(Zweiter Weltkrieg) Die Kokoda-Track-Kampagne 1942
#1
Ich lese mich derzeit in diese Thematik ein...

Für den, der nicht weiß, um was es geht: Der sog. Kokoda-Track ist ein (mehr oder minder) ausgebauter "Weg" - wobei die Terminierung "Weg" hier ziemlich verklärend und optimistisch zu deuten ist im Kontext der Vergangenheit - im Südosten der an sich faszinierend schönen Insel Papua-Neuguinea, er zieht sich über die sog. Owen-Stanley-Gebirgskette.

Ich bin persönlich Ski-Fahrer und Bergsteiger/-wanderer. Und Ex-Gebirgsjäger. Vermutlich bin ich deswegen darüber gestolpert...

Fassen wir uns kurz:

1942, Pazifikkrieg: Nach dem Rückschlag im Korallenmeer im Mai, entschied sich die Südseeabteilung (17. Armee, 55. Infanterie-Gruppe, insg. ca. 13.000 Mann) der kaiserlich-japanischen Armee unter General Hyakutake bzw. Generalmajor Horii zwischen Ende Juli bis November 1942, diese Passage "rasch" (so der Befehl!) zu durchqueren, um die strategisch als (damals) wichtig angesehene Hafenstadt Port Moresby einzunehmen. Generalmajor Horii soll von dem Angriffsbefehl wenig begeistert gewesen sein. Die Japaner, die auch im Dschungelkrieg erprobte Eliteeinheiten heranführten, erlitten gegen die anfangs überforderten Australier, die allerdings die Luftüberlegenheit besaßen, eine verheerende Niederlage.

Dabei muss berücksichtigt werden:

Der Weg ist faktisch ein Alptraum (das sage ich ganz offen - und meine es auch nur im militärischen Sinne, nicht im touristischen). Zwar gibt es Passagen, die mehrere Kilometer breit sind (!), dort wo bspw. auch das Myola-Flugfeld lag, aber letztlich läuft man als Soldat hintereinander auf engen Dschungelpfaden, überquert wilde Flussläufe, durchquert undurchdringliche Nebelurwälder, tausende Höhenmeter, stapft im Schnee und zugleich durch fieberverseuchte Sümpfe, übersteigt steile Felsklippen (über 2.500+ m) und dies in einem kreislaufkillenden Klima, das einem den Schweiß aus den Ohren treibt.

Letztlich, meiner Meinung nach, liegt die Ursache im Scheitern der japanischen Offensive - wobei IMMER der Gegner auch eine Rolle spielt - in der katastrophalen Unterschätzung der natürlichen Begebenheiten in Papua-Neuguinea durch das Führungspersonal der damaligen kaiserlich-japanischen Armee (die ich normal als hervorragend einschätze).

Dies mag wohl auch ein Grund sein, weswegen ich hier gerne mal "die Cassandra" spiele, wenn es um Szenarien im Baltikum geht und hier Leute flugs das "muntere" Verschieben über hunderte Kilometer Wildnis als selbstverständlich ansehen...

Schneemann
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#2
Es war meiner Meinung nach weniger eine Unterschätzung des Geländes und der Umweltbedingungen, als vielmehr eine für das kaiserlich japanische Heer in dieser Zeit sehr typische Missachtung der Logistik, welche hier den Ausschlag gab. Die japanischen Offiziere wussten, dass der Nachschub durch das Terrain dort zusammen brechen würde. Sie gingen aber trotzdem wie von selbst davon aus, dass man trotz völlig unzureichender Logistik siegen kann. Das ist grundsätzlich ein japanisches Problem in dieser Zeit gewesen, nicht nur dort, sondern de facto überall. Man setzte Truppen unter Umständen ein, welche vorher richtig eingeschätzt wurden, und ging trotzdem davon aus, dass man den Sieg schon irgendwie erzwingen könnte. Das hatte damals sehr viel mit der miitärischen Kultur innerhalb des japanischen Heeres zu tun. Man glaubte ganz fest daran, dass man mit genug Willen und Radikalismus auch in den aussichtslosesten Situationen entgegen aller Umstände siegen könne und selbst wenn es noch so sehr nach Niederlage aussah oder diese hoch wahrscheinlich war, trotzem am Ende ein Sieg durch bloßen Willen erzwingbar sei.

Hier übrigens noch die Gliederung der eingesetzten japanischen Einheiten, der sogenannten Nankai Task Force:

Stabseinheit der 55. Division
144. Infanterie-Regiment
41. Infanterie-Regiment (der 5. Division)
3. Panzerabwehr-Kompanie (des 55. Kavallerie-Regimentes)
1. Bataillon des 55. Gebirgs-Artillerie-Regimentes
2. Kompanie des 55. Transport-Regimentes
Divisions-Sanitätseinheit der 55. Division
11. Pionier-Einheit (der 55. Division)
14. selbstständiges Pionier-Regiment
15. selbstständiges Pionier-Regiment
4. selbstständige Pionier-Kompanie
47. Feld-Luftabwehr-Bataillon (-1 Kompanie)
Konstruktionseinheit der 55. Division
1. Brückenpionier-Kompanie (der 9 Division)
88. Fernmelde-Kompanie (- 1 Zug)
24. Fernmelde-Regiment
zwei selbstständige Funk-Züge
38. selbstständiges Transport-Bataillon
212. selbstständige Transport-Kompanie
Veterinär-Einheit der 55. Division
16. selbstständige Veterinär-Einheit (-1 Zug)
17. Wasseraufbereitungs-Einheit
24. Wasseraufbereitungs-Einheit
55. Wasseraufbereitungs-Einheit

Auffällig ist das für die Japaner zu diesem Zeitpunkt heillose Durcheinander an Einheiten (es wurden ständig neue Task-Forces zusammen gestückelt, die ganze Struktur des japanischen Heeres war aber auch spezifisch dafür gut geeignet durch die vielen selbstständigen Kleineinheiten), daher auch folgerichtig viele solche selbstständigen Einheiten und das deutliche Fehlen von ernsthafter Artillerie. Letztgenannter Punkt zeigt bereits auf, dass die japanische Führung um das Gelände wusste, denn sie hätte von Rabaul deutlich mehr Artillerie haben können. Stattdessen forderte man zusätzliche Pioniere an, auch dass ein klarer Hinweis.

