(Zweiter Weltkrieg) Imperiale Japanische Armee
#19
Der Aufwuchs

Im Mai 1878 wurde der aus den Reihen der Shimazu stammende Innenminister Okuba, zu diesem Zeitpunkt der mächtigste Mann Japans, auf offener Straße in Tokyo ermordet. Er war ein entschiedener Gegner einer sofortigen Ausweitung der Streitkräfte gewesen, da er der Überzeugung war, dass dafür die wirtschaftliche und finanzielle Kraft Japans noch unzureichend war. Stattdessen war es Okubas Plan gewesen, zuerst die Wirtschaftskraft Japans zu entwickeln. Die Mörder hatten jedoch gänzlich andere Motive - sie wollten sich nur für Saigos Tod rächen. Die Satsuma Rebellion hatte den Staat jedoch so viel Geld gekostet, dass eine Vergrößerung der Armee de facto tatsächlich nicht möglich war. Eine Kürzung des Sold um 5% noch im gleichen Jahr zur Refinanzierung weiterer Waffenkäufe führte dann auch umgehend zu Unruhen innerhalb der Armee und der verarmten Landbevölkerung. Schließlich musste sogar der Wehretat vorübergehend gekürzt werden, was ebenfalls zu Gewalttaten und Empörungen durch Angehörige der IJA gegen ihre Offiziere oder Regierungsbeamte führte.

Diese Ereignisse beunruhigten Yamagata zutiefst. Er kam noch mehr zu der Überzeugung, dass dringend eine neue eigene Militärkultur erforderlich war, um die Soldaten auf den Staat einzuschwören und Aufstände und Gewalttaten von Soldaten gegen die neue Regierung nachhaltig zu unterbinden. Er verfasste daher eine eigene und komplett neue Militärkultur, deren primärer Inhalt absoluter Gehorsam der Mannschaften gegenüber den Offizieren, und der Offiziere gegenüber der Armeeführung war. Zu diesem Zweck wurde eine neue Ideologie in der Armee eingeführt, welche die traditionellen japanischen Familienstrukturen auf den Staat übertrug, mit dem Kaiser als Vater und Oberhaupt der "Familie", also der Armee.

Zum ersten Mal verwendete Yamagata das Wort Bushido, dass früher in Japan gerade eben keine so große Bedeutung gehabt hatte im Vergleich zu der Bedeutung, welche der Begriff für die IJA erlangen sollte. Yamagata bediente sich bei seiner Doktrin bestimmter Schriften der Meiji Zeit, die zur Zeit der Samurai keine große Verbreitung oder Bedeutung hatten, die aber sinnentstellt oder verfälscht durch Yamagata für die Formulierung seiner neuen Doktrin verwendet wurden.

Die nächste Maßnahme Yamagatas zielte auf die Entschärfung des Samurai Problems. Zum einen setzte er alle Mittel dafür ein, dass die Armee trotz der massiven Finanzprobleme des Landes drastisch vergrößert wurde. Mit der erheblichen Vergrößerung der Armee, wurden mehr und mehr Ex-Samurai als Unteroffiziere und Offiziere in die Reihen der Armee übernommen. Diese Vergrößerung war aber eigentlich nicht finanzierbar. Der Wehretat stieg in der Folge von 15% des Staatshaushaltes auf nicht weniger als 31% an, was zu erheblichen Problemen in allen anderen Bereichen der Staatsführung führte. Yamagato gelang es allerdings, dies durchzusetzen, weil innerhalb der japanischen Oberschicht die Modernisierung der chinesischen Streitkräfte und das Vordringen Russlands im Osten erhebliche Sorgen ausgelöst hatte und die japanische Führung zu der Auffassung gelangte, dass andere Staaten Armeen völlig unabhängig von der Finanz- und Wirtschaftskraft der jeweiligen Länder aufstellen würden. Aufgrund der massiven Finanzierungsprobleme kam es im ganzen Land zu privaten Spendenaktionen, die mit einer erheblichen Spende des Kaisers an die Armee begonnen wurden. Die japanischen Eliten stellten aus ihrem Privatvermögen für mehrere Jahre erhebliche Summen für den Ausbau der Armee bereit.

Desweiteren förderte Yamagata die Besiedelung Hokkaidos, indem er erhebliche Mengen an Ex-Samurai dorthin als Wehrbauern umsiedeln ließ. Gleichzeitig gelang es ihm damit, einen seinen letzten Konkurrenten innerhalb der Armee, den Kriegshelden Kuroda nach Hokkaido abzuschieben. Jeder Ex-Samurai der sich dazu bereit erklärte Kuroda zu folgen erhielt in Hokkaido Land reichlich Land, dass nach 3 Jahren Bewirtschaftung in sein Eigentum überging.

