.pdf

https://www.rand.org/content/dam/rand/pu...RR1241.pdf

https://www.rand.org/content/dam/rand/pu...RR1241.pdf

Und eine Arbeit zu COIN in Mali von Jan Strnad:

https://dspace.cuni.cz/bitstream/handle/...sequence=1

Vermutlich begeistere ich mich aber nur deshalb so für COIN, weil man da als leichter Infanterist noch heldenhaft Cowboys und Indianer spielen kann Tongue
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Moderne Erkenntnisse zu COIN in Bezug auf Irak und Afghanistan:

https://ni-u.edu/wp/wp-content/uploads/2...-eBook.pdf
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Zitat:Vermutlich begeistere ich mich aber nur deshalb so für COIN, weil man da als leichter Infanterist noch heldenhaft Cowboys und Indianer spielen kann
Zur deutschen Diskussion zum Thema leichte oder mittlere fällt mir grundsätzlich nur ein Zitat von Obelix ein......
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Les araignées les goths ?!

Im Bereich COIN ist das aber auch eine ganz andere Diskussion, die wir eigentlich hier bisher gar nicht geführt haben.

Die von dir hier angesprochene bezieht sich ja nur um die große vaterländische Osteuropaschlacht im Rahmen der Bündnisverteidigung.

Zitat:To be successful in COIN, one must in many ways more daring. It is certainly riskier, and risk is something our modern military may be reluctant to accept.

Zitat:Now is the time to emphasize COIN — to think, theorize, rehearse, train, and rethink COIN. Now is the time to develop experts in COIN warfare — before the next insurgency fight.

https://www.moore.army.mil/infantry/Maga...r-COIN.pdf

Oder um Kilcullen (Counterinsurgency / Out of the Mountains / The Accidental Guerilla et al) zu zitieren, und da schließt das Zitat an den Kern der franzöisschen Doktrin an:

Zitat:This is the true meaning of the phrase ‘hearts and minds,’ which comprises of two separate components: ‘Hearts’ means persuading people their best interests are served by your success; ‘minds’ means convincing them that you can protect them, and that resisting you is pointless. Note that neither concept has to do with whether people like you.

Schlussendlich exakt das gleiche wie die drei Fragen von David Galula und der Kern der Bevölkerungszentrischen COIN Strategie der franzöischen Doktrin.
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@Quintus
Zitat:Und umgekehrt war es nicht so wie du es hier beschreibst, dass der Leuchtende Pfad sich überall ausbreitete weil die Regierung so brutal vorging, und dann erst die Unterstützung verlor, als er selbst auf die Bevölkerung losging. Sondern die gingen von Anfang an sehr massiv gerade eben gegen die indigene Bevölkerung los und auch gegen überzeugte Christen auf dem Land und gerade diese Gewalt war wesentlich für ihren Erfolg und dass sie sich auf die Hälfte der Landesfläche ausbreiten konnten.

Der Leuchtende Pfad ist zudem dahingehend ein Musterbeispiel, weil er wie die Taliban mitten in der Gesellschaft zunächst eine weitausgedehnte Parallelgesellschaft errichtet hat, bevor er dann den offenen Kampf aufnahm. Zuerst hat man sich im Untergrund möglichst weit ausgebreitet, und erst als man sich dort überall als Parallelgesellschaft etabliert hatte, eröffnete man den bewaffneten Kampf, und gleich von Beginn an in weiten Teilen der Landesfläche.

Nachdem der bewaffnete Kampf eröffnet worden war, wurde eine Mehrheit (!) der Kämpfer des leuchtenden Pfades von diesem mit Gewalt rekrutiert. Und gleich von Anfang an massiver Terror gegen Andersdenkende Minderheiten ausgeübt und wie erwartet (französische Doktin) ging die Mehrheit zum leuchtenden Pfad über.

Perfekte Terrrortaten des leuchtenden Pfades waren die Gefängnisaufstände und die dadurch hervor gerufenen Reaktionen der Regierung. Es waren die Massaker bei der Niederschlagung dieser Gefängnisaufstände welche dem leuchtenden Pfad dann bei der indigenen Bevölkerung sehr viele Symphatien einbrachten.
Jein. Natürlich gab es eine himmelschreiende Ungerechtigkeit zwischen der armen, indigenen Bevölkerung und den Städten bzw. einer Elite vorzugsweise weißer Großgrundbesitzer. Dies hat i. d. T. die Ausbreitung von maoistischen bzw. sozialistischen Gedanken innerhalb der Landbevölkerung begünstigt. Nicht ohne Grund war Ayacucho eines der Ausgangszentren dieser Bewegung.

Allerdings darf man nicht vergessen, dass Guzmáns enger Kreis den Eliten bzw. den besser gebildeten Schichten entsprang. Er brachte seine Thesen an der Universität von Lima hervor (nach Besuchen in China), und sie wurde dort erst einmal von der Intelligenzija (Dozenten und Studenten) getragen. Auf dem Land, bei der - wenn man es so nennen will - lethargisch-trägen Landbevölkerung stießen seine Thesen Mitte der 1970er Jahre, anders als man es hätte annehmen können, interessanterweise zunächst auf wenig Begeisterung. (In gewisser Weise saß er einer ähnlichen Fehleinschätzung wie Che Guevara auf, der in Bolivien annahm, er könne die dortigen verarmten Bauern zum Guerillakrieg motivieren - bekanntermaßen ging das gründlich schief und er wurde 1968 von der bolivianischen Armee getötet.)

Aus diesem Grund musste Guzmán seine engsten Mitstreiter aus Universitätstagen losschicken, damit diese in den abgelegenen Regionen Zellen der Organisation aufbauen. Aber selbst diese Versuche zeigten anfangs nur geringe Wirkung. Der Grund hierfür war, dass es in Peru zu dieser Zeit zwar eine Militärjunta gab, aber dass diese Junta - im Gegensatz zu vielen anderen Militärdiktaturen in Südamerika - eine politisch eher "links" stehende Junta war, in der zudem recht viele Angehörige des Offizierskorps aus dunkelhäutigen bzw. indigenen Personen bestanden. Diese Junta hatte sich 1968 an die Macht geputscht, weil sie es der herrschenden (demokratisch legitimierten) Regierung nicht zugetraut hatte, dass sie die notwendigen sozialen Reformen auf dem Land durchführt (!). D. h. Guzmán wollte seinen "linken" Volkskrieg zu einer Zeit starten, als eine sozialistisch gefärbte Junta soziale Reformen umsetzen wollte.

Gerade in Europa und auch in Deutschland irritiert dies teils etwas, da wir bei uns mit Diktaturen in Südamerika meistens rechte Regime wie Pinochet in Chile oder Videla in Argentinien und vielleicht noch, da weniger bekannt, Stroessner in Paraguay meinen.