Und dann sollte man noch anführen, dass die Australier ja eben nicht den extrem erschöpfenden Anmarsch hatten wie die japanischen Truppen und zahlenmässig auch weit überlegen waren. Und auch das war der japanischen Führung klar. Allein die Garnison von Port Moresby, dem Ziel der Japaner am südlichen Ende des "Tracks" umfasst schon ungefähr 28.000 Soldaten, welche die Japaner mit nur 13.000 Mann ohne ausreichend Artillerie aus stark ausgebauten Defensivstellungen werfen wollten. Für die gesamte Artillerie der Kampfgruppe hatte man beispielsweise nur ein paar hundert Schuss dabei, welche komplett auf dem Rücken normaler Infanteristen getragen wurden, dass komplette Gebirgsartillerie-Regiment hatte zum Beispiel nur 200 Schuss.

Auch wenn sie ihr Ziel gar nicht erreichten waren die Leistungen der japanischen Soldaten bei diesen Kämpfen im Gebirgsdschungel schier übermenschlich. Entsprechend gab es auch ohne Ende Verluste durch völlige Überanstrengung und extremste Überforderung, man ließ Einheiten einfach im Kampf bis sie vollständig vernichtet wurden, versorgte Verwundete nicht zwang die Soldaten ohne Essen, ohne ausreichend Munition und ohne jede Chance immer weiter anzugreifen und umgekehrt genommene Stellungen gegen Angriffe weit überlegener australischer Großkampfverbände unter allen Umständen zu halten, was dann wiederum horrende Verluste erzeugte. Irrsinnig sind auch die Marschleistungen, wobei die Japaner über eine Strecke von ungefähr 90 Kilometern und insgesamt um die 5500 Höhenmeter de facto alles auf dem Rücken schleppten und dass in einem extrem feucht-heißen Klima, mit völlig unzureichender Lebensmittel und Trinkwasserversorgung.
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#3
Zitat:...das deutliche Fehlen von ernsthafter Artillerie
Wobei es hier Berichte gibt, dass die Australier ihre 25-Pfünder nicht vorziehen konnten und es einer der wenigen Momente war im Pazifik, wo die Japaner den Alliierten artilleristisch überlegen waren. Vor allem die 70-mm-Regimentskanonen sollen ein wahrer Schrecken der Australier gewesen sein.

Gleichwohl allerdings: Man hat von den Japanern zwar Munition erbeutet, aber keine Nahrungsmittel. Bittere Realität des Umstandes, dass die Japaner aufgrund ihrer mangelnden Logistik verhungert sind...

Schneemann
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#4
Es gab keine 70mm Regiments-Kanonen in der japanischen Armee. Was du höchstwahrscheinlich meinst sind die Typ 92 Infanterie Bataillons-Geschütze. Eine tatsächlich sehr wirksame und einzigartige Waffe, welche man wie einen Mörser oder auch im direkten Schuss einsetzen konnte. Und tatsächlich waren gerade in diesem Gelände diese Bataillons-Geschütze gegen die Australier sehr erfolgreich. Die dort eingesetzten Bataillone hatten üblicherweise 4 solcher 70mm Infanterie-Geschütze pro Bataillon (nicht gerade viel).

Die Regiments-Artillerie vom Typ41 hatte üblicherweise das Kaliber 75mm, manche Regimenter verwendeten auch Typ94 Gebirgsgeschütze (ebenfalls 75mm), nicht aber in dieser Task-Force. Da waren die Typ94 in dem Gebirgsartillerie-Regiment konzentriert. Beide Typen verwendeten die gleiche 75mm Munition. Spezifisch die Nankai Task Force hatte auch noch ein paar Typ38 Geschütze (ebenfalls 75mm). Die Regiments-Artillerie war bei Divisionen dieses Typs welcher dort zum Einsatz kam üblicherweise 8 Feldgeschütze pro Regiment stark, war aber bei der Nankai Task Force in Unterstärke (querschnittlich vermutlich 6 Geschütze pro Regiment).

Wenn man also sieht wie schwach die Regiments-Artillerie hier ausfiel (das Munitionsproblem noch mal ganz außen vor), war es vor allem das Gebirgs-Artillerie-Bataillon welches die meiste Leistung in diesem Bereich erbrachte. Dieses hatte allerdings eine Mischung aus den bereits erwähnten Typ94 Gebirgsgeschützen und einigen wenigen Typ99 Gebirgsgeschützen, letztgenannte hatten das Kaliber 105mm. Das erschwerte die Logistik noch weiter. Spezifisch die japanischen Gebirgsgeschütze waren hervorragend, extrem leicht, zerlegbar und konnten selbst zur Fuß von nur 22 Soldaten in jedem Gelände bewegt werden.

