08.07.2006, 10:07
Zitat:Sorglos in London - Ein KommentarQuelle: <!-- m --><a class="postlink" href="http://www.sueddeutsche.de/ausland/artikel/116/80036/">http://www.sueddeutsche.de/ausland/artikel/116/80036/</a><!-- m -->
Der Anschlag in London vor einem Jahr hat das Leben der Briten nicht verändert. Die Millionenmetropole hielt erstarrt inne - und kehrte alsgleich zur Tagesordnung zurück. Und die bedeutet: Gleichgültigkeit in der Gesellschaft, Groll bei den Minderheiten.
Von Wolfgang Koydl
Der Terror vom 11. September hat bekanntlich Amerika verändert. Eine weltoffene, tolerante und in gewisser Hinsicht naive Gesellschaft war fast über Nacht vorsichtiger, misstrauischer, ja, letztlich irgendwie europäischer geworden.
Guantanamo und Abu Ghraib sind die Metaphern dieses Amerika, das sich abkapselt und die eigenen Bürger ausschnüffelt.
Vor einem Jahr ereilte der islamistische Terror auch London. 53 Menschen kamen ums Leben und Hunderte wurden verletzt, als vier Attentäter Bomben in U-Bahnen und in einem Bus zündeten.
Die Briten tun, als sei nichts geschehen
Die Millionenmetropole hielt erstarrt inne - und kehrte alsgleich zur Tagesordnung zurück. Der sprichwörtliche Stoizismus der Briten im Angesicht des Terrors nötigte der Welt Respekt ab. Denn anders als Amerika, wo freilich auch die Dimension der Anschläge ungleich größer war, hat der Terror Großbritannien nicht verändert.
(...)
„Ich fühlte mich wie in Pakistan“
Von einem Besuch auf einem fremden Planeten berichtete ein Reporter der Sunday Times, der sich sechs Wochen lang inkognito in Beeston aufgehalten hatte, in dem drei der Attentäter vom 7. Juli groß geworden waren.
„Das war Yorkshire, das Land der breiten Vokale und des warmen Bieres“, schrieb der selbst aus Bangladesch eingewanderte Journalist, „aber ich fühlte mich wie in Pakistan.“ Schlimmer noch: Mehr als jeder zehnte britische Muslim sieht in den Attentätern Märtyrer.
Zugleich warnen Sprecher der Muslimgemeinden immer häufiger vor einer Dämonisierung ihrer Glaubensgenossen, die nur zu einer weiteren Radikalisierung beitrüge. Mehrheitlich wünschen sie sich zwar ein härteres Vorgehen gegen Radikale in ihren eigenen Reihen.
Ob es aber besonders gut angekommen ist, dass Tony Blair die Mainstream-Muslime anraunzte, gefälligst selber einen Beitrag zu leisten, ist zweifelhaft.
Gleichgültigkeit in der Gesellschaft, Groll bei den Minderheiten - so stellt sich Großbritannien ein Jahr nach den Mordanschlägen dar. Die Sicherheitskräfte sind beinahe fahrlässig nervös, weil sie täglich ein neues Attentat befürchten. Dies ist ein ungutes Mischungsverhältnis, wenn man bedenkt, dass London ganz sicher abermals Ziel von Terroristen sein wird.