Libanon
#31
Zitat:TRAUERZUG FÜR HARIRI

Hunderttausende demonstrieren gegen Syrien

Von Lars Langenau

Nach dem Mord an dem Ex-Premier Hariri glauben immer mehr Libanesen, dass die Aufftraggeber des Terroranschlags in Damaskus sitzen. Auch die von einem Christen angeführte libanesische Opposition beschuldigt Syrien als Urheber des Attentats. Der Trauerzug wandelte sich zu einem Protestmarsch.


Hamburg - Der Trauerzug für den Dienstag ermordeten Rafik Hariri wurde heute in Beirut vom Schlagen der Kirchenglocken und von Koranversen aus den Lautsprechern der Moscheen untermalt. Doch die letzte Ehrerbietung für den früheren libanesischen Regierungschef war kein stilles Gedenken. Hunderttausende drängelten sich auf den Straßen der libanesischen Hauptstadt.

Viele Teilnehmer wendeten ihre Trauer in eine Demonstration gegen die syrische Besatzungsmacht. Überall waren Fahnen politischer Parteien und riesige Porträts von Hariri zu sehen. "Nimm Deine Hunde aus Beirut raus", riefen aufgebrachte Einwohner der libanesischen Hauptstadt an die Adresse des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Andere skandierten "Syrien raus!", wieder andere riefen "Gott ist groß" und "Beirut grüßt Hariri".

Der Mord ist bislang ungeklärt. Auch wenn sich eine islamistische Gruppe zu dem Anschlag auf den milliardenschweren Unternehmer und prominenten sunnitischen Politiker bekannt hatte: Hariris Familie und die Opposition verortet die Auftraggeber in Damaskus. Sie lehnte einen einen Staatsakt und eine Beteiligung der pro-syrischen Regierung an der Trauerfeier ab.

Hariri sympathisierte mit der Apo

Obwohl sich Syrien nach dem Mord umgehend um eine scharfe Verurteilung der Tat bemühte, trauen besonders viele Libanesen dem Regime in Damaskus nicht über den Weg. Schließlich wendete sich auch Ex-Premier Hariri, der gut mit Christen, Drusen und Schiiten auskam, zunehmend gegen den Einfluss Syriens auf den Libanon. Erst im Oktober, nach zehnjähriger Amtzeit als Regierungschef, trat er zurück, nachdem er sich einer vom Regime in Damaskus unterstützten Verfassungsänderung entgegengestellt hatte, die seinem Rivalen, dem Syrien-treuen, christlichen Staatspräsident Emilie Lahoud, eine Verlängerung seiner Amtszeit ermöglichte.

Kurz vor seinem Tod sympathisierte Hariri offen mit der außerparlamentarischen Opposition. Ein Affront gegenüber Syrien, das die Anwesenheit seiner Soldaten mit der Gefahr eines neuen Bürgerkriegs in dem Vielvölkerstaat begründet. Möglicherweise war Hariris kurz bevorstehender Auftritt als mächtigster Oppositionspolitiker zugleich sein Todesurteil.

Der Uno-Sonderbeauftragte für den Nahen Osten, Terje Roed-Larsen, warnte Hariri kurz vor dessen Ermordung vor einem Anschlag auf sein Leben. Er habe seine Sorge "ganz klar" zum Ausdruck gebracht, sagte er in einem CNN-Interview. Grund dafür sei Resolution 1559 des Sicherheitsrates, die Syrien zum Abzug seiner rund 13 000 Soldaten und seines Geheimdienstes aus Libanon auffordert. "Resolution 1559 ist heftig umstritten, and es gibt in Libanon wie auch in Syrien ganz kontroverse Meinungen zu ihr."

Treibende Kraft hinter den sich mehrenden antisyrischen Protesten waren bislang Christen, die zwar in die politische Verwaltung des Landes qua Verfassung eingebunden sind, sich aber als ehemalige Machthaber vielfach marginalisiert fühlen. Obwohl die 3,8 Millionen Libanesen auch heute nach konfessionellen Gesichtspunkten regiert werden, die den Christen das höchste Staatsamt zubilligen, verließen die Christen nach dem Bürgerkrieg, der bis 1990 dauerte, zu Tausenden ihre Heimat. Und die christlichen Parlamentsabgeordneten repräsentieren nicht die Meinung der alteingesessenen Christenfamilien, die den Syrern kritisch gegenüber eingestellt sind. Doch es fehlt an politischen Führungsfiguren.

Patriarch Sfeir - der "wahre Oppositionsführer"

Trotzdem oder gerade deshalb suchte Hariri Kontakt zur Opposition, die sich die Unabhängigkeit, Versöhnung unter den Libanesen und Demokratisierung auf die Fahnen geschrieben hat. Nach dem Ort ihrer ersten Zusammenkunft nennt sich die Opposition Kornet Chahwan. Sie steht unter der Patronage des maronitischen Bischofs Nasrallah Sfeir, den der Libanonkenner und Freiburger Politikprofessor Theodor Hanf als "wahren Oppositionsführer" bezeichnet.

