25.09.2004, 21:06
Brandstifter auf dem Kaukasus (Teil 1):
Zitat:Brandstifter Deutschland auf dem Kaukasus
"25.09.2004 Thema Thomas Immanuel Steinberg
Warum Tschetschenien?
Der Terrorakt in Beslan und die Destabilisierung der Region. Der mögliche Zugriff auf das Öl des Kaspischen Meeres und dessen Verteilung bestimmt die Positionierung der einzelnen Akteure im Tschetschenien-Konflikt. Auch Deutschland ist mit dabei
* Die Schüsse und Explosionen in der Schule der nordossetischen Stadt Beslan waren gerade verhallt, der Tathergang im dunkeln, da zeichnete die westliche Presse schon ein Bild von angeblich blinder Gewalt auf russischer wie tschetschenischer Seite, von Völkerhaß und religiösem Fanatismus. Die Frage, worum sich denn wer im Kaukasus streite, ging unter in einem Redeschwall von behaupteter Unfähigkeit einerseits, von purem Wahnsinn andererseits. Vom »Gesetz der Blutrache« im Kaukasus sprach die bürgerliche Neue Zürcher Zeitung, von »teuflisch raffinierter Zielauswahl« und »Kunstprodukten der Sowjetpolitik«. In junge Welt wiederum schlug Knut Mellenthin vor, den russisch-tschetschenischen Konflikt »nötigenfalls durch die Entlassung Tschetscheniens in die Selbständigkeit« zu lösen. (Ausweglos in Tschetschenien. Moskau zum zweiten Mal in der Afghanistan-Falle, jW vom 10. September)
Worum geht es in Tschetschenien, der russischen Republik mit den Nachbarländern Georgien im Süden, Rußland im Norden, und den ebenfalls zu Rußland gehörigen Republiken Dagestan, Nodossetien und Inguschetien?
Eine Million Einwohner hat die Republik Tschetschenien-Itschkerija. Sie ist 170 Kilometer lang und 100 Kilometer breit. Nach Jahrzehnten der Ausbeutung bleibt im Boden noch etwas Öl und Gas, zu wenig für einen großen Streit. Doch liegt Tschetschenien auf der Landenge zwischen dem Kaspischen Binnenmeer und dem Schwarzen Meer am Nordrand des Kaukasus. Im Kaukasus sprechen die Leute über 50 verschiedene Sprachen und gehören ganz verschiedenen Religionen an. Teilweise mörderische Konflikte gab es zwischen Azeris und Armeniern; Georgiern und Abchasen; Inguschen und Russen; Kriegstote auch im georgischen Südossetien und jetzt in der nordossetischen Stadt Beslan.
Der Nordkaukasus, und mit ihm Tschetschenien, bildet den Rand zum einst starken Rußland. Die kaukasische Vielsprachigkeit und Multireligiosität bietet zahlreiche Ansätze für Sezessionsbestrebungen, eigene wie importierte. Detlef Bimoes vom Friedensforum Kassel schrieb 2002, was heute noch gilt: Eine Abspaltung Tschetscheniens würde den Einfluß Rußlands in der Region weiter schwächen und zugleich seine territoriale Unverletzlichkeit in Frage stellen. »Eine Ausbreitung der Konflikte auf den gesamten, instabilen Nordkaukasus wäre dann nicht mehr ausgeschlossen. Für Rußland ist das sehr gefährlich, weil dadurch das zerbrechliche Miteinander der russischen Regionen mit ihren vielen Völkerschaften insgesamt ins Rutschen kommen könnte. Überdies besitzt der Nordkaukasus auch erhebliche militärstrategische Bedeutung als Truppenstützpunkt. Er ermöglicht den Zugang zum Südkaukasus und zur gesamten türkisch-iranischen Grenze.« Rußland hat, unabhängig vom langjährigen Konflikt mit den tschetschenischen Separatisten, umfangreiche Militärkontingente in Tschetschenien stationiert.