Vor allem deshalb konnte sich die japanische Artillerie anfangs durchsetzen bzw. erbrachte gegen die Australier eine sehr große Leistung. Ausschlaggebend war da nicht die Anzahl der Rohre, sondern die Zerlegbarkeit und extremste Querfeldeinbeweglichkeit dieser Pack-Artillerie. Die Japaner konnten so Feldartillerie in Gegenden einsetzen, in welche die Australier kein einziges Geschütz verbringen konnten. Das war also vor allem eine Frage der Mobilität. Auch die 70mm Bataillons-Geschütze konnten zerlegt und de facto überallhin gebracht werden, waren aber im Einsatz signifikant präziser als ein Mörser und konnten eben im Gegensatz zu diesem auch im direkten Feuer eingesetzt werden. Der Nachteil im Vergleich zu einem Mörser war das höhere Gewicht pro Einheit.

Noch ein Aspekt war die extreme Robustheit und Unempfindlichkeit speziell der Typ92 Infanteriegeschütze und der Gebirgsgeschütze. Auch ohne Ersatzteile, mit unzureichender Reinigung und Wartung und unter extremsten Umweltbedingungen funktionierten diese Waffen absolut einwandfrei und ohne Störungen.

Das man Munition erbeutete aber keine Nahrungsmittel lag auch daran, dass die Führung die sehr begrenzten logistischen Transportmöglichkeiten absichtlich nur zum Transport von Munition nutzte. Essen wurde stattdessen von Verwundeten und durch Entkräftung kampfunfähigen Soldaten auf die kampffähigen umverteilt. Es wird heute weithin nicht verstanden, dass in vielen Einsätzen mehr japanische Soldaten durch Hunger, verseuchtes Wasser, Krankheiten und Überanstrengung starben, als durch den Feind. Das nahm man als völlig normal und gegeben einfach so hin. Westliche Armeen hätten unter diesen Bedingungen überhaupt nicht operieren können, und heute kann dies gar niemand mehr.
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#5
Anbei:

Eine einzigartige Perspektive über den Einsatz japanischer Truppen in Neu-Guinea (im allgemeinen), und das einzige japanische Dokument welches den ausufernden Kannibalismus japanischer Truppen auf Neu-Guinea offen anspricht:

https://www.youtube.com/watch?v=RLSFBmU7Vf0

Auch und insbesondere auf dem Kokoda Treck hielten sich japanische Einheiten nur dadurch kampffähig, indem sie auf Kannibalismus zurück griffen. Da aufgrund des Klimas Fleisch sehr schnell verdarb wurden dazu gezielt Einheimische (welche man deshalb schwarze Schweine nannte), und teilweise auch alliierte Kriegsgefangene (weiße Schweine) und in seltenen Fällen auch eigene Soldaten welche zu krank und schwach geworden waren - oder welche in der Truppe unbeliebt waren und Außenseite - regelrecht geschlachtet.
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#6
Ah...ja, du hattest recht, ich meinte die Typ-92-Battalionskanone.

Ich finde es aber dennoch erstaunlich, dass diese kleine und beinahe an ein Spielzeug erinnernde Waffe eine solche Wirkung hatte. Genau genommen war sie natürlich der alliierten Standardartillerie (25-Pfünder, 105 mm, 75-mm-M1-Pack Howitzers), wenn diese denn in Position gebracht werden konnte, hoffnungslos unterlegen. Aber sie war eben leicht transportierbar und in den beinahe undurchdringlichen Dschungelgebieten, wo die alliierte Artillerie oftmals nicht eingesetzt werden konnte, des Südwestpazifiks ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Es ist auch erstaunlich, wie überrascht die Australier waren, als sie erstmals auf diese Waffe stießen (die ihnen einige böse Verluste - manche sprechen von grob 40% aller Ausfälle durch Feindfeuer - beigebracht hatte) - sie haben sie dann nach Möglichkeit gleich selbst eingesetzt und sogar ihren Mörsern vorgezogen...
Zitat:Auch und insbesondere auf dem Kokoda Treck hielten sich japanische Einheiten nur dadurch kampffähig, indem sie auf Kannibalismus zurück griffen. Da aufgrund des Klimas Fleisch sehr schnell verdarb wurden dazu gezielt Einheimische (welche man deshalb schwarze Schweine nannte), und teilweise auch alliierte Kriegsgefangene (weiße Schweine) und in seltenen Fällen auch eigene Soldaten welche zu krank und schwach geworden waren - oder welche in der Truppe unbeliebt waren und Außenseite - regelrecht geschlachtet.
Naja, also dass es diese Fälle teils gab, ist richtig, aber so wie du es schreibst, liest es sich beinahe wie eine Hühnerhaltung. Man hatte ja versucht, nach dem Krieg diese Fälle aufzuarbeiten und die Täter, die für diese Kriegsverbrechen (wobei man hier dazu sagen muss, dass dies nur dann galt, wenn jemand deswegen getötet wurde; bei Leichen war es ethisch natürlich grausig, aber kein Verbrechen direkt) hätten belangt werden sollen, ausfindig zu machen. Dabei wurde ersichtlich, dass es nur wenige wirklich belastbare Spuren gab. Und die Täter, die man tatsächlich identifizieren konnte, waren häufig schon vor Kriegsende anderswo gefallen. Insgesamt gab es nur eine Handvoll Verdachtsmomente (dutzende?), die aber allesamt nicht zu einer Anklageerhebung gereichten.

Hinzu kam auch, dass die Japaner das Problem der Unterversorgung nicht auf dem Hinweg hatten. Zwar war die Versorgungslage sehr knapp kalkuliert (14 Tagesrationen pro Mann, während man von ausging, dass selbst bei einem überaus optimistischen "raschen" Überqueren der Owen-Stanley-Kette man 16 Tage benötigen würde), aber erst dann, als die Japaner den Rückzug antraten - sie hatten grob 70% der Wegstrecke hin nach Port Moresby bewältigt -, kam es zur katastrophalen Versorgungslage. Auf diesem wirren Rückzug allerdings hatte man nicht wirklich alliierte Kriegsgefangene bei sich, insgesamt fielen nur sehr, sehr wenige Australier den Japanern während dieser Kampagne in die Hände, meistens zu Beginn, und meistens wurden sie gleich niedergehauen. Auch Eingeborene hatte man nicht mehr wirklich greifbar bei sich, da diese meistens vor den zerfallenden japanischen Marschkolonnen flohen. Insofern glaube ich, dass zumindest bei der Kokoda-Track-Kampagne die Berichte über Kannibalismus überzeichnet sind, es gab sie, ja, aber nicht in diesem Umfang...

Schneemann
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#7
Ich will gar nicht so sehr auf dem Thema Kannibalismus herum reiten. Das ist nur ein Nebenkriegsschauplatz und natürlich sehr spektakulär, aber wie du schreibst war es nicht die Regel. Es fand aber auch auf dem Kokoda Treck statt, wie auch sonst wo japanische Truppen in Neu-Guinea unterwegs waren. Der Grund warum man dafür keine Beweise und Zeugen fand wird in der Doku welche ich vernetzt habe eigentlich recht klar: es hat so gut wie niemand überlebt. Beispielsweise ist der Japaner der da gezeigt wird der absolut einzige Überlebende seines kompletten Regimentes dass mal über 3000 Mann hatte. Der andere Japaner den er trifft und der gesteht sich aktiv am Kannibalismus beteiligt zu haben ist ebenso wiederum der einzige Überlebende seiner Einheit (mehr als 1000 Mann). Das keine Täter nachgewiesen werden konnten bei Kriegsende lag also exakt an dem Punkt den du hier nennst: die sind auch de facto alle umgekommen. Es gab auch so gut wie keine überlebenden Zeugen und deshalb ist diese Doku so interessant, weil sie absolut einzigartig ist und die wenigen de facto letzten Zeugen dieser Ereignisse tatsächlich dazu brachte sich dazu zu äußern.

Und das Ende der Doku ist real so passiert: der Japaner der da gezeigt wird erschoss bei Abschluss der Dreharbeiten tatsächlich den Sohn eines verantwortlichen Offiziers um seine Kameraden dadurch zu rächen.

Zu Kriegsverbrechen sollte man umgekehrt noch anmerken, dass die Australier systematisch Leichen der Japaner schändeten und fast alle Japaner die sich ergeben wollten (wenige genug!) ermordeten, obwohl dies natürlich offiziell verboten war. Diese Kriegsverbrechen wurden auch in keinster Weise verfolgt, waren aber im ganzen Pazifik-Raum bei alliierten Truppen gar nicht so unüblich. Beispielsweise kochte man Schädel von Japanern aus um diese als Trophäen mitzunehmen und ähnliche Scherze.

Nach Kriegsende hat man das alles sehr weitgehend unter den Teppich gekehrt.

Bezüglich Artillerie:

Die Australier hatten anfangs gar keine Mörser dabei, weil sie diese im dichten Gebirgsdschungel für nicht einsetzbar hielten. Sie zogen die Bataillons-Geschütze also nicht ihren Mörsern vor, sie hatten gar keine dabei. Umgekehrt waren die Japaner gar nicht so zufrieden mit ihren 70mm Mini-Geschützen und tauschten diese gerade aufgrund der Erfahrungen in Neu-Guinea dann später zunehmend gegen Mörser welche diese einzigartigen Waffen in den japanischen Bataillonen ersetzten.

Und der größte Teil der Verluste durch japanische Artillerie wurde nicht so sehr durch die Bataillons-Geschütze, sondern durch die zerlegbaren Gebirgsgeschütze und die ebenfalls zerlegbare Regimentsartillerie im 75mm angerichtet. Hätten die Japaner für diese noch mehr Munition dabei gehabt, hätte es auch anders kommen können. Zur Regimentsartillerie hätte ich noch anmerken müssen/können, dass dies de facto auch Gebirgsgeschütze waren, der Vorgänger der dann in den Gebirgsartillerie-Einheiten verwendeten neueren Geschütze.

Zu japanischen Tagesrationen sollte man noch anmerken, dass diese so kalkuliert waren, dass sie nicht reichten um die notwendige Menge an Nährstoffen bei einer solchen Belastung zur Verfügung zu stellen. Die Menge der mitgeführten Lebensmittel hätte bei einer vollständigen Deckung des Tagesbedarfs gerade mal für 8 bis 10 Tage gerreicht. Aus Sicht der japanischen Führung natürlich völlig ausreichend, und es wäre auch angesichts der realen Transportmöglichkeiten gar nicht anders gegangen, sonst hätte man nicht genug Munition dabei gehabt und auch diese wahr eigentlich unzureichend.

Keine andere moderne Armee hätte je versucht unter solchen Bedingungen so eine Operation durchzuführen, aber Menschenleben spielten in der japanischen Armee halt keine Rolle.
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#8
Ich habe mir diesen Film erst gestern in gesamter Länge anschauen können (Feiertag im Ländle). Er ist in gewisser Weise faszinierend, aber auch schockierend. Und er war mir völlig unbekannt. Insofern auch ein Dankeschön für diese Info.

Der Protagonist Okuzaki erscheint mir als eine herrische und zugleich auch extrovertiert-instabile Person - er war ja auch lt. seiner Biographie mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten wegen verschiedener anarchistischer Umtriebe -, wobei ich aber denke, dass er schlichtweg auch schwer traumatisiert war von seinen Erinnerungen an die Zeit in Papua-Neuguinea.

