Iranisches Atomprogramm
Financial Times Deutschland
Agenda Eine Frage der Ehre für Iran
Dienstag 30. November 2004, 20:37 Uhr



Im Niavaran-Park wird an diesem kalten Wintermorgen mit großer Ernsthaftigkeit Sport getrieben: Jogging, Walking, Volleyball, Gymnastik. Kopftücher verrutschen, und manches Damenoberteil ist so kurz, dass die Hüter der islamischen Sittlichkeit bei diesem Anblick der Schlag treffen würde. Hier im wohlhabenden Norden Teherans hat sich die Angst vor dem Bannstrahl der theokratischen Grundordnung längst verflüchtigt. Wer hier wohnt, steht den konservativen Mullahs nicht allzu nah.

Doch das hindert Anzeige

die wenigsten daran, auf das Ansinnen des Westens, Irans Atomprogramm zu beschränken, mit größtmöglicher Empörung zu reagieren. "Iran hat das Recht, diese Technologie zu beherrschen", sagt Majid Taheri, ein junger Student. "Wieso sollten andere Länder Nuklearanlagen besitzen dürfen, und wir nicht? Was unterscheidet uns?" "Ungerechtigkeit", "Diskriminierung" und "Unterdrückung" sind die Wörter, die bei den Umstehenden fallen.

Nationale Gefühle geweckt

Der schwelende Konflikt um die Nutzung der Atomkraft hat die nationalen Gefühle der Iraner geweckt. Das Prestigeprojekt, das eigene Land mit Kernenergie zu versorgen, will man sich vom Westen nicht nehmen lassen. Die Mullahs wissen die Bevölkerungsmehrheit hinter sich, wenn sie stur an ihrem Kurs festhalten. Die Drohungen internationaler Organisationen, Iran womöglich Sanktionen aufzuerlegen, können das Regime in Teheran in Zeiten des Irak-Kriegs und extrem hoher Ölpreise ohnehin nicht schrecken.

Und so verkauft Hassan Rohwani, Atombeauftragter der Regierung und Kopf des Nationalen Sicherheitsrates, das Ergebnis der Verhandlungen mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) vom Montagabend als Erfolg für Iran. Direkt gegenüber vom Park, im Konferenzsaal des Zentrums für Strategische Studien, sagt er am Dienstag, dass sein Zugeständnis, die Urananreicherung von 20 Forschungszentrifugen einzustellen, nur befristet gelte. Gut gelaunt spricht Rohwani - weißer Turban, grauer Bart, langes Gewand - in ein Dutzend Mikrofone: "Wir haben in Wien einen großen Erfolg errungen. Allen Änderungswünschen Irans wurde entsprochen."

Drei Monate für Gespräche mit den "EU3"

Den Einwand eines iranischen Journalisten, dass die USA die Einigung ebenfalls als Sieg bewerten, wischt er beiseite: "Wer die Resolution liest, weiß, wer erfolgreich war", sagt Rohwani schnippisch. Verdrossen dreinblickend zählt er die Vorteile für das eigene Land auf: Irans Recht auf einen eigenen Brennstoffkreislauf sei nun anerkannt. Die Suspendierung der Urananreicherung diene einzig der Vertrauensbildung. Der Fall Iran stünde nun nicht mehr automatisch auf der Agenda des IAEA-Gouverneursrates. Und vor allem: Die USA hätten ihr Ziel, Iran vor den Sicherheitsrat zu zerren, nicht erreicht.

Der Geistliche lässt keinen Zweifel daran, wer die Bedingungen diktiert. Die Anreicherung werde für die Dauer von drei Monaten unterbrochen. In dieser Zeit solle mit den "EU3", also Deutschland, Frankreich und Großbritannien, geklärt werden, welche Technologien Iran langfristig nutzen dürfe. Im Gegenzug für den Verzicht auf die Herstellung bombenfähigen Urans stellen die Europäer Handelserleichterungen und andere Vergünstigungen in Aussicht. "Das werden die schwierigsten Verhandlungen überhaupt", sagt Rohwani.

"Iran wird sein Nuklearprogramm niemals aufgeben"

Dass Iran kaum zu Zugeständnissen bereit ist, lässt er schon jetzt durchblicken: Einen eigenen Kreislauf aufzugeben und sich stattdessen aus dem Ausland nuklearen Brennstoff liefern zu lassen käme überhaupt nicht infrage: "Warum wollten wir etwas importieren, was wir selbst besitzen? Wir wollen nicht abhängig sein und betteln müssen."

Tatsächlich sehen die Chancen des europäischen Trios, die Iraner von ihren Plänen abzubringen, nicht rosig aus. "Iran wird sein Nuklearprogramm niemals aufgeben", wird Ajatollah Sajed Ali Chamenei, das geistige Oberhaupt des Landes, in iranischen Zeitungen zitiert. Formal hat Iran das Recht auf seiner Seite. Der Atomwaffensperrvertrag erlaubt die zivile Nutzung der Kernkraft. Und dass Iran heimlich Atomwaffen entwickelt, wird zwar weithin befürchtet, beweisen konnte man es aber bisher nicht.

