08.12.2025, 14:14
DopePopeUrban schrieb:Ich finde es persönlich erstaunlich, wie du „unbedingte unternehmerische Freiheit“ in diesem Kontext mit dem Wohlstand einer Gesellschaft verknüpfst. Denn wenn wir uns Gesellschaften ansehen, die nach diesem grundkapitalistischen Prinzip funktionieren, so bspw. auch die Vereinigten Staaten, ist genau das Gegenteil der Fall. Zwar werden in solchen Wirtschaften meist immense Gewinne erwirtschaftet, auch explosivartiges Wirtschaftswachstum und weitere Effekte lassen sich häufig beobachten, jedoch sieht der Durchschnittsbürger von diesen Wirtschaftserträgen üblicherweise nichts. Der vielseitig seit Jahrzehnten beschworene Ripple-Down-Effekt, den man sich seit der Geburtsstunde des Neoliberalismus von diesem Ansatz verspricht, bleibt aus. Und das flächendeckend.Bleiben wir im Sinne des Threads bei EU vs USA.
Das GDP per Capita liegt in den USA bei über 89.000 US-$. Für die EU als ganzes liegt der Durchschnitt bei gut 46.000 US-$. Es fehlt nicht mehr viel und der durchschnittliche Amerikaner ist doppelt so Reich die der durchschnittliche EU-Bürger.
Das BIP pro Kopf von Deutschland (60.000 US-$) liegt dabei auf dem Niveau der ärmsten (!) US Bundesstaaten, Mississippi und West Virginia. Die Ungleichheit zwischen den Nationalstaaten ist in der EU übrigens wesentlich breiter als zwischen den Bundesstaaten in den USA.
Nun hast du völlig recht, dass in kapitalistischeren Systemen die Reicheren Schichten ungleich höher von Wohlstandszuwächsen profitieren als Mittlere oder Untere Gesellschaftsschichten. Die Einkommensungleichheit ist in den USA so deutlich höher als in der EU.
Allerdings: Das kapitalistischere System in den USA sorgt insgesamt für wesentlich größere Wohlstandszuwächse, die sich durchaus in (freilich reduzierter Form) auf niedrigere Einkommensgruppen niederschlagen. Die reicheren Schichten profitieren davon deutlich mehr, aber immerhin gibt es anders als im Europäischen System deutlichen Wohlstandszuwachs den es zu verteilen gibt. Da gilt durchaus; die Flut hebt alle Boote. Und vor allem auch die Boote der leistungsbereiten/fähigen Mittelschicht.
In Zahlen sieht das so aus: Median verfügbares mittleres Einkommen innerhalb der EU: ca. 20.000 US-$. In den USA: 45.000 US-$. Ja, das ist nicht direkt vergleichbar, in den USA fehlt die die (staatliche) soziale Totalabsicherung und die haben auch ein Problem mit hohe Lebenshaltungskosten, insofern ist das nicht direkt vergleichbar. Aber es ist ein deutlicher Fingerzeig wohin der Wind bläst: Der klassische Amerikanische Bürger mit Ausbildung und Job ist deutlich wohlhabender und mit mehr verfügbaren Kapital ausgestattet als sein Gegenüber in der EU.
Das hat dann auch Auswirkungen: In den USA ist die klassische Mittelschicht im Gegensatz zur EU eher gering. Weniger als 60% der US-Bürger erreichen ein klassisches mittleres Einkommensniveau. In der EU sind es an die 80%. Die offizielle Armutsquote liegt in den USA (10%) übrigens niedriger als in der EU (16%).
Der Grund hierfür ist nicht nur, dass die Unterschicht in den USA größer ist als in der EU sondern, dass sehr viele aus der klassischen Mitte in den USA durch Fleiß und Intelligenz nach wie vor den Sprung in die Oberen Schichten schaffen. Das geschieht so in der EU nicht mehr, Bürokratie und Abgabenlast sind hier zu erdrückend. Die Armen sind dafür etwas weniger arm, aber gemeinsam wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Das ist das völlig überraschende Ergebnis klassischer sozialistischer, Verzeihung, sozialdemokratischer Umverteilungspolitik. Leider entsteht dadurch, dass man den Leistungsträgern wegnimmt und es über den Minderleistern (warum und wieso die so sind ist zweitrangig) ausschüttet kein Wohlstand. Wohlstand entsteht nur da, wo Risiko belohnt wird und sich Menschen ohne größere Staatlich verordnete am möglichst freien Markt ausprobieren können.