Diese Junta in Peru aber hatte nicht nur angefangen, Großkonzerne zu verstaatlichen, sondern zugleich auch sozialistische Kooperativen auf dem Land ins Leben gerufen und lokale Eigenverwaltungen der indigenen Bevölkerung begründet. Es ist also ersichtlich, weswegen der "Sendero Luminoso" anfangs so gut wie keinen Zulauf hatte. Von einem Terror des Regimes, das so den Aufstieg von Guzmáns Maoisten ermöglichte, kann also nicht gesprochen werden.

Der Kipppunkt war allerdings, dass es unter den indigenen Bauern selbst zu Streitigkeiten kam über die neuen, von der Regierung gesteuerten Landzuteilungen bzw. -verteilungen und die Besetzung von Posten in den Lokalverwaltungen. Und in diese Unruhezone stieß der "Sendero Luminoso" hinein und schürte so den Streit zwischen den Bauern. (Das war taktisch sicherlich klug.) Als Folge davon deklarierten die Maoisten manche Bauern zu Feinden und manche zu Freunden. Die Militärjunta wiederum musste beinahe hilflos mit ansehen, wie ihr Plan einer Landreform etc. ausgehöhlt wurde und zerfiel. Und ihre eigene Macht schwand damit zusehends auch.

Und - nun sehr spannend - das Militär holte nicht, wie man hätte annehmen können, zum Schlag gegen die Maoisten aus, sondern räumte die Rückkehr zur Demokratie ein (!). Und die Peruaner wählten im Mai 1980 dann auch eine neue, demokratisch legitimierte Regieriung (unter Belaúnde Terry). Dieser, auch wenn er durchaus als integer gilt, bekam die Probleme nicht in den Griff und versuchte, durch eine Rücknahme der Reformen der Junta die schlimmsten Auswüchse des Streits wieder zu beseitigen. Zugleich betrieb er aber auch eine Wiederannäherung an die USA, was den linken Kräften im Land Steilvorlagen lieferte.

Der "Sendero Luminoso" wiederum fraß sich in dieser Zeit in diese Unzufriedenheiten hinein und griff gezielt Großgrundbesitzer, die von der Regierung Terry entschädigt worden waren, an. Einen ersten Mord an einem solchen verzeichnete man am Weihnachtstag 1980 (davor gab es schon Angriffe auf Polizeistationen und Wahlbüros, aber es gab dabei keine Todesopfer). Im Dezember 1980 begann auch die als Deng Xiaoping's Dogs bekannt gewordene Aktion der Maoisten, was eine Kriegserklärung an Terry darstellte (Link: https://en.wikipedia.org/wiki/Deng_Xiaoping%27s_dogs). Nur hat das in der Regierung niemand richtig verstanden bzw. ernst genommen.

Die Agitation des "Sendero Luminoso" indessen sorgte nun dafür, dass es (erstmals) gewisse Sympathien für ihn auf dem Land gab, zumal die Rücknahme der Militärreformen unter Terry bei den Bauern nicht sonderlich beliebt waren, obgleich sie selbst durch ihre internen Streitigkeiten dies in erheblichem Umfang (mit-)bewirkt hatten. Hinzu kam, dass sich die Guerillas zu dieser Zeit noch halbwegs gesittet benahmen, sie bestraften Diebe und korrupte Richter und Bürgermeister, was ihnen manchen Pluspunkt bei der Landbevölkerung einbrachte. Es gab zu dieser Zeit (1980/81) also Zulauf zum "Sendero Luminoso", aber dieser war nicht einer Übergriffigkeit eines Regimes geschuldet und auch nicht durch den Terror der Guerillas gegen die Landbevölkerung erzwungen.

Die restlichen Abläufe - Gefängnisrevolten (z. B. im März 1982 in Ayachuco), Dorfsicherungskonzepte, Übergriffe von Militärs, öffentliche Morde der Maoisten an nicht willfährigen Dorfbewohnern etc. sind relativ bekannt, ich führe sie hier nicht alle mehr an. Sie sind mehr oder minder auch nur Symptome. Ich rechne den Gefängnisrevolten auch nicht die Perfektion zu, wie du das angemerkt hattest. Ebenso war der Terror der Maoisten nicht der Träger des Erfolges der Revolte. Ab dem Zeitpunkt, als Guzmán auf den Terror setzte - egal ob gegen den Staat oder gegen die nicht willfährige Landbevölkerung -, gab es den ersten Widerstand gegen den "Sendero Luminoso" (die ersten Morde an Senderistas durch aufgebrachte Bauern datieren auf den Jahreswechsel 1982/83; ab diesem Zeitpunkt bildeten sich dann auf dem Land auch Selbstverteidigungsgruppen, die wiederum vom Militär unterstützt wurden).

Fazit: Der Aufstieg des "Sendero Luminoso" war a) nicht dem Terror eines Staatssystems geschuldet. Terror und Gegenterror kamen erst später hinzu. Aber es war zugleich auch b) der Terror des "Sendero Luminoso", der ihm eben gerade nicht den Erfolg im Guerillakrieg brachte, sondern der den Anfang von seinem eigenen Niedergang bedeutete.

Schneemann
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Schneemann:

Zitat:Von einem Terror des Regimes, das so den Aufstieg von Guzmáns Maoisten ermöglichte, kann also nicht gesprochen werden.

Exakt das habe ich aber nicht geschrieben, sondern ich schrieb explizit, dass der Aufstieg des Leuchtenden Pfades durch drei wesentliche, aufeinander folgende Schritte erfolgte: 1. die Ausbreitung der Organisation im Geheimen und die Errichtung einer Parallelgesellschaft im Untergrund - 2. durch Terror des Leuchtenden Pfades selbst gegen die indigene Bevölkerung - 3. durch die Manipulation der Reaktionen der Regierung so dass diese ihre Gegengewalt falsch ausübte

Der wesentlichste Punkt für den Erfolg des leuchtenden Pfades und vieler anderer Guerilla ist dabei der Punkt 2. Und hier verstehst du offenkundig nicht was ich da meine und damit auch nicht was die Hauptauffassung der französischen Doktrin ist. Ich versuch es noch mal:

Der Insurgent kann sich in der Bevölkerung primär durch Terror des Insurgenten selbst gegen die Bevölkerung durchsetzen. Das ist auf den ersten Blick kontraintuitiv und gerade deshalb natürlich nicht so schnell begreiflich.

Es geht also nicht um Terror der Regierung als Schlüssel zum Erfolg der Insurgenten, eben nicht um den Terror des Konterinsurgenten, sondern um den Terror des Insurgenten selbst gegen die Bevölkerung. Der Insurgent ist erfolgreich durch seinen eigenen Terror wenn er diesen richtig anwendet.

Und der leuchtende Pfad ist das perfekte Musterbeispiel dafür.

Genau das ist die wesentlichste Erkenntnis und das primäre Verdienst der französischen Doktrin, dies als erster erkannt zu haben. Der Terror des Insurgenten und die Qualität des Terrors des Insurgenten sind viel wesentlicher für die Frage seines Erfolges als die Frage des Terrors seitens des Konterinsurgenten.