Die Mullahs beteuern bei jeder Gelegenheit, dass sie keinesfalls Atomwaffen herstellen wollen: "Diese Behauptungen haben das Ziel, Iran zur Aufgabe der Nukleartechnologie zu bringen", wettert Chamenei. Den Generalverdacht gegen das Mullah-Regime, "die Bombe" bauen zu wollen, weist auch Hussein Schariatmadari zurück: "Wir haben zwar das Recht auf Atomwaffen, aber sie sind gegen unsere Religion", sagt der Chefredakteur der ultrakonservativen Zeitungsgruppe "Kayhan". "Und wenn man sie nicht einsetzen will, haben sie natürlich auch keine abschreckende Wirkung."

Wachsendes Misstrauen

Gern verweist das Regime auf den rasant wachsenden Stromverbrauch im Land: Die Bevölkerung hat sich in den vergangenen 25 Jahren verdoppelt. Allein in Teheran leben schätzungsweise 15 Millionen Menschen. Man hoffe deshalb auf "die Einführung von Nuklearenergie als Alternative".

Doch wozu braucht ein Land, das über riesige Öl- und Gasvorkommen verfügt, unbedingt die teure und außerdem auch noch gefährliche Nukleartechnologie? "Um die Umwelt zu schonen", sagt der Journalist Schariatmadari. Außerdem "sind die Rohstoffe eines Tages aufgebraucht". Die USA und Russland, die beide Öl fördern, hätten ja auch Atomkraftwerke.

In Amerika und Europa wächst das Misstrauen gegenüber den Mullahs. Kann man den Iranern glauben? Spätestens, seit die Langstreckenrakete "Schihab 4" entwickelt wird, steigt die Nervosität. Der Flugkörper hat eine Reichweite von 4000 Kilometern - und kann vom Nordwesten Irans aus Deutschland erreichen. Experten sind sich sicher, dass ein atomwaffenfähiger Sprengkopf gleich mitentwickelt wird. Sprengstoff und Testkameras, die Iran für das Raketenprogramm - ganz legal - im Ausland bestellt habe, ließen diesen Schluss zu.

Unterschiedliche Meinungen

Im Land selbst gehen die Meinungen darüber, ob tatsächlich an der Atombombe gebaut wird, auseinander: Hermidas Barand, der am Institut für Internationale Beziehungen in Iran lehrt, hält dies für unwahrscheinlich. Zu viele Entscheider wären an einem Projekt dieser Tragweite beteiligt, meint der Wissenschaftler: zum einen die Konservativen, die Justiz, Militär und inzwischen auch das Parlament beherrschen, zum anderen die reformorientierte Regierung von Präsident Mohammed Chatami. "In so einem System, in dem nicht an einem Strang gezogen wird und ständig Konkurrenz herrscht, kann man nichts geheim halten", sagt Barand.

Der Journalist und Publizist Isa Saharkhiz hingegen ist überzeugt, dass die Konservativen "das Ziel haben, an eine Atombombe zu kommen". Die Reformer hätten doch "keine Ahnung, was in den Militäranlagen los ist". Die Armee ist eine Domäne der Konservativen. Das Argument des Strommangels hält er für vorgeschoben: "Wir haben genug Energievorkommen", sagt er. "Wenn europäische Länder, die keine Rohstoffe besitzen, sich von der Atomenergie lossagen, warum sollten dann ausgerechnet wir darauf setzen?"

"Der Westen wird mehr leiden"

Die Option, einen eigenen Brennstoffkreislauf in Gang zu setzen, werden sich die Mullahs nicht nehmen lassen. Sie wissen, dass sie derzeit die Bedingungen diktieren können: Die USA haben wegen ihrer Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan keine Kapazitäten, Soldaten für einen Schlag gegen Iran abzuziehen. In Washington fürchtet man überdies, dass Teheran womöglich die Schiiten im Irak ermuntert, ihren Aufstand gegen die Besatzungstruppen fortzusetzen.

Eine Eskalation in Iran wäre nach Ansicht des Politologen Sadek Sibakalam für die Industrienationen eine wirtschaftliche Katastrophe. Der extrem hohe Ölpreis könnte bei einer weiteren Destabilisierung des Nahen Ostens auf Rekordstände klettern. "Ich habe deshalb keinen Zweifel, dass Iran aus den Verhandlungen aussteigt, wenn Europa seine Zusagen nicht einhält", sagt Sibakalam.

Sollte es daraufhin tatsächlich zu Sanktionen kommen, müsste das Regime zumindest nicht den Unmut der Bevölkerung fürchten, denn die steht in dieser Frage geschlossen hinter der Führung. "Wenn es wirklich zu Embargos kommt", so Sibakalam, "wird der Westen mehr darunter leiden als wir."
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema

Gehe zu: