Todesstoß für die NATO ?
#54
Russland ist heute sicherlich nicht der Feind, der die NATO zusammenhält wie zu sowjetischen Zeiten. Meines Erachtens liegt das "Gefährdungspotentials" Russland irgendwo zwischen Quintus und Revans Einschätzung. Liegt natürlich auch nahe so etwas zu schreiben, denn man beruft sich gern auf die Mitte und Quintus und Revans Einschätzungen sind die unterschiedlichen Pole in der Einschätzung. Russlands militärische Stärke sollte man nicht überschätzen und nicht hysterisch werden. Da kann man Quintus fast folgen. Andererseits muss man natürlich sehen, dass Russland den Abstieg der postsowjetischen Zeiten und die Emanzipations- und Abtrennungsbewegungen in seinem alten, nun vergangenen "näheren Ausland" noch nicht verwunden hat. Da schaut man dann auf Revans Position.

Mein Punkt aber ist und war immer, dass es Institutionen, Organisationen gibt, die sich entwickeln, ein Eigenleben bekommen. Es gibt Organisationen, die werden für einen bestimmten Zweck begründet und vergehen mit diesem Zweck. Aber es gibt auch Organisationen, die diese Zwecke überleben und sich weiterentwickeln, neue Zwecke suchen. Dies sieht man bei der NATO. Die NATO ist heute nicht mehr die Organisation von vor 1990 und wird es nie wieder werden. Aber sie ist ein interessantes politisches und sicherheitspolitisches Forum und angesichts vieler diffuser Bedrohungen eine interessante Einrichtung. Das heißt nicht, dass alles "gut" sei, noch dass nichts mehr dabei passieren wird. Aber die NATO drückt aus, dass zwischen dem Atlantik zwei Einheiten, Staaten existieren, die beide auf gleichen Fundamenten beruhen: Auf den Setzungen der Aufklärung und deren Werten. Die sind natürlich nicht deckungsgleich, aber es gibt eine gemeinsame Kultur.
Und nun widerspreche ich Quintus deutlichst. Man muss nicht nur Nasenbärs Kommentar sehen. Man muss noch mehr entgegnen. Russland war immer europäische Peripherie. Europäische Gedanken und Innovationen sickerten meist sehr spät erst nach Russland ein, so dass kulturell-zivilisatorisch Russland relativ weit entfernt liegt von der euroatlantischen Gemeinschaft. Die Grundsätze der urliberalen Aufklärung, der Französischen Revolution und der Amerikanischen Revolution, die in einer diffusen Wirkung allmählich Europa durchdrangen, kamen kaum bis nach Russland - nur eine verzerrte marxistische Version gelangte dann nach Russland. Daher war der Kommunismus auch die erste, wirklich durchgreifende Verwestlichung Russlands, die aber auch scheiterte 1989 (nachdem schon die zaghaften, nur ganz bruchstückweise erfolgenden Veränderungen in der Zarenzeit Rußland wenig veränderten).
Europa dagegen entwickelte sich in weiten Teilen anders als Russland. Und wenn man nach Osteuropa schaut, dann ist russischer Einfluß eben erst mit der Grenzziehung zwischen westlichen Christentum und orthodoxen Christentum deutlich. In Tscheschien, Polen, Ungarn, Litauen sucht man tiefere kulturelle Einflüße Russlands vergebens.
Alles in allem ist die Verbindung der meisten Teile Europas und der meisten "Gruppierungen" stärker über den Atlantik als nach Moskau. Auch wenn man natürlich ganz richtig sagen muss, dass eben auch in den USA und in den Ländern Europas man differenzieren muss. Ein amerikanischer prot. Fundamentalist wird nichts von der Aufklärung halten. Ein deutscher Nationalkonservativer wird wie sein russischer Freund Individualisierung und Freiheit zugunsten der Größe der Nation ablehnen, wohingegen ein franz. oder britischer Patriot die Nation und die persönliche Freiheit nie gegeneinnader abwägen würde.
Bei allen Differenzierungen aber bleibt das Band (geistesgeschichtlich, was die Intensität des Austauschs angeht) in die USA sehr eng, besonders ab dem vergangenen Jahrhundert. Russland dagegen war zwar immer ein Teil Europas, aber immer stark abgegrenzt und dies schon seit Jahrhunderten.
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