18.05.2006, 17:31
Hallo,
nun, ich möchte gewiss niemanden in seinem Nationalstolz kränken (wobei ich hier noch eine Trennlinie zwischen durchaus positivem Patriotismus und verleugnendem und hetzendem Nationalismus ziehen möchte). Das habe ich nicht vor und möchte ich auch nicht tun. Nur denke ich, dass man im Rahmen seiner patriotischen Gefühle nicht blind werden sollte, was Kritik angeht.
Was ich damit sagen möchte: Ich empfinde durchaus als Deutscher sowas wie Stolz, wenn ich an 1848 und die Paulskirche, die Phase der Aufklärung, Kant, Hegel, Robert Koch, C. D. Friedrich, etc. oder auch nur an unseren derzeitigen demokratischen Rechtstaat denke, der m. Mn. nach eine der freiheitlichsten und liberalsten Demokratien auf diesem Planeten verkörpert (und für den es sich auch zu kämpfen lohnt). Nur: Ich blende die schlimmen Ereignisse der deutschen Geschichte deshalb nicht aus und/oder leugne bspw. die Verbrechen während der NS-Zeit, die Exzesse während der Hexenverfolgung oder die Massaker während der Kolonialkriege in Deutsch-Südwestafrika.
Und um es in dem Zusammenhang nochmal zu sagen: Ich möchte niemanden kränken, aber genauso wie ich positive Tendenzen in der Türkei lobe, so spreche ich als Geschichtsstudent eben auch negative Ereignisse an. Und ich denke, dass mein vorhergegangener Post in dem Sinne auch nicht beleidigend war, sondern lediglich eine objektive Betrachtung zum Ziel hatte.
Was ich leider aber häufig feststelle, auch gerade, wenn es eben um die Türkei und bspw. das Verbrechen an den Armeniern geht, ist, dass sehr schnell, fast schon reflexhaft, die Faktoren Ehre, überbordender Nationalstolz, ein Alpha-Männchen-Verhalten und beinahe schon Hassgefühle gegenüber dem Kritiker hochkochen und eine normale und gesittete Diskussion sehr, sehr erschweren. Und das ist schade...
@Topic
Noch eine Sache: Ich denke, dass die moderne Türkei heutzutage sehr zwiegespalten ist, zwischen eben der Moderne und der Tradition. Und daran krankt auch die Umsetzung der Vorgaben, die die EU der Türkei gestellt hat für eine Aufnahme. Nur: Ich glaube, dass auch viele Europapolitiker sich der Tragweite ihrer Forderungen nicht ganz bewusst sind. Man argumentiert, dass es ja vorteilhaft sein könnte, wenn ein muslimisches Land sich an die EU annähert.
Aber: Man kann in den letzten Jahren in zunehmendem Maße eine Identitätssuche in der muslimischen Welt erkennen. Dies zeigt sich nicht nur daran, dass teils radikale Gruppen an Einfluß gewinnen, bzw. es versuchen, sondern auch in einer Hinwendung der Politik zum Islam. Und diese Strömung hat auch, wenn auch kaum merklich, die Türkei erfasst.
Herr Erdogan mag sicher ein ehrenwerter Mann sein, aber man sollte sich auch vor Augen führen, dass er durchaus radikale Standpunkte vertritt, bzw. vertreten hat bevor er in sein jetziges Amt gelangt ist. Vermutlich bremst die Generalität, die das Erbe Atatürks zu wahren versucht, die Ambitionen des Herrn Erdogan.
Was hat das mit der EU zu tun?
Nun, wenn man den Einfluß der Generäle in der Türkei im Rahmen der Behebung der Demokratiedefizite weiter zurückdrängt, so wie es Brüssel fordert, werden islamische und teils auch radikalislamische Kreise in zunehmendem Maße die Kontrolle übernehmen können, weil eben der "Deckel" des Militärs, das die laizistische Tradition zu wahren versucht, abgenommen wird. Kurz: Man hat die Wahl zwischen einer Türkei, in der hinter den Kulissen die Generäle das Sagen haben, oder einer Türkei, die eine starke Hinwendung zum Islam mit den damit verbundenen Problemen (im westlichen Verständnis) erfahren wird.
Nur scheint man darüber in den Brüsseler Kreisen wenig zu reden. Quasi ist es die Wahl zwischen zwei Extremen...
PS: Ich hoffe mal, das hat jetzt niemand in den falschen Hals bekommen.
EDIT: Rechtschreibfehler behoben.
