Krieg im 21. Jahrhundert
#46
(03.12.2021, 19:10)Quintus Fabius schrieb: Und was schrieb ich ausdrücklich?

Dass Komplexität und Gewicht sich nicht nur linear mit den Kosten entwickeln. Deshalb habe ich es ja korrigiert, die Komplexität ist das Problem, nicht das Gewicht als solches (irgendwann natürlich schon, aber wir sprechen hier ja eben nicht von schweren gepanzerten Einheiten).

Zitat:Wo keine Elektronik ist, wo es im Fahrzeug keinerlei Mikrochips gibt, keine elektrischen Fensterheber, keine Steuerung des Motors durch einen Bordcomputer, überhaupt keinen Rechner im Fahrzeug, kein Navi, keine interne Elektrik usw usf sinkt nicht nur das Gewicht ab, es sinkt auch auf der Stelle der Preis drastisch ab und solche Fahrzeug sind ab einem gewissen Grad der Vereinfachung beispielsweise nicht mehr elektronisch lahmlegbar.

Das sind die Vorteile, die Nachteile sind aber ein drastischer Leistungsverlust und damit Einschränkungen insbesondere auch im Bereich der genannten Kernfähigkeiten, etwa was Mobilität angeht. Jetzt nicht wegen elektrischer Fensterheber, aber insbesondere wegen der Motorsteuerung. Die sinnvollste Lösung ist daher eben nicht die radikale Abkehr von jeglicher Elektronik im Fahrzeugbereich, sondern bei betriebsrelevanten Komponenten die Reduktion auf ein sinnvolles Minimum, dass dann gegen äußere Einflüsse gehärtet wird.

Zitat:Ich hab sogar zwei, da ich mir vor kurzem mehr oder weniger aus Spaß einen Dacia Duster Pickup gekauft habe. Leicht, kompakt, viel kleiner von den Abmessungen her als das was andere Hersteller heute als Pickup verkaufen und viel leichter.

Den normalen Duster habe ich schon etliche Male durchs Gelände bewegt, das ist ein erstaunlich gutes Fahrzeug dafür, deutlich besser als die ganzen kleinen "Möchtegerns". Von der Pick-Up-Version wusste ich bis gerade gar nichts, dass sie Spaß macht kann ich mir vorstellen, einen Krieg gewinnst du damit aber nicht. Wink

Zitat:Man baut immer pompösere Karrosserien, man baut immer größere schwerere Motoren ein und das Gewicht dieser Fahrzeug wird irrsinnig hoch, statt dass man genau den umgekehrten Weg geht, dass Gewicht senkt, die Karrosserie vereinfacht und verkleinert (man könnte hier vieles durch sehr viel leichtere Bauteile ersetzen) und so das Verhältnis von Motorleistung zu Gewicht des Fahrzeuges drastisch verschiebt.

Man baut vor allem, was der Markt in der Mehrheit verlangt. Randanforderungen fallen da häufig unter den Tisch. Mir gefallen viele der Entwicklungen auch nicht, andere sind hingegen absolut nachvollziehbar, etwa wenn es um die immer weitergehende Integration von Sicherheitstechnik geht. Letztlich zeigst du damit aber auf, warum ich ein Problem mit der Nutzung zivile Basisfahrzeuge habe: die Anforderungen sind unterschiedlich und sie entwickeln sich auch nicht in die gleichen Richtungen.

Zitat:Mir schwebt da durchaus vor, einen ganz neuen Typ von Pick Up bauen zu lassen, drastisch extremst technisch vereinfacht, mit extrem niedrigem Gewicht bei hoher Motorleistung.

Das wird aber schwierig, weil niedriges Gewicht und hohe Leistung ohne Einsatz von Elektronik und trotzdem Robust im Bereich der Motortechnik nicht funktioniert. Ein solches Modell wird immer mit einem geringen Leistungsgewicht antriebsseitig zu kämpfen haben, und muss das durch eine entsprechende Konstruktion kompensieren. Dabei gilt aber, wenn es technisch einfach sein soll, bedeutet Robust auch Gewicht. Und daraus wird dann eben der Teufelskreis.
Was dann tatsächlich realistisch möglich ist sieht man an Fahrzeugen wie dem LL UTV oder eben dem kommenden Serval-Ersatz von Defenture (der auf GRF 5.12 Plattform aufbauen wird).

Zitat:Nur weil aktuelle Pickups konzeptionell nichts taugen bedeutet dass nicht, dass das Konzept des Pickups nichts taugen würde.

Die Situation kenne ich zur Genüge, aber: dein Dacia hat eine Zuladung von 450 kg, reize das mal aus und fahre dann über die Wiese. Dir wird es genauso ergeben wie dem Dodge Ram. Und dieses Gewicht wäre nicht mal so unrealistisch, zwei voll ausgerüstete Soldaten und eine etwas schwerere Waffeninstallation mit ausreichend Munition, das geht relativ schnell.
Mit keinem Wort sage ich, dass diese Fahrzeuge nichts taugen, und natürlich ließen sie sich noch weiter optimieren. Das machen ja Spezialanbieter für Fahrzeugtechnik, häufig dann insbesondere auch für Sicherheitskräfte und Militär. Aber der Sprung hin zu den kleinsten Kategorien dedizierter Geländeexperten ist da durchaus nochmal ein größerer.
Um das ganze mal zu verdeutlichen, schau dir einfach die Unimog-Entwicklung an, insbesondere die Entwicklung der verschiedenen Leistungsdaten und der Geländebefähigung. So viel Spaß auch ein älterer 411er oder 404er macht, als Hobbyschrauber, die Leistungsdaten sind ernüchternd.