Kaspisches Öl und Gas
Strategisch wichtig ist der Kaukasus auch durch das, was aus Rußlands Sicht dahinter liegt: das Öl und Gas in Aserbaidschan unterm Kaspischen Meer und um das Meer herum, im Iran, in Turkmenistan; und auch in Kasachstan. Rußlands Öl und Gas decken den Eigenbedarf bei weitem: Das russische Bruttoinlandsprodukt, also die wirtschaftliche Gesamtleistung einschließlich Waffenproduktion, Maschinen- und Fahrzeugbau, liegt derzeit niedriger als das holländische. Für Rußland gilt es, den Ressourcenverkauf zu steigern und daraus Mittel für Investitionen zu ziehen. Darüber hinaus garantiert die Hand am Öl- und am Gashahn politische Macht. Wohl deshalb hat Rußland als erdgasreichstes Land der Welt kürzlich die Hälfte der riesigen turkmenischen Ergasvorkommen gekauft und wird sie 25 Jahre lang nach Norden weiterleiten; Erdgas, das die United Oil of California noch 1998 durch Afghanistan an den Indischen Ozean bringen wollte.
Öl und Erdgas sind unerläßlich für Autos, Heizung und Kühlung. Seltener wird bedacht: Alle Plastikprodukte, vielleicht die Hälfte dessen, was in jedem Wohnzimmer steht, hängt und liegt, ist auf Erdöl-Basis hergestellt. Für Kunstdünger braucht es Erdgas, und Erdöl für Pflanzenschutzmittel. Keine Bewässerung, kein Pflügen, Ernten oder Weiterleiten geht ohne Öl oder Gas. Ohne Öl ist auch kein Krieg zu gewinnen.
Auf das transkaukasische Öl in Aserbaidschan hatte die Sowjetunion bis weit nach ihrer Auflösung das Monopol. Es floß durch eine 100 000-Barrel-Leitung, die sogenannte Nordroute von Baku über Machatschkala in Dagestan und über 146 Kilometer tschetschenischen Boden nach Noworossisk, also nach Rußland am Schwarzen Meer. Doch 1999 eröffneten westliche Firmen eine vergleichbar dicke Konkurrenzleitung von Baku nach Supsa an der georgischen Schwarzmeerküste – ohne Berührung russischen Territoriums. Schlimmer für Rußland: Die tschetschenischen Sezessionisten unterbrachen die Nordroute. Als Rußland einen Bypaß durch Dagestan legte, versuchten die Sezessionisten auch in Dagestan Fuß zu fassen. Die russische Zentralregierung schlug den tschetschenischen Angriff zurück und kann bis heute den Bypaß nutzen.
Doch inzwischen waren die Pläne für eine weit größere Pipeline gereift: von Baku über Georgien nicht ans Schwarze Meer, sondern durch kurdisches Gebiet in die Türkei ans Mittelmeer. In Yumurtalik bei Ceyhan soll die BTC-Pipeline (Baku, Tbilissi, Ceyhan) unter dem Konsortialführer BP Amoco enden. BP Amoco ist ein britisch-US-amerikanischer Ölgigant. Die Transporttrasse ist im Bau. Ab 2006 kann die Ölleitung eine Million Barrel fördern, das Zehnfache der Nordroute. Eine teils parallel verlaufende Erdgasleitung ist geplant. Sie soll die Rentabilität der 1 700-Kilometer-Trasse sichern.