Und genau deshalb habe ich zu keinem Zeitpunkt von einem Terror des Regimes (=Konterinsurgent) als verantwortlichen Faktor für den Aufstieg der Maoisten gesprochen, sondern vom Terror der Maoisten selbst als verantwortlichen Faktor für deren Aufstieg.

Zitat:Hinzu kam, dass sich die Guerillas zu dieser Zeit noch halbwegs gesittet benahmen, sie bestraften Diebe und korrupte Richter und Bürgermeister, was ihnen manchen Pluspunkt bei der Landbevölkerung einbrachte. Es gab zu dieser Zeit (1980/81) also Zulauf zum "Sendero Luminoso", aber dieser war nicht einer Übergriffigkeit eines Regimes geschuldet und auch nicht durch den Terror der Guerillas gegen die Landbevölkerung erzwungen.

Doch, genau hier ist die entscheidende Stelle, der entscheidende Wendepunkt in diesem Ablauf des Aufstieges. Der Zulauf zum Leuchtenden Pfad wurde ganz wesentlich durch sehr gezielten Terror dieser Organisation erzwungen. Das ist die Erkenntnis welche der heutigen westlichen COIN Strategie fehlt und welche die französische Doktrin liefert. Man hat von Anfang an sehr gezielt - aber auch qualitativ sehr massiv - Terror gegen die Landbevölkerung ausgeübt.

Wie bei jedem solchen Fall teilte sich die Landbevölkerung im Prinzip in drei Gruppen. Eine Minderheit war gegen die Regierung und/oder für den leuchtenden Pfad. Eine Minderheit war für die Regierung und/oder gegen den leuchtenden Pfad. Die absolute Mehrheit war einfach nur Verfügungsmasse und wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden, friedlich leben, nicht qualvoll ermordet werden usw. Entsprechend richtete der leuchtende Pfad von Anfang an seinen Terror gegen die feindliche Minderheit in der Landbevölkerung und wie in jedem Guerillakrieg wird dadurch die Verfügungsmasse der Mehrheit auf seine Seite gezogen. Das ist die wesentliche Erkenntnis, auch wenn sie kontraintuitiv ist.

Zitat:Ebenso war der Terror der Maoisten nicht der Träger des Erfolges der Revolte.

Um mich da noch mal zu wiederholen: Terror ist nicht gleich Terror. Aber dessen ungeachtet: der Terror der Maoisten war absolut wesentlich für den Erfolg der Revolte. Genau so wie der Terror der Taliban absolut wesentlich war für deren Erfolg und wie das in absolut jedem modernen Krieg ist: der Terror des Insurgenten ist der alles entscheidende Dreh- und Angelpunkt für den Erfolg oder Misserfolg einer Guerilla.

Und genau um diese Erkenntnis dreht sich die französische Doktrin.

Fazit: der Aufstieg des leuchtenden Pfades war wesentlich seinem eigenen Terror geschuldet, als er diesen in der ersten Zeit seines Erfolges sehr zielgerichtet und sinnvoll einsetzte. Dies war der entscheidende Faktor für seinen Erfolg.

Und es war nicht der Terror des leuchtenden Pfades der ihn zu Fall brachte, sondern dass die Regierung die drei genannten Fragen von Galula positiv beantworten konnte. Und damit wurde der Terror des leuchtenden Pfades für ihn kontraproduktiv.

Wie sich Terror auswirkt ist deshalb je nach den Umständen höchst unterschiedlich. Kontraproduktiv wird er für den Insurgenten aber erst dann, wenn die Regierung die Antwort auf die genannten Fragen geliefert hat. Und davor nützt er immer dem Insurgenten.
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Spezifischer noch zum Ablauf der Guerilla in Peru:

Zitat:Der "Sendero Luminoso" wiederum fraß sich in dieser Zeit in diese Unzufriedenheiten hinein und griff gezielt Großgrundbesitzer, die von der Regierung Terry entschädigt worden waren, an. Einen ersten Mord an einem solchen verzeichnete man am Weihnachtstag 1980 (davor gab es schon Angriffe auf Polizeistationen und Wahlbüros, aber es gab dabei keine Todesopfer).......Nur hat das in der Regierung niemand richtig verstanden bzw. ernst genommen.

Das war ja noch ganz am Anfang. Da hatte der leuchtende Pfad gerade mal um die 400 bis 500 Mitglieder insgesamt, also im ganzen Land. Und er verfing nicht mit seiner Propaganda, weshalb man beschloss den offenen bewaffneten Kampf aufzunehmen.

Zitat:Die Agitation des "Sendero Luminoso" indessen sorgte nun dafür, dass es (erstmals) gewisse Sympathien für ihn auf dem Land gab, zumal die Rücknahme der Militärreformen unter Terry bei den Bauern nicht sonderlich beliebt waren, obgleich sie selbst durch ihre internen Streitigkeiten dies in erheblichem Umfang (mit-)bewirkt hatten. Hinzu kam, dass sich die Guerillas zu dieser Zeit noch halbwegs gesittet benahmen, sie bestraften Diebe und korrupte Richter und Bürgermeister, was ihnen manchen Pluspunkt bei der Landbevölkerung einbrachte. Es gab zu dieser Zeit (1980/81)

Und nun zum Ablauf in diesen beiden Jahren: der leuchtende Pfad breitete sich ab Mai 1980 in den Anden aus, weil er dort gezielten Terror gegen bestimmte Einzelpersonen und ganz bestimmte Gruppen ausübte. Da von einem gesitteten Benehmen zu sprechen ist einfach falsch. Mit den Wahlen Mitte 1980 zog sich die Regierung in erstaunlich weiten Teilen der Anden zurück und es enstanden dort Gebiete mit einem Machtvakuum. Genau in diese Gebiet stieß der leuchtende Pfad vor, ermordete dort diejenigen welche ihm im Weg waren und führte öffentliche Folterungen und Hinrichtungen vermeintlicher Volksfeinde ein. In größeren Dörfern und Kleinstädten spionierte man sogar vorher explizit aus, wer von der Bevölkerung mehrheitlich nicht gemocht wurde / wer von vielen Nachbarn gemobbt wurde und dergleichen und dann wurden gezielt diese Personen in öffentlichen Scheinprozessen "verurteilt" und dann zur Freude der Bevölkerung öffentlich umgebracht. Und die Regierung schritt dagegen nicht ansatzweise ausreichend ein, und genau das brachte die einfache verarmte Landbevölkerung dann zunehmend rasant auf die Seite des leuchtenden Pfades.

Nehmen wir deine Aussage, dass der leuchtende Pfad Diebe bestrafte. Das tat er nicht wirklich, sondern es wurden vorher gezielt nach der psychologischen Wirksamkeit der Maßnahme ausgesuchte Personen einfach des Diebstahls bezichtigt und dann der Mob aufgehetzt und schließlich im Namen des Mobs "Gerechtigkeit" verübt.

