Türkei
Innerhalb der türkischen Opposition hat sich ein Machtwechsel ergeben: Kilicdaroglu, der lange den Vorsitz der CHP innehatte, wurde durch Fraktionschef Özel ersetzt - und er gibt vor, einen eher gemäßigten und sozialdemokratischen, nicht von nationalistisch-radikalen Kreisen durchsetzten Kurs fahren zu wollen. Bei allem medialen Getöse um die Ausfälle von Staatschef Erdogan muss man insofern also auch berücksichtigen, dass innerhalb der Türkei das säkulare Lager äußerst unzufrieden ist und die Macht von Erdogan keine sichere Angelegenheit darstellt.

Und Erdogan balanciert derzeit auf schmalem Grat. Dass er derweilen so aggressiv wirkt - was aber nicht neu ist und was manche Kommentatoren im Westen [bezogen auf seine Verbalinjurien] gerne aufgreifen -, ist einerseits seinem schwindenden innenpolitischen Einfluss geschuldet (die wirtschaftliche Misere ist eben im Alltag der Türken nicht mehr wegzureden), aber auch andererseits seinem faktisch kaum mehr vorhandenen internationalen Gewicht zuzuschreiben. Und hier hat auch der gegenwärtige Gaza-Krieg einen nicht unerheblichen Einfluss.

Im Ukraine-Krieg konnte Erdogan sich noch halbwegs als gefragter Vermittler darstellen und auf außenpolitisches Parkett ablenken, das kam bei den Anhängern durchaus gut an. Wurde doch so der Staatschef als international (noch) einflussreicher und gefragter Politiker angesehen.

Bzgl. Gaza jedoch steht Erdogan allerdings ziemlich alleine und relativ blamiert da - und das ausgerechnet bei einem zutiefst muslimischen Thema (Hamas, Palästinenser, Stichwort: Mavi Marmara), dass ihm und seinen tendenziell palästinenserfreundlichen Anhängern enorm wichtig ist. Aber die Ernüchterung blieb nicht aus: Wenn es wirklich wichtig wird, spricht die Welt derweilen eher mit den Saudis oder pendelt zwischen Kairo und Doha. Umso schriller wird also die Rhetorik in Ankara - und zugleich umso hilfloser.

Und die ansonsten etwas konfuse türkische Opposition erkennt ausnahmsweise einmal die Gunst der Stunde...
Zitat:Özel neuer CHP-Vorsitzender

Opposition in der Türkei stellt sich neu auf

Nach seiner Niederlage gegen den türkischen Präsidenten Erdogan hat Kemal Kilicdaroglu den Vorsitz der CHP verloren. In einer Kampfabstimmung setzte sich Fraktionschef Özel durch, der die Partei neu ausrichten möchte. [...]

Auf einem Parteitag setzte er sich im zweiten Wahlgang mit rund 60 Prozent der Stimmen gegen den bisherigen Amtsinhaber Kemal Kilicdaroglu durch. Die Entscheidung auf dem CHP-Parteitag in Ankara war umkämpft. Im ersten Wahlgang fehlten Özel von den fast 1400 Delegiertenstimmen nur zwei zum Sieg. Die Entscheidung fiel erst in der Nacht.

Özel ist bereits seit Sommer der Vorsitzende der CHP-Fraktion im Nationalparlament. Er gehört zu den so genannten Reformern in seiner Partei. Sie haben seit der Niederlage mit ihrem Kandidaten Kilicdaroglu bei der Präsidentschaftswahl im Mai zunehmend auf einen Wechsel in der CHP gedrängt. [...]

Schon zuvor hatte er die Zusammenarbeit mit teils islamischen und nationalistischen Parteien öffentlich als Fehler bezeichnet. Er möchte die CHP wieder klarer sozialdemokratisch ausrichten.
https://www.tagesschau.de/ausland/asien/...l-100.html

Schneemann
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