Der Betreiber der russischen Pipeline, Transneft, hat Aserbaidschan im Gegenzug den Ausbau seiner Nordroute angeboten. Die trockene Antwort der azerischen staatlichen Ölfirma: »Ein Vergleich von Tarifsätzen für den Erdöltransport durch die Pipelines Baku–Supsa und Baku–Noworossijsk ist nicht zu Gunsten der russischen Variante. Und nach der Inbetriebnahme der Pipeline Baku–Tblissi–Ceyhan im Jahre 2005 wird der Bedarf an der russischen Variante überhaupt zurückgehen.«
Verliert die Nordroute, verlieren Tschetschenien und der Nordkaukasus ihre Bedeutung für den Öldurchfluß, wenn die Baku–Tbilissi– Ceyhan-Leitung eröffnet ist? Transneft gibt sich gelassen. Azerisches Öl könne durch kasachisches und turkmenisches Öl vom anderen Ufer des Kaspischen Meeres leicht ersetzt werden. Zum einen führt aber von den riesigen kasachischen Tengiz-Feldern, hauptsächlich von Chevron erschlossen, bereits eine eigene kasachisch-russische Riesenpipeline direkt ans Schwarze Meer. Zum anderen bietet die im Bau befindliche BTC-Pipeline einen Vorteil. Sie vermeidet den Bosporus, den Ausgang des Schwarzen Meers zum Mittelmeer bei Istanbul. Der Bosporus, so die Energy Information Agency beim US-amerikanischen Energieministerium, ist ein Chokepoint – ein Würgepunkt. Durch ihn würgen sich täglich Tanker mit einer Gesamtfracht von über 1,7 Millionen Barrel Rohöl, genug für den Benzinverbrauch von 40 Millionen Autos. Weitere Schiffsbewegungen durch den Bosporus gefährdeten Istanbul, argumentiert die türkische Regierung, den Profit fest im Auge, der dem türkischen Ölkonzern SOCAR winkt, wenn das BTC-Öl erst über ihr Land fließt.
Die Konkurrenz zur russischen Nordroute, die BTC des britisch-US-amerikanischen Konsortialführers BP Amoco, hat ebenfalls Schwächen. Sie führt zwar durch das unstrittige Kerngebiet Georgiens. An dessen Rändern aber liegen die Krisenherde Südossetien und Abchasien. Und dann geht’s über kurdisches Gebiet durch die Türkei. Politische Veränderungen in einem der beiden Länder könnten den Durchfluß des Öls nach Ceyhan am Mittelmeer gefährden. Rußland wäre mit seiner Nordroute wieder am Zuge – wenn sie denn intakt bleibt. So behält der Nordkaukasus neben der militärischen bis auf weiteres auch seine ressourcenstrategische Bedeutung. Tschetschenien, die Republik zwischen Dagestan, Georgien, Nordossetien und Iguschetien, darf der russischen Zentralregierung nicht entgleiten.
Springprozession
Anscheinend ganz anderer Meinung ist Uwe Halbach, im Deutschlandfunk vorgestellt als Tschetschenien-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Das ist eine regierungsnahe Denkfabrik. Tschetschenien habe wenig Öl, daher, so Halbach nach den Morden von Beslan, lasse sich der Krieg mit der russischen Zentralregierung kaum geopolitisch erklären. Und die Pipelines? Die militärstrategische Rolle Tschetscheniens? Auf Nachfrage per Mail schwächt Halbach seine Behauptung ab. Tschetschenien sei für den Export kaspischen Öls wichtig gewesen. Nicht, daß der Faktor Öl und seine Exportlogistik keine Bedeutung für den Konflikt hätten. Die Rolle des Öls, so habe er aufklären wollen, werde überschätzt.
Vier Tage später nimmt Halbach in der taz Stellung zu Tschetschenien. Der Konflikt in Tschetschenien, so Halbachs Zitat, sei Putin zufolge ein Krieg gegen Rußland um »Territorien mit reichen Bodenschätzen«. Nach den Geiselvergiftungen im Moskauer Musicaltheater im Oktober 2002 habe Putin, so Halbach weiter, die externe (oder extreme) Dimension noch stärker hervorgehoben. Doch Halbach nennt das ein Propagandaargument zur Legitimation russischen Vorgehens. Wahr sei: Tschetschenien erfahre islamistische Solidarität; Mudschaheddin aus dem Ausland machten hier Station; und im tschetschenischen Widerstand würden die Islamisten zunehmen. Mit keinem Wort spricht Halbach öffentlich über kaspisches Öl oder Exportlogistik. Zur Beendigung russischer und tschetschenischer Gewalt könne aber »die Einschaltung internationaler Politik in die Konfliktbearbeitung« beitragen.
Der deutsche Regierungsberater hüpft vom Leugnen weltstrategischer Faktoren im Radio zu einem Eingeständnis im elektronischen Zwiegespräch, von dort, wieder leugnend, ins Hausblatt einer Regierungsfraktion – und landet bei Geopolitik pur: Die eigene Seite solle sich einmischen. Warum diese Springprozession? Weil Halbachs eigene Seite in Tschetschenien längst mitmischt.