Wenn man ihn z. B. in Gesprächen genau beobachtet, so wirkt er unberechenbar, so als wenn er jeden Moment durchdrehen würde und blindlings jemanden attackiert (ich war auch erstaunt, dass er in diesem Interview zum Ende hin diesen ehem. Vorgesetzten auf einmal völlig überraschend angreift und tritt, obwohl dieser erkennbar krank war) - in einem Gefecht würde ich ihm beruhigend zureden und langsam das Gewehr wegnehmen...

Allerdings hatte ich es so verstanden, dass er vor dieser Zeit, als die Lage der Garnison (ich denke, er meint wohl Wewak, das ab Herbst 1944 abgeschnitten war) eskalierte, er nach Japan zurückkam, also nicht direkt die im letzten Teil des Films thematisierte Story erlebt hatte.

Und hier denke ich, dass die Linien verschwimmen. Der Vorgesetzte berichtet zwar von den Ereignissen, dass Kameraden ermordet wurden, auch dass es Kannibalismus gab, aber er sagt z. B. auch, dass die Eingeborenen zu schnell im Busch verschwanden, als dass man sie hätte fangen können.

Und wenn der Kannibalismus derart weit verbreitet gewesen wäre, so hätte es mehr Zeugen geben müssen. Zwar mögen von einzelnen Einheiten nur Einzelne überlebt haben, wie im Film dargestellt, und von den Fällen in diesen Einheiten kann tatsächlich keiner mehr berichten, aber z. B. von der Wewak-Garnison gingen rund 14.000 nach Kriegsende in Gefangenschaft (von vermutl. 30.000+ Mitte 1944). Es hätte also zwingend mehr Zeugen geben müssen...

Schneemann
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#9
Ich kann deinen Schlußfolgerungen durchaus zustimmen. Wie es ja gegebenenfalls bekannt ist, habe ich mich ein klein wenig mit der kaiserlich japanischen Armee beschäftigt. Von daher habe ich so ungefähr alles was es zu dieser Thematik gibt gelesen.

Kannibalismus war nach allem was ich über die Situation spezifisch in Neu-Guinea weiß weiter verbreitet als es gemeinhin angeommen wird, überwiegend aber wurde Fleisch von Toten gegessen und primär von gefallenen oder anderweitig umgekommenen Kameraden. Meistens auch nur sehr geringe Mengen. Das löste extreme Scham und Verzweiflung aus, und dass ist auch einer der primären Gründe warum man keine Zeugen findet.

Es ist ja nicht so, dass hier völlig entmenschliche japanische Krieger sich mit Gefechtsfeldkannibalismus im Kamipf gehalten hätten, sondern dass grenzenlos verzweifelte Verhungernde das Fleisch primär von toten Kameraden gegessen haben, und dadurch immense Schuldgefühle und psychische Probleme bekamen. Es gab da zum Beispiel Fälle wo man sich kurzfristig so noch am Leben erhalten hat, dann aber wieder aufgehört hat damit und dann verhungert ist, weil man es nicht ertragen hat. Andere begingen Selbstmord.

Okuzaki ist nun zweifelsohne psychisch krank gewesen. Sehr viele japanische Soldaten die überlebten wiesen erhebliche psychische Störungen auf, was ebenfalls in Japan auf extreme Weise unter den Teppich gekehrt wurde. Sich so extrovertiert und offen aggressiv zu zeigen wie der Protagonist ist in der japanischen Kultur sehr unüblich, allein deshalb schon ist der Protagonist eine völlig aus dem Rahmen fallende Figur.

Entsprechend wird er in Japan extrem kritisch gesehen und wird diese ganze Geschichte vollständig ignoriert. Das trifft auch auf viele andere japanische Kriegsverbrechen zu. Es wird einfach absolut geleugnet, dass es diese jemals gegeben hat. Dieses Klima war schon kurz nach Kriegsende vorherrschend und deshalb ist es ganz allgemein immens schwer Zeugen für irgendwelche Vorgänge zu finden, völlig gleich welcher Art. Kein japanischer Soldat will jemals irgendwo irgenwie dabei gewesen sein, selbst wenn er es nachweislich war.

Beispielsweise behaupteten japanische Veteranen fast unisono, es habe keinerlei Zwangsprostitution (Trostfauen) gegeben, und niemals hätten sie auch nur davon gehört. Das ist natürlich völliger Unfug. Man kann ganz im Gegenteil davon ausgehen, dass fast jeder dieser Soldaten mehrfach "Trostfrauen" vergewaltigt hat, ohne Ausnahme, den das war sehr üblich und der hohe Konformitätsdruck in der japanischen Armee ließen einem da gar keine Wahl. Oder alle behaupten unisono, man habe niemals mit Bajonetten gegen lebende an Pfähle gefesselte Menschen gestochen um damit den "Bajonettkampf zu üben". Tatsächlich kann man davon ausgehen, dass dies üblicher war als meist angenommen wird, gerade in China beispielsweise galt das für eigentlich jeden neuen Rekruten als "Bluttaufe" dass er irgendeinen gefesselten Zivilisten mit dem Bajonett abstechen musste. Diese grundsätzliche Leugung all dessen was damals geschah ist daher genuin typisch für Japan.
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#10
Aber mal weg davon und hin zu einer interessanten Entwicklung welche direkt aus den Kampferfahrungen auf dem Kokoda Treck resultierte:

Die Australische Dschungel Division:

https://vuir.vu.edu.au/19393/1/Threlfall.pdf

Nach den Kämpfen gegen die Japaner erkannte die australische Armeeführung, dass die bisher verwendete Divisionsstruktur zu schwerfällig war, zu wenig querfeldeinbeweglich und zu viel Nachschub benötigte. Daher schuf man direkt basierend auf den Kampferfahrungen in Neu-Guinea folgend die Jungle Divisions.