Zitat:Der Trend geht zwar dahin, aber am Ende der automatisierten Auswertung sitzen immer noch Menschen die dann Entscheidungen treffen.

Das ist schon heute nicht mehr zwingend. Automatische Zielpriorisierungen bis hin zum Waffeneinsatz sind weder neu noch exotisch, sondern im Gegenteil seit Jahren und in einfacher Form Jahrzehnten im praktischen Einsatz, wenn es um die individuellen Systeme geht. Bei Führungssystemen ist diese Entwicklung verzögert (aufgrund der höheren Komplexität), mit der Digitalisierung aber auch schnell fortschreitend. Kurz gesagt, ich wage es zu bezweifeln, dass mit der Taktik abseits des ersten Moments tatsächlich eine Überreizung der Aufklärung erzielt werden kann.

Zitat:Meine These dazu ist: Der Luftraum MUSS beherrscht werden, und im ungünstigsten Fall MUSS er zumindest umkämpft sein. Und dies gilt in jedem Fall, völlig gleich was für eine Armee man andenkt.

Bin ich völlig bei dir.

Zitat:Deshalb verblüfft es mich geradezu dass ich hier anscheinend der einzige bin (und das als Infanterist) welcher dem Bereich Luft das Primat zusprechen würde und hier seinen Schwerpunkt setzen würde.

Ich vertrete diese Ansicht hier im Forum seit über 20 Jahren, mich wundert, dass dir das nicht aufgefallen ist. Wink

Zitat:Dass der Gegner sich auf so etwas mit der Zeit einstellen wird ist absolut sicher. Das spielt aber für die von mir hier vorgestellte These überhaupt keine Rolle. Das war schon die ganze Kriegsgeschichte immer so und ist an sich überhaupt kein Gegenargument.

Doch, ist es, nämlich genau in der Form, wie ich es hier angebracht habe, in der Kombination aus Defensive und Vereinfachung, mit dem Augenmerk darauf, dass mit entsprechenden Gegenstrukturen sehr einfach die kurzfristigen Vorteile in langfristige Nachteile umgewandelt werden könnten, während ein Ausweg aus der Vereinfachung sehr viel mehr Aufwand erfordern würde.

Zitat:Vielleicht ist das bei meinen Ausführungen bis dato nicht so heraus gekommen, aber so eine Duro / Technical Armee wäre im konventionellen Krieg grundsätzlich vor allem in der Defensive überlegen

Kurzfristig und meines Erachtens ohne Aussicht auf Langfristigkeit, weil die radikale Konzentration auf Quantität ohne Berücksichtigung einer fortschreitenden Qualität abseits dieser Einfachheit eine extreme Verwundbarkeit bedeutet, sofern es dem Gegner gelingt, das "System" zu knacken. Und die Ansätze dafür, dass das gelingt, sind heute bereits gelegt.

Zitat:Spezifisch aber auf die Luftraumverteidigung ist das grundsätzliche Problem der Gegenwart (Drohnenschwärme et al), dass man für eine erfolgreiche Beherrschung des Wirkungsbereich Luft eine sehr hohe Quantität benötigt.

Genau genommen braucht es Quantität und Qualität, in welchem Verhältnis hängt von der tatsächlichen Bedrohung ab, und die ist aktuell ja keineswegs klar erkennbar. Grundsätzlich ist es zu bevorzugen, wenn die Waffenträger so günstig sind wie möglich, vor allem aber müssen die Waffen und die Sensoren so günstig sein wie möglich. Das ist aber auch nichts neues, gleichwohl schwer umsetzbar, wie du ja selbst erwähnst. Und das insbesondere, wenn man eben nicht davon ausgeht, dass die Bedrohung keinen großen Wert auf Qualität setzt. Das macht die Gesamtlage so problematisch.

Zitat:Und selbst wenn das Zahlenverhältnis wie du es postulierst nur 1:4 wäre (was ich sehr stark bezweifle), selbst dann wären es 4 mal so viele Systeme und exakt dass ist es was wir brauchen und nicht haben.

Das Problem ist halt immer, dass die weitergehenden Betriebskosten kaum eine entsprechende Berücksichtigung finden. Wie teuer etwa ist die Betriebsstunde inklusive aller Kosten eines Boxer im Vergleich zu einem Dingo? Wir hatten dieses Zahlenproblem schon bei den Luftfahrzeugen, hier unterscheidet es sich nicht grundlegend. Wie teuer ist eine Waffenstation in Anschaffung und Wartung, wie wirken sich die Kosten von Munition und Personal zur Bedienung aus? Die Fragen sind ernst gemeint, ich finde dazu nichts, und was ich technisch herleiten kann vereinfacht die Betrachtung nicht gerade.
Wenn es um die Grundkosten geht, kann ich mir gut vorstellen, dass 1:4 tatsächlich unrealistisch ist. Aber die Grundkosten sind doch nur ein kleiner Faktor, wie sieht es mit den tatsächlichen Gesamtkosten aus. Und für welche Einsatzszenarios gilt das, denn wenn die gar keine Berücksichtigung finden, dann ist der Vergleich meines Erachtens eh für die Katz.

Zitat:Beschließend möchte ich fragen, ob wir die nun laufende Diskussion nicht in den Strang Kriegsführung im 21 Jahrhundert verlegen wollen, da sie sich doch recht weit von der Bundeswehr an sich entfernt hat.

Das kannst du gern machen. Smile
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