01.11.2004, 15:26
Zitat:So gewaltig hinkt der Vergleich nicht, ich zitiere mal aus John Keegan, der erste Weltkrieg, S.21/22: " Im Sommer 1914 erfreute sich Europa einer friedlichen Produktivität, die so stark auf internationalen Warenaustausch und internationale zusammenarbeit angewiesen war, daß ein allgemeiner Krieg ausgeschlossen schien. 1910 war eine Untersuchung über die vorherrschende wirtschaftliche Interdepedenz, "The Great Illusion", ein Bestseller geworden. Ihr Verfasser, Norman Angell, hatte zur Zufriedenheit nahezu aller gut unterrichteten Kreise nachgewiesen, daß die Störung des internationalen kreditwesens, die ein Krieg mit sich brächte, diesen entweder verhindern oder rasch beenden würde".Natürlich war der damals vorhandene Welthandel, gemessen an historischen Erfahrungen, umwälzend und in seinem Ausmass ungekannt. Dennoch hatte man es damals noch viel mehr mit einem reinen Welthandel, nicht aber mit einer massiven Interdependenz der verschiedenen Volkswirtschaften an sich zu tun, die sich erst seit Ende der 60er Jahre zu entwickeln begann.
Mag sein, dass man damals bereits Vernetzungen gesehen hat, aber gemessen an dem, was heute exisitert, war es schlicht und einfach ein Witz und insofern sehe ich es als sehr riskant an, von der damaligen auf die heutige Situation zu schliessen.
Zitat:Und die Legende, daß Handel Krieg vermeidet ist meiner Meinung nach hinreichend widerlegt.Ich habe diese These niemals aufgestellt. Handel selbst bzw. das Streben ach freiem Handel befördert eher Konflikte, siehe 19. Jhd. in Asien. Es gibt einen substantiellen Unterschied zwischen ordinärem Handel (auch wenn er weltweit von statten geht) und dem, was wir heute als vernetztes Wirtschafts-, Politik- und Kultursystem westlicher Prägung verstehen. Auch habe ich nie behauptet, dass allein dieses westliche Wertesystem die Welt in eine Epoche kantischen Friedens katapultieren wird. Es ist nur so, dass massive Konflikte zwischen Staaten INNERHALB dieser Ordnung durch die genannten Faktoren gedämpft werden. Im Gegenzug kan es sogar zu einer Steigerung an Konflikten mit außerhalb des Systems stehenden Staaten kommen, insbesondere wenn es sich dabei um eher marginale Mächte handelt.
Was China angeht, da kann natürlich jeder seine Meinung haben und letztendlich handelt es sich schlußendlich bei allen Prognosen um Spekulation.
Nur:
Zitat:Auch das heutige China wird m.E. daraus einen expansiven Charakter gewinnen.eben diese These ist durch Chinas Geschichte nicht belegt. Und gerade bei China würde ich der historischen Dimension mehr Gültigkeit einräumen als bei jedem anderen Staat auf der Erde.
Es gibt allerdings einen bereits vorhandenen nicht zu verneinenden Expansionsdrang Chinas, der sich auf die gemeinsame Grenze mit Russland konzentriert. Dieser Trend ist allerdings mehr ein Selbstläufer, resultierend aus einer sich immer mehr ausdünnenden Bevölkerung Russlands im sibirischen Raum und parallel einem Bevölkerungsüberschuss Chinas in den nördlichen Provinzen, der zu zahlreichen illegalen Siedlungen von Chinesen auf russischem Territorium geführt hat und weiter führen wird. Inwiefern Peking diese Entwicklung bewusst steuert oder einfach nur passiv hinnimmt, darüber kann man spekulieren.
Zitat:Den früheren chinesischen Nationalismus kann man nicht mit dem heutigen vergleichen, mangels Konkurrenz in der geographischen Reichweite der frühen chinesischen Reiche bedurfte es keiner aggressiven Expansion, um den eigenen doch recht absoluten Machtanspruch aufrecht zu erhalten.Also wenn ich so überlege, wie oft China von kommenden und gehenden Mächten an seiner Peripherie überfallen, geplündert und eingenommen wurde, würde ich diese These als sehr fragwürdig ansehen. Nur konnte China dank seiner kulturellen Assimilationsfähigkeit alle diese Konkurrenten integrieren.
Zitat:Historisch sieht sich China als Beherrscher des fernen Ostens, was durchaus auch heute noch der Fall ist, wie man an dem "Erziehungsfeldzug" 1979 gegen Vietnam sehen kann.Nun, wie schon gesagt wird China heute den Einsatz militärischer Mittel anders handhaben als etwa vor hundert Jahren (als diese Mittel fehlten) und sie auch als Werkzeug seiner Außenpolitik verstehen. Aber gerade die Feindseligkeiten mit Vietnam zeigen, wie sehr Chinas Interesse eben auf seine konkrete Nachbarschaft beschränkt ist. Dass China in diesem "Hinterhof" interveniert hat und dies nach Maßgabe auch weiter tun wird, bestreite ich gar nicht. Von hier zu einem globalen Hegemon ist es aber ein weiter Sprung und diese Ambition hat China nie gezeigt.
Gerade bei Vietnam verwundert es nicht, dass es im Gegensatz zu China steht, Stichwort Spratley-Inseln und Kambodscha.