Die Divisionen wurden mit geringerer Mannzahl aufgestellt und so viel Fahrzeuge, schwere Waffen und vor allem administratives Personal wie möglich gestrichen. Die Jungle Divisions waren daher selbst im Vergleich zu einer leichten Infanterie-Division noch mal deutlich leichter - ultraleichte Infanterie sozusagen.

Die Bataillone wurden deutlich verkleinert und alle Luftabwehr-Einheiten gestrichen. Dafür wurden im Gegenzug die Anzahl der ML 3-inch Mörser deutlich erhöht und ebenso die Zahl der Maschinengewehre. Pro Maschinengewehr bzw. Mörser wurde dann eine größere Anzahl Soldaten abgestellt als dies sonst üblich war. Dafür wurden im Gegenzug spezialisierte Nachschubzüge welche normale Bataillone hatten gestrichen. Jedes Bataillon bestand aus einer Stabskompanie und vier Infanterie-Kompanien.

Die wenigen Fahrzeuge die man behielt waren allesamt so leicht wie möglich. Wo immer vorher Lkw eingeplant gewesen war ersetzte man diese durch eine geringere Zahl einfacher Jeeps mit Anhänger. Schlußendlich senkte dass auch den Bedarf an Instandsetzung usw, so dass Jungle Divisions am Ende 4000 Mann kleiner waren als eine normale Division, bei de facto fast gleicher Infanteriestärke.

Die Jungle-Divisions unterschieden sich teilweise etwas voneinander, auch weil von der Korps-Ebene Zusatzeinheiten ihnen unterstellt wurden und spätere Jungle-Divisions hatten dann auch wieder mehr Artillerie dabei - insgesamt wurden 6 Divisionen zu solchen Jungle-Divisions umgerüstet, mit ungefähr 13.000 Mann pro Division.

Die Gliederung sah grundlegend so aus:

Divisional Headquarter
3 Infantry Brigades (each of three Infantry Battalions for a total of nine)
1 Field Artillery Regiment (equipped with twenty-four guns) - spätere Divisonen hatten zwei Regimenter
1 Heavy Machine-Gun Company - spätere Divisionen hatten ein ganzes Machine-Gun Bataillon oder alternativ eine leichte FlaK-Einheit
1 Divisional Provost Company (Military Police)
1 Divisional Carrier Company
1 Divisional Signals
1 Divisional Engineers
1 Field Park Company
3 Field Companies
Camouflage Training Unit
Divisional Supply and Transport
Supply Depot Company
General Transport Company
3 Field Ambulance Companies
6 Light Aid Detachments
3 Brigade workshops

Besonders interessant finde ich die standardmäßig vorhande Camouflage Training Unit, welche ungefähr Kompaniestärke hatte und fortwährend als Multiplikator eingesetzt wurde um die Tarnung in den Infanterie-Brigaden zu verbessern.
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#11
Aus der Lockerheit unserer bisherigen Ausführungen kommt vielleicht nicht ganz heraus, wie unfassbar hart der Kampf spezifisch während dieser Kampagne war. Das Gelände wird von Militärhistorikern als das schwierigste, in jedem Fall eines der schwierigsten der Kriegsgeschichte angsehen. Genau genommen war es eigentlich unmöglich dort überhaupt mit größeren Einheiten zu kämpfen. Die Hitze und Feuchtigkeit, die Steilhänge und der glitischige Boden waren und sind dort unbeschreiblich. Der Dschungel ist derart dicht, dass man teilweise seine Hand nicht mehr sieht wenn man den Arm ausstreckt und dass man seine Füße nicht sieht wenn man nach unten blickt. Dazu kommen extreme Höhenunterschiede (insgesamt muss man ca 5500 Höhenmeter überwinden), Krankheiten und Parasiten aller Art und dem folgend enorme Probleme mit der Trinkwasserversorgung. Tot durch Hitzeerschöpfung, Hitzschlag und Überanstrengung waren keineswegs selten. Es fielen unglaublich viele Soldaten durch Krankheit und körperliche Überforderung aus, regelmässig wurde von Ermüdungsbrüchen berichtet.

Aber als ob das alles noch nicht reichen würde, kämpften die Japaner dort besonders verbissen und dies ergab in Kombination mit dem Gelände, dass es teilweise einfach nicht voran ging. Das Ergebnis waren Unmengen von Toten die man nicht beerdigen oder anderswie beiseite schaffen konnte. In dem heiß-tropischen Klima verwesten die Leichen sehr schnell und verursachten eine unerträgliche Geruchsbelastung. Gerade für den Kokoda Treck wird das sehr viel berichtet und hat anscheinend die Soldaten die dort überlebten nachhaltig geprägt.

Der Verwesungsgeruch staute sich regelrecht und verunmöglichte teilweise das militärische Vorgehen, so extrem wurde er. Die Soldaten mussten selbst mit Abstand oder beim Versuch andere Geländeabschnitte zu nehmen durchgehend die Gasmaske aufsetzen. Entsprechend nahmen Ausfälle wegen Hitzeerschöpfung drastisch zu, aber es war anders nicht mehr machbar. Auch der Anblick der extrem verwesenden Matschleichen welche von Würmern und Insekten wimmelten war psychisch extrem belastend.

