30.10.2004, 21:02
Zitat:Das ständige Damokles Schwert der nuklearen Vernichtung,Tja, die nukleare Bedrohung. Provokativ ausgedrückt größtes Übel, aber auch größtes Wohl in einer bipolaren Welt (in einer mulitpolaren Welt ist der "Wohl"-Faktor IMO vermutlich niedriger, da die Kommunikation schwieriger ist). Allerdings kann dieses Damokles-Schwert eben auch dafür sorgen, dass sich alle Beteiligten die zu lösenden Probleme noch mal durch den Kopf gehen lassen, bevor sie sich in Wagnisse stürzen, deren Folgen sie nicht überblicken können.
Zitat:das ständige Führen von StellvertreterkriegenJa gut, da bräuchten wir jetzt mal eine Statistik, aber es ist glaube ich relativ unumstritten, dass nach dem Ende der Bipolarität, also zu Beginn der 90er Jahre ein starker Anstieg von Kriegen verzeichnet wurde, was insbesondere auf die sogenannten "failed states", also Staaten mit zusammengebrochener Ordnung, zurückzuführen ist. Natürlich kann man diese zusammengebrochenen Staaten dem Kalten Krieg anlasten, allerdings wäre das für die Nützlichkeit von Bipolarität m.E. verfehlt, denn IM Kalten Krieg selbst wären diese Kriege gar nicht vorgekommen. Erst durch die Abwesenheit der Bipolarität waren die Konfliktbedingungen geschaffen.
Sicher neigt eine unipolare Welt dazu, die totale Anzahl der geführten Kriege zu verringern, allerdings dürfte dies m.E. nur bei einer wirklich extrem unipolaren Welt möglich sein, in der der Hegemon die totale Kontrolle über die Beziehungen der andere "Spieler" hat, was in der Realität bestenfalls auf das Römische Reich zugetroffen hat, wovon aber die USA weit entfernt sind (und was sie IMO auch nicht so einfach allein schaffen können - Stichwort Überdehnung).
Zitat:Wenn man ein wenig provoziert, kann man die heutigen Probleme als Nachwehen des kalten Krieges sehen, der Nahostkonflikt als Fortsetzung der israelisch arabischen StellvertreterkriegeHm, halte ich für überzogen. Allein schon die Existenz Israels sowie der arabischen Staaten an sich in derselben Ecke der Welt barg genug Konfliktpotential, um diese Konflikte auszulösen. Wären halt die USA und die SU nicht gewesen, hätten sich beide Parteien die Waffen woanders hergeholt, Lieferanten lassen sich immer finden, zur Not schlachtet man sich mit dem Küchenmesser ab. Man könnte sogar sagen, ohne die Mächte im Hintergrund wäre es zur Auslöschung einer der Parteien (höchstwahrscheinlich der Israelis) und damit zu einem neuen Genozid gekommen.
Zitat:Osama bin Laden als Folge der von den USA instrumentalisierten Mudschaheddin Kämpfer gegen die sowjetischen Invasion in AfghanistanSicher, aber das ist wie schon weiter oben eigentlich kein Argument gegen eine bipolare Ordnung, sondern eher ein Argument, das Ende dieser Ordnung unbedingt zu verhindern. Bin Laden konnte sein Potential erst auf den Trümmern der bipolaren Welt entfalten (bzw. in einer Welt, die zu Unipolarität neigt), nicht aber in ihrer "Sternstunde".
Zitat:Multipolare Welten wie Europa vor dem ersten Weltkrieg haben häufig in die Katastrophe geführt und sind mit einem lauten Krach untergegangen, unipolare Welten wie das römische Reich oder das britische empire eher mit einem Zischen.Naja, dass Europa in die Katastrophe geführt wurde, lag IMO nicht so sehr am multipolaren Charakter der damaligen Welt, sondern an der Berauschung derselben am Nationalgedanken. Aber schon vor der Nationalstaatsentwicklung gab es eine multipolare Welt, deren Sicherheitsmechanismen aufgrund des sich gegenüberstehenden Adels und seiner grenzübergreifenden Gleichartigkeit gerade als Garant für einen relativen Frieden und die Eindämmung von Kriegen stand.
Im übrigen gibt es bei einer unipolaren Welt immer die weit größere Gefahr des "Fallouts", sobald dieser Hegemon wegfällt. Sehr schön kann man dies am Beispiel des Römischen Reiches darlegen, dessen unipolare Macht so total war, dass in das nach seinem Ende folgende Machtvakuum niemand eintreten konnte und die Zivilisation in ein tausendjähriges Mittelalter gestürzt wurde. Sicher, solange ich in einem gesunden Römischen Reich lebe, ist Stabilität kein Problem. Aber wenn ich sehe, wie das Reich in Trümmer geht, wird das ganze sehr unlustig. In einer bi-bzw. multipolaren Welt ist zumindest fürs erste eine Kontinuität gewährleistet, was man als Sicherung verstehen kann (dass sich dann daraus eine unipolare Welt ergeben kann und wie ironisch das für diese Diskussion ist, ist mir übrigens klar

Letztendlich kann die Bipolare Welt immer noch vorweisen, der Menschheit eine ungewohnt lange Phase der Stabilität gegeben zu haben, gerade angesichts neuer verheerender Technologien wie den lieben WMD. Dass eine unipolare Welt dazu in der Lage ist, muss sich noch zeigen. Allerdings sind wir derzeit wie gesagt IMO eher in einer Transitphase und angesichts des Aufwuchses von China und der kontinuierlich unsicheren Situation in Europa muss man noch abwarten, in welche Richtung das Pendel schlägt.
Aber um mal Tacheles zu reden:
Sofern es eine unipolare Welt geben wird, dann wird es eine Welt des Westens sein, nicht allein der USA. Dafür spricht die bereits erheblich fortgeschrittene Integration der westlichen Wirtschaftssysteme sowie der Kultur. Im selben Maße, wie diese westliche Hegemonie zunimmt, wird die derzeitige amerikanische Hegemonie abnehmen (insbesondere die militärische Komponente nach dem Wegfall der "failed states" und "rogue states"). Durch den unausweichlichen ökonomischen Aufwuchs in den assimilierten Staaten wird auch die ökonomische Macht (oder besser gesagt, der Einfluss) der USA weiter schwinden. Sofern es gelingen sollte, die gesamte Welt in dieser Weise zu assimilieren, hätten wir ein unipolares System, welches jenseits der Angreifbarkeit zuvor bestehender unipolarer Systeme steht, denn externe Bedrohungen wie die "Barbarenvölker", die etwa das Röm. Reich von außen permanent unter Druck setzten oder und erheblich zu dessen Verfall beitrugen oder die Großmächte, mit denen das brit. Empire buhlen musste und die seiner Bedeutung ein Ende setzten, wären in einem solchen Szenario gar nicht möglich.
Damit will ich nur sagen, dass ich einer unipolaren Welt durchaus einiges abgewinnen kann. Man sollte sich nur vergegenwärtigen, dass alles sein Für und Wider hat.