Iran
Noch mal spezielle zum Fall Jina Amini: Zweifelsohne ist sie durch Polizeigewalt gestorben. Schläge gegen den Kopf sind einfach immer gefährlich. Solche Fälle gibt es in jedem Land der Welt, auch in Deutschland. Oder noch krassere Fälle bei denen dann in dieser Bundesrepublik in einer Zelle gefesselte lebendig verbrennen.

Der wesentliche Unterschied hier ist also nicht der Tod der jungen Frau durch Polizeigewalt, sondern dass dies eine Initialzündung für die aktuellen Proteste war. Also ein ganz kleiner Tropfen der ein ohnehin längst durch viele andere Faktoren und Umstände übervoll gefülltes Fass zum Überlaufen brachte.

Der Iran hat etliche innere Probleme, teilweise selbst verschuldet, teilweise auch weil er vom Ausland, insbesondere vom Westen seit so langer Zeit angegangen und stranguliert wird.

Meiner Meinung nach ist die wirklich wesentliche Frage im Iran aktuell die soziale Frage. Die Ablehnung der Schurigelei durch die Sittenpolizei ist nur ein Symbol für wesentlich problematischere Entwicklungen, die allgemein zu einer Staatsablehnung führen. Die soziale und wirtschaftliche Situation eines Gros der Bevölkerung hat sich in den letzten Jahren verschlechtert. Die Mittelschicht schrumpft, es gibt zu wenig soziale Mobilität aus der Unterschicht nach oben. DAS sind meiner Überzeugung nach in Wahrheit die wesentlichen Triebfedern der aktuellen Proteste.

Weder die behauptete Einflussnahme aus "dem Ausland" noch die Kopftuchdebatte sind meiner Meinung nach in Wahrheit demgegenüber tatsächlich ausschlaggebend. Das sind nur vorgeschobene Dinge.

Was aktuell meiner Meinung nach auch zu wenig Beachtung findet ist, dass es ja schon 2017 große Proteste gab, und ebenso Anfang 2018 und Ende 2019, die allesamt ebenfalls ganz genau so wie die Proteste jetzt niedergeschlagen wurden. Ironischerweise war bisher meiner Einschätzung nach der einzige iranische Politiker der zumindest versucht hat die soziale Frage anzugehen Ahmadinedschad, der im Westen ja besonders kritisch gesehen wurde.

Dazu kommt dann noch die Korruption und dass sich die iranischen Eliten an den Staatseinnahmen berreichern. Die Einkommensungleichheit und wie diese systemisch entsteht führen zu einem immer größerren Frust in der Bevölkerung. Die Währung wurde stark abgewertet, die Inflation ist immens. Dann noch die Zusatzbelastungen durch die Pandemie die den Iran hart getroffen haben und schließlich zuletzt, aber keineswegs als letztes die US Sanktionen, welche den Iran wirtschaftlich immens schädigen.

Aber selbst wenn diese sich mal vorübergehend nicht negativ ausgewirkt haben, noch bei jeder noch so kleinen und vorübergehenden Erholung profitierten nur die iranischen Eliten, während der Gros der Menschen weiter verarmte. Diese Menschen haben zunehmend nichts mehr zu verlieren. Entsprechend wird es im Iran selbst wenn die aktuellen Proteste komplett scheitern auch in naher Zukunft wieder zu massiven Protesten kommen, immer mehr und immer heftiger, solange die soziale Frage nicht angegangen wird.

Würde die iranische Regierung diese Problematik ernsthaft angehen, würde die Bevölkerung meiner Einschätzung nach auch die religiös begründete Beschneidung ihrer Freiheiten wie den Kopftuchzwang ohne Probleme hinnehmen. So aber fährt die iranische Regierung bzw. die Eliten dort das ganze Land meiner Meinung nach gegen die Wand.

Wer übrigens die aktuell gemeldeten Zahlen an Toten für ach so fürchterlich erklärt: bei den Protesten 2017 auf 2018 sind im Iran deutlich mehr Menschen ums Leben gekommen, und niemanden im Westen hat es gestört. Dessen ungeachtet ist der Umgang der iranischen Regierung mit diesen Protesten einfach nur inkompetent, aber damit meine ich nicht die Gewaltanwendung, sondern dass man immer noch nicht die eigentliche Kernfrage angeht, nämlich die soziale Frage.

Hier wird die Schuld für eigenes Versagen äußerst bequem immer nur auf die Sanktionen und den Westen abgeschoben. Aber selbst mit diesen Sanktionen und allen Hindernissen die der Iran da hat, hätten die wechselnden Regierungen sehr viel mehr für die Bevölkerung tun können. Sie verwenden das Ausland also nur als Ausrede, um ihre eigenen Pfründe und ihre Korruption damit zu verbergen. Solange sich das nicht substanziell ändert, wird die Islamische Republik meiner Meinung nach auf Dauer scheitern. Was auch für den Westen keineswegs gut ist, eine gepflegte vernünftige und rationale Feindschaft die man mit einem stabilen Iran führen könnte, wäre sehr viel nutzbringender.
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