Es ist daher durchaus eine wirklich herausragende Leistung der Australier gewesen, sich in diesem Gelände und gegenüber einem derartigen Feind durchsetzen zu können. Auch wenn es nicht die australishcen Thermophylen waren, wie das die ANAZAC Legende heute will, und die Japaner in Wahrheit zahlenmässig unterlegen und von der Logistik her eigentlich gar nicht in der Lage die geplante Operation auszuführen, so ist die schier unfassbare Leistung der Australier dadurch keineswegs geschmälert und man kann davon ausgehen, dass andere Nationen hier aufgrund der Umstände gescheitert wären. Wie die Japaner überhaupt in diesem Gelände anfangs erfolgreich vorgehen konnten entzieht sich im weiteren jedem normalen kriegswissenschaftlichen Verständnis. Das ging halt nur durch die absolute und völige Missachtung von Leben in der kaiserlich japanischen Armee. Es gab da aber noch einen interessanten Spruch unter den japanischen Soldaten welcher meiner Meinung nach bezeichnend ist:

Malaysia war Krieg, Burma war die Hölle, aber niemand kehrt zurück aus Neu-Guinea.
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#12
Wie konnten wir bisher den Film dazu vergessen:

https://www.youtube.com/watch?v=LxFzd7GJKHo

Obwohl ich gestehen muss, dass ich ausgerechnet diesen Film noch nicht gesehen habe, was ich jetzt als nächstes gerade nachholen werde.
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#13
Zitat:Aus der Lockerheit unserer bisherigen Ausführungen kommt vielleicht nicht ganz heraus, wie unfassbar hart der Kampf spezifisch während dieser Kampagne war. Das Gelände wird von Militärhistorikern als das schwierigste, in jedem Fall eines der schwierigsten der Kriegsgeschichte angsehen.
Das hatte ich im Grunde auch so gesehen und auch nie als vernachlässigbar ansehen wollen, siehe auch meine Eingangsformulierungen. Das Terrain an sich war eines, dass sich vom Menschenverstand her der Kriegsführung eigentlich entziehen müsste. Grob kann man wohl davon ausgehen, dass 50-70% der Verluste durch das Land selbst - Topographie, Krankheiten, Klima etc. - und nicht durch den Gegner verursacht wurden. Ich habe mir dahingehend auch die Übersicht der australischen Verluste angeschaut, die aufgetreten sind nach der Landung bei Aitape 1944 - von dort stieß man in Richtung Südosten vor (gen Wewak) zwecks Zerschlagung der japanischen Restgarnisonen -, insg. rund 1.700 "Kampfverluste". Ggü. rund 13.000 japanischen "Kampfverlusten". Das liest sich erstmal krass, solche Unterschiede gab es nicht mal auf Okinawa oder Peleliu. Aber die Australier meldeten auch 16.000 Mann als "sick", d. h. krank, Fieber, am Ende. Hochgerechnet waren sich die Verluste also gar nicht so unähnlich, wobei bei den Japanern eben mehr verhungert sind, weil der Nachschub faktisch nicht mehr existent war. Interessant ist aber eben, dass die Ausfälle der Australier, die über eine im Vgl. wesentlich bessere Nachschublage verfügten, nicht so extrem abwichen...

Abgesehen davon: Dass die Japaner teils eine desolate Nachschublogistik hatten, steht außer Frage. Aber ich bin über eine interessante Formulierung gestolpert: "Es war Ziel und Zweck, dass japanische Führungsoffiziere den Nachschubbedarf kleinrechneten, um so mit einem vergleichsweise geringen Nachschubaufwand ein größtmögliches Ziel zu erreichen suchten." Heißt: Man meldet nach "oben", dass man nur z. B. 50% von dem Gedöns braucht, was man brauchen würde, um ein Ziel zu erreichen, um danach feststellen zu können - wenn man denn siegt -, man habe alleine aufgrund des eigenen "Genies" diese Vorabeinschätzung so getroffen. Sprich: Manche japanischen Offiziere hätten (teilweise, nicht immer) sogar mehr haben können, lehnten es aber ab, da sie es als ruhmvoll ansahen, wenn man mit weniger mehr erreicht.

Das ist eine Rechnung, die ich nie aufstellen sollte - egal nun, in welchem Terrain ich kämpfen muss -, und wenn ich gegen die stärkste Industriemacht der Welt antrete, so ist sie doppelt befangen.

Schneemann
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#14
Das ist tatsächlich eine dieser typischen Absonderlichkeiten in der kaiserlich japanischen Armee gewesen und bezog sich nicht nur auf den Nachschub. Man hatte oft sehr gute Aufklärungsergebnisse, wusste im Prinzip also was auf einen zukommt, und zog daraus trotzdem völlig haarsträubende Schlußfolgerungen. Beispielsweise wusste man erstaunlich exakt über die feindliche Stärke Bescheid, stellte fest das man weit überlegen war, lehnte aber verfügbare Verstärkungen ab und entschied sich für eine aus unserer Sicht vollkommen irrsinnige Offensivtaktik. Das war ein Ausfluss der militärischen Kultur und auch der Doktrin in der japanischen Armee und meiner Meinung nach ein Erbe falscher Schlußfolgerungen aus dem Russisch-Japanischen Krieg. Man hatte dort "gelernt", dass der freiwillige Verzicht vor Ort auf taktischer oder gar auf operativer Ebene wesentlich war für den Erfolg auf der nächsthöheren Ebene bis auf die strategische Ebene hinauf.

Die Idee dahinter war also, dass der Versuch mit weniger mehr zu erreichen an anderer Stelle Kräfte freisetzt und man insgesamt so mehr erreichen kann. Wenn ich also an Ort A auf Versorgung verzichte, an Ort B auf Verstärkung, steht beides für Ort C zur Verfügung und kann dort eine weitere Baustelle betrieben werden. Diese grundsätzlich nicht falsche Idee selbst vor Ort mit möglichst wenig auszukommen wurde dann ins Extrem übertrieben, dies wiederum aus der Einschätzung heraus (ebenfalls ein Erbe des Russisch-Japanischen Krieges) dass man absolut jede Situation zu einem Sieg wenden kann, und jede Niederlage nur ganz knapp von einem Sieg entfernt ist und nur ein kleines - geringes bißchen mehr an Willen reicht den Sieg selbst dann noch zu erzwingen. Man ging in der japanischen Armee davon aus, dass Sieg und Niederlage in jedem Kampf direkt nebeneinander liegen und jede Niederlage mit ganz geringen Änderungen auch ein Sieg sein kann und umgekehrt.

