31.08.2022, 08:23
Michail Gorbatschow ist tot. Er war sicherlich eine der großen und zugleich tragischen Figuren der Weltgeschichte, im Westen durchaus hochgeschätzt für seine Rolle beim Herbeiführen des Endes des Kalten Krieges - und auch in Deutschland hoch angesehen hinsichtlich seines Wirkens bei der Wiedervereinigung -, in Russland selbst jedoch vielerorts bis heute angefeindet, ja verhasst als der Totengräber der UdSSR.
Dabei hatte er kaum mehr Handlungsspielraum. Als er ins Amt kam, war die UdSSR quasi schon abgewirtschaftet, er war faktisch noch ein Insolvenzverwalter. Und der Niedergang war nicht erst mit den Jahren des Siechtums in Breschnews Endphase, mit dem greisen Duo Andropow und Tschernenko oder mit dem Afghanistan-Krieg ab 1979 und Reagans SDI eingeleitet worden, sondern schon spätestens seit Mitte der 1970er war klar, dass es sich nicht mehr rechnet und dass das System gegen die Wand fahren wird. Gemacht wurde nichts. Und als es dann gar nicht mehr ging, hat man Gorbi ins Amt gehoben, zum zusammenfegen, hat ihm die Scherben vor die Füße geworfen nach dem Motto: Mach mal!
Er war sicher kein Wirtschaftsfachmann und hat auch Fehler gemacht, aber die Annahme, die man in Russland häufig zu Ohren bekommt, wonach unter ihm der Zusammenbruch erst begann, ist ein weiteres Bsp. dafür, wie man sich im gegenwärtigen Russland leider selbst anlügt...
Schneemann
Dabei hatte er kaum mehr Handlungsspielraum. Als er ins Amt kam, war die UdSSR quasi schon abgewirtschaftet, er war faktisch noch ein Insolvenzverwalter. Und der Niedergang war nicht erst mit den Jahren des Siechtums in Breschnews Endphase, mit dem greisen Duo Andropow und Tschernenko oder mit dem Afghanistan-Krieg ab 1979 und Reagans SDI eingeleitet worden, sondern schon spätestens seit Mitte der 1970er war klar, dass es sich nicht mehr rechnet und dass das System gegen die Wand fahren wird. Gemacht wurde nichts. Und als es dann gar nicht mehr ging, hat man Gorbi ins Amt gehoben, zum zusammenfegen, hat ihm die Scherben vor die Füße geworfen nach dem Motto: Mach mal!
Er war sicher kein Wirtschaftsfachmann und hat auch Fehler gemacht, aber die Annahme, die man in Russland häufig zu Ohren bekommt, wonach unter ihm der Zusammenbruch erst begann, ist ein weiteres Bsp. dafür, wie man sich im gegenwärtigen Russland leider selbst anlügt...
Zitat:ZUM TOD VON MICHAIL GORBATSCHOWhttps://www.faz.net/aktuell/politik/ausl...80665.html
Ein Friedensengel und „Mann des Systems“
Der ehemalige sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow, der half, das Wettrüsten zu beenden, blieb im Ausland ein gefeierter Elder Statesman. In Russland drang er nicht mehr durch. Nun ist er mit 91 Jahren gestorben. [...]
Im Westen war und bleibt Michail Gorbatschow immer „Gorbi“: ein Friedensengel, der half, das Wettrüsten zu beenden und die in der DDR stationierten Soldaten in den Kasernen ließ, als das Volk auf die Straße ging. In Russland wirft man Gorbatschow vor, das Imperium verspielt zu haben. Dabei wollte er die Sowjetunion bewahren. Der „Mann des Systems“, als der er sich bezeichnete, scheiterte selbst am System. [...] Am 11. März 1985 wurde Gorbatschow, der damals seit fünf Jahren Mitglied des Politbüros war, mit 54 Jahren Generalsekretär der Partei. Er pflegte einen offenen Umgangsstil, wurde beliebt, war ein Symbol der Hoffnung. Schon im Oktober 1985 stellte Gorbatschow sein Programm eines Umbaus („Perestrojka“) vor: Eigeninitiative sollte gefördert, die Produktion mehr an der Nachfrage ausgerichtet werden. Die Finanznot und die Einsicht, dass ein Nuklearkrieg nicht zu gewinnen wäre, brachten Gorbatschow zu der Erkenntnis, dass das Wettrüsten fatal war. Das war der Hintergrund für die Abrüstungsabkommen mit den Vereinigten Staaten: die Beseitigung aller nuklear bestückten Mittelstreckenraketen, die Reduzierung der strategischen Atomwaffen, die Verringerung der konventionellen Streitkräfte in Europa. [...]
Für die Völker Mitteleuropas blieb die Sowjetunion ein Gefängnis. Es war aber auch Gorbatschows Politik zu danken, dass dies ausgesprochen werden konnte. 1987 hatte der Generalsekretär „Glasnost“ (Offenheit) versprochen, um das Volk im Ringen mit reaktionären Kräften auf seine Seite zu ziehen. Im April 1990 bekannte sich die Sowjetunion offiziell zur Verantwortung für die Erschießung Tausender polnischer Offiziere im Jahr 1940 in Katyn. [...]
Der Kongress wählte Gorbatschow zum ersten und letzten Präsidenten der Sowjetunion. Es wurde darüber diskutiert, die Rüstungsausgaben deutlich zu kürzen. Das lehnten die reaktionären Kräfte ab. Der bedrängte Präsident lenkte schließlich ein. Im Herbst 1990 umgab sich Gorbatschow mit Kräften aus dem Lager der Reformgegner. Sein Vertrauter, Außenminister Eduard Schewardnadse, trat im Dezember 1990 zurück, sprach von „Faschismusgefahr“. Im Januar 1991 gingen Sondereinheiten des Innenministeriums in Litauens Hauptstadt Vilnius gegen Demonstranten vor, mindestens 15 Personen wurden getötet. Im lettischen Riga waren es fünf. [...]
Der Zerfall schritt fort. Der Präsident ließ eine Volksabstimmung über eine Bewahrung der Union abhalten, welche die Menschenrechte achte. Doch sechs Republiken nahmen daran nicht teil. Gorbatschow verhandelte mit den übrigen über einen neuen Vertrag, der aus der Sowjetunion eine Konföderation gemacht hätte. [...] Das ging den Reaktionären zu weit: Sie putschten im August 1991 gegen Gorbatschow, während er im Urlaub auf der Krim weilte. Russlands Präsident Boris Jelzin rief zum Widerstand auf. Der Umsturz scheiterte. Gorbatschow war nun Präsident von Jelzins Gnaden. Der verbot die Kommunistische Partei in seinem Herrschaftsbereich. Gorbatschow trat vom Amt des Generalsekretärs zurück. Im Dezember 1991 erklärten Jelzin und die Präsidenten von Belarus und der Ukraine, die Sowjetunion habe aufgehört zu bestehen. Am 25. Dezember 1991 trat Gorbatschow auch als Präsident der Sowjetunion zurück.
Schneemann