Der nächste Schritt Yamagatas zielte dann auf die Umstrukturierung der rasant wachsenden Armee mit dem Zweck, diese mobiler zu machen. Bis 1882 war die Armee in 4 Garnisonen eingeteilt, zuzüglich der Kaiserlichen Garde. Die großen Garnisionsverbände waren jedoch zu immobil und deckten daher nicht die gesamte Landesfläche ab. Viele japanische Offiziere gingen daher davon aus, dass eine Landung fremder Mächte in den Lücken zwischen den Garnisonen erfolgen könnte. Daher fasste die Armeeführung 1882 den Plan, die Armee in westliche Divisionen umzustrukurieren. Dazu sollten die bisherigen Garnisonen jeweils zu einer Division werden, und freiwerdende Kräfte die Kader für neue Divisionen bilden. Insgesamt sollten so bald wie möglich 7 aktive Divisionen geschaffen werden. Durch eine Veränderung der Wehrpflicht und einen längeren Verbleib in der Reserve sollte zudem diese erheblich vergrößert werden. Die Armee sollte insgesamt von ungefähr 46 000 Mann auf über 200 000 Mann vergrößert werden. Bei der Umsetzung dieser extrem ehrgeizigen Probleme kam es jedoch zu massiven Schwierigkeiten.

Zunächst einmal widersetzten sich erhebliche Teile der Regierung einem derart drastischen Ausbau, mit dem Argument, dass dieser der Marine zu viele Mittel entziehen würde. Insbesondere die Präsenz der russischen Flotte in Vladivostok und die Modernisierung der chinesischen Flotte führte dazu, dass sich unter Führung des Außenministers Inoue Kaoru eine starke Pro-Marine Fraktion gegen die Armeepläne einsetzte. Die Streitigkeiten zwischen Armee und Marine verhinderten die rasche Umsetzung der Pläne. Aber auch innerhalb der Armee kam es zu erheblichen Verwerfungen. Aufgrund seine Erfahrungen während der Satsuma Rebellion kam Yamagata zu der Schlußfolgerung, dass die bisher verwendete französische Doktrin untauglich sei. Er wollte daher preußische (nicht deutsche (sic)) Militärberater ins Land holen und die Armee nach preußischem Vorbild gestalten. Dem wiedersetzten sich die pro-französischen Kreise innerhalb der Armee, welche unter dem Einfluss der französischen Militärmission für einen Ausbau der Armee nach französischem Vorbild kämpften. Um 1884 herum kam es jedoch im ganzen Land zunehmend zu einer Abkehr vom französischen Vorbild.

Das reichte viel weiter als nur zu den Streitkräften. Beispielsweise wurde das bereits eingeführte französische Schulsystem in dieser Zeit ebenso durch das deutsche ersetzt, der Code Civil durch eine Abschrift des BGB, französische Verwaltungsstrukturen und Wissenschaftler durch deutsche usw. Erst als diese Wende in der gesamten Gesellschaft vorherrschend wurde, gelang es Yamagata auch in der Armee den französischen Einfluss zurück zu drängen und die Armee nach preußischem Vorbild neu zu organisieren.

Yamagata schuf als erstes einen neuen Generalstab der Armee (ohne jede Beteiligung der Marine), der den Aufwuchs der Streitkräfte organisieren sollte. Dieser Generalstab bestand aus zwei Abteilungen, einer sogenannten westlichen- und einer sogenannten östlichen Abteilung, welche jeweils für eine Hälfte Japans und ein bestimmtes angrenzendes Gebiet zuständig waren. Der westlichen Abteilung wurden Korea und China sowie die im Westen Japans geplanten 4 Divisionen zugeteilt. Der östlichen Abteilung Russland, die Mandschurei und 3 Divisionen sowie die Kaiserliche Garde. Yamagata ernannte sich selbst sogleich zum Generalstabschef und unterstellte diesen direkt dem Kaiser. Damit war der Generalstab nicht mehr dem Kriegsministerium unterworfen, sondern nur noch direkt dem Kaiser verantwortlich. In Kriegszeiten hatte dieser offiziell den Oberbefehl, und der Stab sollte dann nur als beratendes Gremium agieren. Tatsächlich erlangte aber Yamagata auf diese Weise den uneingeschränkten Befehl über die Armee, am Kriegsminister vorbei und alleim dem Kaiser verantwortlich.

1886 setzte Yamagata dann endlich die Umwandlung der Garnisionen in Divisionen fort. Dabei schuf er konventionelle westliche Infanteriedivisionen mit je zwei Brigaden zu je 2 Regimentern zu insgesamt 18 500 Mann Kampftruppen. Ein erhebliches Problem stellte der Mangel an Stabsoffizieren dar, dem Yamagata mit der Schaffung einer eigenen Stabsausbildung sowie einer Hochschule für Stabsoffiziere entgegen zu treten suchte. An dieser Hochschule wurde neben Französisch ab 1887 auch Deutsch unterrichtet und die ersten Absolventen wurden nach Deutschland entsandt, um dort den deutschen Generalstab zu studieren. Auch hier versuchte Yamagata gemäß der von ihm geschaffenen Doktrin eine möglichst enge Bindung der Stabsoffiziere an die Person des Kaisers zu gewährleisten. Der Kaiser beschenkte beispielsweise erfolgreiche Absolventen auf Betreiben Yamagatas persönlich und die Top-Absolventen erhielten aus den Händen des Kaisers selbst ein antikes kostbares Schwert.