Ebenso wurden gezielt nicht korrupte Richter, Bürgermeister, Polizeibeamte ermordet und teilweise auch deren Familien mit der Behauptung sie seinen korrupt gewesen, während man tatsächlich korrupte Amtsträger noch eine Zeitlang bewusst weiter leben ließ.

Und die Regierung reagierte in keinster Weise, es wurde weder das Militär eingesetzt noch der Notstand ausgerufen noch irgendwas gegen die Terrortaten des leuchtenden Pfades getan. Erst ab Ende Dezember 1981 erklärte die Regierung dann den Notstand. Und genau dieses eine Jahr 1981 breitete sich der leuchtende Pfad rasant aus, mit den beschriebenen Methoden.

Das Militär regierte nun 1982 mit extremer und absolut sinnfreier weil zielloser Brutalität. Die Sonderrechte der Soldaten wurden oft für Vergewaltigungen missbraucht, die von der Regierung gegründeten Milizen, die sogenannten Rondas wurden nicht ausreichend ausgebildet und nicht ausreichend bewaffnet. Erst 1983 griffen die Rondas dann überhaupt erst erfolgreich den leuchtenden Pfad militärisch an, und auch sie zeichneten sich weiterhin durch ziellose Gewaltausübung und Machtmissbrauch aus. Und umgekehrt reagierte der leuchtende Pfad mit extremster Gewalt vor allem auf die Rondas. Beispielsweise erfolgte das von dir genannte Massaker ja als eine Reaktion auf die Ergreifung und das zu Tode foltern eines der Anführer der Guerilla durch ebens so eine Ronda.

Von 1983 bis 1990 beging der leuchtende Pfad dann unzählige Terrorakte, zerstörte Elektritzitätswerke so dass ganze Städte keinen Strom mehr hatten, ermorderte nach Belieben Regierungsbeamte und ermordete gläubige Christen, Priester, Missionare, und auch Angehörige anderer linksradikaler / linksextremistischer Gruppen. Man kämpfte auch aktiv militärisch gegen andere kommunistische Guerilla wie beispielsweise die wenig bekannte MRTA.

Und genau in dieser Zeit breitete er sich aus, nicht zuletzt aufgrund seiner spektakulären Terroranschläge. Exakt diese Zeit des Terrors führte den leuchtenden Pfad zum Höhepunkt seiner Macht um 1990 herum. Umfragen aus dieser Zeit belegen dass ganz deutlich. Noch um 1990 herum gaben über 20% der Menschen in Peru an, dass sie daran glauben würden, dass der leuchtende Pfad überhaupt keine Morde begeht und nicht foltert. Allein diese Zahl zeigt das Ausmaß des Erfolges konträr zur überall damals erlebbaren Realität.

Eine der wesentlichsten Terrormethoden auf dem Land waren in dieser Zeit weiterhin die öffentlichen Tribunale und Hinrichtungen. Man veranstaltete Spektakel mit Schauprozessen bei denen die Verurteilten dann im Namen des Volkes langsam erdrosselt wurden, lebendig verbrannt oder sogar gesteinigt wurden. Vor allem das Steinigen war sehr durchdacht, da die Bevölkerung an dieser Hinrichtung aktiv teilnehmen sollte. Genau diese Art des Terrros zementierte die Herrschaft des leuchtenden Pfades auf dem Lande und war der Grund für seinen Erfolg.

1990 kam dann wie beschrieben Fujimori an die Macht. Die wesentlichste Leistung gegen die Guerilla war dabei meiner Meinung nach nicht das zurückfahren der staatlichen Gewalt gegen die Bevölkerung, sondern dass diese viel zielgerichteter und effektiver wurde, dass die Rondas institutionalisiert wurden, und nun richtig ausgerüstet und ausgebildet wurden und dass man anfing die Geheimdienstarbeit zu forcieren. Noch um 1988 herum glaubte die Bevölkerung, der leuchtende Pfad werde siegen, schon 1991 glaubte eine Mehrheit der Bevölkerung, die Regierung werde siegen.

Zudem kam es 1991 zu einer Dürre und erheblichen Problemen für die Landbevölkerung und während die Regierung wegen der Dürre etwas für die Bauern tat, forderte der Leuchtende Pfad genau zu diesem Zeitpunkt dann deutlich erhöhte Abgaben der Bauern um den sich massiv ausweitetenden militärischen Kampf damit zu finanzieren. Auch das war einer der Wendepunkte. Und ebenso sollte man natürlich nicht außer Acht lassen, dass mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion für kommunistische Bewegungen weltweit Schwierigkeiten entstanden (direkt wie indirekt) und dass umgekehrt die USA ab 1990 herum ihr geheimes militärisches Engagement in Peru verstärkten. Dort waren ja beispielsweise auch die Green Berets dann ab 1990 immer aktiver. Und dann kam die Verachtung der indigenen Kultur und Sprache durch den leuchtenden Pfad ins Spiel. Es gelang darüber Indigene auf dem Land auf die Seite der Regierung zu bringen. Ein Musterbeispiel dafür wäre die Zusammenarbeit von Green Berets und Angehörigen der Ashaninka, die als Flüchtlinge vor dem leuchtenden Pfad instrumentalisiert werden konnten.

Es ist also eben nicht so, dass der Terror der Regierung nachließ, sondern dass er sehr viel effektiver wurde, zugleich weniger öffentlich sichtbar und dass es der Regierung gelang den Eindruck zu erwecken, sie werde siegen. Dies führte dann in den 90ern einen Umschwung herbei. Beispielsweise war die Festnahme von Guzman 1992 ein Wendepunkt dahingehend, dass auch dies in der Bevölkerung den Eindruck festigte, die Regierung werde sich über kurz oder lang durchsetzen.

Und umgekehrt zersplitterte der leuchtende Pfad in Untergruppen und verlor seine Koordination und schließlich wurde sein Terror immer weniger effektiv. Zugleich erlitt man immer häufiger militärische Niederlagen, vor allem gegen die aus den Rondas hervor gegangenen Comités de auto defensa, von denen mehr als 7000 aufgestellt wurden. Und der Rest war dann einfach nur ein langsamer Niedergang der Guerilla bis heute.