Schneemann.
nun, ich möchte gewiss niemanden in seinem Nationalstolz kränken (wobei ich hier noch eine Trennlinie zwischen durchaus positivem Patriotismus und verleugnendem und hetzendem Nationalismus ziehen möchte). Das habe ich nicht vor und möchte ich auch nicht tun. Nur denke ich, dass man im Rahmen seiner patriotischen Gefühle nicht blind werden sollte, was Kritik angeht.
Was ich damit sagen möchte: Ich empfinde durchaus als Deutscher sowas wie Stolz, wenn ich an 1848 und die Paulskirche, die Phase der Aufklärung, Kant, Hegel, Robert Koch, C. D. Friedrich, etc. oder auch nur an unseren derzeitigen demokratischen Rechtstaat denke, der m. Mn. nach eine der freiheitlichsten und liberalsten Demokratien auf diesem Planeten verkörpert (und für den es sich auch zu kämpfen lohnt). Nur: Ich blende die schlimmen Ereignisse der deutschen Geschichte deshalb nicht aus und/oder leugne bspw. die Verbrechen während der NS-Zeit, die Exzesse während der Hexenverfolgung oder die Massaker während der Kolonialkriege in Deutsch-Südwestafrika.
Und um es in dem Zusammenhang nochmal zu sagen: Ich möchte niemanden kränken, aber genauso wie ich positive Tendenzen in der Türkei lobe, so spreche ich als Geschichtsstudent eben auch negative Ereignisse an. Und ich denke, dass mein vorhergegangener Post in dem Sinne auch nicht beleidigend war, sondern lediglich eine objektive Betrachtung zum Ziel hatte.
Was ich leider aber häufig feststelle, auch gerade, wenn es eben um die Türkei und bspw. das Verbrechen an den Armeniern geht, ist, dass sehr schnell, fast schon reflexhaft, die Faktoren Ehre, überbordender Nationalstolz, ein Alpha-Männchen-Verhalten und beinahe schon Hassgefühle gegenüber dem Kritiker hochkochen und eine normale und gesittete Diskussion sehr, sehr erschweren. Und das ist schade...
@Topic
Noch eine Sache: Ich denke, dass die moderne Türkei heutzutage sehr zwiegespalten ist, zwischen eben der Moderne und der Tradition. Und daran krankt auch die Umsetzung der Vorgaben, die die EU der Türkei gestellt hat für eine Aufnahme. Nur: Ich glaube, dass auch viele Europapolitiker sich der Tragweite ihrer Forderungen nicht ganz bewusst sind. Man argumentiert, dass es ja vorteilhaft sein könnte, wenn ein muslimisches Land sich an die EU annähert.
Aber: Man kann in den letzten Jahren in zunehmendem Maße eine Identitätssuche in der muslimischen Welt erkennen. Dies zeigt sich nicht nur daran, dass teils radikale Gruppen an Einfluß gewinnen, bzw. es versuchen, sondern auch in einer Hinwendung der Politik zum Islam. Und diese Strömung hat auch, wenn auch kaum merklich, die Türkei erfasst.
Herr Erdogan mag sicher ein ehrenwerter Mann sein, aber man sollte sich auch vor Augen führen, dass er durchaus radikale Standpunkte vertritt, bzw. vertreten hat bevor er in sein jetziges Amt gelangt ist. Vermutlich bremst die Generalität, die das Erbe Atatürks zu wahren versucht, die Ambitionen des Herrn Erdogan.
Was hat das mit der EU zu tun?
Nun, wenn man den Einfluß der Generäle in der Türkei im Rahmen der Behebung der Demokratiedefizite weiter zurückdrängt, so wie es Brüssel fordert, werden islamische und teils auch radikalislamische Kreise in zunehmendem Maße die Kontrolle übernehmen können, weil eben der "Deckel" des Militärs, das die laizistische Tradition zu wahren versucht, abgenommen wird. Kurz: Man hat die Wahl zwischen einer Türkei, in der hinter den Kulissen die Generäle das Sagen haben, oder einer Türkei, die eine starke Hinwendung zum Islam mit den damit verbundenen Problemen (im westlichen Verständnis) erfahren wird.
Nur scheint man darüber in den Brüsseler Kreisen wenig zu reden. Quasi ist es die Wahl zwischen zwei Extremen...
PS: Ich hoffe mal, das hat jetzt niemand in den falschen Hals bekommen.
EDIT: Rechtschreibfehler behoben.
Schneemann.