Iran
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Iran

Schwermut im Reich der Gläubigen

Im Februar wählen die Iraner ein neues Parlament. Die konservativen Mullahs sind selbstbewusster denn je – weil die Menschen von den Reformern enttäuscht sind


Zitat:Das genau ist das Geheimnis der Herrschenden im heutigen Iran: Es ist fast alles möglich, aber nichts ist sicher. Die Menschen sind vielleicht freier als vor zehn Jahren, aber sie sind immer noch der Willkür unterworfen. Nicht das Gesetz zählt, sondern die Macht. Und die ist unberechenbar. Jederzeit kann sie aus dem Dunkel zuschlagen, Kritiker einsperren, Zeitungen schließen, Oppositionelle drangsalieren. Angst ist das Lebensgefühl von heute, und es bestimmt wohl auch die Politik der Reformer. Taha Haschemi, ein enger Weggefährte des Präsidenten, kann stundenlang über islamische Demokratie dozieren, über den Dialog der Zivilisationen, über Vor- und Nachteile der jeweiligen Systeme. Er kann einen ganz schwindlig reden mit seinem Gewölk aus Worten.

Wenn es aber um die eigentlichen Fragen geht, um die Begrenzung der Rechte des von niemandem gewählten Wächterrates zum Beispiel, wird Haschemi vorsichtig. „Wir dürfen den Gegner nicht provozieren. Wir wollen doch keine Zustände wie in Afghanistan.“ Das klingt weise in einem Land, das viel Gewalt erfahren hat in den vergangenen Jahrzehnten und in dem es Kräfte gibt, die zu allem entschlossen sind. Vielleicht hat Haschemi also Recht, wenn er eine langsame, allmähliche Änderung vorzieht.

Aber wie viel Geduld kann man haben, wenn es keine Gerechtigkeit gibt? An einem kalten, nassen Tag versammeln sich ein paar hundert Menschen auf dem Friedhof Emanzadeh Taher in Karadsch, einer Stadt, nicht weit von Teheran entfernt. Sie erinnern an die Schriftsteller Mohammed Mochtari und Mohammed Dschafar Pudschandeh sowie an das Ehepaar Fruhar. Sie alle waren vor fünf Jahren bestialisch ermordet worden. Bis heute sind die Taten ungesühnt, ja sie sind nicht einmal ordentlich untersucht worden, obwohl die Spuren in die Geheimdienste des Apparates weisen.

Den Trauernden genügen die guten Worte der Reformer nicht mehr. Eine der Teilnehmenden, die ihren Namen nicht nennen will, sagt: „Wissen Sie, dass wir bis heute keine Erlaubnis bekommen, diese Veranstaltung in Teheran abzuhalten? Das ist nur ein Detail, aber es ist unsere Situation.“ Am Rande des Friedhofs stehen die Diener des Regimes bereit. In Zivil gekleidet, lauschen sie ein wenig hier und ein wenig dort, immer bereit, Verdächtiges weiterzumelden an eine höhere Stelle, die es wieder an eine höhere Stelle berichtet, die dann entscheidet, ob Subversion vorliegt oder ein ähnlich lebensgefährlicher Tatbestand, der schnell konstruiert ist in diesem Staat. Wer das nicht glauben will, wird von höchster Stelle belehrt.........
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