Der Zweite Burenkrieg
#15
@ Pogu

Zitat: Eine weitere Besonderheit im Burenkrieg (hierin braucht es auch keine Unterscheidung zwischen dem ersten und dem zweiten Burenkrieg) ist die burische Militärkultur.

Der Begriff Militärkultur sollte vielleicht vorher definiert werden. Ich zitiere hierzu Oberst dG MMag. DDr. Andreas W. Stupka vom österreichischen Bundesheer:

Ausgehend vom Kulturbegriff im Allgemeinen und dessen besonderer Ausformung zur Erhaltung ihres Bestandes im Rahmen des Staates wird festgestellt, dass es durch den Einfluss der räumlichen und zeitlichen Dimension auf das menschliche Schaffen zwangsläufig immer gleichzeitig mehrere Kulturen geben muss. In dieser Folge existieren auch die Staaten als individuelle Elemente nebeneinander. Zwar gibt es allgemeingültige Prinzipien, die allen Staatswesen gemein sind, jeder prägt diese aber für sich anders aus. Da Militär ausschließlich im Rahmen von Staaten existent ist, wird auch dieses durch die jeweilige Kultur entsprechend geprägt, woraus sich die unterschiedlichen Militärkulturen ableiten lassen. Die einzigartige Beziehung zwischen Staatsführung und Militär bedingt ein besonderes Vertrauensverhältnis, das durch die Begrifflichkeit der Disziplin, in ihren beiden Erscheinungsformen: der Treue und dem Gehorsam, manifest wird. Die Disziplin bezeichnet das Wesen der Militärkultur und wird dadurch zum allgemeinen Prinzip einerseits und zur besonderen Ausprägung militärischen Wirkens andererseits.

Die Bureneinheiten waren ja prinzipiell Freiwilligeneiheiten. Dabei schlossen sich Buren nach Gutdünken, oder besser gesagt nach Vertrauen in die militärischen Fähigkeiten, jeweils einem Anführer an, welcher auf diese Weise eine Großkompanie oder ein Minibataillon, je nach Ansicht, um sich scharte und anführte. Damit nicht genug, stand es dem Buren auch frei diese Einheit wieder zu verlassen und sich eventuell einer anderen, eventuell fähigeren, Einheit anzuschließen. Sie wählten ihre Offiziere. Und sie wählten ihre Anführer aus ihrer Mitte heraus. Das gibt es in Kriegerkulturen, nicht aber in militärischen Organisationen. Dennoch waren die Buren keine Krieger, sondern militärisch organisierte Bauern, Handwerker, Krämer, Lehrer ... also Zivilisten.

Unteroffizier und Offizier war eine militärische Rolle, nicht ein dünkelhafter Stand. Der burische Unteroffizier und der burische Offizier musste sich die Folgebereitschaft direkt bei den zu führenden Männern verdienen. Wenn Buren stürmten, dann aus voller Überzeugung heraus und nicht, weil sie da "hineingeschickt" werden.

Das führt zu interessanten Folgen. Beispielsweise die Gliederung. Während britische Gliederung, Aufbau und Rangstruktur definitiv NICHT militärischen Prinzipien geschuldet ist (das gilt bis heute und das gilt auch für die meisten Armeen), ergab sich burische Gliederung, Aufbau und Rangstruktur aus Vorgaben der Effizienz und Robustheit.

Jahrzehnte vorher schon wurden die britischen Streitkräfte nach parteipolitischen und betriebswirtschaftlichen, und damit unmilitärischen Maßstäben ausgerichtet. Hier eine wortwörtliche Mitschrift vom Unterhaus aus dem Jahr 1820 - haarsträubend und so modern:

https://hansard.parliament.uk

Die Buren hingegen hatten eine weniger detaillierte Rangstruktur und eine viel flexiblere Gliederung. Sie hatten keine Scheu viele Untereinheiten (bis zu zehn Züge) zu führen und noch den kleinsten Unterführer in taktische Abwägungen miteinzubinden. Das ist in heutigen Streitkräften mit deren ausgelaugter Monokultur freilich fast nicht zu greifen.

Laut Guinness-Buch der Rekorde verschafften die "wilden" Buren Großbritannien den teuersten Krieg außerhalb der beiden Weltkriege.


Die Buren waren eine Kriegerkultur, d.h es gab eine weitgehende Überschneidung zwischen Zivilbevölkerung und dem im Kriegszeiten zu mobilisierenden Heer. Gemessen an der Gesamtbevölkerung konnte man daher enorme Mannzahlen ins Feld führen. Die besondere Tauglichkeit und Organisation ergibt sich wiederum (für den Ersten Burenkrieg noch mehr als für den Zweiten) aus den besonderen religiösen (reformierte Kirche, sehr dezentral aber vergleichsweise Bildungsbewusst) und sozioökonomischen (viele selbstständige Farmer, d.h. enormes militärrelevantes Vorwissen) Umstände der burischen Staaten. Zudem lebten sie auch noch als Grenzkrieger, d.h. sie waren es aus der Tradition der Vortrekker her gewohnt, mobil zu sein und grundsätzlich in eine ihnen feindlich gesonnene Umwelt vorzustoßen.
Die britische Heeresorganisation würde ich allerdings keinesfalls so kritisch sehen. Großbritannien ist (und war damals noch stärker) nun einmal eine Klassengesellschaft. Offiziere kamen zumeist aus traditionellen Offiziersfamilien, die oft schon seit Generationen in ein und demselben Regiment dienten. Als Beispiel für die soziokulturelle Kluft zwischen Mannschaften und Offizieren: Man konnte Offiziere in der Regel am Akzent der Privatschulen erkennen - sowie daran, dass sie im Feld nicht unbedingt Uniform trugen. Was sich wie ein militärischer Nachteil anhört, war aber auch durchaus von Vorteil. Bildung und Herkunft vereinfachten z.B. die Kommunikation mit der aus der gleichen Schicht stammenden Beamtenschaft deutlich. Zudem wäre eine höhere soziale Mobilität den britischen Streitkräften nicht unbedingt nur gut bekommen. Noch in den 1870ern konnten 90 % der britischen Mannschaften nicht richtig lesen und schreiben, schließlich wurde die Schulpflicht erst 1880 eingeführt. Da werden etliche militärische Naturtalente schon daran gescheitert sein, auch nur in den Unteroffiziersstand aufzurücken, weil sie schlichtweg mit den einfachsten Verwaltungsdingen im Friedensdienst überfordert gewesen wären.
1871 wurde mit der Abschaffung des Handels mit Offizierspatenten auch eine der größeren Schwächen dieses Systems beseitigt.
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Der Zweite Burenkrieg - von Quintus Fabius - 09.01.2021, 23:54
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