Desweiteren griff Yamagata die Ideen Omuras auf, die gefallenen Soldaten Japans in einem besonderen Schrein zu ehren und baute daher den Shokonsha Schrein den Omura für die Helden des Boshin Krieges gebaut hatte aus und ließ diesen durch den Kaiser als höchsten Shinto Priester selbst weihen. Der Schrein wurde darauf hin als Yasukuni Schrein bezeichnet und galt im weiteren als zweithöchster Schrein der Shinto Religion in ganz Japan. Das Ereigniss wurde von der Armee in allen Zeitungen über Wochen hinweg ausgebreitet, um die Verbundenheit der Armee mit dem Kaiser darzustellen.

Bis 1891 gelang es Yamagata, die Armee weitgehend aus der Politik Japans heraus zu lösen. Seine Idee einer apolitischen, nur dem Kaiser verpflichteten Armee und seine Ideen von Bushido als neuer Militärkultur dieser Armee setzten sich im Laufe der Jahre durch. Die Reserve stieg innerhalb weniger Jahre auf 240 000 Mann an, und trotz massiver Unruhen im Volk und politischer Verwerfungen erschien die Armee im Gegensatz zur gesamten Gesellschaft extrem geschlossen und als der Ruhepol Japans schlechthin. Damit begann die Armee zugleich eine immer wichtiger werdende stabilisierende Funktion innerhalb der Gesellschaft einzunehmen. Bei einem örtlichen Aufstand von Bauern reichte es beispielsweise schon, dass ein Offizier der IJA vor die Bauern trat und diese im Namen des Kaisers bat, in ihre Höfe zurück zu kehren. Da die Armee sich primär aus der Landbevölkerung rekrutierte, wurde sie zugleich auch zu deren Fürsprecher gegenüber den anderen Machtgruppierungen in Japan und galt im Gegensatz zu allen anderen Gruppen als nicht korrupt und sozial veranlagt.

Trotz der brutalen Disziplin und extrem harten Ausbildung wurde der Wehrdienst zu dieser Zeit von den meisten Rekruten als angenehm und als wunderbare Zeit empfunden. Die absolute Mehrheit der Mannschaften stammte vom Land und die Fron-Arbeit auf den Reisfeldern galt als deutlich härter. Insbesondere die Söhne von Pächtern und Landarbeitern versuchten unter allen Umständen in der Armee längerfristig unterzukommen. Viele Rekruten lernten in der Armee das erste Mal ihren Namen schreiben, und dass moderne Essen und die medizinische Versorgung galten als Wunderwerke. Ein westlicher Ofen der eine der Barracken der Seidan Garnison beheizte, wurde von den ersten Rekruten welche in die Barracke einzogen als beseelter Gegenstand angebetet und vor ihm ein Schrein errichtet. Da die Armeeführung überzeugt war, dass die traditionelle japanische Ernährung der westlichen unterlegen sei, wurden neue Speisen eingeführt was zum Erstaunen aller zu einem drastischen Rückgang der Beriberi Krankheit in den Reihen der Armee führte (eine in Japan damals extrem verbreitete Vitaminmangelkrankheit). Gerade in den Reihen der Unteroffiziere und der unteren Offiziersränge begann sich daher ein Bild der Armee als einzige dem Volk verpflichtete und wirklich soziale Organisation zu bilden, dass sich mit der Zeit dann zu einem Sozialimperialismus weiter entwickeln sollte.

Das Ansehen der Armee in der Landbevölkerung stieg im Laufe dieser Jahre ins grenzenlose. Und die Landbevölkerung stellte immer noch mehr als 50% der Einwohner Japans. Die Armee wurde aufgrund ihres drastischen Aufwuchs zu einem der wichtigsten Arbeitgeber. Die Massen von Arbeitslosen Landarbeitern und verarmten Samurai fanden in ihr eine neue Lebensaufgabe und die technische Modernität der Streitkräfte war ebenso anziehend für die Japaner wie ihre der modernen Technik völlig konträr entgegen gesetzte ultrakonservative Militärkultur. Durch die strikte Übernahme der traditionellen Familienstrukturen auf allen Ebenen der Armee konnten sich die neuen Soldaten besonders leicht in die Hierarchie der Armee einfügen. Viele Wehrpflichtige wollten zum Ende ihrer Dienstzeit die Armee gar nicht mehr verlassen, die Moral der Truppen überstieg jedes bis dahin gekannte Maß.
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