Soweit als Kurzzusammenfassung:

Schlussendlich war der Kampf gegen den leuchtenden Pfad wie so oft eine Art Wettkampf im Terrorismus. Und die Seite welche der Mehrheit der Bevölkerung als langfristiger Sieger erscheint und die in der Ausübung des Terrors effektiver war hat gewonnen.
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@Quintus
Zitat:1. die Ausbreitung der Organisation im Geheimen und die Errichtung einer Parallelgesellschaft im Untergrund - 2. durch Terror des Leuchtenden Pfades selbst gegen die indigene Bevölkerung - 3. durch die Manipulation der Reaktionen der Regierung so dass diese ihre Gegengewalt falsch ausübte

Der wesentlichste Punkt für den Erfolg des leuchtenden Pfades und vieler anderer Guerilla ist dabei der Punkt 2. Und hier verstehst du offenkundig nicht was ich da meine und damit auch nicht was die Hauptauffassung der französischen Doktrin ist. Ich versuch es noch mal...
Gut möglich, dass ich es tatsächlich nicht verstehe, aber ich kann dir dennoch bei den drei genannten Punkten, zumindest bezogen auf das Fallbeispiel Peru, nicht ganz folgen.

Zu Punkt 1 gilt es zu sagen, dass die Guerilla des "Sendero Luminoso" genau genommen keine richtige Parallelgesellschaft war, dazu waren sie insgesamt viel zu wenige als dass man von einer geheimen Gesellschaft im Untergrund hätte sprechen können. Die Angehörigen dieser Gruppe waren zwar äußerst konspirativ und verschwiegen, aber vermutlich zählten die direkten Anhänger Guzmáns - wie du auch selbst im zweiten Beitrag angemerkt hast - nie mehr als 500 bis 800 Personen, auch der Waffenbestand war relativ überschaubar (bezogen auf Schusswaffen; die meisten Gewaltakte wurden auch mit Keulen, Messern etc. oder entwendetem Dynamit aus den Bergwerken Perus begangen). Diese Gruppierung stand bzgl. Größe und Bewaffnung somit in deutlichem Gegensatz zu anderen Guerillagruppen wie bspw. der FLN, der PLO oder auch den Vietminh.

Ferner:
Zitat:Nehmen wir deine Aussage, dass der leuchtende Pfad Diebe bestrafte. Das tat er nicht wirklich...
Doch, das tat er. Es gibt Berichte aus der Zeit um 1980/81, wo gezielt Viehdiebe öffentlich (bzw. für eine Bauerngemeinde sichtbar) getötet wurden. Und die ländliche Bevölkerung war darüber durchaus froh, denn bislang hatte die Staatsmacht sich um ihre Belange, also wenn sie einen Viehdiebstahl meldeten, so gut wie gar nicht gekümmert (oder konnte sich nicht kümmern). Und nach 1980 und nach der Rücknahme der Agrarreformen des Militärs, was bei der Landbevölkerung zu erheblichem Unmut führte, hatte sich der Staat in den Augen von nicht wenigen diskreditiert. Es fiel der Guerilla also recht leicht, hier Sympathien zu wecken - ohne dass man großartige Terrorakte gegen diese Indigenen begeht. Das wäre auch kontraproduktiv gewesen.
Zitat: In größeren Dörfern und Kleinstädten spionierte man sogar vorher explizit aus, wer von der Bevölkerung mehrheitlich nicht gemocht wurde / wer von vielen Nachbarn gemobbt wurde und dergleichen und dann wurden gezielt diese Personen in öffentlichen Scheinprozessen "verurteilt" und dann zur Freude der Bevölkerung öffentlich umgebracht.
Das ist schon richtig, aber diese Vorgehensweise griff erst um sich, als die Guerillatätigkeit ihren Höhepunkt erreicht hatte (ab 1982/83). Für den "Aufbau" der Guerilla war diese Taktik jedoch nicht erforderlich oder entscheidend bzw. man findet vor 1980 nur sehr wenige Bsp. dazu.

Zu Punkt 2 habe ich eine andere Meinung. Natürlich verbreitete der "Sendero Luminoso" Terror, aber in jener Phase, als er noch Zulauf hatte, richtete sich dieser Terror gegen Angehörige des Staates (Richter, Polizei, Steuerbeamte) oder gegen Großgrundbesitzer. Aber als die Maoisten anfingen, nicht willfährige Bauern umzubringen, schwand die Zustimmung und die kontrollierten Gebiete wurden kleiner. D. h. der Terror half dann beim Machtausbau, als er sich nicht gegen die indigene Bauernbevölkerung richtete. Sobald man diese aber auch terrorisierte zwecks "Konditionierung", ging der Einfluss zurück. Dass es gerade der Terror gegen die Indigenen gewesen sein soll, der die Guerilla haben groß werden lassen, sehe ich im Falle Perus nicht. (Das bedeutet nun nicht, dass es in anderen Ländern ggf. nicht so gewesen sein könnte bzw. dass dort die genannte Doktrin tatsächlich zutreffend war oder ist, aber hinsichtlich Peru kann ich das nicht erkennen.)

Zu Punkt 3: Das mag sicherlich temporär zutreffend sein. Ja, man hat durchaus die willkürliche Brutalität der Staatsgewalt anfangs für die eigenen Zwecke (auch) im zielgerichteten und doch manipulativen Sinne genutzt, allerdings funktionierte diese Taktik nur bis Anfang 1983, danach war das Kippelement dieses Punktes 3 erreicht und er erfüllte sich nicht mehr.

Im Detail:

Das Problem dabei war, dass Guzmáns Plan - und er orientierte sich durchaus eng an seinem Vorbild Mao - nicht ganz aufging. Nach anfänglichem Aufmerksamkeitsgewinn (spektakuläre Attacken, Bombenattentate) sollten zunächst mit neuen Sympathisanten konspirative Operationszonen geöffnet werden und aus diesen dann offen umkämpfte Guerillazonen werden. Und diese Guerillazonen sollten dann Basen für die Eröffnung weiterer Operationszonen werden usw. etc. - bis eben die Zentralmacht unterliegt. So weit zumindest die Theorie.

Seitens der Maoisten hatte man sich aber in der Praxis etwas verrechnet. Denn zunächst blieb das Militär irritierenderweise fern. Das lag daran, was man aber übersehen hatte, dass Präsident Terry dem Militär zutiefst misstraute, da dieses ihn bekanntlich zwölf Jahre zuvor abgesetzt hatte - er wollte also den Truppen keinen Blankoscheck für ein robustes Vorgehen gegen irgendwelche "Viehdiebe" (wie er sich ausdrückte) ausstellen. Und er schickte deswegen vorab Polizisten in die Unruhegebiete, die dort aber sang- und klanglos untergingen. Und der "Sendero Luminoso" war zunächst etwas ratlos, entschloss sich dann aber, seine Terrorkampagne gegen den Staat weiterzuführen, um die Staatsgewalt doch noch aus der Reserve zu locken. Erst als das ganze Theater völlig aus dem Ruder lief - und nach mehreren spektakulären Morden an Bürgermeistern und anderen hohen Beamten sowie einer Massenflucht von Regierungsvertretern aus dem Department Ayacucho im Herbst 1982 -, entschloss Terry sich doch noch zum Entsenden des Militärs und verhängte den Notstand. Die ersten Militärtransporte trafen (erst) am 23. Dezember 1982 in Ayacucho ein.