Ja, dabei bleiben mehr Menschen zurück. Nicht jeder kann an der Spitze stehen. Man kann sich durchaus darüber unterhalten welches Maß an Absicherung notwendig ist und wir könnten uns da sicherlich auf einen Kompromiss irgendwo zwischen den sehr freien USA und der Totalabsicherung in der EU einigen. Hoffe ich zumindest, denn wohin diese Totalabsicherung gekoppelt an die immensen Transferausgaben führt wird immer deutlicher: Den Armen mag es etwas besser gehen, aber insgesamt stagniert man und wird von anderen wirtschaftlichen Akteuren abgehängt.
Die Frage ist insofern ob wir die Lücke im BIP (die übrigens ein Phänomen der letzten Jahrzehnte ist!) wieder schließen oder den noch bestehenden Reichtum gerechter verteilen wollen. Wenn wir uns für die gerechtere Verteilung entschließen werden die Wohlstandschaffenden Entwicklungen (weiterhin) außerhalb der EU stattfinden. Wir werden uns dann schon in ein bis zwei Jahrzehnten erstaunt die Augen reiben wie futuristisch das Leben in den diversen Wachstumsregionen der Welt (beileibe nicht nur USA) sein wird, während wir bei uns nur einen schleichenden und bleiernen Niedergang mit aber immerhin üppigen Renten- und Bürgergeldzahlungen erleben.
Zitat: Auch ist „technologischer Fortschritt“ hier mMn in Anführungszeichen zu setzen. Zwar kann man davon sprechen, dass solche Gesellschaften grundsätzlich innovativ sind, „technischen Fortschritt“ würde ich das hingegen nicht nennen. Denn dieser Fortschritt passiert nur dann, wenn a) jemand einen monetären Nutzen daraus ziehen kann und b) meist um Probleme zu beheben die man selber zuvor verursacht hat.Ja und das Internet ist für uns alle Neuland, keiner braucht dieses neumodischen Scheiß und früher lebte es sich besser. Wie fortschrittsfeindlich, konservativ und altbacken. Eine typisch europäische Grundhaltung nachdem sich zu viele mit offenen Geist nach Amerika verabschiedet haben. Das wirkt nach, bis heute.
Ein gestalterisch freier Megakonzern wie bspw Apple hat uns nicht mit fortschrittlicher Technologie beglückt, sondern mit Wegwerfprodukten geringer Haltbarkeit die einen fortschreitenden Einnahmenzyklus gewährleisten sollen. Das ist keine Innovation, dass ist die Behebung eines Problems, dass man unnötigerweise selbst verursacht hat, weil es dem Unternehmen am meisten nützt.
Wollen wir da stehen bleiben wo wir sind oder vorangehen und den Weg in die Zukunft mitbestimmen? Europa hat sich (teils bewusst, teils unbewusst) dazu entschieden stehen zu bleiben und das mit Fortschnitt und erst Recht Wachstum hinten anzustellen. Lieber das sichern was man hat und bloß keine Veränderungen.
Das Ergebnis? Wie immer in der Geschichte der Menschheit sind diejenigen die sich für Stagnation und Bewahrung entschieden haben von denjenigen überholt worden, die ihr Schicksal in die eigene Hand genommen und sich risikobereiter, innovativer und zukunftsfreudiger auf den Weg gemacht haben. Und nun stehen wir da. Bekommen die technologischen Segnungen anderer Player übergestülpt (aktuell halt aus den USA, morgen werden es die Chinesen sein), finden es gar ganz furchtbar, würden es am liebsten totregulieren und verbieten und müssen irgendwie doch damit leben obwohl es am schönsten wäre wenn alles so bleibt wie es ist.
Tut es aber nicht. Fortschritt lässt sich nicht aufhalten, auch wenn wir uns in unseren Großraum dagegen entscheiden. Dann wird man halt mitgerissen und gerät immer mehr ins Hintertreffen.
Zitat:[…] Was letztendlich zu einer Situation führt, in der eine Gesellschaft alles hat aber niemand etwas kaufen kann, solange bis die Gesellschaft kollabiert und der Zyklus von neuem beginnt.Ja so in etwa. Und über diese Zyklen hinweg hat der Kapitalismus alle Boote gehoben. Der globale Wohlstandsgewinn seit dem zweiten Weltkrieg ist beispiellos, der Menschheit geht es besser niemals zuvor in der Geschichte und in den Entwickelten Ländern haben selbst Menschen unterhalb der Armutsgrenze einen höheren Lebensstandard als der Hochadel im 19. Jahrhundert.
Bitte mehr davon! Mehr Fortschritt, mehr Innovation, mehr Wachstum. Ich will keine Gleichheit im Niedergang.
Kongo Erich schrieb:Was ich verlinkt hatte, war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur "Remigration" in Verbindung mit Artikel 1 - und damit eine Interpretation, die letztendlich (fast) genauso verbindlich ist wie das Gesetz selbst.Du hast ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts verlinkt. Wir können an dieser Stelle nicht über die deutsche Justiz diskutieren.
