19.12.2004, 13:53
Zitat:Bittere Pille Zypern: Ankara erbost
Nicht gerade erfreut: Premier Erdogan (re.), Außenminister Gül.
Brüssel/Istanbul - Wer angenommen hatte, die Türken würden nach der EU-Einladung zu Beitrittsverhandlungen Freudentänze aufführen, sah sich gründlich getäuscht. Außenminister Abdullah Gül lief mit hochrotem Kopf an den Journalisten im Hotel Conrad vorbei, in dem sich die türkische Verhandlungsdelegation für die zwei Tage des Brüsseler Gipfels einquartiert hatte. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, der mit einem "Sesam-Öffne-Dich" die Tore der EU für die Türkei aufsperren und damit seine politische Karriere krönen will, entrang sich ein: "Möge es für unser Land gut ausgehen."
Eher eine "historische Abfuhr"
Mehr als 40 Jahre hatte die Türkei diesem Tag entgegengefiebert: Endlich ein festes Datum für Verhandlungen mit dem ausdrücklichen Ziel einer Vollmitgliedschaft. Und dann das! Die bittere Pille, die die 25 EU-Staats- und Regierungschef mit ihrem Beharren auf einer Anerkennung der "griechischen" Republik Zypern Ankara verabreichten, verdarb den Türken gründlich die Freude. Das mit dieser Klausel versehene "historische Angebot" der EU sei in Wirklichkeit eine "historische Abfuhr", erregte sich ein türkischer Journalist im Brüsseler Konferenzzentrum.
Harte und unfaire Bedingungen
Doch ein Erdogan wirft die Flinte so schnell nichts ins Korn. "Sie werden es nicht riskieren, für 500.000 griechische Zyprioten die Türkei und 70 Millionen Menschen abzuweisen", ermunterte Erdogan seine enttäuschten Truppen, bevor er am grauen, regnerischen Morgen des zweiten Gipfeltages in Brüssel auf Biegen und Brechen weiterverhandelte. Die türkische Opposition forderte Erdogan ohne Umschweife auf, die Gespräche in Brüssel zu beenden und das Verhandlungsangebot der EU zurückzuweisen. Die Bedingungen seien hart und unfair, meldete sich der Vorsitzende der Republikanischen Volkspartei (CHP), Deniz Baykal, in Ankara zu Wort: "Wenn wir Zypern anerkennen, werden wir alles verlieren."
"Kalte Dusche für Ankara"
Die Empörung der Türken über die aus EU-Sicht glasklare Selbstverständlichkeit, dass die Türkei alle am Verhandlungstisch vertretenen EU-Mitglieder, also auch die Republik Zypern, anerkennen müsse, machte sich am Freitag auch in der türkischen Presse Luft: "Die griechischen Zyprioten haben Nein zur Wiedervereinigung gesagt. Dennoch bestehen die EU-Führer darauf, dass wir sie mit der Anerkennung bis zum 3. Oktober belohnen", schrieb die Zeitung "Aksam". Die von der Türkei gezogene "rote Linie" sei klar übertreten worden: "Kalte Dusche für Ankara."
Nationalstolz und Emotionen
Es gibt kaum ein anderes außenpolitisches Thema, das in der Türkei den Nationalstolz und die Emotionen dermaßen aufpeitscht wie Zypern. Die blutige Geschichte der Mittelmeerinsel, die mit Massakern zwischen Griechen und Türken gleich nach der Unabhängigkeit der früheren britischen Kolonie 1960 begann, hat alles, um in der Türkei triumphierende oder tragische Helden zu erschaffen.
Erdogans Hände gebunden
Der frühere Ministerpräsident Bülent Ecevit wurde 1974 mit der türkischen Invasion des Nordteils der Insel zum "Retter" und Helden. 30 Jahre danach machte sich Erdogan daran, dieses Tabuthema aufzubrechen. Wie sehr indes seine Hände gebunden sind, zeigte die Einschätzung eines türkischen Journalisten in Brüssel: "Sollte Erdogan die Anerkennung Zyperns in Brüssel mit einer Unterschrift besiegeln, kann er sich zu Hause nicht mehr sehen lassen."
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