Ab diesem Zeitpunkt begann die Leidensphase der Bevölkerung durch Übergriffe des Militärs, vor allem in den sog. "Roten Zonen". Und Guzmán? Der rieb sich die Hände und ließ seine Leute vorerst abtauchen in den Anden und im Dschungel entlang von deren Ostflanke. Es schien gut zu laufen, das Militär trieb ihm ja quasi durch Grausamkeit Sympathisanten zu - die Rechnung unter Punkt 3 schien also aufzugehen. Könnte man meinen...

Und dann geschah das seltsame und unerwartete: Die Dörfer, die der "Sendero Luminoso" gezielt zurückgelassen bzw. dem Militär überlassen hatte - im Rahmen der Manipulation des Terrors -, engagierten sich wegen der Repression nicht verstärkt für die Guerilla (wie man vermuten könnte, folgt man der Logik des Punktes 3), sondern liefen prompt zum Militär über, da sie sich von Guzmán und seiner Bande verraten und in Stich gelassen sahen. Und damit hatten die Maoisten wiederum nicht gerechnet. Sie mussten also irgendwie hektisch gegensteuern. Und jetzt setzten sie umso mehr auf blanken Terror - im April 1983 massakrierten sie bekanntlich 69 Dorfbewohner in Lucanamarca. Aber das sorgte dafür, dass sie nun mit ihrem kopflosen Blutrausch erst recht den Rückhalt verloren. Final betrachtet ging Punkt 3 der Doktrin also nicht auf, ebenso wenig erbrachte der Terror gegen die Landbevölkerung den Maoisten einen Vorteil.

Insofern: Punkt 1 stimme ich nur sehr eingeschränkt zu, Punkt 2 stimme ich nicht zu und Punkt 3 hat nur eine temporäre Gültigkeit bis er sein Kippmoment erreicht hatte. (Aber wie gesagt: Nur anhand des Beispiels Peru komme ich zu dieser [subjektiven] Einschätzung, in anderen Ländern können alle drei Punkte durchaus natürlich auch zutreffen.)

Schneemann
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Schneemann:

Zitat:Zu Punkt 1 gilt es zu sagen, dass die Guerilla des "Sendero Luminoso" genau genommen keine richtige Parallelgesellschaft war, dazu waren sie insgesamt viel zu wenige als dass man von einer geheimen Gesellschaft im Untergrund hätte sprechen können.

Zu diesem Punkt müsste ich vielleicht genauer ausführen, was ich mit einer Parallelgesellschaft meine. Guerillas selbst bilden nie eine Parallelgesellschaft. Sondern gemeint ist damit (mit dem Begriff Parallelgesellschaft), dass sie vom Staat unabhängige Strukturen in der Bevölkerung implementieren, also eine vom Staat getrennte eigene Gesetzgebung (Volkstribunale, Hinrichtungen vermeintlicher Krimineller usw), dass sie selbst Steuern einziehen, dass die Kämpfer rekrutieren (Wehrpflicht), dass sie eine eigene Gesetzgebung einführen und dass alles parallel zur offiziellen Gesellschaft im Untergrund. Und exakt das haben sie in Peru getan.

Die Parallelgesellschaft bedeutet also nicht, dass die Masse der Bevölkerung eine neue andere Gesellschaft bilden würde, weil sie mehrheitlich Guerillas sind, sondern dass die Guerilla der Mehrheit ihren Willen aufzwingen kann und dazu braucht man nur sehr wenige Kämpfer.

Eine Minderheit zwingt der Mehrheit ihren Willen auf, dass ist der Kern von Insurgency und Counterinsurgency. Denn da ist kein Unterschied zu einem Staat, einer normalen Regierung usw. Auch da zwingt eine Minderheit der Mehrheit ihren Willen auf. Da die Guerilla aber weniger sind (immer) als die staatlichen Sicherheitskräfte, müssen sie entsprechend mehr Gewalt dafür einsetzen, zwingend. Also mehr Terror ausüben.

Das größere Ausmaß des Terror durch den leuchtenden Pfad resultierte daher nicht zuletzt aus dem von dir angesprochenen Ungleichgewicht was die Kräfte angeht.

Zitat:ermutlich zählten die direkten Anhänger Guzmáns - wie du auch selbst im zweiten Beitrag angemerkt hast - nie mehr als 500 bis 800 Personen,

In der Anfangszeit ja, aber ich nannte nicht 500 bis 800 Personen. Tatsächlich stieg die Zahl der Guerialla bis 1990 auf um die 5000 bewaffnete Kämpfer und mehrere zehntausend Symphatisanten.

Zitat:Doch, das tat er. Es gibt Berichte aus der Zeit um 1980/81, wo gezielt Viehdiebe öffentlich (bzw. für eine Bauerngemeinde sichtbar) getötet wurden. Und die ländliche Bevölkerung war darüber durchaus froh, denn bislang hatte die Staatsmacht sich um ihre Belange, also wenn sie einen Viehdiebstahl meldeten, so gut wie gar nicht gekümmert (oder konnte sich nicht kümmern).

Geschenkt. Dass gerade in den ersten zwei Jahren unter den Hingerichteten auch mal echte Diebe mit dabei waren, spielt für den von mir beschriebenen Prozess insgesamt keine Rolle. Es wurden aber auch einfach Schuldige produziert, indem man behauptete, diese oder jene Person sei der Dieb. Nur um Erfolge präsentieren zu können.

Ein Machtvakuum indem der Staat dann sich nicht mehr um solche Belange kümmern konnte erzeugte der leuchtende Pfad zudem selbst, indem er gezielt Regierungsangehörige ermordete, um dadurch die Beamten / Polizisten usw. aus dem beanspruchten Gebiet zu vertreiben. Es flohen damals teilweise aus ganzen Provinzen die Beamten fast vollständig. Das dadurch entstehende Machtvakuum nahm dann der leuchtende Pfad selber ein (Stichwort Parallelgesellschaft).

Zitat:Für den "Aufbau" der Guerilla war diese Taktik jedoch nicht erforderlich oder entscheidend bzw. man findet vor 1980 nur sehr wenige Bsp. dazu.

Zum zeitlichen Ablauf. Du gehst meiner Ansicht nach davon aus, dass die Guerilla vor bzw. um 1980 herum aufgebaut wurde.

Meinem Verständnis nach aber wurde sie von 1983 bis 1990 herum aufgebaut. Der Aufbau fand gerade eben in diesen sieben Jahren statt, und nicht zuvor. Da es vor 1981 noch gar keine wirkliche Guerilla gab, beispielsweise lag im Jahr 1980 die Zahl der Guerillas tatsächlich gerade mal bei um die 500 Mann, kann man nicht von einem davor liegenden Aufbau der Guerilla sprechen.