Seit ein paar Jahren bemüht sich der maronitische Patriarch Sfeir um einen Ausgleich der Christen mit den Drusen, die sich während des Bürgerkriegs blutige Kämpfe geliefert haben. Das Ziel: den Syrern keine Rechtfertigung mehr zu geben, ihre seit fast 30 Jahren im Libanon stationierten Soldaten noch länger im Zedernland zu lassen. Mittlerweile ist der mächtige Drusenführer und ehemalige Kriegsherr Walid Dschumblat von seinem prosyrischen Kurs abgewichen und hat sich der Opposition angeschlossen. Eine Warnung, wie gefährlich diese neue Rolle für ihn werden kann, hat Dschumblat erst vor ein paar Monaten erhalten: Marwan Hamadi, Dschumblats rechte Hand, der wie Hariri im Oktober aus Protest aus seinem Ministeramt zurücktrat, entging schwer verletzt einem Attentat.

Entscheidung über die Wahlkreise

Wäre zu den Christen und Drusen nun auch noch das politische Schwergewicht der sunnitischen Muslime gestoßen, dann wäre es langsam eng geworden für die syrischen Vasallen in Beirut. Diese Woche sollte im Parlament in Beirut über die Zuschneidung der Wahlkreise für die Parlamentswahl im Mai entscheiden werden. "Sind es große Wahlkreise sind sie in der Regel prosyrisch, sind sie klein, können sich eher die Kandidaten durchsetzen, die sich für die Unabhängigkeit ihres Landes einsetzen", sagt Hanf, der kürzlich von einer Gastprofessur an der Amerikanischen Universität Beirut zurückkehrte. Nach seiner Einschätzung hätte sich - wäre der Mord nicht geschehen - eine Mehrheit für kleiner Wahlkreise gefunden.

Hariris Trauerzug war nicht die erste Kundgebung eines gewachsenen libanesischen Selbstbewusstseins. Im November vergangenen Jahres zogen bereits mehrere tausend Studenten und christliche Aktivisten mit Rufen wie "Syrer raus" durch die Straßen von Beirut. Kurz nach Hariris Tod nahm der Protest sogar gewalttätige Formen an: In der Hafenstadt Sidon gingen Hariri-Anhänger auf syrische Arbeiter los und verletzten fünf leicht.

Unterstützung aus Washington und Paris

Syrien ist den USA seit langem ein Dorn im Auge. Nie akzeptierte Washington die De-Facto-Okkupation des Libanons durch syrische Soldaten, die seit 1976 im Zedernland aktiv sind, 1990 halfen, den blutigen Bürgerkrieg zu beenden, und seither als "Friedensmacht" mit einer Stärke von 14.000 Mann im Nachbarland stationiert sind. Nun zog US-Außenministerin Condoleezza Rice ihre Botschafterin Margaret Scobey aus Beirut ab, weil Syrien auch aus amerikanischer Sicht in den Mord am Ex-Premier verwickelt sein soll - und zudem das Einsickern von Rebellen und den Waffenschmuggel in den Irak nicht unterbindet.

An Hariris Trauerfeier nahm auch der US-Nahost-Gesandte William Burns teil. Im Anschluss forderte er Syrien zum "sofortigen und vollständigen" Abzug seiner Truppen auf. Hariris Tod solle Anstoß dafür sein, einen "freien, unabhängigen und souveränen Libanon" zu erreichen, sagte Burns nach Gesprächen mit Außenminister Mahmud Hammud in Beirut.

Die amerikanische Position bekommt Schützenhilfe aus Paris. Umgehend nach dem Mord an Hariri verlangte Paris eine internationale Untersuchung. Staatspräsident Jacques Chirac erwies Hariri heute in Beirut gar persönlich die letzte Ehre. Er wolle einem Menschen "seine Annerkennung zollen, der stets den libanesischen Willen nach Unabhängigkeit personifiziert" habe, teilte das Büro des französischen Präsidenten mit. Chirac hatte seit Jahren ein enges Verhältnis zu Hariri, der zu den wenigen Politikern gehörte, die ihn stets am Telefon erreichen konnten. Gemeinsam mit den USA hatte Chirac über den Uno-Sicherheitsrat Druck gemacht, um Syrien zum Abzug aus Libanon zu bewegen. Frankreichs Außenminister Michel Barnier forderte Syrien am Abend auf, rasch mit einem Rückzug aus dem Libanon zu beginnen.

In Frankreich lebt auch der ehemalige Kommandant der libanesischen Armee und kurzzeitige Militärmachthaber, General Michel Aoun, im Exil. Und auch der maronitische Christ, den Politikwissenschaftler Hanf als "De Gaulle ohne England", charakterisiert, nennt keinen anderen Täter als auch Washington, Paris und die Demonstranten auf Beiruts Straßen: den großen Bruder in Damaskus.
Quelle: <!-- m --><a class="postlink" href="http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,341993,00.html">http://www.spiegel.de/politik/ausland/0 ... 93,00.html</a><!-- m -->
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