Dazu kam noch der immense Einfluss der Reformen von Araki Sadao in der Vorkriegszeit. Dieser veränderte die Doktrin und die ganze militärische Kultur sehr viel weitergehend als dies meist verstanden wird. Beispielsweise führten die japanischen Offiziere vorher gar nicht die bekannten "Katana" Schwerter (eigentlich Shin-Guntō), sondern einen de facto europäischen einhändigen Militärsäbel (Kyū-Guntō). Im Rahmen der Wiedererweckung des nationalen japanischen Geistes in der Armee wurde die traditionellere Form eingeführt. Das ist jetzt nur ein Beispiel, ein einziger Aspekt, aber das greift sehr gut auf, worauf man damit hinaus wollte. Man führte in der kaiserlich japanischen Armee künstlich von oben eine scheinbare "Rückbesinnung" auf vermeintliche japanische Samuraiwerte und ein Kriegerideal ein, welches dem der Samurai entsprechen sollte, obwohl es von diesen in vielem deutlich abwich. Die Idee dahinter war Schwächen im technologischen und materiellen Bereich durch ideelle Werte auszugleichen und dadurch die Kampfkraft erheblich zu steigern. Die Rechnung ging prinzipiell auch auf, hatte aber schwerwiegende "Nebenwirkungen". Auch diese Überbetonung des Willens und Ideeller Werte vor Technologie und Materieller Ausstattung ist ein direktes Erbe des russisch-japanischen Krieges und der Idee vom japanischen Kämpfer mit seinem Bajonett als lebender Kugel.

Man wandte sich also de facto bewusst von der Idee eines professionellen modernen Soldaten ab und erschuf im Endeffekt eine neue Art von Kriegertum, um dadurch die Kampfkraft der Armee zu steigern. Dies führte dann rasch zu Exzessen, wie auch dem beschriebenen Umstand vor Ort auf notwendiges zu verzichten obwohl es verfügbar gewesen wäre um dadurch (das eigene Opfer) die Lage insgesamt zu stärken (und dies selbst dort wo das erkennbar Unsinn war). (Vergleichbar dem Trinkwasser sparen in Deutschland weil weltweit in vielen Ländern Trinkwasser knapp wird).

Das hatte also nicht so sehr mit dem eigenen Ruhm zu tun, sondern mit Exzessen einer aus dem Ruder laufenden Kriegerkultur, welche aber (was ich eben daran am interessantesten finde) künstlich von oben implementiert wurde. Die Idee dahinter war wie schon beschrieben auch eine Art "Making yesterday perfect". Daher ist es schon eine Ironie, dass die ganzen hochspezialisierten Anpassungen für einen Krieg gegen Russland in den Weiten der Mandschurei sich dann vor allem im Dschungelkampf im Pazifikraum und in Südasien so bewährten, denn dafür waren sie nie gedacht gewesen.
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#15
In dem Zusammenhang bin ich auf Statements des japanischen Generals Matsuichi Ino gestoßen. Er sagte, dass in der Denke der japanischen Führung es einfach nicht sein durfte, dass die Amerikaner die japanischen Basen quasi "umschifften" und dann abschnitten durch umfassende Landemanöver, da dies der eigenen Taktik (und dem, so nenne ich es mal, "ehrenhaften Denken") zuwider lief. Das war also teils ein Nicht-Wahrhaben-Wollen, ein Ignorieren von Umständen, was natürlich dazu beitrug, dass man dann auch keine wirklich Gegentaktik versuchte aufzubauen. Und irgendwann war die Verbindungs- und Kriegslage so mies, dass man abgeschnittene Basen einfach abschrieb.

(Interessant hierbei ist, dass die Japaner diese kleine Art des "Froschhüpfens", d. h. das auf das Umfassen zielende Anlanden, auf den Philippinen, in Malaysia und auf den Molukken 1941/42 auch praktizierten, das hat man dann aber später wohl nicht mehr so ganz in Erinnerung gehabt/haben wollen, als die Alliierten mit entsprechender Materiallage zum Gegenschlag ausholten.)

Bzgl. des russischen-japanischen Krieges: Es war quasi der letzte große Krieg, den man selbstständig gewann. Und das war dem Umstand geschuldet, dass man in der Tat eine sehr gute Führung (zumindest der Flotte) und einen hervorragenden Ausbildungsstand hatte, während das Zarenreich nicht nur unter Moral-Problemen, sondern auch unter der Distanz litt (die Versorgung nach Fernost war nur über eine einzige Eisenbahntrasse bzw. auf dem Seeweg möglich). Dies führte dazu, dass eine gewisse Glorifizierung Einzug hielt und alles, was diesen Krieg ausmachte, sehr idealisiert wurde. Indessen gab es schon Warnzeichen, die Anlass zur Vorsicht hätten sein müssen, besonders wenn man sich die ungewöhnlich hohen Verluste vor Port Arthur und Mukden anschaut, wo man rücksichtlos angriff, trotz Winter und Krankheiten. Gegen einen schlecht versorgten und angeknacksten Gegner hat dies noch geklappt, aber gegen einen entschlossenen, moralisch stabilen und hervorragend ausgestatteten Gegner geht die Rechnung eben nicht auf...

Schneemann
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