Zitat:Zu Punkt 2 habe ich eine andere Meinung. Natürlich verbreitete der "Sendero Luminoso" Terror, aber in jener Phase, als er noch Zulauf hatte, richtete sich dieser Terror gegen Angehörige des Staates (Richter, Polizei, Steuerbeamte) oder gegen Großgrundbesitzer. Aber als die Maoisten anfingen, nicht willfährige Bauern umzubringen, schwand die Zustimmung und die kontrollierten Gebiete wurden kleiner.

Den größten Zulauf hatte der leuchtende Pfad von 1982 bis 1992. Gerade eben in der Zeit, in welcher er anfing seinen Terror auch gegen diejenigen Indigenen / Bauern zu wenden, die nicht willfährig waren. Und zwar gerade eben dadurch. Die Zustimmung sank nicht, sondern sie stieg. Sie fiel dann erst ab, als die Regierung anfing ihren Gegenterror sinnvoll zu implementieren und die Meinung in der Bevölkerung dass der leuchtende Pfad siegen werde zusammen brach und zeitgleich der Staat mit der Institutionalisierung, Bewaffnung und Ausbildung der Rondas die Sicherheit der Bevölkerung und seine Staatsmacht mit Gewalt wieder ausbreiten und durchsetzen konnte. Dazu kam dann noch erheblich verstärkend die Festnahme Guzmans, die sich für den leuchtenden Pfad katastrophal auswirkte aufgrund seiner zentralen Stellung, seines Personenkultes und der Organisation seiner Guerilla auf ihn hin ausgerichtet.

Zitat:D. h. der Terror half dann beim Machtausbau, als er sich nicht gegen die indigene Bauernbevölkerung richtete. Sobald man diese aber auch terrorisierte zwecks "Konditionierung", ging der Einfluss zurück.

Und das ist gerade eben die (kontraintuitive) Fehlannahme welche westliche COIN behindert bzw. verunmöglicht und welche die französische Doktrin als erste als Fehlannahme festgestellt hat. Man geht davon aus, dass Terror die Menschen dazu bringt, sich von einem abzuwenden. Entsprechend bringt Terror der Regierung die Menschen auf die Seite der Guerilla und umgekehrt Terror der Guerilla die Menschen auf die Seite der Regierung.

Dem ist aber eben in ganz vielen Fällen nicht so. Sondern das Gegenteil ist der Fall. Das ist die Erkenntnis die (weil sie eben kontraintuitiv ist) nicht verstanden wird, und weshalb westliche COIN Strategien sowohl im Irak als auch in Afghanistan gescheitert sind.

Zitat:Ja, man hat durchaus die willkürliche Brutalität der Staatsgewalt anfangs für die eigenen Zwecke (auch) im zielgerichteten und doch manipulativen Sinne genutzt, allerdings funktionierte diese Taktik nur bis Anfang 1983, danach war das Kippelement dieses Punktes 3 erreicht und er erfüllte sich nicht mehr.

Bis Anfang 1983 gab es doch praktisch fast keine willkürliche Brutalität der Staatsgewalt, die fing ab da erst an und erreichte ihren Höhepunkt erst ab 1990 fort folgend.

Zitat:Und dann geschah das seltsame und unerwartete: Die Dörfer, die der "Sendero Luminoso" gezielt zurückgelassen bzw. dem Militär überlassen hatte - im Rahmen der Manipulation des Terrors -, engagierten sich wegen der Repression nicht verstärkt für die Guerilla (wie man vermuten könnte, folgt man der Logik des Punktes 3), sondern liefen prompt zum Militär über, da sie sich von Guzmán und seiner Bande verraten und in Stich gelassen sahen.

Was keineswegs seltsam ist, und auch nicht unerwartet (jeder Anhänger der französischen Doktrin hätte es exakt so vorher gesehen). Es entsteht ein Machtvakuum, die installierte Parallelgesellschaft kann nicht aufrecht erhalten werden, der Staat setzt sich durch weil die Bevölkerung nun davon ausgeht, dass der Staat siegen wird und dieser die Staatsgewalt durchsetzen kann. Das hat nicht mit einem Gefühl des Verrates zu tun, sondern ist blanker Opportunismus, Feigheit und die übliche Schwäche und Erbärmlichkeit der Mehrheit der Menschen. Die Mehrheit ist damit immer nur eine Verfügungsmasse die von der Minderheit nach Belieben in der Gegend herum geschubst wird.

Warum aber zog sich Guzman zurück ?

Zitat:Guzmán? Der rieb sich die Hände und ließ seine Leute vorerst abtauchen in den Anden und im Dschungel entlang von deren Ostflanke. Es schien gut zu laufen, das Militär trieb ihm ja quasi durch Grausamkeit Sympathisanten zu - die Rechnung unter Punkt 3 schien also aufzugehen. Könnte man meinen...

Eben nicht um das Militär die Bevölkerung frei niedermetzeln zu lassen um damit (durch den Terror der Regierung) neue Symphatien zu finden, sondern weil er es militärisch musste, weil er sich sonst nicht hätte halten können. Durch systematische Folter und massive militärische Angriffe wäre ansonsten seine Guerilla vor Ort zerschlagen worden. Und dafür war sie numerisch zu schwach, sie war ja erst im Aufwuchs, der eben nicht vor 1980 stattfand wie du es schreibst, sondern erst von 1983 bis 1990 stattfand (Aufwuchs von ungefähr 500 Mann auf um die 5000 Mann).

Trotz der massiven Angriffe des Militärs und trotz des Terrors der Regierung wuchs der leuchtende Pfad also in dieser Zeit auf das ungefähr Zehnfache an was die bewaffneten Kämpfer angeht. Er konnte seine Wehrkraft also verzehnfachen und da ihm in dieser Zeit viele Waffen in die Hände fielen in Wahrheit sogar deutlich mehr als verzehnfachen.

Dazu noch ein wesentlicher Punkt: eine Guerilla besteht nicht allein aus den bewaffneten Kämpfern, tatsächlich sind diese nicht einmal die wesentlichste Gruppe wenn die Guerilla erfolgreich sein will. Unbewaffnete Angehörige der Guerilla welche für diese im Geheimen operieren sind sogar noch wesentlicher. Von daher ist es eben grundfalsch die Guerilla auf ihre bewaffneten und kämpfenden Elemente zu reduzieren.
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Beyond Counterinsurgency: Why the Concept is Failing

https://www.jstor.org/stable/pdf/2632628...acceptTC=1

Zitat:Weaknesses

During the process of evaluating FM 3-24, it became obvious that by looking at only a limited number of examples from Western nations in the twentieth century, the discussion of counterinsurgency approaches seemed somehow limited. In addition, this fact also limits our thinking and understanding of current and future challenges in small-war scenarios. Gorka and Kilcullen emphasize that “modern Western [counterinsurgency] theory is built on a handful of books based upon practitioner experiences in a handful of twentieth-century conflicts….”

Although counterinsurgency as presented in FM 3-24 is far more complex than had been previously thought, when viewed through a historical lens its presentation is limited to a narrow perspective: Iraq is not Malay or Ireland.

It is important to consider that FM 3-24 as it is used currently offers the soldier a set of best practices and an easily referred to “check-list.”

But without recognizing that every insurgency is different from those that have come before, it is impossible to remember that every counterinsurgency campaign must be different as well. The length of operational tours is affecting the success of counterinsurgency operations. Building trust with locals takes time, but if operational deployments are only from four to six months long, it cannot be expected that an adequate level of knowledge and respect between the main players can develop. The short duration of deployments was one of the reasons behind the frequent strategy changes in Iraq, and undermined the relationship-building efforts of British military in the area of operations. In order to work closely with the local population or local decision makers, it is evident that a certain level of trust is needed.

In this regard, the “Winning Hearts and Minds” approach was totally misunderstood. In a
counterinsurgency scenario, it means that winning the support of the population might
serve as a center of gravity for the overall aims of the mission, but that popularity or
likeability among the people is not the aim.

It is indeed necessary to use robust force in kinetic operations during a counterinsurgency campaign, but targets should be chosen carefully, keeping in mind the ultimate goal of building a legitimate and functional government.

Current expectations derived from military operations in Iraq were too high, and were not transferable to the situation in Afghanistan – indeed, it is even disputed that the success in Iraq has resulted in the United States changing its approach toward counterinsurgency operations. The slow pace of process has a serious impact on the level of domestic public support. Counterinsurgency efforts take time and are very
expensive, which creates pressure on political stakeholders, who are often up for reelection before a counterinsurgency campaign has run its course.

Counterinsurgency is no replacement for a strategy.

It is aimed mainly at the tactical and operational levels, but absolutely requires an overall strategy that does not consist only of short-term expectations. Knowing the weaknesses of the concept, Wood’s demand is blunt: “Drop the hearts n’ minds stuff. Go kill the enemy.”
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Über die Entwicklung der französischen COIN Taktiken im 21 Jahrhundert:

https://www.jstor.org/stable/pdf/2645947...acceptTC=1

Was mich besonders erstaunt hat mir bis dato nicht bekannt war:

Zitat:Galula’s Counterinsurgency: Theory and Practices has been translated into French for the first time and published in January 2008 under the supervision of General Desportes—then the head of the CDEF—with forewords from General Petraeus. More recently, the CDEF published online a cahier de la recherche that commented upon the influence of Galula and Trinquier on the Petraeus’ strategy.12 In summary, the French experience in Algeria, more precisely “guerre revolutionnaire”, is reenacted through the rediscovering of Galula thanks to the US doctrine and the 2007/2008 campaign in Iraq. This is very ironic considering the fact that Galula was himself one of the “doctrinal bridges” between the French experience in Algeria.

Das heißt ich habe Galula auf englisch gelesen bevor er auch nur ins Französische übersetzt wurde.

Zitat:At the lowest level, the counter-rebellion manual is framed by US militarysuccess in the so-called “surge”. The manual, issued in February 2009, is a summary of tactical procedures in the fight against an armed resistance.

Das müsste dieses hier sein:

https://smallwarsjournal.com/documents/f...ctrine.pdf

Zitat:These procedures are divided into two main groups: securing the populated areas by protecting the population and dismantling the enemy political- military infrastructure, fighting against rebels by quadrillage and the deterrent pressure in the margins of the controlled areas (oil-spot strategy). Even if an “oil-spot” strategy is used as a reference, description of Tactics, Techniques and Procedures (TTPs) is closer to contemporary operations in Iraq and refers mainly to operations in Algeria. For the latter, the manual goes as far as reenacting the classical division of labour between “territorial” actions (aimed at controlling the population) and “reserve” actions (whose tasks are the destruction of the rebellion’s military units). Furthermore, the imperative of the struggle against the political-military infrastructure is reminiscent of the parallel hierarchies defined by Lacheroy and other “guerre révolutionnaire” thinkers. Nevertheless, in its analysis of the logic of violence, the manual takes up the distinction between subversion, grievances and greed, assuming that most armed actors are hybrid (predatory and protesting at the same time). This manual is thus the equivalent of the Field Manual FM 3-24.2 Tactics in Counterinsurgency. One can question the reasons behind the choice to produce a tactical manual. One answer could be the very necessity (or its perception by many officers) to assert the greatest margin of manoeuvrability possible vis-à-vis the civilian power, thus defining a sphere of autonomy for military action, only possible in the tactical realm.

Auch erstaunlich finde ich die folgende Schlussfolgerung (welche ich so nicht teile)

Zitat:Consequently, there is no actual COIN doctrine in the French Army.

The word itself is explicitly deemed to refer to the Anglo-Saxon concept, both encompassing counter-rebellion and narrower than the “stabilisation” concept. Nevertheless, one can observe a tendency to refer to US concept through the writings of Galula, the analysis of his influence on the Petraeus’
strategy in Iraq and a sudden interest for the thinkers of “guerre révolutionnaire”.

Hat man nach Algerien tatsächlich einen derart scharfen Schlusstrich gezogen, dass die früheren Erkenntisse wirklich derart verschüttet wurden ?
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Zitat:Hat man nach Algerien tatsächlich einen derart scharfen Schlusstrich gezogen, dass die früheren Erkenntisse wirklich derart verschüttet wurden ?

Eher nicht
NIGER - Luftlandeoperation im nigrischen Liptako

Habe nicht die Zeit die theoretischen Grundlagen zu suchen, aber solch Aktionen sind reine Indochine/Algerieb Traditionen.
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Über den Einsatz von Drohnen im Bereich COIN:

https://smallwarsjournal.com/jrnl/art/pe...technology

Zitat:Perspective – Send in the Robots: Counter-Terrorism Response and Emerging Drone Technology

The rapid advances in drone technology have opened a world of possibilities for counter-terrorism medicine, disaster response, healthcare delivery, and disaster recovery. By leveraging the power of sensor processing, multi-domain capabilities, greater autonomy, and drone cooperation, these unmanned systems have proven to be invaluable assets in safeguarding lives and enhancing the efficiency of health systems.

Beide Bereiche kann und sollte man auch sehr eng miteinander verknüpfen.
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Über unkonventionelle Seekriegsführung - insbesondere solche unterhalb des militärischen Horizontes, was in Bezug auf West-Taiwan und dessen Maritime Milizen noch sehr relevant werden wird:

https://mwi.westpoint.edu/irregular-warf...re-at-sea/

West-Taiwan wird sehr viel mit seinen Martimen Milizen erreichen können, wenn es sich dem konventionellen Seekrieg verweigert und stattdessen auf solche irregulären Ansätze, insbesondere unterhalb des militärischen Horizontes setzt.


Und hier noch über den indirekten Ansatz in irregulären / assymetrischen Kriegen, in dem man diese über Proxies führt:

https://mwi.westpoint.edu/irregular-warf...roxy-wars/
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